Beiträge von Iffiegenie

    Liebe Linde,
    vielen Dank für Deine Aufmunterung!
    Ja, es fühlt sich tatsächlich extrem schwer an, was da gerade passiert.
    Weil ich ja ganz viel von den schlechten Erfahrungen ganz unten im Lebenssack vergraben habe. Und ewig lange gar nicht wusste, dass mit mir überhaupt was los ist.
    Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich über meine Schwester die Nase gerümpft habe, als sie vor vielleicht 15 Jahren die erste Therapie angefangen hat.
    Ich hielt sie einfach für exzentrisch, überspannt, sonstwas. Ich habe ihr sogar unterstellt, dass sie auf psychische Probleme "macht", weil sich körperlich einfach nichts feststellen ließ, mit dem sie sich interessant machen könnte.
    Ich leiste heute Abbitte dafür, erstmal nur im Stillen bei mir und hier, aber ich denke, dass ich in nächster Zeit meiner Schwester das auch mal sagen werde...

    Zu Deiner Frage: ich will eigentlich zu einer Gruppe gehen, weil ich will, dass es mir besser geht. Allerdings trifft sich die Gruppe hier donnerstags 19 Uhr. Und da arbeite ich entweder noch oder schon (ich schichte entweder von 12 bis 20 Uhr oder von 20 Uhr bis 4 Uhr).
    Ich weiß auch nicht, wie ich mir das vorgestellt habe, wann die sich treffen: morgens um 8 vielleicht??? Zumal ich auch am Wochenende nicht kann, da ich mindestens 2 Wochenenden im Monat arbeiten gehe.
    Auch hier: da muss ich mal dran arbeiten, ich nehme mir viel zu wenig Zeit für mich...
    Zu meinem Therapeuten gehe ich meist morgens um 8. Nach der Nachtschicht. Irgendwie habe ich da immer eine ganz eigenartige Stimmung: hundemüde und trotzdem aufgedreht und das tut dem Redefluß wiederum sehr gut...

    Was ich außerdem mache: ich habe mich bei einem Onlinemeeting von Al-Anon angemeldet. Da kommen jeden Tag bis zu 30 Mails von Menschen, die dieselben Probleme wie wir alle haben und an den unterschiedlichsten Stellen der Genesung sind.
    Ich habe bisher noch keinen eigenen "Beitrag" geschrieben, aber das kommt bestimmt bald.
    Ich lese auch nicht immer jede Mail bis zum Schluß, wenn ich merke, das Thema des Beitrags interessiert mich nicht ganz so, dann lösche ich das.

    Das ist ebenfalls so eine Sache, die ich im "echten Leben" auch mal hinkriegen muss: sagen, wenn mich der Monolog eines Gesprächspartners mal nicht so interessiert. Aber das halte ich dann immer für unhöflich. Dabei könnte ich das ja auch ganz freundlich sagen.

    Naja, ich merke jeden Tag, dass ich noch viel Lernarbeit vor mir habe. Und ich bin immer noch jeden Tag wütend auf meine Eltern, dass ich das nicht alles schon früher lernen durfte, sondern mir das mühsam in meiner zweiten Lebenshälfte alles aneignen muss.

    Aber wenigstens habe ich erkannt, dass es andere, schönere Wege gibt und das macht mich sehr hoffnungsvoll für die Zukunft.

    Vielen Dank jedenfalls dafür, dass ich hier teilen / mitteilen darf, das hilft ungemein, für etwas mehr Klarheit im Köpfchen zu sorgen!

    Iffiegenie

    Viel Zeit ins Land gegangen.
    Mein Therapeut hatte ein paar Tage Urlaub und hat mir vor der Pause geraten, mir eine Selbsthilfegruppe für Erwachsene Kinder zu suchen.
    Weil er zwar als Profi natürlich drauf schauen könne, aber eben nicht selber solche Erfahrungen gemacht habe.
    Das war noch vor dem Ende der Probesitzungen, also beim 3.Termin (5 Sitzungen sind Probe, dann wird spätestens entschieden, ob und wie es weitergeht.)
    Mein Gedanke sofort: "Der schickt mich weg. Der findet, dass das, was ich erzähle, kleiner, dünner Kram ist, der will mit mir nicht arbeiten, hat mit mir jetzt nur noch einen Termin ausgemacht, damit die 5 Sitzungen voll werden..."

