Kendra - Wie kann ich mit meiner Schuld leben?

  • Liebe Nova,

    danke für deine antwortenden Gedanken!

    <<<Ne, verzeihen kann ich mir das nicht. Und wenn es meine Tochter nicht könnte, wäre das ihr gutes Recht.
    Ich habe es akzeptiert, dass ich es zu der Zeit nicht anders konnte. Und das noch vor ihrem Verzeihen. Ich will mich auch nicht mein Leben lang für Dinge selbst zerfleichen, die einfach geschehen sind, die ich heute nicht mehr ungeschehen machen kann.>>>

    *nick * Kann ich sehr gut nachvollziehen.

    Akzeptieren, dass ich damals nicht anders konnte. (Ich versuche gerade, zu erfassen, was das heißt, was ich dafür bräuchte, um das zu tun.

    Das Verzeihen oder auch nur das Verständnis meiner Tochter ist es eindeutig nicht, da geht es mir wie dir, Nova. Es ist überhaupt nicht mein Bedürfnis, etwas von meiner Tochter zu bekommen. Mein Dilemma hier ist mein Ding, und sie darf dazu stehen - zu mir stehen - wie immer sie will und kann. Es war meine Verantwortung, wie es gelaufen ist, und ich bin bereit, die Konsequenzen zu tragen.

    Auch interessant: Auch ohne dass du dir verziehen hast, konntest du aufhören, dich zu zerfleischen, oder? Es ist also gar nicht notwendig, dass ich mir selbst verzeihen muss. Das ist eine beruhigende Nachricht.

    Was mir gerade bewusst wird - vor diesem Hintergrund und auch vor Siris Kritik: Es ist mein Ding. Auch wie ich zu mir stehe. Ich allein kann entscheiden, wie ich mit mir umgehen will. Ob ich mich zerfleische oder mir verzeihe: Das ist allein von mir selbst abhängig und von nichts und niemandem sonst. Das finde ich auch als sehr tröstlich.


    Deine übrigen Gedanken erscheinen mir auch sehr schlüssig.

    Was das Signalisieren meiner Offenheit betrifft, war ich auch unsicher, ob das, wie ich mich verhalte, ausreicht, oder ob ich noch mehr machen soll. Nun beschließe ich, darauf zu vertrauen, dass sie es weiß und dass ich lieber nicht mehr tue, weil sie das doch eher als Aufdringlichkeit auffassen könnte. Meine Zimmertür steht offen, ich grüße sie freundlich, wenn wir uns über den Weg laufen. das reicht schon.

    Der Grund dafür, dass sie wissen soll, dass ich offen bin, ist übrigens nicht, dass ich unbedingt so schnell wie möglich mit ihr reden möchte. Das kann sie tun oder auch nicht, was auch immer für sie das Beste ist. Mir ist nur wichtig, dass sie sich nicht schon wieder im Stich gelassen fühlt. Und die Tatsache, dass ich sie so vollkommen in Ruhe lasse, als Desinteresse interpretieren könnte oder als ob ich froh wäre, mich nicht mit unserem Konflikt auseinandersetzen zu müssen.

    Man merkt: Meine Co-Abhängigkeit schlägt hier voll zu Buche: Jede mögliche ihrer Interpretationen vorauszudenken und von vornherein gegenzusteuern. Nein, ich übe mich nun in Vertrauen. :)


    <<<Und trotzdem finde ich, dass wir uns als Mütter nicht alles gefallen lassen müssen, bloß weil wir uns so schuldig fühlen. Da gibt es trotzdem noch Grenzen. Auch wenn wir eine Weile aus unserer Rolle rausgefallen sind, haben wir noch Respekt verdient. Mehr als entschuldigen und es von nun an besser zu machen, geht eben nicht. Ich muss mich nicht wie ein Fußabtreter behandeln lassen und meiner Tochter jeden Mist durchgehen lassen, weil ich Schuldgefühle habe. Damit kann ich es ja auch nicht wieder gut machen.>>>

    Du hast recht. Wobei das sehr schade ist: dass ich nichts gut machen kann, indem ich die Küche aufräume. *lach * Wenn es doch so einfach wäre, nicht?

