Beiträge von Iphigenie

    Hallo in die Runde,

    Tag 62

    ich lese hier viel und die Erfahrungsberichte und Aussagen der Teilnehmer helfen mir ungemein.

    Der Satz von Whitewolf hat mich gerade gut aufgefangen:

    "Es gibt keinen Fahrstuhl der zur Trockenheit fährt, wir müssen die Stufen nehmen... und nicht springen sonst gehts wieder abwärts. Runter gehts nunmal schneller als rauf. Naturgesetz."

    Denn ich merke gerade, wie viele Gesichter meine Beziehung zum Alkohol hat.

    Puhh! In den vergangenen Tagen war ich jetzt mehrfach mit Situationen konfrontiert, in denen ich früher immer Alkohol getrunken habe. Ein Empfang am Nachmittag mit anschließendem Besuch einer Lokalität. Am Abend davor, ein Kurs, hier wurde alkoholfreies Craft-Bier gereicht. Habe einfach "Nein Danke" gesagt. Dann gab es Nachfragen und ich habe gesagt: ich trinke gar nicht mehr. Das wurde sehr sensibel und positiv aufgenommen. Ohne großen deep talk. Einfach nett.

    Dann gestern Abend zum ersten Mal vermutlich das, was ich hier öfter als "Suchtdruck" bezeichnet fand. Nicht einfach der Gedanke, der öfter mal in der Abstinenzzeit kommt: "normalerweise" hätten mein Mann und ich jetzt etwas getrunken. Sondern, es schlich sich so von hinten an und schoß mir dann in den Kopf. Ein eklig anmutender Gruß aus dem Unterbewusstsein. Während ich das Essen für meine Katzen vorbereitete, kam diese Unruhe-Erinnerung auf: "schnell noch die Katzen", dann...Ich hatte dann meinen Katzen gegenüber ein schlechtes Gewissen, dass ich ihnen offensichtlich nie wirklich Zeit für ihr wichtiges Ritual geschenkt habe, sondern einfach: "Abfertigung". Ich muss feststellen, dass je mehr ich mich in der freien Wildbahn bewege (den Empfang hatte ich innerlich zwei Wochen vorbereitet, da wollte ich aus inhaltlichen Gründen hin, absurderweise war der von einem Getränkehersteller gesponsert), offenbart sich der Alkohol bzw. meine Beziehung zum Alkohol in vielen Gesichtern.

    In den Zeiten, wo ich auf Empfängen noch getrunken habe, mir dann meißtens zu Hause zum Abschluss dann die Kante gegeben habe, war ich immer sehr kommunkativ, so wie ein Fisch...Das war jetzt ohne Alkohol ganz ähnlich. Fühlte mich aber sehr in mir ruhend auch nicht überdreht. Nur am Tag danach war ich total erledigt. Konnte mir überhaupt nicht erklären,was an diesem Empfangsnachmittag so anstrengend gewesen sein sollte. Ganz im Gegenteil, war alles ganz locker. Ein Schein-Kater?

    Defintiv haben mir die letzten Tag deutlich vor Augen geführt, dass ich eine weite, sehr weite Strecke vor mir habe. Obwohl es für mich kein Problem war den gereichten Alkohol abzulehnen (mehrfach auf dem Empfang) und ich ihn überhaupt nicht vermisst habe, im Gegenteil, bleibt er in mir präsent.

    Schönen Tag Euch

    Iphigenie

    P. S.: eine ziemlich große Sammlung an Weinkorken, die ich am WE gefunden habe, geht heute ab zum Wertstoffhof. Früher fand ich das auch noch löblich von mir, die Korken an einer Stelle abzugeben, wo sie dann zu Dämmmaterial verwertet werden. Jetzt bin ich einfach erleichtert, wenn sie weiter sind.

    Hallo Schmidtty,

    ich persönlich würde mich nicht gerne meinen Kollegen gegenüber outen, um zu rechtfertigen, dass ich in der Vergangenheit ausgefallen bin. So hört sich das für mich an, wenn Du sagst:


    Allerdings habe ich mich vor allem bei meinen Arbeitskollegen gefragt, ob sie es nicht unausgesprochen wussten, was mit mir nicht stimmt, wenn ich jeden Morgen wie eine wandelnde Leiche ins Büro komme und dann 4 Monate krank bin. Naja, es ist wie es ist.


