Hallo Linde,
danke, mir gehts gut! Schlafen kann ich bestens - ja, es ist die Zeitverschiebung, nicht schrecken. Komme gerade vom afrikanischen Tanz und bin gut durchgebogen und -geschüttelt. Als ich nach den Sommerferien wieder hierherkam war ich steif wie ein Besen, das Tanzseminar tut gut und ich finde von mal zu mal zu mehr Beweglichkeit.
Es gab ja genug Dinge, die mich erstarren ließen, wieder konfrontiert mit den alten Geschichten, einer trostlosen Beziehung, die ich so recht und schlecht über das Auslandsjahr schleppte.
Wow, das ist hat mich anständig berührt, wie du als Kind mit der Sache umgegangen bist. Auch ein Phantasieflüchtling ... ja - in punkto Überlebensstragien sind Kinder echte Meister und sie lassen sich nichts stehlen. Aber das ging verloren, als ich von daheim auszog und ich habe es total vermißt. Es kamen Jahre der totalen Unkreativität, nicht wissen, was mit sich anzufangen, man spürt die Kreativität, aber kann sie nicht ausleben, ist total gehemmt.
Ich glaube, die Nähe meiner Eltern hat mich flüchten lassen und jetzt, wo ich es schreibe, realisiere ich erst, dass es damit zusammenhängen könnte. Immer wenn ich daheim war - auf Besuch - hatte ich das Verlangen zu schreiben, zu zeichnen, wenn ich dann wieder weg war, in meinem anderen Zuhause (immer temporär, immer nur maximal für zwei Jahre) war ich dann wieder leer und habe mich mit den Sorgen anderer Leute zugemüllt (wie meine Mutter, schreckliche Vorstellung) und war für alle da.
Ein Leben in Seßhaftigkeit ... grübel ... das kann ich mir nicht vorstellen und doch habe ich eine Sehnsucht danach. Ich möchte tatsächlich - ankommen. Du hast das ganz gut beschrieben, du hast 42 Jahre gebraucht um bei dir drin anzukommen. Das Gefühl habe ich langsam auch und das hat viel mit der Bewußtmachung der eigenen Geschichte zu tun. Einmal innehalten. Anschaun. Nicht wegschaun und nicht wegrennen. Anschaun. Auch wenn es grausam ist, auch wenn es Tränen bringt. Jetzt hab ich auch keine Angst mehr hinzuschauen, weil von Tag zu Tag mehr Licht in die Abstellkammer kommt. Vorher hab ich nur gewußt, ich muß aufräumen, jetzt sehe ich langsam erst, was ich aufräumen muß, welche Dinge ich zuerst vom Stapel nehmen muß.
Kennst du den schönen Film "Chocolat"? Die Frau, die immer weiterziehen muß, wenn der Nordwind weht, die ihre kleine Tochter überall hinzerrt, auch wenn die Kleine nicht mehr will, die endlich bleiben möchte, wo sich sich wohlfühlt, bis sie eines Tages so heftig streiten und die Urne mit der Asche der Mutter der Frau zerbricht und die Asche verschüttet ist? Und sie dann beschließt endlich zu bleiben?
Manchmal fühle ich mich genauso, in der imaginären Urne ist das verkorkste Leben meiner Eltern, das ich mit mir herumschleppe. Ich habe Lust, sie zu zerschmettern und mich endlich meinem eigenen Leben zu widmen, das jetzt erst zu beginnen scheint. Und nein - dann brauch ich keinen Aktionismus mehr zu leben.
Vielen Dank für deine Worte, die haben mich total aufgebaut heute Morgen (ich bin sieben Stunden im Rückstand) und ich habe die Fährte aufgenommen!
Alles Liebe übern Teich,
gatita