Tante Frieda - aufstehen und weiter gehen

  • Nun ist Tag 8 angebrochen und ich fühle mich gut. Nicht euphorisch, stark, frei, toll usw. ...nein, einfach gut: ausgeruht, zufrieden, stabil, hoffnungsvoll & dankbar. Dankbar auch, weil ich nochmal glimpflich davon gekommen bin, was den Entzug angeht. Aber auch, dass ich während dieser Tage keinen Sch*** gebaut habe.

    Das mit der Euphorie ist ja so eine Sache. Meine beiden vergangenen Versuche in ein abstinentes Leben waren begleitet von einem regelrechten Höhenflug - ist das wohl der berühmte Trockenrausch? Ich fühlte mich unangreifbar & sicher. Ich war dermaßen beflügelt, dass ich mir selbst gegenüber wohl ziemlich abgehoben und überheblich begegnet bin. Gegen Euphorie ist ja erstmal nichts einzuwenden, den daraus entstehenden Übermut allerdings kann ich mir einfach nicht leisten - jedenfalls nicht auf meiner Reise in ein abstinentes Leben.

    Ich wollte ja über dieses Hintertürchen nachdenken und muss mir eingestehen, dass ich es von Anfang an eingebaut hatte. Autsch. So wie beim ersten Mal, nur das es mir da noch nicht bewusst war. Mein Gerede von "leichtsinnig" und "habs schleifen lassen" - bullshit! Ich wollte es wissen. Ich stellte mir vor, dass ich eines schönen Tages - wenn ich nur lang genug trocken lebte - wieder kontrolliert trinken könnte. (Als hätte ich es je gekonnt). Was meines Wissens nach nicht ein einziger Alkoholiker geschafft hat, sollte nun ausgerechnet ich - die personifizierte Suchtpersönlichkeit - hinbekommen. Ganz schön vermessen.

    Nun brauchte es seit 2019 zwei Rückfälle um nicht nur zu "wissen", dass ich nie wieder trinken darf, sondern es auch langsam zu verstehen. Wenn ich weiterleben und meinen Verstand behalten will, dann nur noch abstinent. Bisher hat mir dieser Gedanke Angst gemacht, inzwischen freue ich mich darauf, wenngleich ich großen Respekt habe. Ich möchte mir wieder selber trauen!

  • Ganz schön vermessen.

    Sehe ich nicht so. Das ist einfach das Suchthirn. Versucht eben den Fuß irgendwie in die Tür zu bekommen.

    Erst als ich abstinent wurde, habe ich die Stimme überhaupt erst wahrgenommen. Vorher habe ich einfach "gemacht".

    Natürlich ärgerte ich mich über die Suchtstimme. Aber eigentlich kann ich froh sein, dass ich sie höre und erkenne. Dann bleiben mir Optionen zum Handeln. Andere Optionen als zu trinken.

    Nachdem sich das alles gefestigt hat, ist sie nun stumm. "Zuckt" aber manchmal noch herum und ich bin hier, um immer wachsam zu bleiben. Es nicht zu vergessen.

    wenngleich ich großen Respekt habe

    Das finde ich gut. Respekt reicht aber. Angst habe ich keine. Ich bin mir sicher, dass ich nicht will.

    Deine Geschichte mit "vielleicht geht da doch noch mal was" habe ich nun schon so oft gehört. Ich habe als Mensch das Glück, dass ich auch von anderen lernen kann und nicht jeden Fehler selbst machen muss. Aus dem Grund danke ich auch Dir, dass Du das hier geschrieben hast. Damit wärst Du wieder eine/r mehr, der mir auf der "da geht noch was Autobahn" hupend entgegenkommen würde. Wrong way.

    Du warst ja schon eine gute Weile abstinent. Kam da nicht auch schon das Gefühl auf, dass es so viel anderes im Leben gibt?

    Ich habe einfach keine Zeit, ständig an Alkohol zu denken. Ich trinke keinen und weiter geht es im Programm des Lebens. :thumbup:

  • Kam da nicht auch schon das Gefühl auf, dass es so viel anderes im Leben gibt?

    Guten Morgen,

    seit ich 2019 bewusst abstinent weiterleben wollte, hat sich nahezu alles zum Positiven geändert. Plötzlich waren - überspitzt gesagt - 9 von 10 Problemen nicht länger der Mühe wert & der Rest ließ sich auch irgendwie lösen. Fast schon erschreckend;).

    Erschreckend ist aber auch, dass jeder Rückfall alle guten Dinge, zumindest für diese Zeit, nahezu vollständig ausradiert.