    Eher so: jetzt in meiner Abstinenz weiß ich, daß ich Wege finden kann, um in Zukunft verlässlich mir selbst und den Anderen gegenüber zu sein. Das heißt, dass ich, wenn ich instabil bin, mir klar mache, dass ich es nur gut schaffen kann, wenn ich einen Schritt zurück trete, um mich nicht von Druck und Stress überborden zu lassen.

    Und Du sagst ja selbst, dass Du diese Wege gehst.

    achte darauf, dass die Arbeitstage nicht ausufern und versuche, mich mehr abzugrenzen und mir mehr Freiräume zu schaffen


    Herzliche Grüße

    Iphigenie

    Das führt teilweise auch zu skurrilen Situationen, in denen ich mich plötzlich mit jemandem über den neuen Weinkühlschrank unterhalte, den er sich geleistet hat….

    Hallo Schmidtty,

    was war für Dich an der Unterhaltung skurril? Hast Du dein Gegenüber für seine tolle Anschaffung bestätigt? Wenn Du ein Fachmann für Kühlgeräte wärest, dann okay. Aber ein Fachmann für Wein?

    Ich würde das Gespräch dann einfach auf ein Thema lenken, dass mich interessiert. Man kann ja sagen, Wein interessiert mich nicht, ich interessiere mich für Grillgeräte etc. und muss demjenigen nicht sagen, warum mich Wein nicht interessiert.

    Oder fandest Du skurill, dass er/sie Dich überhaupt damit belämmert hat, ohne zu wissen, dass ein Weinkühlschrank für Dich vollkommen uninteressant/tabu ist? Vielleicht erwartest Du unbewusst, dass Andere oder diese spezielle Person auf Dich Rücksicht nehmen/nimmt? Oder warst Du betrübt über die Oberflächlichkeit des Gesprächs mit dieser Person?

    Herzliche Grüße

    Iphigenie

    Hallo Nayouk,

    hier ein paar meiner Gedanken zu Deinen Gedanken.

    um die Zusammenhänge zu verstehen , die zur Katastrophe geführt haben

    Hierbei geht es nicht um Entschuldigungen oder Rechtfertigungen.

    Wenn ich den Vergleich des Flugzeugabsturzes mit dem Absturz in die Alkoholsucht richtig verstehe, ist dann der Alkoholiker Fluggesellschaft/Täter, Verantwortlicher und Passagier/Opfer, Geschädigter zugleich? Muss es nicht in erster Linie darum gehen, Verantwortung für die Schäden, die durch den Alkoholmißbrauch bei mir selbst und bei Anderen entstanden sind zu übernehmen? Bei mir persönlich kann sich durch das "Prozessieren" der Umstände und Einflussfaktoren, die zu dem Absturz geführt haben ein differenzierteres Bild ergeben, es ändert nichts daran, dass es eben so ist und ich damit leben muss.

    Und gerade was das Alkoholproblem betrifft, muss ich ja mit dieser Unsicherheit, mit dem Risiko rückfällig zu werden leben lernen. Wie Du ja selbst sagst:

    Dieses Risiko muss mir bewusst sein und es muss klar sein, dass , egal welche Umstände dazu geführt haben, ich für mein eigenes Tun verantwortlich war und bin.

    Bei einem Flugzeugabsturz ist es in der Aufarbeitung genauso wesentlich möglichst ein unabhängiges Bild der technischen und menschlichen Faktoren zu schaffen, wie die eigentliche oder eben stellvertretende Verantwortung für den Unfall gegenüber den Geschädigten zu übernehmen. Die Fluggesellschaft, als diejenige Instanz, die dem Kunden den sicheren Transport von A nach B versprochen hat, sollte die Verantwortung gegenüber ihren Kunden übernehmen, auch wenn sie eventuell keine ursächliche Schuld trägt, zumal z. B. in Unkenntnis eines mangelhaft verbauten, technischen Bauteils oder des Versagens des Piloten aus Gründen.

    Die Bereitschaft zu einer möglichst weitreichenden Aufklärung ist erfahrungsgemäß nur möglich, wenn eine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmenn gegeben ist.

    Vielleicht komme ich ja auch mit der Zeit zu der Erkenntnis, dass da nix war und ich mir den ganzen Aufwand sparen kann.

