Landliebe - Bin ich egoistisch?

  • Liebe Landliebe,

    es tut mir sehr leid, was Du durchmachen musst.

    Wie Dir von anderen schon geschrieben wurde, hast Du leider keine Möglichkeit, Deiner Mutter dabei zu helfen vom Alkohol loszukommen. Auch die anderen Hilfsmöglichkeiten sind deshalb leider sehr eingeschränkt. Da Deine Mutter noch selbst mobil ist, ist die Situation anders als bei meiner alten und gebrechlichen Mutter, die mittlerweile in einem Heim lebt (auch das ist nicht unproblematisch, weil sie aufgrund der Hirnschädigung verhaltensauffällig ist).

    Dennoch denke ich, dass auch Deine Mutter aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen in ein Pflegeheim müsste. Es wird aber in unserem heutigen System und mit der neuen rechtlichen Situation (der Wille steht über allem) leider viel schwieriger bis unmöglich werden, dies auch hinzubekommen.

    Es ist n i c h t Deine Schuld, wenn die Einweisung in ein Pflegeheim mit Hilfe der Fachleute (rechtlicher Betreuer, sozialpsychiatrischer Dienst) nicht gelingt. Es ist bereits sehr viel, dass Du hier Hilfe aktiviert hast und die zuständigen Stellen informiert hast.

    Es ist ganz wichtig, dass Du Dir dies immer wieder klar machst: Dich trifft keine Schuld. Dies mir ganz deutlich vor Augen zu führen und im Herzen ankommen zu lassen, hat mir dabei geholfen, die tief verankerte Scham zu überwinden, von der auch Du schreibst.

    Leider habe ich auch dieses unglaubliche Schamgefühl in mir also das ich mich für sie schäme.

    Ich sehe es als Deine wichtigste Aufgabe, daran zu arbeiten diese Scham und die Schuldgefühle zu überwinden.

    Damit das gelingt, ist es wichtig, den eigenen Selbstwert zu stärken und zu verinnerlichen, dass Du ein geliebter Mensch bist. Du bist liebenswert, unabhängig davon, was Du tust oder leistest.

    Mir ist das nicht allein gelungen, sondern nur mithilfe sehr vieler Menschen, die mir das immer wieder deutlich gemacht haben: Es ist nicht Deine Schuld, dass Deine Mutter in dieser schlimmen Situation ist. Du kannst nichts dafür! Du bist ein liebenswerter Mensch und es ist schön, dass Du da bist! Ich muss auch jetzt immer weiter selbst daran arbeiten, mich in diesem Punkt selbst zu stärken. Das ist meine Aufgabe, die mir niemand abnehmen kann, auch wenn ich von so vielen Seiten hierbei Unterstützung erhalte und wirklich sehr sehr dankbar hierfür bin.

    Ich habe mir hier im Forum Hilfe geholt, war regelmässig zu Gesprächen beim Kriseninterventionsdienst, habe sogar die Telefonseelsorge mehrfach angerufen und nun endlich auch zum zweiten Mal in meinem Leben psychotherapeutische Hilfe. Das ist viel Aufwand um meine Person und es ist auch teuer für die Krankenkasse, aber es ist angemessen und richtig.

    Seit einiger Zeit sind die Scham und die Schuldgefühle weg. Bereits vor der Übersiedlung meiner Mutter in ein Pflegeheim war das so. Das ist mir wichtig zu betonen. Diese Veränderung in meinem Seelenhaushalt hatte nichts mit der Situtation meiner Mutter zu tun, sondern mit der Verinnerlichung der Erkenntnis, dass ich nicht in der Verantwortung für das Leid meiner Mutter stehe und ihr gegenüber auch nicht verpflichtet bin. Ich stehe nicht in der Schuld meiner Mutter. Dies verinnerlicht zu haben, ist auch jetzt wichtig, damit ich mich von den Berichten über die Verhaltensauffälligkeiten meiner Mutter im Heim abgrenzen kann.

    Was ich Dir sagen will: Hole Dir wirklich jede Hilfe für Dich, die Du irgendwie kriegen kannst.

    Du bist es wert, diese Hilfe zu erhalten! In Dir schlummert ein Potenzial, das es für Dich zu erkunden gilt und das nicht verloren gehen darf von der untragbaren Sorge und dem falsch verstanden Verantwortungsgefühl für Deine Mutter.