    Sei ganz lieb gegrüßt. Nova!

    Kendra

  • Der Grund dafür, dass sie wissen soll, dass ich offen bin, ist übrigens nicht, dass ich unbedingt so schnell wie möglich mit ihr reden möchte. Das kann sie tun oder auch nicht, was auch immer für sie das Beste ist. Mir ist nur wichtig, dass sie sich nicht schon wieder im Stich gelassen fühlt. Und die Tatsache, dass ich sie so vollkommen in Ruhe lasse, als Desinteresse interpretieren könnte oder als ob ich froh wäre, mich nicht mit unserem Konflikt auseinandersetzen zu müssen.

    Was mir da in den Sinn kommt, warum sagst du diese paar Sätze genau so wie du es uns hier schreibst nicht ihr? Dann hat sie es gehört und sie entscheidet wann sie mit dir reden will.

    Ich muss mich nicht wie ein Fußabtreter behandeln lassen und meiner Tochter jeden Mist durchgehen lassen, weil ich Schuldgefühle habe. Damit kann ich es ja auch nicht wieder gut machen.>>>

    Keiner sollte das müssen. Wir alle machen Fehler. Egal ob Co oder Süchtiger. Im Grunde kann man nie alles richtig machen in der Erziehung. Ein Kind prägt mehr als nur die Eltern oder die Familie. Klar, mit einem gutem Grundgerüst hat Kind es sicherlich leichter im Leben. Aber auch wir Eltern sind von unseren Eltern und Umständen geprägt. Wichtig ist doch, hinschauen, darüber sprechen, etwas verändern, an sich arbeiten, darüber reden und es ab dann besser machen. Das ist der erste Schritt.

    Schuldgefühle bringen dir genauso wenig wie deiner Tochter. Reden....Reden und nochmals Reden. Wenn dies alleine nicht möglich ist dann mit einem Dritten (Mediator, Psychologe, oder wer auch immer)am Tisch!

    Natürlich kann ich mich schwer in die Situation hineindenken/fühlen aber ich bin Mama und ich würde es zumindest so versuchen. <3

    Liebe Grüße Petra

  • Liebe Petra!

    Vielen lieben Dank für deine Gedanken!

    Und deine Idee zu dem ersten Zitat - stimmt, warum habe ich ihr das nicht einfach so explizit geschrieben?? Ich bin schlicht nicht darauf gekommen. Völlig blind in meiner Panik!

    Inzwischen haben wir ein paar neutrale Worte gewechselt und ich gehe davon aus, dass sie weiß, dass sie kommen könnte. Aber ich denke, ich werde es ihr trotzdem nochmal schreiben.

    Nachdem ich mich in der vergangenen Woche permanent hiermit beschäftigt habe, konnte ich letzte Nacht endlich mal wieder ausreichend schlafen und war heute ruhiger und habe mich einfach treiben lassen, ohne weiter nachzudenken. War ganz gut, eine Pause zu machen. Dementsprechend werde ich auch heute nur noch zum Sport gehen und nachher vor meine Serie und nicht mehr auf dich antworten, Siri. Morgen starte ich neu mit dieser Arbeit. :)

    Liebe Grüße an dich, Petra und euch andere, falls ihr hier lest!

    Kendra

  • Guten Morgen Kendra.

    Ich möchte dir hier auch nochmal ein paar Gedanken dalassen.

    Weißt du, die Sache mit dem mir selbst verzeihen und der „Schuld“, ist etwas kompliziert.

    Denn ich hatte einfach keine Schuld.

    Trotzdem habe ich immer mal wieder Momente, an denen ich Schuldgefühle habe und da ist das mit dem mir Verzeihen einfach sehr schwer.

    Ich war krank. Ich war nicht in der Lage, mich für eine Weile richtig um mein Kind zu kümmern. Klar war ich immer für sie da. Hab die nötigen Dinge getan, die eine Mutter eben tut. Essen machen, mich um Schulangelegenheiten, Arzttermine usw gekümmert. Sogar Unternehmungen mit ihr gemacht. Ich habe schon funktioniert.