    Ich habe ihn angelächelt und gesagt, dass ich mir eine Gruppe suche.
    Aber eigentlich war ich enttäuscht und gekränkt.
    Hatte aber eben auch wieder das Gefühl "Okeh, wenn er mir nicht helfen will, dann muss ich mir eben selber helfen. Ich werde ihm NICHT zeigen, dass ich getroffen bin..."

    Nach fast drei Wochen war ich wieder bei ihm.
    Er fragte wie es mir geht und da habe ich ihm mein Gefühl geschildert.
    Schon mal nicht so leicht für mich und dann auch noch, dass ich es ihm persönlich sagen musste...

    Er hat mich angeschaut wie ein Alien und gefragt, ob ich mich jetzt wirklich die ganze Zeit mit solchen Gedanken gequält hätte.
    Er will mich natürlich (????) nicht wegschicken, sah die Gruppe nur als Unterstützung.

    Was habe ich gelernt?
    Mund aufmachen, Fragen stellen spart viele miese Gedanken.

    Jedenfalls wird mein Therapeut eine tiefenpsychologische Therapie machen, zunächst mal angelegt auf etwa 1 Jahr.
    Und wieder: endlich habe ich die "offizielle" Erlaubnis, dass ich mich schlecht fühlen darf, dass ich "tatsächlich was habe" und nicht nur rumspinne und dramatisiere.
    Ich hoffe, dass ich das irgendwann auch mal ganz alleine kann, dass ich sagen kann "Ich bin wütend" oder "Ich will das / will das nicht".
    Dass ich mich nicht immer erst rückversichern muss, dass meine Gedanken, Gefühle richtig sind oder wie ich auf Situationen angemessen reagieren soll / kann / darf.

    Ich habe diese Woche noch zwei Erlebnisse gehabt, die mich eigentlich genau in diesem Vertrauen stärken sollten.
    Hatte, vor Monaten schon, meine Betriebskostenabrechnung bekommen.
    Die Verwaltung wollte sage und schreibe 1.500 € nachgezahlt haben.
    Und dass, obwohl ich schon 10 Jahre in meiner Wohnung lebe und an meinem Heizverhalten / Wasserverbrauch / Müllaufkommen jetzt nicht so extrem was geändert habe.
    Dazu muss man sagen, dass meine Vorauszahlungen schon bei fast 2.000 Euro im Jahr lagen.
    Der wollte also wirklich fast den gesamten Betrag nochmal...
    Ich habe das - wie immer - versucht auszusitzen.
    Habe mich gar nicht gemeldet, auch nicht auf seine Mahnungen.
    Falsch, das weiß ich, das ändert ja auch nichts an der Forderung...
    Dumm vielleicht sogar.
    Jedenfalls kam dann Post vom Anwalt.
    Da musste ich reagieren.
    Da hab ich genau das geschrieben: dass ich das unangemessen finde, quasi 100 % Nachzahlung zu fordern.
    Ich habe maximal 500 € angeboten.
    Nun kam die Antwort vom Anwalt, dass sich die Verwaltung damit einverstanden erklärt, dass damit die Angelegenheit erledigt ist.
    Das hätte ich also schon viel früher haben können.
    Einfach Mund aufmachen und fragen, was los ist.
    Sicher wäre ich sogar noch mit weniger als 500 € davon gekommen. Naja.

    Zweite Situation: Ich hatte gestern einen kurzen Dienstwechsel, von Spätdienst auf Frühdienst.
    Blöde geplant und ich habe auch nicht um einen Wechsel gebeten (Plan kam schon vor ein paar Wochen raus...)
    Gestern Morgen nun habe ich mir vorgenommen, meine Chefin zu fragen, ob ich wenigstens eine halbe Stunde eher gehen kann, damit ich den zeitigeren Zug schaffe und damit eine Stunde früher zu Hause wäre.
    Es hat mich Überwindung gekostet und ich habe mir die schlimmsten Szenarien ausgemalt.
    Dass die Chefin mit mir meckert, oder mich auslacht, fragt, wie ich denn auf so eine Idee käme.
    War natürlich ganz das Gegenteil der Fall: SIE hat sich entschuldigt für die Fehlplanung und mir natürlich gestattet, den früheren Zug zu nehmen.

