kamarasow - Man stolpert nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel

  • .. so ähnlich ist es wohl. Das mit dem Trinken. Jeder hatte seine kleinen Maulwurfshügel. Mal größere, mal kleinere. Die Gründe fürs Stolpern sind zahlreich, mal traurig, mal erschütternd, aber oft auch stink langweilig. Die Gründe fürs Stolpern sind aber auch nur der Einstieg für die Alkohohlkrankheit. Die Krankheit selbst wird durch die Droge Alkohol erzeugt. Nicht durch die Maulwurfshügel. Das zu erkennen dauert ab und an.
    Konfuzius meint noch etwas schönes: "Wenn du die Absicht hast, dich zu erneuern, tu es jeden Tag.". Nun, das habe ich vor. Ob man es schafft wird die Zeit zeigen.
    Zu mir: Eigentlich ziemlich langweilig. Im Gegensatz zu den anderen hier stehenden Lebensgeschichten, spießig. Studiert, Familie und Kinder, Mitte 30, seit Ende 20 regelmäßig getrunken. Am Ende war es eine Flasche Wein täglich. Ich habe keinen absoluten Tiefpunkt erleben müssen. Die Grundbausteine halte ich weitestgehend ein.
    Abstinent, per kaltem Entzug, seit 13 Tagen. Die körperlichen Entzugserscheinungen waren geringfügig (Unruhe, Schlafstörungen). Die Leberwerte und die sonstigen physischen Konditionen sind gut. Die größten Schwierigkeiten bereitet mir das von der Droge beeinflusste Suchtzentrum. Am Anfang des Entzugs war es am schlimmsten. Nun wird es von Tag zu Tag besser, aber der Druck ist nach wie vor da.
    Mehrere, vom Suchtzentrum beflügelte Gedanken kreiseln derzeit durch den Kopf:
    - Wenn es so leicht war, sich auf Abstinenz zu setzen, dann kann doch weiteres Trinken nicht schaden. Hey, die Leberwerte sind gut.
    - Nur ein kleines Gläschen Wein wird irgendwann später doch nicht schaden
    - Lebenslang kein Alkohol mehr, puh

    Ich weiß, dass das keine klaren Gedanken sind. Denn bis 28 Jahre war ich Alkoholverweigerer, lebte prima damit und hatte mächtig Spaß zusammen mit den besoffenen Leuten um mich herum. Jeder aktzeptierte meine damalige Entscheidung. Darauf hoffend, dass die kreiselnden Gedanken weniger werden, durchkämpfe ich den nächsten Tag.

    In diesem Sinne und Danke fürs Lesen.

  • Guten Morgen Kamarasow,

    Herzlich willkommen hier im Forum und Danke für deine Geschichte.

    Ich wünsche dir einen hilfreichen Austausch hier.

    Die diversen Masken, die das Suchtgedächtnis trägt, um sich zu verbergen sind faszinierend.
    So z.B.: weil es mir so leicht gefallen ist, aufzuhören, kann ich kein Alkoholiker sein. Kenne ich gut. Hör ich öfter in meinem inneren Dialog.

    Ich arbeite dann immer an dem Gedanken: ich will nicht nur keinen Alkohol mehr trinken, ich muss es nicht mehr.
    Dafür wird mir Lebenszeit und Lebensqualität geschenkt, jede Menge.

    Dafür lass ich gerne das 'gute Glas Rotwein' stehen.


    Lass von dir hören, ich freue mich, von dir zu lesen.

    Liebe Grüße
    Hans

  • Hallo Kamarasow,

    habe deine Geschichte im Vorstellungsbereich gelesen. Es gefällt mir, wie liebevoll du über deine Familie geschrieben hast.

    Und finde es gut, was du schreibst über das sich erneuern. Irgendwann hat sich das Erneuern verinnerlicht. Wenn der normale trockene Alltag kommt, kommen auch Gefühle dazu, die vorher nicht dagewesen zu sein schienen, die der Alkohol so gut überdeckt hat. So habe ich es empfunden. Heute bin ich beinahe 10 Jahre trocken.

    Manche Gefühle sind immer noch unangenehm und schmerzhaft, selbst wenn es um "langweilige" Angelegenheiten geht.

