Helena_Strahlende Papa wo bist du?

  • Danke für deine Worte Kttnlos :). Ich wäge sehr viel mit mir ab, bevor ich hier schreibe. Das Endprodukt klingt dann sehr reflektiert, tatsächlich mache aber neben dem Geschriebenen die wertvollsten Erkenntnisse on the way :D

    Meine zwei Jahre Therapie und die zahlreichen Beiträge und unterschiedlichen Sichtweisen hier im Forum helfen mir dabei immer wieder. Also Danke an alle.

    Ich glaube ein großer Teil vom Heilen ist, das Geschehene nochmal einzuordnen und dabei durchzufühlen - und zwar so oft, wie es eben sein muss.

    Genau das. Dabei wird für mich auch das Vergeben des Geschehenen immer wichtiger. Vor allem mir zu vergeben. Hätte ich nicht dies, hätte ich nicht jenes? …….nein, ich war zur der Zeit nur das Kind. Auch jetzt bin ich NUR das Kind.

    Ich freue mich meine Geschichte hier teilen zu können.

  • Kapitel 2: Meine Mama die Co-Abhängige - oder wie ich merkte, dass ich Co-Abhängig von einer Co-Abhängigen bin.

    Das erste halbe Jahr 2021 war meine Mama wie eine Häsin vor der Schlange, die mit dem Rücken am Abgrund steht. Vollkommen in Schockstarre. Wobei mein Vater oder seine Alkoholsucht nicht die Schlange waren, sondern der Abgrund. Die Schlange, die sie immer weiter an den Abgrund getrieben hat, war die Angst ihr Leben selbständig zu leben. Alleine zu leben, für sich verantwortlich zu sein und für sich zu sorgen. Den Fokus auf sich zu lenken. Freie Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen auf niemand anderes schieben zu können.

    Im Forum habe ich zu der Zeit viel gelesen und viel gelernt. Anfangs habe ich alles im Bereich der Co-Anbhängigen auf meine Mutter übertragen, stellvertretend für sie Infos aufgesaugt und hier und da mal für mich bei den EKAs mitgelesen. Ich wollte anfangs durch das Forum UNS helfen aber vor allem meiner Mama und natürlich auch meinem Papa. Ich hab mit dem gelernten im Forum versucht meine Mama dazuzubewegen auszuziehen und ein eigenes Leben aufzubauen. Anfangs war sie Feuer und Flamme, wollte direkt eine Wohnung suchen, hat ständig vom ausziehen geredet. Kurze Zeit nachdem mein Papa aus dem Krankenhaus kam (übrigens auf eigene Faust entlassen, aber auch das ist ein anderes Kapitel ;)), war davon nichts mehr übrig. Sie hat zwar immer wieder verkündet, sie wisse, dass sie Co-Abhängig ist, aber es ging weiter wie bisher. Diese, ich nennen sie mal Rebellionsschübe meiner Mama, kamen immer wieder. Je öfter sie ihre Entscheidung wieder revidierte, einen Rückzieher machte, doch meinem Papa immer wieder Türen öffnete, desto mehr bemerkte ich, wie abhängig ich mich von ihrer Entscheidung gemacht hatte. Ich war genauso abhängig von ihrer Entscheidung sich aus der Co-Abhängigkeit zu befreien, wie sie abhängig war, dass sich mein Papa aus seiner Sucht befreit.

    Es reifte in mir das Gefühl der Ohnmacht, der Überforderung. Glücklicherweise hatte ich schon zwei Jahre Therapie hinter mir, da war zwar das Thema Alkoholsucht noch im Verborgenen und wurde nicht thematisiert, aber meine Denkprozesse und Muster sind trotzdem die gleichen. Ich habe gelernt mich dieser Ohnmacht nicht hinzugeben, sondern aktiv nach Auswegen für mich zu suchen. Durch ständiges lesen im Forum habe ich meine Rolle in diesem Konsturkt langsam sortiert. Die Rollen waren vollkommen verdreht. Ich war ihre Mutter und habe sie bemuttert. Beide. Meine Mama und meinen Vater. Ich wollte mich befreien und immer wichtiger wurde: Was kann ICH tun, damit es MIR besser geht?

    Die Antwort: Distanz, mich unabhängig machen von der Entscheidung meines Papas, aber auch…..und das ist die entscheidende Wende für mich…….auch von der meiner Mutter. Sie will nicht gehen? Sie will verharren und das weiter mitmachen? Sie akzeptiert mit in den Abgrund gezogen zu werden? Ok, ihre Entscheidung. Aber ich entferne mich vom Abgrund, auch wenn das heißt, dass ich mich von ihr entfernen muss. Sie sind beide erwachsen und treffen ihre Entscheidung. Wenn sie diese Entscheidung ins Grab bringt, habe ich das zu akzeptieren. Es hat noch einige Zeit gedauert, bis ich dieses wage Gefühl in die jetzt hier stehende, klare Entscheidung verwandelt habe. Als es soweit war, habe ich das so gegenüber meiner Mama formuliert. Sicherlich habe ich mit jeder Ankündigung gehofft, dass sie was bei meinem Gegenüber auslöst, sowohl bei meiner Mama als auch meinem Papa ABER ich hatte hier im Forum schon etwas gelernt,…….kündige nichts an, was du nicht halten kannst.