    Vor einigen Jahren, als der Pflegenotstand noch nicht so aktut war, war es bei Hirnschädigungen durch Alkohol wohl noch üblich, dass Alkoholkranke in ein Pflegeheim aufgenommen wurden. Zumindest gibt es Berichte im Netz, die hierauf hinweisen. Durch den Notstand im Pflege- und Medizinsystem scheint Alkoholabusus jedoch mittlerweile oft als willkommene "Ausrede" genutzt zu werden, diesen Menschen keine Hilfe mehr zukommen zu lassen, obwohl es bei weit fortgeschrittener Hirnschädigung gut möglich ist, dass die kranke Person den Alkohol vergisst, wenn sie in neuer Umgebung ist. Ob das bei Deiner Mutter bereits der Fall ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. Meine Mutter hat in der neuen Umgebung jedenfalls nicht mehr nach Alkohol gefragt. Sie trinkt nicht mehr und scheint den Alkohol vergessen zu haben. Dass nasse Alkoholiker nicht in ein normales Pflegeheim aufgenommen werden können, kann ich verstehen. Es würde die dortigen Kapazitäten überfordern.

    Es gibt sehr wenige Pflegeheime für alkoholkranke Menschen, die den Alkoholkonsum zulassen, z.B. in Hamburg, wohl auch in Berlin. Du könntest selbst recherchieren und Deine Mutter in so einem Heim anmelden in der Hoffnung, dass sie es bis dahin schafft.

    Es wäre wichtig, die kognitiven Einschränkungen ärztlich feststellen zu lassen. Mit einem MRT des Kopfes könnten Gehirn-Atrophien festgestellt werden. Für kognitive Tests müsste Deine Mutter aber nüchtern sein und zustimmen.

    Dass meine Mutter nun in einem Heim ist, ist ein "Glücksfall". Als sie diesmal am frühen Abend gestürzt war, hatte sie noch nichts getrunken und deshalb anders als bei den sonstigen Stürzen mit KH-Einweisung keinen Alkohol im Blut. Aus diesem Grund wurde sie auch nicht gleich am nächsten Tag wieder entlassen, sondern angemessen medizinisch versorgt. Da ihre Pflegesituation zu Hause nicht mehr gesichert war, blieb sie mehr als zwei Wochen im KH bis ein Platz in der Kurzzeitpflege für sie gefunden war. Wäre Alkohol im Blut gewesen, hätte das medizinische Personal im KH dem "Willen" meiner Mutter, sofort wieder entlassen zu werden, entsprochen. So war offensichtlich, dass sie geistig verwirrt ist. Das konnte nicht mehr wie bei den vorherigen sehr schlimmen Stürzen allein dem Alkohol zugeschrieben werden.

    Für Angehörige ist dies eine kaum aushaltbare Situation, zusehen zu müssen, wie ein nahestehender Mensch sich zugrunde richtet und von der Gesellschaft selbst dann im Stich gelassen wird, wenn dieser Mensch kognitiv nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu helfen.

    Dass Du Distanz zu Deiner Mutter hälst, finde ich sehr gut und richtig. Du musst in erster Linie Dich selbst und Deine eigene Familie schützen.

    Ich wünsche Dir viel Kraft.

    LG Siri

  • Du kannst auch immer den Sozialpsychiatrischen Dienst informieren, dass deine Mutter gefährdet ist weil sie nicht mehr weiß, dass sie ihre Medikamente nehmen muss. Und natürlich eine Pflegestufe beantragen.

  • Danke für eure Antworten. Gestern war jemand vom sozial psychiatrischen Dienst und ein Mann vom Gesundheitsamt bei ihr. Natürlich hatte sie da einen relativ guten Tag, er sagte ihr aber nun auch, wenn sie am 14.11. nicht freiwillig in die Klinik geht, dann wird er dafür sorgen und dann wird es unschön. Das hat sie soweit auch verstanden, aber sicherlich auch direkt wieder vergessen.

    Pflegestufe habe ich beantragt, leider kommt ja alles an Post bei ihr an und da ich den Kontakt meide, weiß ich leider nicht ob da von der Krankenkasse was zurück gekommen ist. Sobald sie in der Klinik ist, kümmere ich mich drum.

    Heute ist unser erster Aufeinandertreffen nach fast 2,5 Wochen.. Heute ist die Trauerfeier von meinem Papa .. ich bin sehr nervös und aufgeregt.

    Für mich gestern war ich bei einem AA Treffen wo auch Angehörige hingehen können. Das war sehr interessant und hat mir nochmal Kraft gegeben. Das ich nicht Schuld bin, das ich nicht für sie verantwortlich bin und besonders das ich auf mich achten muss. Ich werde nächste Woche wohl wieder hingehen.