    Ich hab mein Leben ziemlich umgekrempelt & tue es weiterhin, mit mal mehr oder weniger Erfolg. Ich habe Hobbies reaktiviert bzw. entdeckt, ich ernähre mich (meist) gesund, ich mache Sport (schleift gerade...), ich pflege meine guten Sozialkontakte, obwohl ich berufsbedingt genug Menschen um die Ohren habe. ...all diese Dinge konnte & kann ich nass niemals umsetzen, weil das ganze Leben dann auf standby läuft. Dabei ist es großartig, auch wenns mal doof läuft. Daran will ich mich täglich erinnern. Eigentlich ist dieses gute Leben einen eigenen Faden wert.

    Nun gilt es allerdings die Fallstricke rechtzeitig zu erkennen & vorallem genau anzuschauen...davon lauern leider einige bei mir.

    Viele Grüße

  • Hallo Tante Frieda,

    auch von mir noch ein herzliches Willkommen.

    Meine beiden vergangenen Versuche in ein abstinentes Leben waren begleitet von einem regelrechten Höhenflug

    Mal ganz aus dem Zusammenhang gerissen, fällt mir das Wort ‚Versuch‘ auf.

    Ich finde einen Satz mit ,Versuchen‘ nicht so gelungen, weil Versuche immer die Möglichkeit offen lassen, dass der Versuch schief gehen kann.
    Als ich endlich aufhörte zu versuchen, und der Entschluss, ab jetzt nüchtern zu leben, felsenfest stand, habe ich nicht mehr darüber nachgedacht, ob es jetzt vielleicht wieder nicht klappt. Die Frage stellte sich nicht mehr, weil ich nicht mehr versuchte, keinen Alkohol mehr zu trinken, sondern weil ich keinen Alkohol mehr trinke.
    Ich finde, dass manchmal einfach ein anderes Wort eine ganz andere Wertigkeit in eine Sache legen kann.


    Ich wollte es wissen. Ich stellte mir vor, dass ich eines schönen Tages - wenn ich nur lang genug trocken lebte - wieder kontrolliert trinken könnte. (Als hätte ich es je gekonnt). Was meines Wissens nach nicht ein einziger Alkoholiker geschafft hat, sollte nun ausgerechnet ich - die personifizierte Suchtpersönlichkeit - hinbekommen. Ganz schön vermessen.


    Für keinen Alkoholiker wird es jemals wieder möglich sein, kontrolliert zu trinken.
    Die Alkoholsucht ist ja eine unheilbare Krankheit, sie geht nie wieder weg. Das muss im Kopf ankommen.
    Lediglich stoppen kann man die Sucht ….mit absoluter Abstinenz. Nur solange, wie es keinen Alkohol gibt, schlummert die Sucht in uns. Die Sucht wird sofort wieder aktiv gelebt, wenn es Alkohol gibt. Ausnahmen gibt es nicht.

    Ich finde es sehr ehrlich und schonungslos, wie du über deine Sucht und deinen Rückfall schreibst. Das ist auch wichtig. Schön reden und verharmlosen bringen ja nix.

    Viele Grüße

    Stern

    ⭐️

    Wenn du heute aufgibst, wirst du nie wissen, ob du es morgen geschafft hättest.

  • Hallo Stern,

    fällt mir das Wort ‚Versuch‘ auf.

    du hast vollkommen recht, das Wort "Versuch" oder die Tatsache "Versuch" verklärt vollkommen den Ernst der Lage. Es ist eben nur ein Versuch...und schon lauert ein Hintertürchen mit all den schönen Ausreden und Gründen ("ich habs ja versucht...")

    Ich danke dir für diesen mega wertvollen Hinweis!

    Einmal editiert, zuletzt von Alex_aufdemweg (24. September 2024 um 19:04) aus folgendem Grund: Textfeld passt jetzt

  • Das gute Leben #1

    Tag 15 und ich fühle mich endlich auch mental entgiftet. Zwar fange ich von vorn an aber nicht bei Null. Ich bin froh um die abstinenten Zeiten der letzten 5 Jahre, an denen ich trotz depressiver Phasen das gute Leben entdeckt habe. Heute werde ich den Samstag geniessen. Und den Herbst.. Eine Riesenrunde mit den Hunden drehen, vielleicht Pilze finden. Den Ofen anschmeissen, die Kirche im Dorf lassen, Käsekuchen essen, putzen auf morgen verschieben, mit Freunden Musik machen, mich darüber freuen, keinen Rasem zu mähen, weils regenet :) Es wird ein guter Tag!