    Ich bin sehr froh, dass ich zu dieser Zeit bereits mein eigenes Leben hatte, nicht auf meine Eltern angewiesen war. Wäre ich damals noch klein gewesen, hätte ich noch größere psychische Schäden davongetragen, als ich ohnehin schon hatte. Heute wird mir klar, dass mein krankhafter Perfektionismus, meine Selbstzweifel und das Gefühl nie genug zu sein viel mit der Alkoholsucht und dem Umgang meiner Mutter damit, zu tun hat. Ich kann nur jedem raten, nicht zu unterschätzen was das mit Kindern macht in einem Haushalt mit Alkoholiker*in aufzuwachsen und bei uns war es vergleichsweise harmlos. Mir war bereits in sehr jungen Jahren bewusst, dass meine Eltern sich gegenseitig nicht gut getan haben. Verdammter Mist ich kann mich sogar daran erinnern, dass die beiden selbst oft genug mit Scheidung „gedroht“ haben. Ich dachte oft……ja bitte! Lasst euch scheiden! Habe es nicht nur gedacht, sondern mit einem gewissen alter sogar formuliert. Dann würde diese ständige Unsicherheit, die Streiterien, das zwischen den Stühlen stehen hier wenigstens ein Ende nehmen. Passiert ist nie was. Leere Drohungen. Verlieren tun leider immer die Kinder. Als Kind IN der Situation konnte ich mein Bedürfnis nicht einfordern, beziehungsweise hatte keine Wahl. Wo hätte ich hingehen sollen? Jemand musste für mich sorgen. Heute ist das anders und ich werde alles tun um mich zu schützen. Trotzdem habe ich eine Wunde aus der Zeit, die immer bleiben wird: Depressionen und Angstzustände.

  • Kapitel 3: Die mysteriöse Erkrankung - oder wie vom Verdacht auf ALS nur noch der Alkohol übrig blieb

    Eigentlich wollte ich mich in meinen Beiträgen vor allem mir widmen und nicht zu sehr über meinen Papa oder meine Mama schreiben. Aber ich glaube, dass es wahnsinnig vielen da draußen so geht wie mir am Anfang. Da zeigen sich bei einem geliebten Menschen langsam Symptome, ein Verdacht was der Übeltäter sein könnte, ist meist schon da. Der Alkohol könnte es sein, ABER, und das war bei mir der Fall, ich kannte mich zu wenig mit Alkoholismus aus. Ich wusste nicht, welche psychischen und körperlichen Folgen jahrelanger Konsum haben kann. Vieles kommt schleichend und ähnelt leider Symptomen anderer Krankheiten. Ich war verunsichert, wollte nicht voreilig alles auf den Alkohol schieben. Aus Hoffnung, dass mein Papa mich nicht anlügt, es nicht alles an SEINER Entscheidung liegt, etwas zu ändern. Wie doof das jetzt für mich klingt. Als müsste ich den Alkohol vor bösen Anschuldigungen schützen :D. Bis ich sattelfest anderen und vor allem MIR sagen konnte, es ist der Alkohol und nichts anderes, habe ich viele Lektionen lernen müssen.

    März 2021: Einlieferung meines Papas ins Krankenhaus mit Rippenbrüchen und Hüftfraktur - Ursache Sturz durch Schwindel. Erste Erkenntniss, es könnte am Alkohol liegen. Keine Woche später, Entlassung meines Vaters auf eigene Faust weil Quote: „die wollen mich hier umbringen! Die machen mit mir Experimente“. Später stellt sich dann raus, dass seine Rippen nie richtig verheilt waren.