    Doch ich war hochgradig depressiv. Meistens Mittags, wenn ich nach meinem Job heimkam (sagt dir smiling Depression was?) die nötigen, wichtigen ToDos erledigt hatte, lag ich im Bett und habe meine Welt (und alles was sich darin befand) ausgesperrt. Meine Tochter hatte viele Freundinnen, die auch bei uns zu Besuch waren. Während ich im Bett lag und nicht in der Lage war, mich zu kümmern.

    Deshalb hat sie es damals auch nicht als so schlimm wahrgenommen. Das kam erst etwas später bei ihr hoch.

    Das! Zum Beispiel, ist etwas, dass ich in Erinnerung schwer aushalte.

    Am schlimmsten aber ist es für mich, daran zu denken, wie ich 2021 komplett fertig war. Es ging nichts mehr. Hab mich auf Akut einweisen lassen und es hat bis heute gedauert, diese Zeit richtig zu verstehen. Und dann bin ich übergangslos so richtig Co geworden. Und das war tatsächlich schlimmer für meine Tochter. Ich habe einfach keine Ressourcen gehabt. Und sie war ja bei ihrem Vater gut aufgehoben (mehr oder weniger). Hat ein super Familien- und Freundenetzwerk, welches für mich dann beruhigend war, dass sie nicht alleine ist und ich mich nicht kümmern brauchte. Denn das ging einfach nicht! Letztes Jahr um diese Zeit bin ich mir allmählich bewusst geworden, was da in meinem Leben gerade passiert. Im Dezember habe ich mich hier angemeldet und langsam aus meinem Loch rausgekämpft.

    Also nochmal. Ich war nicht Schuld daran, dass ich krank war. Ich war nicht Schuld, dass ich ein schlimmes traumatisierenden Erlebnis hatte. Nicht Schuld, dass ich Co-abhängig war.(bin….aber es wird immer besser!)

    Es war nicht leicht für sie. Sie sieht aber, dass ich krank war und deshalb kann sie mir verzeihen. Vor allem, weil ich in diesem Jahr wieder erreichbar für sie bin. Sie sieht, wie hart ich an mir arbeite. Nur wieder gut machen kann ich’s eben nicht.

    Und ich. Ich bin in der Akzeptanz angekommen. Auch wenn’s mich immer mal einholt. Auch wenn ich es manchmal vorgehalten bekomme, so kann ich heute damit umgehen.
    Es ist, wie es ist!!!!


    Ich denke, auch du solltest jetzt erst einmal damit anfangen, deine Erlebnisse zu verarbeiten und das Leben zu bejahen. Mit allem was dazugehört.

    Wenn du mit dir wieder im Reinen bist, wird das irgendwann auch dein Umfeld merken. Die Menschen gehen dann wieder ganz anders mit dir um. Und das ist diese Chance, dass es wieder gut werden kann.

  • Hallo liebe Hier-Lesende und Schreibende,

    ich melde mich mal schnell aus der Pause zurück - ich war am Wochenende richtig krank und hatte genug damit zu tun, im Bett zu liegen und zu warten, bis es besser wurde. Sodass ich dieses Thema erstmal an den Rand geschoben habe.

    Heute geht es mir besser, und ich kehre in meine Auseinandersetzung damit zurück. Allerdings mit weniger Panik und mehr Distanz. Mein Leben und meine Person sind noch dieselben wie in der Zeit, bevor meine Schuld mich eingeholt hat, und ich muss nichts überstürzen.

    Und ich weiß inzwischen wieder, dass es auch ein Ding von mir ist, mir zu viel Schuld zuzuschreiben.

    Allerdings kann es genauso gut sein, dass meine Schuld jetzt wirklich so schlimm ist, wie ich fühle.

    Das weiß ich im Augenblick noch nicht, weil ich noch nicht klar genug sehe. Aber das ist mein Ziel erst einmal: Mir alles mit klarem, unpanischen Blick anzuschauen und zu gucken, wie ich das ganze bewerten und wie ich damit umgehen soll. Und dazu werde ich diesen Raum hier nutzen.

    So, jetzt muss ich erst mal wieder an die Arbeit.

