Liebe Smilla,
Deine Geschichte hat mich sehr berührt, denn mir ergeht es ähnlich mit meiner Mutter. Sie war früher auch Marathonläuferin und wenn ich sie heute so sehe, kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen. Sie war am vergangenen Wochenende zweimal wegen einer Alkoholintoxikation im KH, an das eine Mal kann sie sich nicht mal erinnern. Sie dürfte auf der Straße beim Alkohol einkaufen zusammengeklappt sein und ein Passant hat die Rettung gerufen. So etwas passiert mittlerweile ständig. Ihre Blutwerte sind eine Katastrophe, aber sie weigert sich weiterhin zum niedergelassenen Arzt zu gehen. In ihrer Wohnung sieht es genauso aus, wie du es von deinem Vater schreibst.
Sie hat 5 Entzugsaufenthalte und unzählige Entzüge in "Eigenregie" hinter sich und trotzdem blickt sie noch auf andere Alkoholiker:innen hinab und sagt "So wie die bin ich sicher nicht!".
Nach ihren Enkelkindern fragt sie schon lange nicht mehr, obwohl sie ihr früher so wichtig waren und sie eine stolze Oma war. So wie auch du muss ich ihr beim "Selbstmord auf Raten" zusehen und das beeinträchtigt mein Leben teilweise sehr. Auch ich habe tolle Kinder und einen super Partner, aber alles ist irgendwie immer überschattet von dieser Krankheit.
Was ich dir raten kann: Ich weiß, es ist schwierig und es bricht einem das Herz, aber Distanz und Abgrenzung helfen. Ich muss mich selbst jeden Tag an der Nase nehmen und daran erinnern, weil ich sonst auch an der Krankheit meiner Mutter zugrunde gehe. Schlechtes Gewissen ist absolut nicht angebracht, denn so wie ich es herauslese, hast du alles gemacht, was in deiner "Macht" stand. Dir regelmäßig den Zustand deines Vaters und seiner Wohnung anzusehen, ist eine Zumutung. Mach es also nicht mehr, denn es ändert absolut nichts an seinem Zustand. Ich fahre mittlerweile auch nicht mehr zu meiner Mutter, weil ich es nicht ertrage und danach immer komplett fertig bin.
Was mir geholfen hat, ist ein mobiler Pflegedienst. Ich konnte es so arrangieren, dass dreimal die Woche eine Pflegerin zu meiner Mutter kommt und nach dem Rechten sieht. Sie war es auch, die am Wochenende die Rettung verständigt hat. Sie putzt auch ein wenig und bezieht das Bett, denn meine Mutter verletzt sich ständig und blutet dann ihre Bettwäsche voll und kotet auch ein. Gibt es in eurer Umgebung auch eine Möglichkeit, so etwas in Anspruch zu nehmen? Es hilft mir jedenfalls enorm dabei, Distanz zu gewinnen.
Ich habe auch Pflegegeld für sie beantragt, damit wir hoffentlich einen Platz in einem Pflegeheim bekommen, wenn die mobile Pflege nicht mehr ausreicht (es ist jetzt schon mehr als grenzwertig) und einen Antrag auf eine Erwachsenenvertretung gestellt. Dadurch kann ich - wenn es soweit ist - hoffentlich Dinge für sie entscheiden, die dringend notwendig sind, sie selbst aber ablehnen würde (eben z.B. einen Heimplatz). Das sind allerdings Dinge, die hier in Österreich leider seeeeehr lange dauern und nicht von heute auf morgen geschehen. Man braucht also viel Geduld. Allein um einen Platz auf einer Warteliste zu bekommen, musste ich schon 3 Monate warten.
Mein letzter Rat: Nimm für dich langsam Abschied von deinem Vater. Sag ihm (wenn auch nur in deinen Gedanken), dass er ein toller Papa war und dass du das nie vergessen wirst, aber den Alkoholiker kannst du nicht liebhaben, weil er dein Leben zerstört.
Du bist nicht allein mit dieser Bürde, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft! Alles Liebe!