    Mir geht es da ganz ähnlich und ich fahre mehrgleisig. Seit Beginn meiner Abstinenz (Woche 7) habe ich täglich wiederkehrend "Nebel im Kopf" gehabt mit starker Unsicherheit, Angst etc. Ich bin dabei, das als körperliches Symptom abzuklären (Neurologe), dagegen mit Aufmerksamkeitsübungen und mit Bewegung anzugehen und es gleichzeitig, einfach anzunehmen, hier zu lesen und mich auszutauschen. Ist das jetzt eine Angsstörung, wo mir doch eigentlich seit Jahren Depressionen diagnostiziert werden, ist es ein erweitertes Kater-Phänomen? Letztlich ist für mich in der Bearbeitung wichtig: hilft mir die Diagnose und Therapie, eventuell auch Medikamte weiter, kann ich sie annehmen, was kann ich für mich da heraus nehmen.

    Die Erfahrung der Abstinenz hat mir auf der anderen Seite trotz und wegen der Sensibilisierung und erhöhten Aufmerksamkeit ("Autopilot" fällt weg, wie Alex_aufdemweg das so treffend formuliert) ein großes Geschenk gemacht: nämlich, dass ich eine Idee von Selbstwirksamkeit empfinde.

    Beste Grüße Iphigenie

    >> Woher wissen wir eigentlich das diese Menschen Alkoholiker sind?

    das schnelle Aburteilen um nicht bei sich Selbst schauen zu müssen wie es eigentlich mit der Trinkerei aussieht.

    Diese Einschätzungen, Bewertungen, Verurteilungen, die ich im Kopf habe, wenn ich Menschen beobachte, sagen eben viel mehr über mich aus, wie über den Beobachteten. Meisst ist es die Angst vor eignenem Versagen, wenn ich ein Urteil über eine vermeintliche Schwäche an jemandem fälle. Ich würde es sogar als eine Selbstabwertung bezeichnen.Das kann auch übertriebenes Mitleid sein. Darüberhinaus eben der "Volkssport", den Du erwähnst, des ständigen gegenseitig und sich selbst Beurteilens, schnell finden sich Menschen, die bereit die eigenen Vorurteile über jemanden zu teilen. Finde es gut, dass Happy52 seine Beobachtung, dass es ihm schlecht ging, als er einem vermeintlichen Alkoholiker im Supermarkt entdeckte, mitgeteilt hat. Es sind ja genau diese Momente, die einem den Spiegel vorhalten. Und irgendwie hat Deine Botschaft dann auch wieder sehr viel mit meinem Erleben der Alkoholsucht zu tun. Der starke Alkoholkonsum hat bei mir meist zur Abwertung von Anderen geführt, beim Kater ist es dann natürlich in die Selbstabwertung umgekippt.

    Deine Gedanken haben mir heute früh einen schönen Start in den Tag beschert. Denn für mich persönlich ist die Auseinandersetzung mit meiner Abstinenz und meiner Alkoholsucht definitv eine Chance, das Beurteilen sein zu lassen, in dem Bestreben, es nicht mehr "nötig" zu haben. Es ist so erleichternd.

    Gruß Iphigenie

    Ich könnte mir aber vorstellen, dass es am Ende heißt, du lockst Leute von der Party Weg. Ist so eine Sache. Vieles wird gern persönlich genommen.

    Du hast recht. Ist ja nicht mein Fest. Das findet in meinem Geburtshaus statt, da habe ich schon immer so Anwandlungen gehabt, meine Präsenz zu markieren. Ich hänge da leider noch sehr in der Vergangenheit fest. Eine Fahrradtour bleibt eine gute Möglichkeit, einen Vorsatz zu haben, das Fest zeitig wieder zu verlassen.

    Hallo Elly,

    Danke für Deine Aufmerksamkeit. Das Fest ist im Juni. Also noch eine Weile hin. Mein Bruder hatte mich nur heute nochmals darauf angesprochen, daher so präsent. Wenn ich mich nicht bereit fühle, gehe ich nicht hin oder eben nur für zwei Stunden ( z. B. als Zwischenstop einer Fahrradtour). Das kann ich ihm gut erklären, da ich mit ihm jetzt schon öfter über meine Abstinenz gesprochen habe.

    Gruß

    Iphigenie

    , ist meist der Grund, anderen und mir zu zeigen" noch dazuzugehören" und nicht darauf verzichten möchte. Kein Aussätziger sein, nur, weil ich nichts mehr saufe.