    Aber es gibt auch die, die ich um keinen Preis der Welt mehr missen möchte. Wenn ich ein liebes Wort oder eine Geste oder eine Umarmung nicht nur hören und sehen sondern auch wieder im Bauch spüren kann.

    Einen guten Austausch wünsche ich dir hier.

    Liebe Grüße

    Iowa
    (ich habe meinen Thread im geschlossenen Bereich).

  • Hallo Kamarasow!

    Zitat

    Mehrere, vom Suchtzentrum beflügelte Gedanken kreiseln derzeit durch den Kopf:
    - Wenn es so leicht war, sich auf Abstinenz zu setzen, dann kann doch weiteres Trinken nicht schaden. Hey, die Leberwerte sind gut.
    - Nur ein kleines Gläschen Wein wird irgendwann später doch nicht schaden
    - Lebenslang kein Alkohol mehr, puh

    Das genau gehört zur Krankheit. Das Ziel ist, dass du weitertrinken sollst.
    Und dieses Ziel der Krankheit kann erreicht werden, indem Du Dir beweist, dass Du aufhören konntest. Denn dann kannst Du dir einreden, dass Du weitertrinken kannst und ka wieder aufhören kannst. Nat+rlich kannst du das irgendwann nicht mehr. Und das Ziel wäre erreicht. Du säufst di unglücklich und kaputt!

    Wie gehts dir denn? Willst Du nicht öfter hier schreiben?
    Mir hillft es sehr!

    Viele Grüße
    Calida

  • Hallo Ihr Lieben,
    Danke für eure Worte und eure Teilnahme. Mir geht es gut. Mittlerweile sind es 19 Tage Abstinenz, jedoch treibt mich die Krankheit in warme, süße Gedanken. Im Moment bin ich standhaft. Die Vorstellungen, die Weihnachtsgans ohne ein schönes Glas Rotwein genießen zu müssen oder den lauen Sommerabend ohne ein gutes Glas Weißwein zu verbringen, fühlen sich aktuell sehr hart an. Nachwievor kreiseln Gedanken wie: "Ach, so ein Glas wird doch nicht schlimm sein! Danach kann ich ja wieder abstinent sein. Das muss doch zu schaffen sein.". Diese Gedanken kommen aktuell in regelmäßigen Abständen immer wieder. Beruhigend wirkt in diesen Situationen der hier zu lesende Trick: "In 10 Minuten ist es vorbei.". Das hilft. Bis zum nächsten Gedankenschub.

    In den vergangenen Tagen gab es positive und negative Erlebnisse. Das negativste Erlebnis hatte ich mit meinem Vater, der mir trotz des Wissens meiner Absichten, mehrfach Wein anbot. Gemessen am Konsum des Vaters ist er selbst alkoholkrank. Das wird jedoch totgeschwiegen. Irgendwie glaube ich, dass seine nassen Gedanken Enttäuschung sehen, weil er einen Trinkpartner verliert. Die Weinangebote ärgerten mich mehrere Tage. Allein die vergleichende Vorstellung, dem eigenen Sohn mehrfach Zucker trotz Zuckerkrankheit anzubieten, macht mich sehr ärgerlich. Komischerweise wiegt eine Zuckerkrankheit schwerer als eine Alkoholkrankheit. Den Kontakt werde ich auf ein Minimum zurückfahren müssen.

    Nun zu den positiven Erlebnissen. Selbige überwiegten in den vergangenen Tagen. Hier nur ein paar Beispiele: Der schöne Moment am frühen Morgen, wenn die Kleinste noch völlig verschlafen ins Bett unter die warme Decke vom Papa gekrabbelt kommt ist nun viel intensiver. Früher war man oft verkatert bzw. hatte noch Restalkohol drin. Da störte die Kleine eher. Nun ist es einfach nur hell und warm im Herz. So geht der Tag auch gleich prima los. Am Abend ist man nun auch mal mit klareren Gedanken gegenüber der Frau fähig. Gefühlt habe ich seit Monaten nicht mehr so "wach" mit ihr gesprochen. Im alkoholisierten Alltag funktionierte man ganz einfach, man war eingespielt und musste nicht viel reden. Ohne Alkohol ist es wieder eine ganz andere Stufe. Für sie würde ich gar nicht so anders sein, aber für mich fühlt es sich völlig anders, irgendwie befreiter, an.