    Und: wieder gelernt, dass fragen nicht schlimm ist, dass man da durchaus positive Antwort drauf bekommen kann.

    Natürlich werde ich nicht auf jede Frage ein "JA" bekommen, aber NIE fragen bedeutet auch, NIE ein "JA" zu bekommen.
    Ich frage mich allerdings, warum ich das nicht schon lange weiß...
    Nein, frage ich mich nicht.
    Ich durfte als Kind eben um nichts bitten oder wurde abgewiesen.
    Oft war es ja auch so, dass eine einmal gefällte Entscheidung nicht automatisch auch für das nächste Mal galt.
    Ich musste also immer wieder fragen und wusste nie, was passieren würde.
    Und oft passierte es eben auch, dass ich für eine simple Frage Hohngelächter erntete, oder Schimpfe bekam oder Unverständnis, wie ich es wagen könne, sowas überhaupt zu fragen.
    Also fragte ich irgendwann gar nicht mehr und reimte mir meine Antworten selber zusammen.

    Verdammt, es ist noch ein weiter Weg.
    Aber ich bin auf dem richtigen...
    Danke für´s Lesen.
    Iffiegenie.

    Ich glaube schon, dass genau so meine "netten Mails" zustande kommen.
    Das ist ja auch eines meiner Probleme: dass ich immer lieb, brav, artig, nett, freundlich sein will.

    Es immer allen Leuten recht machen und dabei mich selber hinten anstellen.
    Natürlich müsste ich den Mund aufmachen und Leuten auch mal sagen, was ich eigentlich meine.

    Aber: damit riskiere ich ja, dass ich weggeschickt werde. Dass ich wieder eine Zurückweisung kassiere. Also bin ich nett und bin dann natürlich doppelt enttäuscht: zum einen, weil ich nicht kriege, was ich eigentlich will (weil ich das ja nicht sage...) und zum anderen, weil Nettsein anscheinend auch nichts hilft.

    Wie gesagt: theoretisch ist mir vieles klar. Ich kann das nur nicht umsetzen. Weil es ja auch noch nie (???) was gebracht hat, wenn ich auf den Tisch gehauen habe, Verlässlichkeiten eingefordert habe.

    Ich bewundere immer Menschen, die das können...
    Vielleicht ist das Problem auch, dass ich gar nicht so richtig weiß, was ich will...

    Denn eigentlich will ich ziemlich oft einfach nur in Ruhe gelassen werden. Und mein Freund ist auch so drauf, dass der ganz viel Zeit / Platz für sich braucht. Nun sehe ich aber bei meinen Freundinnen (viele sind´s ja nicht...), wie die ihre Beziehungen fahren: sich regelmäßig sehen, dauernd telefonieren, "Ich liebe Dich...".
    Das ist NICHT, was ich will. Zumindest fühlt es sich so an, dass ich das genau nicht will.
    Dann kommen aber die Mädels und fragen an, was das eigentlich ist, was ich mit meinem Freund habe. Eine Beziehung doch nicht, oder?
    Wir sehen uns manchmal 6 Wochen nicht, telefonieren äußerst selten, schreiben ab und an mal ´ne Email. Mir reicht das. Da kann ich die ganze Zeit für mich rumkramen.
    Das klingt dann aber eben auch nicht richtig. Also rede ich bei meinen Freundinnen auch das Ganze oft schön, erfinde auch manchmal Treffen, die es mit ihm gar nicht gab.
    Und auf der anderen Seite "drängle" ich dann aber auch bei ihm, dass ich ihn öfter sehen will. Das wiederum nervt ihn und eigentlich will ich das ja auch gar nicht.

    Auch hier: Nettsein, ihm alles recht machen, ihn nicht nerven, meinen Freundinnen alles recht machen, Nettsein, Lügen, um was vorzugaukeln, was gar nicht ist.

    Die Probleme erkenne ich.
    Die sind ja auch nicht neu.
    Aber mittlerweile denke ich eben drüber nach.
    Und dann fällt mir im Moment eben als Lösung nur ein, dass ich das alles beende: mit meinem Freund, mit meinen Freundinnen, mit meiner Mutter und mir einfach neue Leute suche und ganz von vorn anfange.
    Und dann klammere ich mich aber daran fest, dass ich den Kerl ja schon ganz schön gern habe und dass ich bei meinen Mädels witzig sein kann und dass das Leben ja doch ganz schön schön ist, so wie´s eben ist.