    Viele Grüße in die Runde,

    Kendra

  • Liebe Siri!

    Endlich komme ich zu deinem Post – der mich sehr fordert, da du ja sozusagen ‚die andere Seite‘ repräsentierst und ich auf der der Schuldigen stehe. Zumindest empfinde ich es automatisch so. Umso dankbarer bin ich, dass du dich eingeschaltet hast, denn ich will das ja: Mich wirklich auseinandersetzen und nicht länger ausweichen und vermeiden.


    «««»»»

    Ich kenne solche abhängigen Beziehungsstrukturen: Sobald meine Mutter in ihren Beziehungen einen Partner hatte, wurde ich völlig links liegen gelassen. Obwohl meine Mutter alkoholabhängig war und ist, war sie bis zur Selbstaufgabe und dem Opfer von allem, was sie hatte, bereit alles für ihre Partner zu tun. Es ist ermutigend, dass es Elternteile gibt, die sich dieser Auseinandersetzung stellen.

    «««»»»

    Ich verstehe, dass es sehr schwer nachvollziehbar ist für dich – für alle nicht beziehungssüchtigen Menschen vermutlich.

    Eine Mutter sollte gesund genug sein, bevor sie sich entscheidet, Kinder zu kriegen, und sich gebührend um sie kümmern können.

    Umgekehrt sollte eine Mutter, die selbst noch auf der Stufe eines Kleinkindes steht und unbedingt auf eine bestimmte Bezugsperson angewiesen ist, um seelisch zu überleben, auf keinen Fall so dumm sein, Kinder zu bekommen – denn natürlich sucht sie sich als Erwachsene eine solche Bezugsperson aus, mit denen sie ihre Kindheitswunden neu inszenieren kann, und da kommt keine einfache Beziehung bei heraus.

    Tja, deine Mutter und ich haben das eindeutig verkackt.


    «««»»»

    Jetzt nicht auch noch als Therapeutin für die Mutter in Anspruch genommen werden!

    «««»»»

    Wie ich schon anderswo schrieb, habe ich diese Sehnsucht zum Glück nicht.

    Was mich total überrascht hat, ist, dass es noch weitergeht: Meine Tochter kann, was meine Schuld betrifft, gar nichts für mich tun.

    Natürlich wäre mir ein bisschen wohler, wenn es ihr besser ginge und sehen würde, dass sie trotz allem klarkommt. Aber auf mein Empfinden mit mir selbst hat das keinen Einfluss. Ich bin diejenige, die mit mir leben muss. Ich habe die Wahl, mich für den Rest meines Lebens zu zerfleischen oder mir irgendwann wieder zu erlauben, dass es mir trotz allem gut gehen darf.

    Vielleicht ist das für andere Menschen gar nicht so bahnbrechend. Für mich, deren Seelenheil früher zu 100% von meiner geliebten Person abhing, ist diese Erkenntnis absolut krass.

    Und seltsam. Dass ich so viel Macht haben soll.

    Aber eben auch wieder die Verantwortung trage für die Entscheidung, die ich treffe.


    «««»»»

    Aus meiner Sicht als EKA finde ich es besser, wenn jeder die Vergangenheit für sich allein aufarbeitet. Die Aufarbeitung sollte getrennt stattfinden. Jeder ist ganz allein für die Aufarbeitung verantwortlich.

    «««»»»

    Du magst Erfahrungen gemacht haben, die dich zu dieser Meinung gebracht hat, oder?

    Also dass jeder für seine eigene Vergangenheit selbst verantwortlich ist, ist ja auch naheliegend, klar. Aber es gibt ja auch eine gemeinsame Vergangenheit.

    Bei meiner Tochter und mir ist es ja so, dass ich sie gebraucht habe, um den Tod meines Mannes zu überleben und trotzdem für meine vier Kinder da sein zu können. Was ja nur ein Teil meiner Vergangenheit ist – aber eben der Teil, der zu meiner Tochter gehört. Und ja, dass ich so sehr von meiner Trostlosigkeit bedroht war, ist mein Ding, und es gibt viel mehr ‚Beispiele‘, wie sich das in meinem Leben gezeigt hat. Meine Tochter ist eines dieser Beispiele. Wäre es wirklich so schlimm, wenn sie und ich gemeinsam daran arbeiten würden? Jede von ihrer Seite?