    In diesem Sinne. Auf weitere standhafte Tage.

    Viele Grüße
    Kamarasow

  • Hallo Kamarasow,
    ich schreibe hier im Forum als Parnternin eines Alkoholikers. Ich kann nicht ermessen, wie schwer es sein muss, der Sucht zu widerstehen und täglich damit zu leben. Da ich dir jedoch altersmäßig ziemlich nah bin, und deine Situation mir für einen kurzen Augenblick wie ein Ausblick in meine Zukunft vorkam, fühle ich sehr mit dir. Ich wünsche dir viel Kraft für die kommende Zeit und es wäre schön, auch weiterhin von dir zu lesen!

  • Hallo Kamarasow,

    deine offenen Worte haben mich sehr betroffen gemacht.

    Sie erinnerten mich an mein Leben, bevor ich vor einigen Jahren trocken wurde.

    Zitat

    .....aber für mich fühlt es sich völlig anders, irgendwie befreiter, an.


    Das ist für mich, aus allem was du geschreiben hast, der Kernsatz.

    Diese innerliche ( und zum Teil auch darauf basierende äußerliche ) Freiheit
    hat sich vom Tag X an immer weiter bei mir etabliert und ich möchte sie auf keinen Fall mehr missen.

    Was deinen Vater betrifft..... da hast du doch ein abschreckenes Beispiel, für das empathielose und schlussendlich auch lieblose Verhalten, das er in Verbindung mit Alkohol zeigt.

    Es könnte unter Umständen sein, ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass wenn du dich weiterhin dem Alkohol zuwendest, dein Verhalten sich deinen Kindern gegenüber, über die Jahre, ähnlich entwickelt.


    Mich amüsiert immmer der ganze Hype um ein "gutes Glas Rotwein", oder "das Spezialitätenbier", oder eine ganz "besondere Limomarke" mit ganz "besonderen Spirituosen" gemischt.

    Bei den meisten dieser "Gourmets" die ich so kenne, steht der Alkoholkonsum im Vordergrund, der eben nicht nach dem einen guten Glas endet, sondern, so würde ich mal schätzen, beim Tetrapack Kochwein, wenn sonst nix anderes mehr da ist.

    Ich drücke dir die Daumen, dass du stärker sein wirst als dein Suchtgedächtnis.

    Vielleicht findest du ja etwas, das dir ein ähnlich gutes Gefühl gibt, wie das erste Glas guten Weins.

    Liebe Grüße und ich freue mich darauf, wieder von dir zu hören.

    Hast du noch eine eine andere Selbsthilfegruppe außer uns ?
    Eine wo du den Menschen direkt gegnüber sitzt, sie kann auch sehr helfen.

    LG Slowly

  • Hallo Kamarasow!

    Die Gedanken mit der Gans ohne Wein hatte ich anfangs auch. Aber wenn ich ehrlich bin, ich hätte doch ein Glas getrunken, sondern ne Flasche. Und nass hab ich die Gans nie genossen. Ich hab doch vorher schon gesoffen. Nee, Genuss ist was anderes. Genuss ist das, was ich jetzt tu. Ich darf mich nur auf meinen Essen konzentrieren und muss nicht überlegen, ob ich mir noch ein Glas nachbestelle oder ob das peinlich ist.

    Ja, bei nassen Trinkern kannst Du nicht erwarten, dass sie sich freuen, dass du nicht mehr trinkst. Hättest Du dich gefreut, wenn Dein bester Kumpel aufhört, andere Wege geht und Dich in dem Wissne zurücklässt, dass Du zuviel säufst, du machst aber weiter, weil Du nicht anders kannst. Da fühlt sich ein nasser Trinker doch noch beschissener.

    Schön, dass Du auch das Positive siehst! Mir gehts auch so, dass ich jetzt erst richtig meine Kinder genießen kann. Weil ich in keiner Minute verkatert bin oder daran denke, wann ich das nächste Glas trinke.
    Ist doch schön so! Vielleicht findest Du noch mehr positives und kannst das noch ein bisschen nach oben stellen in Deiner Liste.