    Wünscht mir gleich Kraft für die Beerdigung ❤️

  • Liebe Landliebe,

    gut, dass der sozialpsychiatrische Dienst eingeschaltet ist und auch das Gesundheitsamt.

    Für mich gestern war ich bei einem AA Treffen wo auch Angehörige hingehen können. Das war sehr interessant und hat mir nochmal Kraft gegeben. Das ich nicht Schuld bin, das ich nicht für sie verantwortlich bin und besonders das ich auf mich achten muss. Ich werde nächste Woche wohl wieder hingehen.

    Das freut mich sehr, dass Du gestern für Dich dort hingegangen bist und dass es Dir Kraft gegeben hat.

    Alles Liebe für die Trauerfeier Deines Vaters und viel Kraft dafür.

    Siri

  • Ihr Lieben, das Kraft wünschen hat etwas gebracht. Das Aufeinandertreffen vor der Kirche war wirklich nicht unangenehm, natürlich hatte sie noch eine Fahne und sah im Gesicht deutlich gezeichnet aus aber sie sogar vorher ihre Haare gefärbt, vernünftige Sachen an und war sehr freundlich aber auch nervös (was erwartet man auch, wenn der eigene Mann beigesetzt wird). In der Kirche saß ihre Schwester neben ihr und hat ihr Kraft gegeben. Die Trauerfeier war wirklich sehr schön und die Kirche rappelvoll, das hat mich gefreut, dass so viele Menschen meinen Papa noch die letzte Ehre erweisen.

    Nach der Kirche haben wir uns knapp aber freundlich umarmt und verabschiedet und nun bleibt weiterhin der Kontakt über WhatsApp. Meine Tante hat mir auch alles an Post mitgebracht.

    Ich bin insgesamt sehr erleichtert, diesen schweren Tag hinter mich gebracht zu haben und ohne meinen Mann würde ich das meiste sowieso nicht schaffen. ❤️


    wir warten nun die Tage bis zum 14.11. ab. Ich denke aber positiv in die Zukunft, das wird schon wieder mit mit meiner Mama, zwar anders aber es wird besser.

  • Ich freue mich, dass ihr eine würdige und schöne Trauerfeier hattet.


    Noch ein kleiner Tipp: wenn deine Mutter nüchtern ist in der Kur, nutze die Möglichkeit und bereite schon ein Vollmacht Schreiben der Krankenkasse vor. Ich bekomme die ganze Post von ihm und bin da seine Bevollmächtigte. So bekommst du die Post zu Pflegesachen und auch con MDK. Da gibt es bei jeder KK einen Vordruck für!


    bei meinem Vater hatte ich leider immer nur diese Zeitfenster des Entzugs, wo er nüchtern war- zuhause hat er dann keinen Tag mehr durchgehalten.

    Alles gute!

  • Hallo zusammen,

    solangsam kann ich nicht mehr. Meine Mutter hätte für morgen einen Termin zur Entgiftung gehabt, den sie selbst heute wieder abgesagt hat. Sie lügt mich an, dass die Klinik diesen abgesagt hätte. Ich bin so unfassbar sauer auf sie !! Sieht sie denn nicht wie schlecht es ihr geht?

    Das Wernicke Syndrom entwickelt sich immer weiter, sie hat erst heute Morgen wieder geschrieben wo denn ihr Mann wäre.

    Ich hab den Fall nun wieder zum Landkreis gegeben und werden morgen auch meine gesetzliche Betreuung abgeben. Mental kann ich absolut nicht mehr.

    Habe heute über eine Freundin erfahren (sie arbeitet bei der Krankenkasse), dass meine Mama aufgrund des Todes meines Vaters nicht mehr krankenversichert ist. Darum konnte ich mich dann heute auch noch kümmern (trotz zwei kleiner Babys die mich brauchen).

    Dauernd kreisen die Fragen in meinem Kopf:


    Wieso will sie keine Hilfe? Wieso lügt sie mich an? Sieht sie nicht wie krank sie ist? Das ist doch kein Leben mehr, den ganzen Tag im liegen, nichts essen nur noch saufen, keine Körperpflege mehr, die Zähne vergammeln, seit zwei Wochen die gleiche Unterhose an, Arsch nicht abwischen und und und …


    Entschuldigt bitte die Ausdrucksweise - heute Abend gehe ich nochmal zur Selbsthilfegruppe. Momentan ist echt alles scheiße in Bezug auf meiner Mutter

  • Ich würde dir dringend davon abraten. Als gesetzlicher Betreuer bist du verpflichtet entsprechend Dinge für deine Mutter zu erledigen und dir bleibt keine Möglichkeit Distanz herzustellen.
    Das Gericht kann dich auf keinen Fall dazu zwingen

    Beitrag vom 25. Oktober.

