Guten Morgen!
Nun ist es schon 2 Wochen her seit dem letzten Post und es hat sich viel getan. Das Wichtigste vorab: gestern war ich genau 6 Wochen trocken! Und ich merke, dass der Suchtdruck tatsächlich deutlich gemildert ist, bis auf ganz wenige (emotional stressige) Momente ist er seit etwa zwei Wochen quasi weg.
Was hat sich getan? Gefühlt bin ich emotional durch die Hölle gegangen in den vergangenen drei Wochen. Es begann schon Weihnachten, Heiligabend war noch okay, aber dann das WE 1. und 2. Feiertag… "eingeschlossen" in der Klinik, allein mit mir und meinen Gefühlen, keine Möglichkeit zur "Flucht" durch Alkohol. Natürlich kann man jetzt sagen, ich hätte Alternativen gehabt. Spazieren gehen, kreativ werden (die Räume waren offen), mit anderen Patienten sprechen usw. Ich konnte alles nicht. Ich lag in meinem Zimmer auf dem Bett, habe gelesen und gelitten. Das ging eine ganze Zeit so. Unter der Woche Therapien, abends und am WE im Zimmer und alles in mir war aufgewühlt, dunkel, nicht fassbar, kaum zu ertragen. Zu den seelischen Schmerzen kamen körperliche hinzu. Oft habe ich drüber nachgedacht, die Reha abzubrechen…
Ganz schlimm war es dann tatsächlich letzte Woche. Hier in der Gruppentherapie ist es so, dass man (immer mittwochs) nach etwa 3-4 Wochen seine Lebensgeschichte in Bezug auf Alkohol erzählen soll. Natürlich nur das, was man erzählen möchte. Ich lag abends, noch vor der Therapie, ewig wach im Bett und habe in Gedanken alles durchgespielt, wie war mein Leben, wie war es mit dem Alkohol. Und dann kam irgendwann die unendliche Trauer, ich glaube, ich habe so geweint, wie schon lange nicht mehr.
Mittwoch letzte Woche habe ich dann alles erzählt. Wirklich alles. Was mir als Kind passierte ist, warum ich im Grunde seitdem schon süchtig war (Esssucht), und wie sich dann in den letzten 25 Jahren Alkohol dazu geschlichen hat. Es ist ja so, dass das eigene Elend subjektiv immer am größten erscheint, klar, es ist ja nun mal auch das eigene Leben. Nicht immer gelingt es, das in einen globalen Zusammenhang zu setzen und daran zu denken, dass es anderen evtl. noch viel schlechter geht. Aber nach meinem Bericht war wirklich lange Stille in der Gruppe. Ich bemerkte Fassungslosigkeit, Mitgefühl, Verständnis… viel gesagt wurde nichts, aber ich habe gemerkt, dass es tatsächlich wohl auch objektiv krass war, was alles passiert ist. Das klingt jetzt komisch, aber mir hat es geholfen, mir selbst zu erlauben, dass ich zurecht traurig, erschöpft und voller Schmerzen bin.
Seitdem geht es mir besser. Ich bin gerade dabei, das Ganze in der Kunsttherapie noch mal darzustellen, ich mag das gerne und die bildhafte Darstellung hilft mir. Es geht vor allem darum, endlich loszulassen mit dem was war, es zu akzeptieren und hinter mir zu lassen. Es hat all die Jahre immer noch so viel Raum in meinem Leben eingenommen, dass es mich in vielerlei Hinsicht blockiert hat.
Bei der Aufnahme vor 6 Wochen hatte mich die Ärztin gefragt, was in dieser Reha und Therapie anders sein soll als in allen vorherigen. Dass sie sich nicht einreiht wie eine Perle in der Schnur meiner Therapien und Rehas… 25 Jahre Depressionen und Sucht, 13 Jahre ambulante Therapien, 4 x Tagesklinikaufenthalte, 1 x stationärer Aufenthalt, 1 x ambulante Reha, 2 x stationäre Reha…
Ich glaube - und ich weiß nicht, ob das zu "banal" ist - ich habe eine Antwort gefunden. Ich habe in den vergangenen 25 Jahren keine dieser Therapien gemacht ohne Alkohol. Er war immer dabei und hat mich (möglicherweise) daran gehindert, bis ganz in die Tiefen meiner Seele zu schauen. Diese Überlegung ist tröstlich. Denn so habe ich Hoffnung, dass ich es jetzt, nüchtern und abstinent, schaffen kann, die alten Dämonen hinter mir zu lassen.