    Dann ist das gesellschaftliche Zusammenkommen als trockener Alkoholiker wohl immer eine Gratwanderung. Ich habe noch kaum Erfahrung mit Small Talk als Abstinenzler. Habe hier meinen verstorbenen Vater im Ohr: "nach zwei Stunden spätestens wird nur noch Stroh gedroschen" (er hat 15 Jahre nichts getrunken wg. Kopfschmerzen (?!), sagte er, und hat in dieser Zeit komplett seinen Freundeskreis geändert, ist dann ins Ausland gezogen). Ich denke aber auch zum Beispiel des Familienfestes von Paul_dry und der Gelegenheit dort Menschen, die man selten sieht, zu treffen, dass man sie vielleicht dann einfach direkt kontaktieren könnte, und gegebenenfalls dann auch erklären könnte, warum man nicht kommt oder aber auf der Feier einen alternativen Programmpunkt mit einbringt, muss ja kein Blcokflötenvortrag sein. Bei mir steht der 50. meines Bruders an, eine Riesen-Sause, vielleicht könnte ich da, ohne mich zu sehr in den Festablauf einzumischen, mit Leuten, die Interesse haben, einen Spaziergang zu einem Aussichtspunkt in der Nähe machen. Könnte ich einfach spontan machen, um für mich den typischen Ablauf (Grillen, Bier, Musik, stärkere Getränke) etwas zu durchbrechen. Vielleicht etwas naiv gedacht, aber warum nicht?

    Meerblick heißt nicht unbedingt, daß ich auf dem Balkon sitze, 50 m übern Sandstrand aufs Wasser schaue und den Wellen zuhöre. Meerblick heißt, daß ich wenn ich auf einen Stuhl steige, mich weit nach links aus dem Fenster lehne, ich über die Zufahrtsstraße des regionalen Supermarktes hinweg am Horizont eine graue Linie zwischen den Häuserschluchten erahnen kann, aber nur bei gutem Wetter.

    I love it:thumbup:

    Liebe Rennschnecke , liebe Evelin ,

    das freut mich, dass Ihr meiner detailverliebten Nabelschau über mich und meine Schwiegerfamilie etwas abgewinnen könnt. Es hilft mir ungemein diesen alltäglichen Wahnsinn innerlich und hier in der SHG auszubuchstabieren. Meine Schwiegermutter-Dame ist definitv ein "tough cookie" und hat sich in Ihrem Leben sehr stark beruflich durchgesetzt, in Ihrer Generation sicher bewundernswert. Ich habe jetzt einfach für mich beschlossen, in dem Moment, wo Ihre Rücksichtslosigkeit, die man auch als Rebellentum bewundern könnte (Stichwort: Feminismus der 70er; Ablehnung jeglicher Konvention), mich betrifft, Grenzen zu ziehen; und das scheint ja zu fruchten.

    Lieber Whitewolf , meine Abstinenz würde ich ihr nicht proaktiv mitteilen wollen. Wenn sie mich darauf ansprechen würde, natürlich schon. Das Nachdenken über Deine Frage zeigt mir allerdings, dass die Beziehung zu meiner Schwiegerfamilie eben komplett oberflächlich ist. Als ich letztes Jahr von einem 6wöchigen Klinikaufenthalt wg. Depressionen zurückkam, habe ich feststellen müssen, dass mein Mann das seinen Eltern gegenüber als Kuraufenthalt o. Ä. ausgewiesen hat. Ich habe dann darauf bestanden, dass er Ihnen das wahrheitsgemäß vermittelt, zumal sich die Schwiegereltern zu unserem ersten gemeinsamen Wochendende zu Hause nach der Klinik zu einem Besuch ankündigten. Mein Mann hatte dann seinen Eltern gesagt, dieses Wochenende sei nicht günstig und ihnen scheinbar auch den wahren Grund genannt; dass ich nicht von einem Wellness-Urlaub zurückkomme. Sie sind aber trotzdem gekommen...Dann klassischer Kommentar zu mir: "Oh, Du siehst aber gut aus." Für den Besuch Ihres Sohnes hätten sie 6 Wochen Gelegenheit gehabt. Ich habe das echt nicht kapiert. Zumal ich auch angeboten habe, einfach einen Spaziergang zu machen, falls sie unbedingt kommen müssen;

    Wenn ich das hier so reflektiere, könnte man ja meinen, die Schwiegereltern machen sich Sorgen um das Wohlsein ihres Sohnes und damit auch seiner Frau und drücken das auf eine Art aus, die mich nicht erreicht bzw. mich einfach abstößt. Da fehlt definitiv das Vertrauen auch von meiner Seite. Da sollte ich nochmal hinschauen...(Wahrscheinlich hätte ich damals einfach das Telefon übernehmen und meiner Schwiegermutter direkt sagen sollen, dass ich mich momentan einfach zu schwach fühle, um Besuche zu empfangen), einfach aus der Neugier heraus...

