Hallo liebe Forumleser und Mitleser,
Ich habe schon einige Beiträge gelesen und ganz viele wo Kinder, um ihre Väter trauern, weil sie nach jahrelangem Alkoholkonsum gestorben sind. Mein Vater ist noch nicht tot, jedes Mal, wenn ich an seiner Tür klingele, habe ich aber Angst, dass er es ist.
Mein Papa war ein toller Papa, lustig, fleißig, hat immer für uns gesorgt, hat immer gerne getrunken. Ist über 50 Marathons gelaufen, mehrere Super Marathons (100km). Er hat 40 Jahre eine Führungsposition gehabt, hat unser Elternhaus gebaut, uns bei unseren Häusern geholfen. Hatte viele Interessen und Hobbys.
Mein Vater ist 67 Jahre und letztes Jahr hat sich meine Mutter nach 44 Ehejahren von ihm wegen des Alkohols getrennt.
Er zog in seine eigene Wohnung und dort lebt er nun seit 1.5 Jahren. Er hat 2 Entziehungskuren hinter sich, seinen Führerschein verloren und man kann seinem Verfall zusehen. Er hat blutende Magenschwüre, steht kurz vor Leberzhirrose, hat Varizen in der Speiseröhre und klappt regelmäßig im Supermarkt ab und kommt ins KH.
Seine Wohnung ist eine Zumutung. Alles ist klebrig, keimig, schimmelig, dreckig. Regelmäßig entsorge ich den Müll, beziehe sein Blutverschmiertes Bett von den Stürzen. Er isst kaum noch, kann sich nicht mehr richtig rasieren, wäscht sich nicht.
Wenn wir uns unterhalten ist er manchmal noch der Alte. Er redet viel von sich und früher. Fragt nie nach dem Leben von seinen Kindern oder Enkelkindern. Das große Problem ist, dass er sich seiner Krankheit nicht bewusst ist. Er versteht nicht, dass er stirbt, wenn er so weitermacht. „Die Leute im Enzug waren Alkoholiker, aber er doch nicht.“ Er ist stolz auf seine Wohnung, geht aber nur zu seinen Eltern 1x die Woche und in den Supermarkt. Er hat keine Freunde - die soziale war immer meine Mutter.
Er ist niemals aggressiv oder geheim. Er ist ein lieber Mann, der krampfhaft am Rechner sitzt und denkt, dass er noch einmal eine Frau bekommt. Er sieht sich nicht so wie wir ihn alle sehen. Wenn ich ihm sage, wir müssen mal über ein Pflegehelm nachdenken oder einen Pflegegrad, guckt er mich nur an wie ein Auto und wirkt dann wieder ganz normal.
Meine Geschwister meiden den Kontakt zu ihm, wollen nicht so traurig sein, wenn sie ihn so sehen. Das verstehe ich und respektiere ich. Ich kann es nicht.
Ich quäle mich einmal die Woche hin, wecke ihn zu Arztterminen und begleite ihn hin. Versuche mit ihm zu schnattern. Ab und an habe ich das Gefühl ich komme durch zu ihm, aber das nächste mal sieht er noch schlimmer aus.
Letztes Jahr habe ich meine Schwiegermutter im Endstadium Krebs zuhause gepflegt und war 6 Monate rund um die Uhr für sie da. Trotzdem hatte ich nach ihrem Tod, ein so schlechtes Gewissen. Ich weiß ich hätte nichts tun können und war da für sie. Mit diesem Gefühl habe ich heute aber immer noch zu kämpfen.
Deshalb kann ich meinen Vater auch nicht los lassen… auch wenn ich ihm beim langsamen Selbstmord zu schaue, kann ich nicht anders. Das wirkt sich natürlich auf meinen Mann und meine Kinder aus. Ich möchte glücklich sein, weil sie sind toll, aber meinen starken Vater so zusehen, zerreißt mir täglich das Herz und ich weiß nicht wie ich ihm helfen kann. Er möchte keinerlei Hilfe und sagt das ist alles nicht nötig.
Ich weiß ihr könnt mir auch nicht helfen, aber vielleicht ja doch, damit ich diese Krankheit noch ein bisschen besser verstehe und lernen kann damit umzugehen und nicht mehr zu ohnmächtig zu sein.
Danke für eine Reaktion!
Eure Smilla