    Vertrackte Kiste - ich arbeite dran...
    Iffiegenie

    Ein ständiges Auf und Ab.
    Manchmal fühle ich mich so stark, denke "Ja, ich hab ja begriffen, worum es geht, was mich krank macht, jetzt muss ich es nur noch ändern..."
    Und dann kommt eine kleine Kleinigkeit, die mich aus der Bahn wirft und ich bin wieder ganz klein und mutlos.
    Ein Beispiel?
    Mein Therapeut riet mir, mir eine Selbsthilfegruppe für Angehörige zu suchen. Weil er das Problem zwar aus Psychologensicht beurteilen könne, aber nicht als selbst Betroffener. Ich habe gelächelt und gesagt, dass ich das machen werde. Allerdings war mein Gefühl: "Oh nein, der schickt mich weg, der will nicht mehr mit mir arbeiten, sondern gibt das ab..." Ich konnte ihm das nicht sagen, werde das aber in der nächsten Sitzung machen: dass ich schon wieder dieses Gefühl von Zurückweisung habe und dass sich das ganz widerlich anfühlt. Und das ist trotzdem ja schon wieder irgendwie verraut: der will mich nicht - ich werde doch darüber nicht meckern, mache ich es eben alleine!

    Ein weiteres Beispiel?
    Mein Freund ist auch ein ziemlicher Eigenbrötler. Wir sehen uns nicht so oft, er wohnt in einer anderen Stadt, arbeitet viel, auch oft am Wochenende, genau wie ich. Wir haben also nicht so viel Zeit füreinander und das kommt irgendwie dem, was ich will, sehr nahe. Ich will ihn nicht dauernd um mich haben, das würde mich wahnsinnig machen.
    Vor zwei Wochen war ich bei ihm. Es war abgesprochen, dass ich Samstagabend wieder nach Hause fahre: er musste an dem Morgen arbeiten, wäre erst ganz spät abends nach Hause gekommen und ich wäre den ganzen Tag allein in der fremden Stadt gewesen, da kann ich auch nach Hause fahren und dort allein sein. Nun sagte er Donnerstag, ich könne ja auch auf ihn warten am Samstag, er würde sich beeilen und dann könnten wir noch was Hübsches machen. Freitag klang das dann schon wieder ganz anders - Sonntag sei sein einziger freier Tag und wir müssten mal sehen... Da war mir im Prinzip schon klar, dass er lieber wieder allein sein wollte. Ich hab trotzdem am Samstagmorgen gefragt: "Ich fahre nach Hause, ja?" Ich hätte natürlich gern gehört, dass ich dableiben soll. Das kam natürlich nicht. Sondern "Ja, ich würde gern an meinem einzigen freien Tag seit 2 Wochen alleine rumgammeln!"
    Das ist ja auch sehr in Ordnung und war ja eigentlich auch so ausgemacht.
    Trotzdem...
    Ich bin natürlich gefahren und habe ihm noch einen "Ich bin ein großes Mädchen"-Zettel hingelegt: Dass ich das schon am Abend vorher verstanden hätte, dass er allein sein will, dass mein "Ich fahre nach Hause" keine Frage, sondern eine Feststellung war und dass doch alles in Ordnung ist.

    Naja und so ziehen sich die Zurückweisungen weiter durch mein kleines Leben und ich habe immer noch nicht den Hintern, zu sagen, dass mich das nervt. Ich mache weiter gute Miene zu einem für mich blöden Spiel. Obwohl mir theoretisch schon klar ist, dass das nicht in Ordnung ist...