    Danke für Eure Teilnahme<3

    Iphigenie

    Tag 50

    Hallo Allerseits,


    Seit meiner Abstinenz bin ich täglich mit Ängsten konfrontiert. Es ist wirklich so, als würde ich mich neu kennen lernen. Ich bin überzeugt davon, dass ein Teil meiner körperlich–psychischen Symptome – täglich Nebel im Kopf (ich kann die Uhr danach stellen, eine halbe Stunde nach dem Aufstehen)– eine Hinterlassenschaft meines Alkoholmissbrauchs ist. "Klappe zu, Affe tot" so würde ich mein Trinkmotto der Vergangenheit beschreiben. Meist habe ich aus Gewohnheit zur Beruhigung getrunken, sehr oft und viel, wenn bei mir Gefühle hochkamen, wenn ich mit meiner eigenen Gefühlswelt konfrontiert war, die ich einfach nicht mehr ertragen wollte bzw. mit der ich keinen Umgang finden konnte. Das lerne ich jetzt langsam. Es ist anstrengend, aber auch sehr spannend.
    Vergangene Woche hatte ich ein eigenartiges Phänomen. Der tägliche Nebel im Kopf hat sich mit einer Migräne-Attacke quasi entladen. Ich kann mich nicht erinnern, je Migräne gehabt zu haben. Die Tage danach hatte ich keinen Nebel mehr, keine Desorientierung, Benommenheit, sondern war klar im Kopf mit Kopfschmerzen, Nachhall der Migräne.
    Gestern dann tauchte der Nebel im Kopf wieder auf, mitten im Tun. Ich konnte das dann relativ schnell als Ängste identifizieren, konkret, Angst davor, jetzt am Oster-Sonntag auf meine Schwiegermutter zu treffen. Die Angst kroch schon nachts in Form von Alpträumen in mir hoch.
    Die Mutter meines Mannes ist in ihrer Familie sehr bestimmend. Sie macht alles und bestimmt alles. Die Männer lassen sie machen, es ist bequem und O-Ton meines Mannes: es läuft eh immer so, wie sie es will, Widerstand bringt nichts. Als ich zu dieser Familie kam (2. Ehe bei beiden), war ich dann die Ansprechpartnerin der Mutter am Tisch. Da redet nur die Mutter und die Männer (Vater schwerhörig, Sohn keinen Bock) schweigen. Die Mutter erzählt Stories aus ihrer Familie, ihrem Bekanntenkreis, da war ich immer bereit, einfach zuzuhören, ein wenig mit Fragen darauf einzugehen, gleichzeitig hat es mich jetzt auch nicht wahnsinnig interessiert. Ich kenne die Leute nicht, von denen Sie spricht. Sie macht sich nicht die Mühe, etwas Kontext zu den Stories hinzuzufügen, damit ich das als Außenstehender auch verstehe. Sie spricht zwar mich an, gemeint sind aber Ihr Mann und ihr Sohn, die eben schweigen. Wenn ich eigene Themen setze, ist sie kurz interessiert, beendet dann meist ruckartig die Konversation und geht wieder auf Ihre Themen zurück.
    Schon vor langer Zeit wehre ich mich innerlich dagegen, weiterhin diese Familiendynamik als Durchlaufkanister oder praktischer Outpost zu stützen, während ich mir vorgaukle, dass das nett und freundlich von mir sei.
    Ich muss mir mit seinen Schwiegereltern nicht in den Armen liegen, natürlich ist eine Nähe da durch meinen Mann, den ich liebe, und es ist für mich theoretisch in Ordnung, Zaungast des Familientheaters, das mir hier vorgeführt wird, zu sein.