    Das ist eine echte Frage, ich weiß es nicht. Und entscheide das ja auch gar nicht, das muss sie machen.

    «««»»»

    Das Verzeihen rührt nicht von der Erarbeitung einer gemeinsamen Sichtweise. Keiner der Beteiligten sollte sich zu Kompromissen oder Abstrichen an der eigenen Sicht genötigt fühlen. Bei einer gemeinsamen Aufarbeitung kann diese Erwartung sich aber leicht einschleichen.

    «««»»»

    Ich habe mir noch nie ausführliche Gedanken über Verzeihen gemacht, weil ich nie Probleme damit hatte. Ich habe mich immer bemüht, die Sichtweise der anderen Partei zu übernehmen, zu verstehen, weswegen sie so gehandelt hat, wie sie gehandelt hat – und dieses Verstehen hat meinen Groll gegen sie automatisch zum Verschwinden gebracht.

    Eine gemeinsame Sichtweise kann es ja meistens gar nicht geben, oder? ‚Täter‘ und ‚Opfer‘, um mal die plakativen Rollen zu benutzen, habe jeweils ihre Seite, die der anderen komplett entgegengesetzt ist.

    Wenn ich so darüber nachdenke, mache ich es im allgemeinen so, dass ich meine Sicht nicht so wichtig nehme und die des anderen anerkenne – also natürlich behalte ich meine eigene Sicht bei. Aber es reicht mir, sie für mich zu haben und muss sie nicht vom anderen bestätigt kriegen. Und es fällt mir leicht, zu verzeihen, weil ich den anderen meist gut verstehen kann.

    Bisher bin ich mit dieser Strategie immer gut gefahren. Jetzt sehe ich, dass ich es mir (und dem anderen) so sehr leicht gemacht habe. Und dass auch diese Haltung natürlich noch sehr ‚co-abhängig‘ ist.

    Wie geht das denn eigentlich mit dem Verzeihen unter ‚gesunden‘ Menschen??


    Okay, es geht ja noch weiter bei dir, Siri!

    «««

    Aus meiner Sicht muss es darum gehen akzeptieren zu lernen, dass es zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt: Zu lernen, dass das, was in der Vergangenheit passiert ist, zu radikal unterschiedlichen Folgen geführt hat und deshalb für die Beteiligten auch unterschiedliche Bedeutung hat. Es gab damals eine Asymmetrie: die Kinder waren dem Ganzen ausgeliefert, die Erwachsenen nicht. Zwar sind Eure Kinder heute erwachsen und der Situation deshalb nicht mehr ausgeliefert, eine Begegnung auf Augenhöhe kann aber nur stattfinden, wenn das Elternteil die individuelle Sicht des Kindes aushält und gelernt hat, diese Sicht der Dinge stehen zu lassen. Aus meiner Sicht ist nur dann eine respektvolle Begegnung möglich.

    «««»»»

    Die Dinge so unvereinbar stehenlassen, sagst du – das ist ja meine bewährte Strategie gewesen, das kann ich. :)

    «««»»»

    die Kinder waren dem Ganzen ausgeliefert, die Erwachsenen nicht.

    «««»»»

    Ja, sicher, so ist es, das ist objektiv wahr.

    Subjektiv sind Erwachsene nicht automatisch erwachsen und können genauso ausgeliefert sein, wie Kinder es sind. Das ist verwerflich, siehe oben, und wir betroffene Erwachsene haben damit eben Schuld auf uns geladen. Dennoch ist es auch wahr, dass wir eben nicht immer die freie Wahl haben.

    Ich habe nach dem Tod meines Mannes entschieden, dass ich die perfekte Mutter sein wollte, und habe es zwei Jahre lang auch durchziehen können. Wäre es nach mir gegangen, wäre das für immer so geblieben. Tja.

    Aber letztendlich rechtfertigt das nichts. Meine Schuld bleibt.

    So, jetzt brauche ich erstmal wieder eine kleine Pause.