    Mit meiner Mutter hat sich übrigens insoweit was getan, als dass ich einmal mehr sehen musste, dass sie gar nicht wissen will, was eigentlich los ist. Sie hatte auf eine meiner Mails geschrieben, dass sie sich für "nette Mail" bedanke, nur nicht wisse, was es soll.
    Daraufhin habe ich ihr geschrieben, dass das ganz bestimmt keine "nette Mail" war. Und noch ein paar andere Sachen.
    Da kam ein paar Tage später als Antwort (auf eine wirklich sehr emotionale Mail meinerseits..): VIELEN DANK FÜR IMMER WIEDER NETTE MAIL.
    Das war´s. Mehr nicht.
    Natürlich ist mir auch hier theoretisch klar, dass sie sich ja nicht hinstellen und sagen kann - oh gott, ja, da ist ganz viel schief gelaufen, lass uns mal drüber reden.
    Weil sie sich ja dann erstmal eingestehen müsste, dass in ihrem und damit eng verbunden in meinem Leben viel falsch gelaufen ist.
    Trotzdem: ich wünsche mir ein Wort des Verständnisses und das bekomme ich von ihr einfach nicht...

    Naja, ist noch ein weiter Weg, aber zumindest lichtet sich im Kopf einiges von dem Nebel. Und auch wenn es wehtut, gewisse Dinge über mich selber erkennen zu müssen - es geht vorwärts.
    In diesem Sinne: einen schönen Sommer!
    Iffiegenie

    Der erste Termin war sehr gut. Wenn es auch nicht ohne Tränen abging...
    Ich dachte ja die ganze Zeit, dass mich der Therapeut wegschickt am Ende und sagt, dass doch alles soweit in Ordnung ist, dass ich einfach mal den Streit mit meiner Mutter klären soll und dass doch ansonsten gar nichts Schlimmes vorliegt.

    Ganz das Gegenteil war der Fall: er hat für übermorgen schon den nächsten Termin mit mir ausgemacht.
    Sein erster Rat an mich: ich soll bis auf weiteres jeden Kontakt mit meiner Mutter vermeiden. Weil ich (noch) nicht stark genug bin, ihr die Stirn zu bieten, ihr "Stopp" zu sagen. Nun ist das ein Rat, für den ich nicht unbedingt einen Psychologen gebraucht hätte. Ich hatte mich schon selbst entschieden, dass ich auf ihre Anrufe nicht mehr reagieren werde. Aber da war wieder dieses Schuldgefühl: man darf doch nicht so ohne weiteres den Kontakt zur Mutter abbrechen, das ist doch eine der wichtigsten Personen im Leben... So dachte ich. Auch wenn ich es nicht so fühle. Meine Mutter ist mir egal. Wenn ich so recht darüber nachdenke. Aber "Das darf man eben nicht..." Dieses vertrackte Denken immerzu. Nun habe ich sozusagen offiziell die Erlaubnis, dass ich mich zurückziehen darf und dass ich das noch nicht mal erklären muss.

    Da kommt eben auch wieder mein "Schaden" durch: ich kann nicht richtig einschätzen, was richtig und was falsch ist. Kennt wahrscheinlich der eine oder andere auch nur zu gut...

    Jedenfalls hat mir der Therapeut auch garstige Worte an den Kopf geworfen. Es war die Rede von "chronischem, emotionalen Missbrauch". Das empfand ich schon als harten Tobak und ich habe lange darüber nachgedacht. Aber er hat Recht!
    Er sprach auch davon, dass ich in asozialen Verhältnissen aufwachsen musste. Dagegen habe ich mich natürlich erstmal verwehrt: asozial ist für mich eben immer noch schlampig, dreckig, messihaft, kein Geld, kein Essen, keine Klamotten. Wir haben dann erstmal den Begriff asozial geklärt und dann wurde mir auch klar, dass das Zusammenleben in meiner Familie durchaus asozial war!

    Naja, es liegt noch eine Menge vor mir, ich muss noch viel über mich lernen und das wird mit Sicherheit auch oft wehtun. Aber ich habe mich sehr wohl bei ihm gefühlt, die Praxisräume sind sehr angenehm, der Psychologe hat eine sehr freundliche Art und es ist der richtige Schritt für mich!

    Sommerliche Grüße!
    Iffiegenie

    Morgen...
    Morgen ist mein erster Termin. Ob´s mir guttut, kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich hoffe!

    Ich hatte immer mal wieder Angst vor dem Termin. Davor, dass mich der Therapeut auslacht, mich nach Hause schickt, sagt, dass er Wichtigeres zu tun hat, als sich mit meinen Lappalien zu befassen. Egal: sollte es so sein, dann weiß ich, dass ich mir vielleicht umsonst dumme Gedanken mache.