    Wieso will sie keine Hilfe?


    Weil sie Alkoholikerin ist und sie ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht hat. Manche sterben auch vorher.

  • Wieso will sie keine Hilfe? Wieso lügt sie mich an?

    Der erste Satz ist die Antwort auf den zweiten Satz.

    Sie weiß, dass Du nicht nachvollziehen kannst, weshalb sie keine Hilfe will, z.B. Klinik. Deshalb lügt sie Dich an.

    Was Du schreibst, tut mir unendlich leid. Aber Du wirst das nicht ändern können, egal was Du tust.

    LG Cadda

  • Und das ist mein Beitrag vom 28. Oktober.

    Es wäre eine gute Idee, zu versuchen umzusetzen, was dir hier geschrieben wird.

    Ich werde es ab morgen umsetzen. Da warte ich noch den Anruf vom Landkreis ab und werde meinen Wideruf ans Gericht abschicken und den Kontakt endgültig zu meiner Mutter abbrechen. Auch wenn mir das so unendlich schwer fällt, es ist ja noch meine Mama aber wird nie wieder die alte sein (zu viel kaputt im Kopf).

    Ich denke wirklich, dass sie ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht hat. Ich dachte wirklich, wenn ich sie nicht mehr besuche und ihr auch die Enkelkinder vorenthalte und sage, dass wir sie erst wieder besuchen wenn sie in die Klinik geht, dass sie dann jedenfalls in die Klinik geht. Aber dem ist leider nicht so.

    Unendlich froh bin ich ein Stück, das mein Papa das gerade nicht miterleben muss.

  • Liebe Landliebe,

    Ich hab den Fall nun wieder zum Landkreis gegeben und werden morgen auch meine gesetzliche Betreuung abgeben. Mental kann ich absolut nicht mehr.

    Es ist richtig, dass Du den Kontakt abbrichst. Deine Mutter kreist nur um den Alkohol. Du kannst ihr leider nicht helfen. Diese Situation kostet extrem viel Kraft. Und all Deine Kraft verpufft, weil Deine Mutter in der Sucht verharrt.

    Auch wenn mir das so unendlich schwer fällt, es ist ja noch meine Mama

    Es ist sehr schwer, ja, und es ist unendlich traurig. Aber Du wirst sehen, mit der Distanz zu Deiner Mutter wird es Dir zunehmend besser gehen.

    Das darfst Du Dir zugestehen bzw. Du hast sogar die Pflicht auf Dich zu achten, denn für Dich und Deine Kinder trägst Du die Verantwortung, für Deine Mutter nicht. Die Gefahr als Angehörige mit in den Abwärtsstrudel gerissen zu werden, ist groß. Damit wäre Deiner Mutter aber auch nicht geholfen. Vielleicht hilft es Dir, Dir vor Augen zu halten, dass Du alles in Deiner Macht stehende für Deine Mutter getan hast. Und auch jetzt, wo all Deine Bemühungen nicht geholfen haben, lässt Du Deine Mutter ja nicht im Stich, sondern übergibst die Vorsorge in professionelle Hände. Das ist wirklich alles, was Du tun kannst. Dich trifft keine Schuld am Weg, den Deine Mutter geht.

    Es ist ganz wichtig, dass Du Dich und Deine Kinder schützt und Dir alle Hilfe holst, die Du bekommen kannst.

    Ich schicke Dir ganz viel Kraft und liebe Grüße

    Siri

  • So sie ist nicht selbst in die Klinik gegangen - ich hab’s erwartet. Es wurde ein neuer Betreuer gefunden, der nun durch das Amtsgericht noch bestellt werden muss und dann bin ich raus. Sie wurde heute per Beschluss zwangseingewiesen und ich bin unfassbar froh darüber, dass sie nun endlich Hilfe bekommt. Morgen werde ich mal zum Haus fahren und mir ein Bild machen, wie verwahrlos sie dort gehaust hat und schon mal ein bisschen Ordnung schaffen. Am Montag werd ich dann eine Übergabe mit dem Betreuer machen und dann erstmal ganz tief durchatmen.

    Der Betreuer wird sich nach ihrem Aufenthalt in der Klinik auch um eine neue Wohnsituation kümmern, denn zurück ins Haus kann sie definitiv nicht.

    Danke euch für den Austausch, die lieben Worte und besonders an Alex die ermahnenden Worte. Ich werde weiterhin berichten und stille Mitleserin sein.

    Schönes Wochenende euch ☀️

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!