  • Ich habe gestern verschiedene Dienstgänge durch die Stadt zu Fuß erledigt & kam an einer gut besuchten Musikkneipe vorbei. Die Party war in vollem Gange & zack - da war es:rolleyes:: dieses leise aber ziepende Bedauern...gsd wurde kein Saufdruck daraus. Ich konnte mir dieses Bedauern gut anschauen und ziehen lassen. Allerdings fiel mir ein, dass ich mich vor beiden Rückfällen häufiger in ein Verlust-Gefühl begab & mich darin regelrecht verlor. Oder es zumindest als etwas sah, was "man" mir vorenthält. Und dann kam mitunter eine schon fast kleinkindliche Wut auf, als würde man einer Dreijährigen das Eis verweigern. Schön nass. Na jedenfalls war dieses Bedauern gestern nur ein kurzer Impuls und schnell erledigt. Die Auseinandersetzung damit geht bis heute...

    Ich glaube, ich habe mich in all den Jahren noch nicht so intensiv mit meiner Suchterkrankung auseinander gesetzt wie jetzt. Ich bin froh, dieses Forum gefunden zu haben & es ist fester Bestandteil meiner täglichen Routine, hier herein zu schauen, zu lesen, zu reflektieren. Danke, dass es euch gibt!<3

    Jetzt wollte ich vorhin hoch motiviert ins home office starten & nun haben wir eine Großstörung in der EDV. Jammerschade.:mrgreen:

  • Gut beschrieben, hatte ich Sommer auch, als ein paar ungünstige ( einzeln gar nicht dramatische) Faktoren bei mir zusammenkamen.

    Da braucht es Selbstfürsorge, damit die Suchtstimme keine Chance hat, sich wieder bei uns einzuschmeicheln ...

    Gut, dass Du so genau hinguckst und berichtest!

  • Hallo in die Runde...

    nun ist 1 Monat vergangen & es geht mir weitgehend gut. Weitgehend deshalb weil mich mit schöner Regelmäßigkeit meine Depression heimsucht. Nun habe ich schon mein Leben lang mit Depressionen zu kämpfen - also, wir kennen uns. Inzwischen habe ich Strategien, sie in Schach zu halten, aber wenn sich die trüben Tage aneinander reihen, greife ich zum Notfallmedikament. (Manchmal reicht auch 1 kg Käsekuchen) Die Frage, ob ich Alkoholikerin wurde wegen meiner Depressionen stellt sich eigentlich schon längst nicht mehr. Klar ist nämlich, dass sie sich durch den Alk verschlimmert hat. Damit muss ich jetzt leben, die guten Tage überwiegen ja immerhin.

    Die Frage, die mich seit ewigen Zeiten umtreibt, ist "Zufriedenheit". Grundsätzlich bin ich schon zufrieden, weil ich nicht trinke. Ich gehe offener auf Menschen zu,ich habe Hoffnung,, lebe gesünder, bin klarer in meinem Handeln. Alles prima soweit. Die andere Seite ist: ich bin empfindlicher (Geräusche, Gerüche, Gefühle), manchmal auch getriebener. Da ist einfach diese innerliche Unruhe. Wie bändigt ihr eure inneren Dämonen?

  • Da gibt es kein Patentrezept, aber ich weiß genau von was du schreibst. Die biochemischen Prozesse in deinem Gehirn sind wieder einmal aus dem Lot gekommen. Das erste Mal war, als sich das Gehirn an den Alkohol gewöhnen musste und das zweite Mal ist nun, dass es sich an die Abwesenheit von Alkohol gewöhnen muss.
    Es wird mit der Zeit besser, wirst Du hier überall lesen können und das Beste ist es ist wirklich so.
    Dein Belohnungssystem funktioniert momentan nicht so wie es sollte. Daher machen auch Aktivitäten, die eigentlich Spass machen, nicht zufriedener oder ausgeglichener.
    Am Anfang hab ich dem unbedarft durch nachgeben meiner Lust auf Süßes gegengesteuert. Also klassische Suchtverlagerung, vom Alkohol in den Zucker. Ab da musste ich besonders drauf achten, damit daraus nicht auch noch eine Sucht wird.
    Ansonsten haben mir am Anfang Achtsamkeitsübungen, Meditation, Qigong geholfen, was ich aber alles drei auch erst erlernen musste. Viel Bewegung und Sport ist auch ein Mittel.
    Viel trinken und gesunde Ernährung ein weiteres. Lesen und die Auseinandersetzung mit mir selbst haben auch dazu beigetragen.
    Mehr und mehr konnte ich mir mit kleinen Dingen ein Erfolgserlebniss verschaffen und ich habe diesen inneren Antreiber ignoriert, durch Übung in Gelassenheit.