    Prinzipiell muss ich einfach damit umgehen, dass sie sich nicht für mich interessiert. Ihr Motto empfinde ich so: ich bin halt die Frau ihres einzigen Sohnes, muss sie irgendwie damit klar kommen. Mein Gott habe ich mir Gedanken gemacht, wie anstrengend es für sie wohl sein muss, sich mit den jeweiligen Schwiegertöchtern ihres einzigen Sohnes herumzuplagen. Gleichzeitig ist es für sie ganz angenehm über mich eine Konversation mit Ihrem Mann und ihrem Sohn herzustellen. Auch ,was Entscheidungen in der Familie betrifft, Erbschaft etc., werde ich dann angesprochen, was man da machen kann. Da werde ich mich in Zukunft tunlichst raushalten, keine Ratschläge anbieten, zumal sie dann Anwandlungen hatte, ich solle in irgendetwas mit investieren, ein Objekt, was sie und ihr Mann aussuchen würden.
    Lange Rede kurzer Sinn: die Abstinenz zwingt mich, bei solchen Situationen mein Runterschlucken zu identifizieren, meiner Angst und mir selbst Raum zu geben. In der Tat gestern konnte ich das Familientheater wirklich einfach beobachten und habe nur in den Momenten eingegriffen, als meine Schwiegermutter mir gegenüber „übergriffig“ wurde. Da war gar kein Platz für Alkohol, das war alles viel zu spannend für mich.
    Sie bestimmte, wo wir im Restaurant sitzen, war dann unzufrieden damit. Mitten im Essen neuer Tisch, da dann auch wieder unzufrieden. Dann wollte sie die Bestellung für alle übernehmen, während die Serviererin die Einzelbestellungen bei jedem abgefragt hat. Ich konnte ihre ständigen Fragen, was ich denn nun esse oder, ob ich etwas mit ihr teilen möchte und sie das dann bestellt einfach an mir abperlen lassen und habe bei der Serviererin direkt bestellt. Nichts einfacher als das, denke ich jetzt, früher habe ich da schnell den Fokus verloren und versucht, es ihr „Recht“ zu machen, anstatt bei mir zu bleiben.
    Mein Essen und das Essen meines Mannes kamen zuerst. Sie wollte, dass wir sofort anfangen mit dem Essen und hat sich, während Sie fragte, ob Sie bei mir probieren könnte, gleich mal an meinem Teller bedient. Ich habe das etwas perplex beobachtet, jedoch darauf bestanden, zu warten, bis sie und ihr Mann ihr Essen bekommen. Sie hat mich dann mehrfach angesprochen, ich müsse jetzt mit dem Essen anfangen, worauf ich entgegnete, ich möchte gerne warten, bis alle Essen da sind, das sei für mich ein Ritual der Wertschätzung. Zudem fehlte bei mir noch das Besteck. Da war Sie dann etwas konsterniert.
    Ca. 5 Minuten später lobte sie mich dann dafür, dass ich mit dem Essen warten wollte. Da musste ich innerlich lachen, es war schon wieder der Versuch von ihr, die Kontrolle zu übernehmen.
    Nochmal: lange Rede kurzer Sinn bzw. der Teufel sitzt im Detail. Ich habe die Dynamik meiner Schwiegerfamilie einfach als Film ablaufen lassen, meinen Film, Empathie vorerst mit meinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und nicht prioritär mit den vermeintlichen Wünschen der Beteiligten empfunden. Und es gibt einen wesentlichen Grund, weshalb ich Teil dieses Theaters bin, nämlich, weil ich meinen Mann liebe und das teile ich mit meinen Schwiegereltern. Aber, es war eben wie gesagt mein Film, der Film meiner Schwiegermutter ist ein anderer.