    Einen schönen Tag für Dich!

    LG - Calida

  • Hallo karamasow,

    zum Glück ist noch eine Weile hin bis Weihnachten.

    Das Weihnachtsessen ist für viele Leute ein Thema, weil es automatisch mit Alkohol verbunden war über die Jahre.

    Wir haben hier im Forum einen Bereich, in dem es um Lebensmittel und alkoholfreie Gerichte geht. Wenn du möchtest, kannst du die 3 Seiten ja mal durchstöbern.

    Wenn dich Weihnachtsgans triggert, also Saufgedanken bzw. Saufdruck auslöst, dann kannst du dieses Jahr mal etwas völlig anderes kochen. Vielleicht japanisch oder sonst etwas verrücktes, was du absolut nicht mit Alkohol assoziierst.

    Man muß sich das Leben nicht unnötig schwer machen, finde ich, wo es doch soooo viele Alternativen gibt.

    Liebe Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Ihr Lieben,
    Danke für eure Worte. Es hilft zu wissen, dass man mit seiner Krankheit nicht allein ist. Das erzeugt bei mir ein gewisses Gruppengefühl.

    Was gibt es zu berichten? Nun, es sind aktuell 23 Tage Abstinenz. Das Suchtzentrum verliert langsam an Kraft. Das merke ich beispielsweise daran, dass mir die Weihnachtsgans ohne Alkohol egaler ist, als ich es vor paar Tagen noch empfand. Es stellt sich ganz langsam ein inneres Schulterzucken beim Gedanken daran ein. Langsam verstehe ich auch das eigene Suchtzentrum etwas besser. Die Trigger werden deutlicher. Ein starker spontaner Trigger ist bei mir im visuellen Bereich: Sobald man irgendwo eine Weinflasche oder einfach ein Glas Wein sieht gehen die Alarmglocken im Hirn an. Heißt für mich, dass die Weingläser im Küchenschrank aus dem Blickfeld entfernt werden müssen. Im Supermarkt hilft es, wenn ich bewusst vom Weinregal wegschaue. Nach dem Motto, aus dem Auge aus dem Sinn. Alles was Risiko bedeutet, wegmachen.

    Neben den visuellen Triggern besteht noch nach wie vor ein Grunddruck. Also die immer wiederkehrenden Gedanken an Wein. Das wird aber von Tag zu Tag besser.

    Was war negativ: Nicht viel. Jedoch habe ich mich in eine Risikosituation begeben, die ich im Nachhinein etwas bereut habe. Situation: Mitfahrer im Auto mit 3 Angetrunkenen. Es roch schon arg nach Alkohol. Es war blöd von mir, aber sich sozial völlig abzukapseln ist ein Schritt, der schwer fällt. Die Jungs haben insgesamt Respekt vor meiner Entscheidung, da sie mich auch als Anti-Alkoholiker kennen. Dennoch, das werde ich meiden müssen, da es mich psychische Kraft kostet.

    Was war positiv: Meine Frau kam gestern zu mir und sagte, dass sie stolz auf mich und meine Entscheidung wäre. Das freute mich. Ich musste aber gleich die Luft aus dem Lob nehmen indem ich meinte, dass es nur ein Anfang wäre. Erreicht ist noch gar nichts. Das zeigte mir aber, dass es sie doch mehr mitgenommen hatte als ich annahm bzw. sie mir zeigte. Sie war irgendwie auch befreit. Als ob ihr auch eine Last genommen wurde. Bisher habe ich augenscheinlich zu wenig im Co-Bereich gelesen.

    Soweit von mir. Viele Grüße und viel Kraft gegen die Sucht.

  • Hallo Karamasow,

    willkommen hier und Glückwunsch zu deinen ersten 23 Tagen.
    Du hast bereits die Fallstricke sowie die schönen Momente der Abstinenz kennengelernt.

    Zitat

    jedoch treibt mich die Krankheit in warme, süße Gedanken.


    Du sehnst dich nach etwas, und dein Gehirn hat den Alkohol als diese Lösung für diese Etwas abgespeichert. Daher assoziierst du diese Lösung nun mit Attributen wie "warm" und "süß". Auch bekannt als nasses Denken.

