hallo zusammen,
ich lese schon seit längerer zeit hier in diesem forum und habe mich - obwohl und vielleicht weil meine geschichte vielen so gleicht - jetzt entschlossen, mich anzumelden. was ich bisher gelesen habe, hat mir unheimlich geholfen und ich habe mir manche beiträge sozusagen als "persönliches Mantra" abgespeichert, um sie mir immer wieder durchzulesen.
ich bin 32 jahre alt. mein vater ist seit vielen jahren (ich würde jetzt mal behaupten etwa 15 jahre) alkoholiker. meine eltern leben seit dieser zeit getrennt. und obwohl meine mutter ebenfalls seit jahren regelmässig alkohol konsumiert, spielt der alkoholismus meines vaters für mich komischerweise eine größere rolle. richtig angefangen hat er, als das doppelleben mit seiner "zweiten familie", das bis er bis dato geführt, aufgeflogen war.
er hat zahlreiche entzüge im krankenhaus hinter sich, seine längste abstinenz dauerte circa neun monate, liegt aber auch schon einige jahre zurück. aktuell ist er zum dritten mal in der reha, diesmal für 2 monate.
ich muss dazu sagen, dass ich mich mit meinem vater recht gut verstehe, ich kann, wenn er nüchtern ist, klasse mit ihm reden. deswegen fällt es mir auch schwer, ihn komplett auf sich allein gestellt zu lassen. sprich: ich fahre zu ihm, ich räume auf, ich kaufe ein, ich gucke, ob und dass er isst.
seit ich hier in diesem forum gelesen habe, lasse ich es. das war kurz vor weihnachten. ich habe freundlich, aber bestimmt, das gespräch beendet, wenn er mal angerufen hat und ich bin nicht mehr hingefahren. auch nicht an weihnachten.
jetzt, in der reha, ist natürlich wieder alles in ordnung. ihm geht es gut, er hat zugenommen, freut sich auf zuhause und seinen garten (der seit jahren brach liegt).
und ich weiss nicht, ob ihr es nachvollziehen könnt: aber ich werde mit jedem anruf wütender. klar freue ich mich, dass er wieder "oben" ist. aber ich weiss auch, dass er genau weiss, wem er was sagen muss, damit sie ihn in ruhe lassen.
während seiner saufzeit hat er wieder so schlimme sachen gesagt, die mir weh getan haben, und davon wird nichts erwähnt. nichts. ich will keine entschuldigungen, ich weiss ja, dass das der "andere" vater ist, der mich im suff beschimpft und gemeine dinge sagt, aber ich will, dass er das weiss. es wird immer unter den teppich gekehrt. jedes mal.
ich habe ihm angeboten, das mein bruder (5 jahre jünger als ich) und ich gemeinsam so eine art familiensprechstunde machen könnten (wir haben so etwas in den ganzen jahren nie gemacht) und hatte dazu extra mal seine therapeutin angerufen (die ich natürlich um diskretion gebeten habe). sie meinte aber, das müsse von ihm selbst kommen, er muss auf sie zukommen, von ihr aus wäre das aber okay und sie würde es machen. daraufhin habe ich ihm eine sms geschrieben: mensch, frag doch mal nach, wie sieht es mal aus mit so einer stunde. und wisst ihr was er mir vorgestern am telefon gesagt hat?
"du ich hab nachgefragt, aber die bieten hier sowas leider nicht mehr an!"
und weil man ihn ja mit samthandschuhen anfässt, habe ich ihn ganz freundlich, nachdem ich den hörer vor wut fast in meiner hand zerquetscht hätte, nach geschlagenen zehn minuten weiterem small talk damit konfrontiert: "du, ich hab aber mit deiner therapeutin gesprochen - äh - das kann aber nicht sein - äh - sie hat es mir aber anders gesagt." naja, er hat dann behauptet, er habe gesagt, die bieten das ja nicht mehr in DER form wie vor sechs jahren an. blablabla...
kennt ihr das? man würde am liebsten in den hörer brüllen, stattdessen hört man sich ruhig sagen "gut, papa, also dann! bis bald, ne? tschüüs!" und wenn ich aufgelegt habe, werde ich plötzlich super müde und möchte mich am liebsten schlafen legen...
aktuell, in der reha, sieht er seine krankheit als krankheit an und auch, dass er ein problem hat. sonst tut er das aber nicht. in den ganzen jahren sieht er nicht die notwendigkeit, dass ein alkoholiker keine alkoholhaltigen pralinen mehr essen darf oder dass das kleine bier zum fußball-gucken doch vielleicht zur rum-mit-cola-mische führen könnte. er sieht es als "urlaub" an. 8 wochen wird er bekocht, lernt ein paar nette leute kennen und kommt dann gesund und "trocken" mit super leberwerten wieder heim. (wenn ich schon den satz höre: "der arzt hat auch gesagt, dass die leber noch toll arbeitet und es da gar keine schäden gibt!" könnt ich schon wieder an die decke gehen) das hört sich für mich nämlich danach an: "juchu! ich kann dann ja wieder getrost weitersaufen!"
jetzt an diesem osterwochenende ist er für zwei tage bei sich zuhause und hat sich heute dann auch nochmal wegen der familientherapie telefonisch gemeldet. er möchte nicht mit meinem bruder und mir zusammensitzen. er meinte: "alte kamellen aufwärmen ist für mich sehr gefährlich." ich bin darüber sehr ärgerlich muss ich sagen. denn alles, was ich wollte, ist vielleicht auch mal von der therapeutin in seinem beisein hören, was wir machen sollen, wenn er denn mal wieder rückfällig wird. klar, ich kann auch hier mal in eine selbsthilfegruppe gehen (war ich auch schon), aber ich wollte eben, dass ER es auch mal mitbekommt. dass ER sich damit auch mal beschäftigt.
was meint ihr? ist das egoistisch von mir? bösartig? was ist mit den "alten kamellen" (die übrigens gerade mal einen monat alt sind) - soll man die wegstecken und nicht mehr darüber reden? wie regelt ihr das?
lg
marie-ann