    Grad merke ich, dass ich schon wieder in diese Muster falle. Eigentlich will ich hören, dass alles in Ordnung ist. Weil es ja nicht sein kann, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Und dann gehe ich damit auch noch zu einem wildfremden Menschen und will dem ernsthaft erzählen, was mich umtreibt.

    Ich werde morgen mal berichten, wie es war. Es sei denn, ich sitze wie ein Häuflein Elend in der Ecke und kann mich gar nicht mehr bewegen...

    Iffiegenie

    Oje, das macht mir ein wenig Angst: dass es mir möglicherweise noch schlechter geht als jetzt.
    Ich bin nämlich im Moment schon ganz schön am Ar...
    So sehr, dass mich sogar schon Kollegen gefragt haben, ob was los ist. Ich konnte das (gottseidank???) damit erklären, dass ich ja so viele Nachtschichten jetzt gemacht habe und einfach fertig bin.
    Das ist aber ja nicht der Grund.
    Aber ich will da nicht erzählen, was mich gerade umtreibt, ich versuche immer noch, da den Schein zu wahren, höre mir die Problemchen der Kollegen an, erzähle lustige Geschichten und tue so, als wäre bei mir - wie immer - alles in Ordnung...

    Naja, wenigstens konnte ich bei meiner besten Freundin endlich mal den Mund aufmachen. Mit ihr bin ich jetzt seit etwa 5 Jahren ziemlich eng. Ich hab auch immer mal wieder Dampf bei ihr abgelassen, aber NIE von meiner Kindheit erzählt. Sie war manchmal erstaunt darüber, dass ich so selten nach Hause fahre (seit 3 Jahren war ich da nicht mehr, wenn ich´s recht überlege...) und sie hat sich auch immer gewundert, dass ich seit Jahren Weihnachten arbeite und auch an sämtlichen anderen Feiertagen, die so gemeinhin als "Familienfeiertage" begangen werden.
    Auch über meine Männer haben wir nächtelang geredet. Wir wären aber beide nie drauf gekommen, dass das irgendwas mit meine Vater zu tun haben könnte. Unsere Erklärung war halt immer, dass ich mich eben immer in die Kauze vergucke.

    Naja, aber jetzt konnte ich den Mund aufmachen und auch sie ist der Meinung, dass das viel erklärt von meinem Verhalten. Sie hat ein bissel gemeckert, dass ich nicht schon eher den Mund aufgemacht habe, aber dann hat sie mich gedrückt und mit mir geheult und mir Mut zugesprochen und mir ihre starke Hand angeboten, egal, was kommt.

    Mal sehen, was kommt. Ich will doch einfach nur ein zufriedenes Leben haben. Gern mit Höhen und Tiefen, daran merkt man, dass man lebt. Aber ich will nicht mehr das Gefühl haben, dass ich irgendwie um irgendwas beschissen wurde.
    Ich weiß, das kann ich nur selber in die Hand nehmen.
    Und damit fange ich ja jetzt mit großen Schritten an!

    Vielen Dank übrigens, dass ihr so bei mir seid und mir Kraft und Stärke wünscht.
    Ich werde hier einfach berichten, wie es weitergeht. Habe schon gemerkt, dass es mir sehr gut tut, das alles zumindest mal aufzuschreiben.
    Habt einen schönen Tag!
    Iffiegenie

    In dieser Woche kam ein Stapel Bücher bei mir an, den ich geordert hatte zum Thema. Schon mal sehr hilfreich!
    Auch das Lesen der vielen Themen hier: ich erkenne mich sooo sehr wieder.

    Anfang Juni habe ich meinen ersten Termin bei einem Psychologen. Das ist gar nicht so einfach gewesen, da ran zu kommen. Wollte eigentlich eine Frau, aber bei ganz vielen ging nur der AB ran, da wollte ich nicht drauf sprechen. Einige haben mir auch gesagt, dass sie keine neuen Fälle mehr annehmen.
    Der erste Mann, der ranging, hatte eine wahnsinnig liebe Stimme. Fast wie ein Vater. Oder zumindest, wie ich mir vorstelle, dass ein Vater klingt. Er wollte von mir auch nur drei Sätze hören und hat mir dann einen Termin in zwei Wochen gegeben, obwohl er auch kaum noch Platz hat.
    Ich bin mal gespannt!