    Das ist am Anfang der Abstinenz wohl ziemlich verbreitet, mir ging es auch so. Hat schon ein paar Tage gedauert, bis ich mir selber auf die Spur kam, und bald ließen auch die Verzichts-Gedanken nach.
    Denn auf etwas Warmes und Süßes dauerhaft verzichten zu wollen, das kostet viel zu viel Kraft. Das ist keine Trockenheit, sondern ein Kampf.
    Kapitulation ist daher in meinen Augen keine Niederlage mehr (so hatte ich diesen hier häufig benutzten Begriff zunächst verstanden), sondern die Aufgabe des Kampfes.
    Es geht nicht um Siegen oder Darniederliegen oder immerwährendes Kämpfen. Es geht vielmehr um Zufriedenheit im Leben, die ohne die Droge neu entdeckt werden will. Dabei wünsche ich dir viel Freude und hier einen guten Austausch.

    LG viola

    Da, wo es piekt, da geht es lang!

  • Hallo,

    es freut mich, wieder Neues von dir zu lesen.

    Du klingst sortierter. Gut, dass du erkennst, was dir nicht gut tut (Betrunkene im Auto mitnehmen).

    Ich habe im sozialen Menschen kennen gelernt, die ebenso trocken sind oder sich nichts aus Alkohol machen, es entstand so eine Art Automatismus, meine eigene Ausstrhalung hat sich verändert und ich ziehe andere Menschen an als früher.

    Schön, dass deine Frau dir Mut macht. Und dass du ihre Sicht der Dinge anerkennst. Wieso möchtest du bei den Co's lesen. Für dich oder um deine Frau zu verstehen?

    Mir war es lange stressig, zu wissen, wann ich wo stehe mit meiner Trockenheit. Heute gibt es für mich kein fertig-werden-wollen-mehr in Sachen Trockenheit oder Reife, das hat einen Stressfaktor aus meinen Gedanken herausgenommen.

    Weiterhin einen guten Weg.

    VG, Iowa

  • Hallo Kamarasov,

    ich finde auch gut, wie du offenbar sehr bewußt Trigger und Risiken einschätzt:

    "Die Trigger werden deutlicher. (...) Alles was Risiko bedeutet, wegmachen."

    Mich hat es anfangs und oft immernoch etwas geärgert, bestimmte Anlässe aus Risikovermeidung zu meiden, das fühlt sich auch so nach Verzicht an. da hast du einen ganz wichtigen Gedanken:

    "Dennoch, das werde ich meiden müssen, da es mich psychische Kraft kostet."

    Da es mich Kraft kostet. Genau. Sowas wie diese Autofahrt kosten Kraft, weil ich auf hab-acht bin. Und es gibt eine ganze Menge Anlässe, für die ich einfach keine Lust mehr habe, einen ganzen Abend auf hab-acht und Selbstschutz gepolt rumzulaufen.

    Eine gute (Rest-)Woche dir!