    Es ist dieser scheinbar kleine Perspektivwechsel, der sich zunehmend bei mir einstellt, dadurch, dass ich nicht in der täglichen "Wiege" Alkohol verharre.

    Ich wünsche Euch Allen einen schönen Feiertag und ebenso spannende Familienessen.

    Iphigenie

    Hallo Lia,

    Leider habe ich in meiner Familie niemanden, der meine Gefühle aushalten kann oder dem ich meine wahren Gefühle zeigen kann.

    hast Du Geschwister? Oder nahe Verwandte, die Teil Deiner Familiensituation sind?

    Wann bist Du ausgezogen? Was hat Dich dazu bewogen, auszuziehen?

    Wie würdest Du Deine Sorgen beschreiben?

    Die Idee von Whitewolf finde ich sehr gut. Sie könnte Dir ermöglichen erstmal Abstand zu Deinem alten "daheim" zu finden und Deinem neuen "daheim" mehr Gewicht zu geben und dadurch Kraft zu schöpfen. Und eine eigene Sprache für Deine Sorgen zu finden.

    Wenn persönlich nichts geht ( Angst, Respekt, Peinlich... wie auch immer ) denke ich immer, das evtl. ein ehrlicher strukturierter Brif helfen könnte. Den kannst Du so lange schreiben und wieder korrigieren bis Du das zum Ausdruck gebracht hast was Dir wichtig ist. Entweder nur an Deinen Vater oder auch an Beide zusammen. Da könntest Du auch etwas über Konsequenzen schreiben ( Kontaktabbruch etc. ) wenn Dir da etwas vorschwebt ( siehe oben )

    Iphigenie

    Warum wäre es schön ein Glas zu trinken? Willst du die Wirkung? Ich frage mich immer, wenn ich auf ein alkoholisches Getränk Gusto bekomme, ob ich auch die Wirkung hier und jetzt haben will.

    Das ist jetzt für mich das erste Frühjahr seit Jahren ohne Alkohol. Da kommen jetzt all die Situationen wieder auf, draußen im Biergarten, am See, nach dem Schwimmen etc. Sobald ich an die Wirkung denke, wird mir schlecht, also gute Beschreibung "Gusto". Irgendwie diese eingeübte Idee, mit Alkohol den Moment zu feiern.

    Genau das:

    Es sind halt viele Assoziationen und Erinnerungen mit Alkohol und gewissen Geschmäckern verbunden. Diese Assoziationen muss man erkennen und nüchtern verarbeiten.

    Täglich kommen neue Situationen, die bei mir den Gedanken an ein Getränk auslösen können. Ich habe das bisher immer durch Innehalten überwunden, bis es vorbeigeht und, indem ich den Vorgang des Trinkens bis zum Ende durchgespult habe, also das was dann nach der Erfahrung mit einem Glas begonnen hat und wo das dann geendet ist.

    Werde mir jetzt auch einen Notfallkoffer zusammenstellen, am besten einen, den ich auch mitnehmen kann (Spickzettel).

    Hallo Thalia,

    Danke für Deine Frage. In der Tat habe mache ich das jetzt so, wie auch Rennschnecke mir es vor dem Arztbesuch empfohlen hatte, dass ich eine Art Steno-Tagebuch führe, in dem ich festhalte, wie es am Tag lief. Befindlichkeitsnotizen. Dann bin ich beim Gespräch selbst nicht blank und laufe nicht Gefahr in den Modus zu verfallen, mich irgendwie präsentieren zu müssen, sondern kann mich auf die gesammelten Beobachtungen zurückbeziehen. Ich habe den Eindruck, dass ist eine Kommunikation mit mir selbst, die nicht ins Grübeln führt, sondern im Gegenteil erleichternd ist; gibt mir mehr Raum im Kopf.

    Herzliche frühmorgendliche Grüße

    Iphigenie

    Hallo Midnightsun,

    Ich glaube unsere Beziehung hat ihn auch sehr getriggert und unter Druck gesetzt, da er mir etwas bieten wollte.

    Diese Sichtweise lässt mich aufmerken. Du wirkst in Deinen Aussagen sehr stark und so, als ob Du den Überblick bzw. die Verantwortung über und für die Beziehung halten müssest. Wo bist Du in dem Ganzen? Fühlst Du Dich da nicht als Projektionsfläche der Probleme Deines Partners?

    . Dort haben wir auch ganz klar über meine Grenzen gesprochen bzgl. seines aggressiven Verhaltens. Jedoch scheint das ja alles nichts gebracht zu haben

    Ich meinte eher, ob diese Paargespräche Dir etwas gebracht haben und für die anstehende Trennungssituation, Dir helfen können. Und Du sagst es ja: Deine Grenzen zu klären. Die Sucht bzw. die Abstinenz kann er ja nur selber ändern.

    Wie sieht denn Eure Kommunikation momentan aus?

    Wie wäre es die Kontaktsperre, die Du ja selbst mit dem Rufen der Polizei eingezogen hast, aufrecht zu erhalten und nur im moderierten Dialog (Paartherapie) oder anders über Distanz (per Brief) zu kommunizieren?

    Ich selbst habe in meinen Beziehungen mit Alkoholikern mein Co-Abhängigkeitsverhalten erst Jahre später identifiziert.