    April-Juni 2021: Er ist zu Hause, nimmt zwar seine Medikamente, aber sonst passiert nicht viel. Erste, mal zaghaft einsichtige, und dann wieder trotzige Bestätigungen seinerseits, dass er ein Alkoholproblem habe. Und dann wieder keins. Viele Telefonate mit meiner Mama. Thema, fast immer der Zustand meines Vaters. Meine Gedanken kreisten wahlweise darum wie es ihm gerade geht und was er gegen seine Sucht unternimmt. Oder wie es meiner Mama gerade geht und was sie unternimmt. Meine Mama würde es vermutlich abstreiten, aber sie hat sich dankbar auf den Verdacht meines Vater eingelassen, eine mysteriöse Krankheit zu haben. Er hat irgendwann aus seinen körperlichen Symptomen keinen Hehl mehr gemacht, hat sie bemitleidenswert aufgezählt. Ob Absicht dahintergesteckt hat, ich weiß es nicht, denke aber schon, und es hat funktioniert. Wir hatten Mitleid, haben uns Sorgen gemacht und haben das gemacht was er sich wahrscheinlich erhofft hat, den Alkohol in Ruhe gelassen. Der Arme hatte Schwindel, einen nach seiner Aussage völlig unerklärlichen Gewichtsverlust, ständige Schmerzen in den Beinen und Füßen. Wo kommt das nur her? Das MUSSTE was ganz schlimmes sein, aber auf gar keinen Fall wegen dem Alkohol. Irgendwann stand dann die Diagnose ALS im Raum. Ich war völlig von der Rolle. ALS. Què? Fragte meine Mama was der Arzt noch gesagt hat?…….welcher Arzt? Mein Papa war natürlich nie beim Arzt gewesen. Ich hätte es mir nach dem Lesen im Forum denken können. Also einfach nur Selbstdiagnose? Japp. Aha. Ja ne, is klar.

    Meine Mama und ich haben uns wochenlang hinhalten lassen, mit der Absichtsbekundung meines Papas zum Neurologen zu gehen. Das betone ich deshalb, weil ich nicht hingehalten werden kann, wenn ich das nicht will. Passiert ist auch hier nie was. Wäre ja viel zu schlimm, wenn er wirklich ALS hätte. Das hat vor allem meine Mama erstmal ruhig gestellt. Ich hatte dann aber irgendwann die Nase voll, weil ich mich wie gesagt parallel hier im Forum immer besser eingelesen hatte und für mich die Lage sortieren wollte.

    Bei einem Besuch Anfang Juli, habe ich ihm dann gesagt, dass er ziemlich kaputt aussieht und er jetzt endlich mal zum Arzt gehen soll. Bin dann doch weich geworden und habe versöhnlichere Worte gewählt. Gesagt, wenn es eine schlimme Krankheit wäre, dann wüsste er wenigstens Bescheid. Schlimmer wäre, wenn es gar kein ALS ist und er sich die ganze Zeit verrückt macht. Er stand nur da und hat brav genickt.

    Mittlerweile weiß ich, dass er da schon wusste was Phase ist. Im Krankenhaus im März hatte man längst die Alkoholsucht diagnostiziert und auch bei seiner Ärztin war das sicherlich nicht unerkannt geblieben. Davon hat er uns natürlich nichts erzählt. Warum sollte er auch? Er hatte nicht die Absicht dem Alkohol den Rücken zu kehren.

    An besagtem Tag war ich extra zu meinen Eltern gefahren um mit meinem Papa zu sprechen. Und zwar über seinen Alkoholkonsum und das wollte ich mir nicht nehmen. Ich war super zuversichtlich, ich kann was bewegen. Schließlich hab ich zwei Jahre Therapie gemacht und jahrelanges Kommunikationstraining hinter mir. Kam mir vor, als würde ich den Teufel austreiben können. Wie unfassbar falsch ich lag. Ich habe gesagt, dass ich mir Sorgen mache, bin vollkommen bei mir geblieben und wie es mir damit geht. Ich dachte, meinem Papa kann es ja nicht egal sein, wie ich mich fühle. Nichts, Null Reaktion. Ein letzter Versuch von mir, ihm zu empfehlen sich Hilfe zu holen. Mit welchem Nachdruck plötzlich die Worte „Ich mach das alleine“ kamen, wahnsinnig. Am meisten verletzt hat mich an dem Tag, dass er meine Liebesbekundung mit einem Scherz und Lachen abgewehrt hat. Er hat sich darüber lustig gemacht. Für mich hat sich damals der Bilderbuch-Alkoholiker gezeigt, von dem hier im Forum so oft berichtet wurde. Ich war desillusioniert, habe angefangen zu weinen. Danach dämmerte mir langsam, ich brauche keine Gespräche mit dem Ziel zu führen zu belehren, zu bekehren oder umstimmen. Es ist seine Entscheidung und ich habe keinen Einfluss auf die Entscheidung selbst, nur was ich daraus mache. Also was mache ich daraus?……

    Nebenkommentar:

    während ich diesen Absatz geschrieben habe, sind viele Szenen und Gefühle wieder hochgekommen, ich habe alte Nachrichten aus der Zeit auf meinem Handy gelesen und eine neue Form von Trauer überkam mich. Anders als ich sie in den letzten Wochen erlebt habe. Ich habe das hier mehr gebraucht, als ich geahnt habe.

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