    Motek

  • Guten Morgen Ihr Lieben,

    Iowa : Zur Co-Sache: Ja, ich will beide Seiten verstehen. Meine Frau meinte vor zig Monden mal, dass es eine Stärke von mir sei, mich in jemand hineinzuversetzen. Mitgefühl zu entwicklen. Jetzt blickt man ein paar Tage abstinent auf die Saufzeit zurück und muss feststellen, dass man in Fragen der Droge alles andere als Mitgefühl für den Partner hatte. Das ist im Hirn einfach ausgeschaltet, ja fast schon umgepolt. Man denkt im Suff, man hätte für den Anderen Mitgefühl, hat es aber nüchtern betrachtet überhaupt nicht. Zumindest aus meiner Alkoholiker-Sicht betrachtet bringt es für einen Partner überhaupt nichts, sich mit dem Süchtigen über seine Droge zu unterhalten. Er wird alles erzählen, auch einfach weil das Hirn durch die Droge falsch reagiert. Sprich, weil er durch das Gift psychisch krank ist.
    Dieser Gedankengang beschäftigt mich vor dem Hintergrund, wie meine Frau mit meiner Sucht umgegangen ist. Bei uns gab es kein Versteckspiel bzgl. des Konsums. Sie kaufte mir auch Flaschen. Ich musste nie was verstecken. Sie schaffte Ladungen von leeren Flaschen weg (was sie sicherlich belastete). Aber jetzt kommts: Eigentlich ist es doch falsch, wenn man einen Süchtigen auch noch mit seiner Droge versorgt. Bei mir war aber genau das ein Puzzlestück für die Entscheidung gegen den Alkohol. Am Anfang fand ich es toll, dass sie mir Wein kauft. Aber irgendwann war es mir unangenehm, dass sie es tat. Ich verlor irgendwie die Kontrolle über den Kauf der Droge. Es war immer was da. Es war mir außerdem unangenehm, dass sie manchmal die leeren Flaschen wegschaffen musste. Sie war Teil dieser Sucht und damit kein Aggressor/Feindbild von außen, der mich maßregelt/drosselt oder wie ein Luchs meinen Konsum beobachtet. Dieses Mithineinziehen von Anderen in meinen eigenen Scheiß führte u.a. zum inneren Wandel bei mir selbst. Das klingt jetzt vielleicht paradox, aber so ist es.

    viola : Das mit der Kapitulation verstehe ich noch nicht richtig. Meinst du Kapitulation im Sinne einer Selbstaufgabe oder Kapitulation im Sinne eines Nachgebens? Derzeit verstehe es als Kampf (oder nennen wir es Kraftakt) seiner Sucht zu widerstehen. Es kostet Kraft, aber man ist viel wacher und leistungsfähiger. Man kann auch wieder die eigenen Emotionen besser einordnen bzw. schöne Dinge intensiver und nicht mehr so stumpf erleben.

    Nunja, genug von mir. Euch einen schönen sonnigen Tag. Gleich hat es die Sonne ins Bürofenster geschafft und dann werden Glückshormone aufgetankt.

    Viele Grüße

  • Hallo kamarasow,
    ich grätsche hier einfach mal so rein, obwohl ich noch nicht alles gelesen habe. :wink:
    Hole ich aber nach.

    Zitat

    Bei uns gab es kein Versteckspiel bzgl. des Konsums. Sie kaufte mir auch Flaschen. Ich musste nie was verstecken. Sie schaffte Ladungen von leeren Flaschen weg (was sie sicherlich belastete). Aber jetzt kommts: Eigentlich ist es doch falsch, wenn man einen Süchtigen auch noch mit seiner Droge versorgt.
    .......
    Es war immer was da. Es war mir außerdem unangenehm, dass sie manchmal die leeren Flaschen wegschaffen musste. Sie war Teil dieser Sucht und damit kein Aggressor/Feindbild von außen, der mich maßregelt/drosselt oder wie ein Luchs meinen Konsum beobachtet

    Das sehe ich anders als Du :wink:
    Gerade WEIL Deine Frau für Dich den Alkohol beschaffte, hatte sie ja eine vermeintliche Kontrolle über das, was Du trinkst. :wink:
    Die Leergutentsorgung macht diese Kontrolle ja nur kompletter :wink:
    CO`s ist oftmals nicht ganz klar, das der Alkoholkranke auch zumeist heimlich noch dazuschüttet, wann immer sich ne günstige Gelegenheit ergibt.
    Die meissten trockenen Alkoholiker in meiner ehemaligen Realen erzählten jedenfalls davon, das sie im Haus auch geheime Lager hatten, wenn noch ein Partner da war.
    Bei mir war das ebenfalls so.

    Richtig...Falsch... diese Kategorien liegen mir überhaupt nicht.
    Unterstützt ein CO, Angehöriger oder Freund den Alkoholkonsum eines Abhängigen durch sein Verhalten,
    ist das sicher nicht förderlich für den Alkoholkranken.
    Mitunter wissen andere aber auch einfach nicht, welches Verhalten besser bzw. angemessener wäre.
    Dazu kommt immer noch viel Unwissen über unsere Krankheit.
    Und insbesondere bei Partnern auch meist eine gehörige Portion Hilflosigkeit.
    Ich habe übrigens meinen Mann am Ende auch dazu bekommen, mir Alk zu besorgen und der ist weiß Gott kein CO.
    Er wußte manchmal einfach nicht mehr weiter und wollte nur noch seine Ruhe haben.
    Ihm geshalb zu unterstellen, das er "falsch" gehandelt habe...das fänd ich allerdings ziemlich frech.