    Nova, die Antwort an dich kommt danach!

    Runa

  • Liebe Kendra,

    hab vielen herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort!

    Mal sehen, inwieweit es mir gelingt, Dir aus meiner Erfahrung heraus zu antworten. Auch mir fällt das schwer.

    Ersteinmal schreibe ich Dir etwas zu mir: Ich bin jetzt ein erwachsenes Kind. Bei mir hat die (eigene) Auseinandersetzung mit langjähriger therapeutischer Hilfe erst Ende 20 begonnen. Mit meiner Mutter war ein Gespräch auf Augenhöhe nie möglich, obwohl ich mir das vor vielen Jahren sehr gewünscht hätte.

    Wie massiv die Folgen der Alkoholsucht und der Persönlichkeitsstörung meiner Mutter für mich waren, wurde mir tatsächlich erst sehr viel später wirklich bewusst (das volle Ausmass eigentlich erst jetzt mit Mitte 50 beim Wiedersehen). Vor dem Kontaktabruch vor mehr als einem Jahrzehnt ging es um immer wiederkehrende Konflikte, die aus ihrem fortgesetzten Missbrauch, der Gewalt, der Parentifizierung, der Vernachlässigung von mir als Kind und ihren massiven Pflichtverletzungen resultierten. Ich wollte, dass sie einmal anerkennt, dass das alles für mich sehr schädlich war und dass sie auch anerkennt, dass ich trotz allem meinen Weg gegangen bin (ich glaube kein Mensch will ein Opfer sein!). Aber meine Mutter konnte mich nicht als eigenständige Person sehen. Für sie war ich eine Art Erweiterung ihres eigenen Selbst.

    Obwohl meine Mutter sich meiner Sicht der Dinge nicht stellen konnte, konnte ich meiner Mutter verzeihen und zwar in dem Moment, als ich sie nicht mehr in der Rolle der Mutter sah. Das hat aufgrund des früheren symbiotischen Mutter-Tochter-Verhältnisses lange gedauert. Es bedurfte der radikalen und langjährigen Distanzierung von ihr. Dann war es aber quasi auch ohne sie möglich. Ich habe an einem bestimmten Punkt auf meinem eigenen Weg verstanden: Meine Mutter konnte sich ihren eigenen Traumata nicht stellen. Jetzt wo sie alkoholbedingt immer dementer und von fremden Personen gepflegt wird, treten die Kindheitstraumata meiner bald 80ig-jährigen Mutter leider sehr deutlich zu Tage. Das erfüllt mich mit Trauer. Ich sehe ihre Not und weiss, dass ich ihr nicht helfen kann. Keiner kann ihr helfen. Sie hätte sich selbst helfen müssen.

    Ich finde es ist eine gute Voraussetzung für Deine Beziehung zu Deiner Tochter, dass Du nichts rechtfertigen willst. Das könnte Deiner Tochter den notwendigen Raum geben, sich Dir gegenüber irgendwann einmal wirklich zu öffnen und Dir gegenüber nicht einfach nur weiter zu funktionieren.

    Jegliche Formen der Rechtfertigung, Erklärungen etc. hätte ich in dem Gespräch mit meiner Mutter, das ja nie stattgefunden hat, aus heutiger Sicht nicht richtig gefunden: Sich Erklärungen anhören zu müssen, wo man vor allem erst einmal Gehör finden möchte, das hätte es für mich wahrscheinlich nur schlimmer gemacht. Alle Kinder lieben ihre Eltern, sie wollen nicht, dass die Eltern leiden müssen. Doch genau dieser tiefe kindliche Wunsch, dass die Mutter aufhört zu leiden, ist eine so große Gefahr. Er verhindert die eigene gesunde Entwicklung. Ich habe bereits als sehr kleines Kind gelernt auf die Bedürfnisse meiner Mutter zu reagieren wie ein Seismograph und meine eigenen Bedürfnisse nicht zu äußern, ja nicht einmal mehr zu spüren. Aus diesem Überlebensprogramm herauszufinden, ist sehr schwer. Ich glaube je früher man da therapeutische Unterstützung erhält, desto besser. Es geht darum, sich von der Mutter abgrenzen zu lernen und die tief verankerte Angst zu überwinden, sie dabei nicht endgültig zu verlieren bzw. später zu wissen, mit dem Verlust gut weiterleben zu können.