    Jetzt bin ich mir im Augenblick aber gar nicht so sicher, was mein eigentliches Problem ist: mein Vater, der Alkoholiker ist und vor etwa 20 Jahren aus meinem Leben verschwunden ist.
    Oder eher meine Mutter. Die ist keine Alkoholikerin, aber eine ganz fürchterliche Person. Sie interessiert sich für nichts außer sich selbst. Vielleicht noch dafür, wie sie bei ihrer Familie, ihren Kollegen, ihren Nachbarn da steht. Sie ist kein bisschen herzlich, zu mir zumindest nicht und ich kann ihr nie etwas recht machen. Ständig zieht sie bei mir über meine Geschwister her und von denen habe ich auch erfahren, dass sie das auch über mich tut. Immer unter dem Deckmäntelchen, dass sie sich doch um ihre Kinder Sorgen macht und das doch wohl als Mutter dürfe...

    In meinem Kopf ist also im Moment meine Nicht-Alkoholiker-Mutter die größere Katastrophe.
    Und ein Streit mit ihr vor ein paar Wochen hat mich auch erst hier her gebracht und hat die Steine ins Rollen gebracht.

    Wahrscheinlich hat aber das eine mit dem anderen sowieso jede Menge zu tun. Und eigentlich will ich auch aus den Fängen meiner Mutter raus, die sich in meiner Kindheit so gut wie nie Sorgen um mich gemacht hat.

    Ich frage mich nur manchmal, warum ich auf meinen Vater nicht so wütend bin. Von dem will ich eigentlich mal hören, dass er mich lieb hat. Das wird nicht passieren - wie gesagt, ich hab keinen Kontakt zu ihm.

    Ich merke nur, dass ich im Moment sehr dünnhäutig bin. Das kenne ich von mir überhaupt nicht. Ich kann beim kleinsten und nichtigsten Anlass anfangen zu weinen und das geht mir sehr an die Substanz. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich in den letzten Wochen dauernd schlafe. Auch das kenne ich nicht von mir. Normalerweise schlafe ich pro Nacht 5 Stunden, seit Jahren, danach bin ich wach. Und jetzt: 10 Stunden und wenn der Wecker nicht klingelte, dann würde ich weiterschlafen. Komisch.
    Mein Leben findet im Moment nur zwischen Bett, Dusche, S-Bahn, Arbeit, S-Bahn, Bett statt. Ich esse kaum noch was, und wenn, dann jeden Tag das Gleiche: Reis mit Tomatenmark... Sehr abwechslungsreich...

    Naja, zwei Wochen noch und dann habe ich mein erstes Gespräch. Ich bin auf dem richtigen Weg...
    Iffiegenie

    Zu dem Thema könnte ich auch Romane verfassen...
    Die "Guten" schieße ich nach ganz kurzer Zeit ab, ich kann keine Nähe zulassen, habe schnell das Gefühl, eingeengt zu werden.
    Ich suche mir - ich kann noch nicht mal mehr sagen "unbewußt", denn ich weiß es ja - immer die "Bekloppten" aus: einen hatte ich, dessen Vater war übergriffig, brutal, selbstsüchtig. Ob er Alkoholiker war, kann ich nicht einschätzen, aus heutiger Sicht würde ich aber "ja" sagen. Dort liefen die selben Geschichten ab, wie bei mir zu Hause. Das hat mich einerseits abgestoßen, andererseits war es sehr vertraut. Über meine eigene Vergangenheit habe ich nie geredet, ich habe immer nur schlaue Ratschläge an ihn erteilt. Als es dann ans Zusammenziehen ging, habe ich wochenlang Ausflüchte gesucht. Dann haben wir das doch in Angriff genommen und kurz vor dem Umzug (und damit meine ich wirklich kurz davor: ich habe schon nur noch aus Kisten und Koffern gelebt) hat er mir den Laufpass gegeben. Da hatte ich wieder meine Bestätigung, auf die ich eigentlich schon immer gelauert hatte: zu viel Nähe zulassen, heißt in jedem Fall enttäuscht zu werden. Mein Kindheitsmuster wurde bestätigt: Vertraue niemandem, sonst wirst Du bitter enttäuscht!!! Schien ja mal wieder zu stimmen...