    Zitat

    Das ist im Hirn einfach ausgeschaltet, ja fast schon umgepolt.
    Man denkt im Suff, man hätte für den Anderen Mitgefühl, hat es aber nüchtern betrachtet überhaupt nicht.
    Zumindest aus meiner Alkoholiker-Sicht betrachtet bringt es für einen Partner überhaupt nichts, sich mit dem Süchtigen über seine Droge zu unterhalten.
    Er wird alles erzählen, auch einfach weil das Hirn durch die Droge falsch reagiert. Sprich, weil er durch das Gift psychisch krank ist.

    Ja, genau so ist das.
    Ein nasser Alkoholiker kann das alles nicht mehr erkennen, das ist einfach so.
    Ich hoffe, das hier lesen auch einige CO`s, die immer noch meinen, sie hätten auch nur irgendeinen Einfluß auf den alkoholkranken XY :wink:
    Dem ist nämlich nicht so.
    Auch wenn sie es anders sehen (wollen).

    Zum Thema Kapitulation kann ich auch noch was schreiben, Viola wird aber bestimmt auch noch drauf antworten. :wink:
    Ich bin ja selbst auch eine große Verfechterin der Kapitulation vor dem Alkohol.
    Ich sehe es so, das es absolut keinen Sinn macht, gegen einen übermächtigen Gegner kämpfen zu wollen,und das ist der Alkohol nun mal für mich.
    Ich habe bei diesem Gegner Null Chancen auf einem Sieg (und wie sollte der überhaupt aussehen??).
    Also trete ich da doch gar nicht mehr an, wenn doch der Sieger eh schon von vornherein feststeht.
    Das wäre doch einfach nur dumm. Eine blutige Nase habe ich mir doch nun oft genug geholt.
    Für mich ist Kapitulation von daher kein Zeichen für Schwäche, sondern eher von Klugheit.
    Aber vielleicht sehen das Männer von ihren ganzen Rollenverständnis her auch anders?
    So als ewige Kämpfer und immer Sieger sein wollen ?
    Keine Ahnung... aber schlau is anders... so zumindest meine Meinung :wink:

    LG Sunshine

  • Hallo sunshine,
    Danke für deine Zeilen. Über die Co-Sache werde ich grübeln müssen. Es ist wahrscheinlich wirklich so, dass der Partner damit hofft die Sache besser kontrollieren zu können. Hinzu kommt auch ein Schuss Unwissenheit und Naivität gegenüber der Krankheit. Jedoch, wie ist es zu erklären, dass die vermutliche Co-Abhängigkeit des Partners (die ich nicht sah, sondern nur fühlte) bei mir ein Umdenken auslöste? Das verstehe ich derzeit noch nicht. Vielleicht muss ich es auch nicht.

    Mit der Definition der Kapitulation, wie du es schreibst, kann man sich anfreunden. Okay, Alk, du bist stärker. Schön für dich. Ich muss dich trotzdem nicht trinken. Das bekomm ich klar im Kopf.

    Viele Grüße

  • Hallo Ihr Lieben,
    die folgenden Zeile schreibe ich, um den Gedanken die Macht über mich zu nehmen:
    Wenn man hier im Forum knallharte Aussagen von Langzeittrockenen liest, dann kostet mich das mitunter viel psychische Kraft. Aktuell gelesen (sinngemäß): "Viele versuchen wegen anderen Menschen aufzuhören und nicht wegen sich selbst. Und scheitern deswegen.". Bah, das saß. Denn ich glaube, die mir nahestehenden Menschen sind der hauptsächliche (nicht ausschließliche) Grund, weshalb ich versuche trocken zu werden. Daraus schließt sich der Gedanke, dass wenn ich allein wäre, ich nicht so streng mit mir sein würde. Nun, diese Gedanken freut natürlich das Suchtzentrum. Oder kommen die dorther? Ich bin nicht klar im Kopf. Auch nach 4 Wochen Abstinenz. Meine ganze Denkweise basiert im Wesentlichen auf Logik, oder wie meine Frau sagen würde: "..du mit deiner Rationalität immer..". Die aus dem Hirn sprudelnde Logik kann man aber als Alkoholiker vergessen. Da ist 1+1 mitunter 3.