    Aber am Anfang ist es harte Arbeit an einem selbst. Das, was ich selbst nicht aktiv beeinflussen kann, richtet die Zeit.

    Was würde Dir heute gut tun?


    Viele Grüsse

    Nayouk

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    - abstinent seit 6.01.2024 -

  • Hey Nayouk,

    was würde mir heute gut tun...ein Rückzug mit ehrlicher Innenschau. Ich bin grad so durcheinander, weil sich mal wieder altbekannte Baustellen auftun und ich am liebsten alles hinschmeissen würde (Beziehung, Haus etc.)

    Aber okay, was tut mir gut: schwimmen gehen, die Arbeit positiv besetzen, Zeit mit den Tieren, meine Beziehung schonmal nicht...sowas eben..

  • Hallo Tante Frieda,

    willkommen bei uns in der Selbsthilfegruppe!

    Meinen Glückwunsch zu Deinem ersten abstinenten Monat. Gerade in der Anfangszeit verändert sich sehr viel.

    Der Körper und auch die Seele brauchen Zeit, um wieder auf einen normalen Level zu kommen.

    Du schreibst von Depressionen, bist Du in Behandlung und nimmst Du Medikamente?

    Was ist da in Bezug auf Eure Beziehung im Argen? Vielleicht magst Du darüber etwas mehr schreiben?

    LG Elly

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    Mancher wird erst mutig, wenn er keinen anderen Ausweg mehr sieht.

    - Trocken seit 06.01.2013 -

  • Hallo Elly,

    ja, ich nehme aktuell Bedarfsmedikamente im ca. 8 Wochenrhythmus. Es hat sich einfach bewährt. Ich bin angebunden bei meiner Psych und dem HA doc.

    Was sich vorallem schwierig gestaltet, ist die Beziehung zu meinem Mann. Im grunde hat er noch nie zu mir gehalten, ausser ein paar Lippenbekenntnisse.

    Jetzt, wo ich darüber nachdenke, wird mir einfach nur schlecht. Aktuell hockt er in der Werkstatt, gibt sich die Kante. Und redet anschließend über die große Freiheit.

    Ich brauche jetzt gerade einen Moment...

  • Aktuell hockt er in der Werkstatt, gibt sich die Kante.

    Das ist natürlich denkbar schlecht. Meine Ex-Partnerin hat auch fröhlich weiter getrunken.

    Ich bin, aus eigener Erfahrung, der Meinung, dass es auf Dauer sehr düster aussieht, wenn der Partner wie bisher weiter trinkt.

    Ohne Alkohol, blieb mir gar nichts anderes übrig, als zu sehen, was ist. Hm, getriebener war ich dann auch. Ich habe die freigewordene Energie genutzt, um mich zu befreien. Hat ein paar Monate gedauert. Aber es war nur eine Frage der Zeit.

    Ich nehme mal an, ihr schlaft im gleichen Zimmer? Heute kann ich gar nicht mehr verstehen, wie ich diesen Alkgeruch ausgehalten habe. Nie mehr.

    Nachdem ich nüchtern war, meldeten sich dann die anderen Baustellen. Die waren aber schon lange vorher da. Endlich konnte und musste ich sie angehen.

  • Herzlichen Glückwunsch zum 1. nüchternen Monat. 💐

    Nüchtern bist du in der Lage, alles wieder klar zu sehen.
    Es ist alles immer da, nichts wird mehr ertränkt und nichts wird für den Moment vergessen. Da wird auch das Verdrängte sichtbar und allgegenwärtig.

    Manches kann für den Moment auch überfordern, Anderes wirkt befreiend. Jetzt bist klar im Kopf und du bist handlungsfähig.
    Du musst nichts ertragen, du musst nicht dulden.

    Ich bin mir der wichtigste Mensch geworden und mein nüchternes Leben ist das Schönste, was ich mir je geschenkt habe. Darauf passe ich gut auf. Und wenn es Menschen gibt, die mein nüchternes Leben mit ihrem Handeln gefährden könnten, gehe ich kein Risiko ein ….ich drehe mich um und gehe.

    Viele Grüße

    Stern

    ⭐️

    Wenn du heute aufgibst, wirst du nie wissen, ob du es morgen geschafft hättest.

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