    Verzeihen kann schwer sein, wenn man viel Gewalt und Missbrauch erlebt und das Ganze gerade so überlebt hat. Da kann sehr viel Wut und Verzweiflung in einem stecken.

    Bis in meine Dreißiger Jahre habe ich aber selber gar nichts von der eigenen Wut und Verzweiflung bemerkt!

    So wie ich den Missbrauch verdrängt hatte, hatte ich diese negativen Gefühle unterdrückt (eine Überlebensstrategie). Es war harte Arbeit meine Gefühle überhaupt zulassen zu können und sie kennenzulernen.

    Das kann natürlich im Verhältnis zu Deiner Tochter alles ganz anders sein. Wie Petra schreibt, können Gespräche sicher gut und heilsam sein. Aus meiner Sicht kann eine neue Art der Beziehung aber erst entstehen, wenn die Tochter ihren eigenen Raum hat und die Mutter dem Kind (auch unbewusst) keine Kompromisse/Zustimmung/gemeinsamen Nenner abverlangt und das, was von der Tochter kommt, erst einmal aushält. Ich könnte mir vorstellen, dass es beim Aushalten hilft, wenn die Mutter weiss: ich konnte es damals leider nicht anders. Nicht um all das, was war, zu entschuldigen und es sich leicht zu machen, sondern um sich all das ganz genau anzuschauen. Das, was Du oben geschrieben hast, dass Du lernen musst, Dir zu verzeihen, ist, glaube ich, wirklich sehr wichtig. Eventuell ist das ja auch mit großer Trauer über die eigenen Kindheit und überwältigenden Gefühlen verbunden?

    All diese Dinge, die verhindert haben, dass Du Deiner Tochter die Aufmerksamkeit geben konntest, die für sie so wichtig gewesen wäre, würde ich der Tochter gegenüber jedoch nicht in den Vordergrund rücken, denn das ist ja Deine Sache und nicht ihre. Ein Kind darf ja selbst erst einmal so traurig, wütend und weiß noch was alles sein, wie es das eben ist, sozusagen ohne Rücksicht auf die Mutter. Wenn Du das nicht unmittelbar aushälst (was ja verständlich wäre), wäre es vielleicht auch gut, wenn das in einer Therapie bzw. mit therapeutischer Begleitung stattfindet. Petras Anregung!

    Noch ein Gedanke zur Schuldfrage:
    Es geht m. M.n. um Anerkennung, nicht um Schuld. Dann ist Deine Tochter auch nicht mehr bloß ein Opfer, sondern eine Person, die mit Dir eine sehr schwere Zeit/Beziehung etc. hatte, was womöglich traumatische Folgen für Deine Tochter hatte.

    Du schreibst, Du hättest anders gehandelt, wenn Du es gekonnt hättest, und ich finde, das zu erkennen, ist für Dich sehr wichtig. Du kannst aber m.M.n. von Deiner Tochter nicht verlangen, dass sie sozusagen gleichzeitig das gleiche für Dich leistet, was Du ihr nach Deiner Erkenntnis jetzt als Mutter mitgeben kannst: die Anerkennung ihrer Not. Das meinte ich mit meinem Einspruch: die Kinder nicht auch noch zu Therapeuten der Eltern werden zu lassen. Deine Tochter wird Deine damalige Situation irgendwann, wenn sie soweit ist, selbst erkennen können und Dir verzeihen. Ich finde es gut, dass Du sie selbst das Tempo bestimmen lässt.

    Alles Gute für Euch!

    Viele liebe Grüße Siri

    P.S.: "Wie geht das denn eigentlich mit dem Verzeihen unter ‚gesunden‘ Menschen??"

    Eine so schöne und wichtige Frage! Ich glaube es hat auch mit Vertrauen zu tun: Vertrauen in sich selbst und in andere. Auch vertrauen, wenn etwas viel Zeit benötigt!

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!