    In diesem Sinne. Viele Grüße und ein schönes Wochende.

  • Hallo,

    das klingt jetzt möglicherweise ein wenig nach Kindergarten: ich habe mir nach ca 3-4 Wochen und danach auch immer mal wieder Zeit genommen, um Bilanz zu ziehen über positive Veränderungen. Ganz ohne genervtes Seufzen, dann fällt es einem doch ab und an mal ein: Leistungsfähiger. Zuverlässiger. Viiieel mehr Zeit. Legaler (betrunken Auto fahren...). An sowas denke ich manchmal, wenn ich unzufrieden mit mir bin. Das sind alles Dinge, die mir selbst sehr nützen. Natürlich sind die auch schön für die Umgebung, aber sie nützen am meisten mir selber.

    Wenn du nun sagst, der Anstoß und die erste Motivation kam wegen deiner Familie, gut, es hat offenbar für die ersten Wochen gereicht. Das muss aber nicht deine Motivation bleiben. Es gibt bestimmt viele Gründe dafür, dass du für dich selbst gesund_abstinent_trocken lebst. Mir klingen so Sätze im Ohr "leben Sie für SICH SELBST", wobei man hier auch das 'leben Sie' fett unterstreichen könnte. Selbst leben und nicht durch Alk/Sucht gelebt werden. Übrigens auch nicht durch Andere, wobei ich ohne Kinder da leicht reden hab. Allerdings gibts viele Verpflichtungen, bei denen man mal ganz egoistisch 'nein' sagen kann, und überraschenderweise verstehen die Leute das oft sogar.

    Ich war anfangs nicht unbedingt glücklich abstinent, sondern halt einfach abstinent. Manche Dinge entwickeln sich, wenn man den Raum zulässt.

    Ich zitier' mal Giugiean...: "Sorgen Sie dafür, dass es Ihnen gut geht!"

  • Hallo kamarasow,

    Erwarte bitte nicht zu viel von Dir.
    Das nasse Denken verschwindet nicht innerhalb weniger Wochen.
    Dazu sind eher viele Monate bis hin zu Jahren nötig, diese Zeitrechnung wäre angemessener. :wink:
    Du darfst trotzdem auf JEDEN TAG stolz sein, an dem Du nicht trinken musstest.
    Denn das ist eine tolle Leistung.

    Ich denke, wenn man erstmal für andere trocken werden will, muss das nicht grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sein.
    Viele trockene Wege beginnen auch so.
    Geschieht dieses abstinente Leben allerdings mit der "Faust in der Tasche", dann hast Du keine Chance auf langfristige Trockenheit.
    Es gibt Momente, wo man sieht, das es so nicht weiter geht.
    Wegen dem Partner, der Familie....weil man nicht alles verlieren will.
    Und das kann sich sehr wohl auch dahingehend entwickeln, das man selbst auch ein trockenes Leben möchte.
    Denn es ist für uns auch ein Leben in Freiheit.

    Und vielleicht kannst Du auch irgendwann sehen, was der Alkohol Dir selbst auch angetan hat?
    Denn auch wir haben doch gelitten, als wir noch trinken mussten.
    Ich nenne das immer unser "Alkoholtrauma", und daran werden wir auch noch lange zu knabbern haben.

    Lieber kamarasow, wenn Du wirklich ein trockenes Leben willst, dann kannst Du das auch schaffen.
    Lasse Dich da keinesfalls entmutigen und entmutige Dich bitte auch selbst nicht.
    Geh Du Deinen Weg in ein trockenes Leben in Deiner Geschwindigkeit und auch ganz besonders mit Berücksichtigung unserer Grundbausteine.
    Was verkehrt machen kann man damit sicher nicht.
    Ich lebe heute noch risikominimiert und mir geht es gut damit.
    Und das nun mittlerweile auch schon ein paar Jährchen. :wink:

    LG Sunshine

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