    Später habe ich mich in einen Typen verliebt, der mitten in der Insolvenz steckte. Auch hier: schwieriges Verhältnis zu den Eltern. Die habe ich nie kennengelernt, die wohnen sehr weit weg. Und auch hier konnte ich wieder die Starke raushängen. Ist mir doch egal, ob Du Geld hast oder nicht, wenn Du was brauchst, sag´s einfach, ich bin verknallt in Dich, da ist mir alles andere egal... Dann kamen irgendwann die Vorwürfe von mir: "Warum meldest Du Dich so selten, erst läßt Du zu, dass ich mich in Dich verknalle und dann läßt Du mich am ausgestreckten Arm verhungern..." Dabei habe ich das eigentlich gar nicht so gefühlt. Ich bin sehr gern alleine. Und es nervt mich, wenn mich jemand oft sehen will, wenn er mir auf den Pelz rückt.
    Aber trotzdem: ich behaupte immer wieder, dass ich mich vernachlässigt fühle. Kommt dann aber einer, der mich nicht vernachlässigt, dann schicke ich ihn in die Wüste. Keine Ahnung warum.

    Ich will keine Nähe zulassen. Also suche ich mir Typen, die mich relativ schnell und relativ deutlich zurückweisen. Und bei denen bettle ich dann um Aufmerksamkeit.

    Selbstverständlich rede ich nie über meine Familiengeschichte. Das hieße ja, Schwäche zuzugeben und eine Angriffsfläche zu bieten: "Du bist so schief wegen Deiner Vergangenheit!" Never. Immer schön den Mantel des Schweigens drüber. Dabei mache ich mich mit meinem Gebettel um Zuneigung ja auch ganz klein und schwach und zwar auf eine Art, die noch wesentlich unangenehmer ist, als zu sagen "Hör mal, ich hab ein Problem, mein Alter hat gesoffen und geprügelt und ich bin von ihm nicht geliebt worden und musste um Zuneigung kämpfen und diese Muster nehme ich jetzt auch mit in die Beziehung..."

    Theoretisch ist mir also der Weg eigentlich völlig klar, aber trotzdem scheitere ich immer wieder an der praktischen Umsetzung.

    Aber ich habe auch jahrelang nicht gewusst, dass meine Kindheit tatsächlich immer noch solchen Einfluss auf mein Denken und Handeln hat. Das ist mir erst seit ein paar Tagen richtig klar und jetzt nehme ich das in Angriff. Und irgendwann wird´s mir auch wieder richtig gut gehen...

    Sorry, dass ich tatsächlich einen halben Roman geschrieben habe. Dabei würde mir die andere Hälfte auch noch aus den Fingern fließen, es gäbe zu dem Thema unendlich viel zu sagen.

    Iffiegenie

    Hallo Ihr,
    ich muss noch eine Weile warten, bis ich meinen ersten Termin beim Therapeuten habe.
    Bis dahin würde ich gern mal zu einer Selbsthilfegruppe gehen.
    Wie finde ich denn da eine?
    Gibt es eine "Stelle", vielleicht bei der Stadt oder beim Sozialen Dienst, die mir da Adressen geben könnte?
    Ich will auf keinen Fall eine kirchliche Gruppe, irgendwie habe ich da Vorbehalte, keine Ahnung, warum...
    Vielen Dank für Eure Tipps!
    Iffiegenie

    Ich bin völlig erschüttert, dass ich mich hier so wiederfinde.
    Habe jahrelang - bis jetzt eigentlich - nie gewußt, was mit mir los ist, dachte immer, ich bin einfach bissel wunderlich...

    Was mir an mir aufgefallen ist:
    - ich kann arbeiten bis zum Umfallen - habe scheinbar endlose Kraftreserven
    - ich schlafe sehr wenig (bin nach spätestens 5 Stunden munter)
    - ich verharmlose die Situation zu Hause ("War doch alles gar nicht so schlimm, es gibt Familien, in denen alles viel schlimmer war...")
    - ich kann mich auf Beziehungen mit "netten" Männern nicht einlassen, die langweilen mich schnell bzw. habe ich das Gefühl, die rücken mir auf den Pelz
    - ich vestecke mein kleines Selbstbewußtsein hinter Lautheit und Poltrigkeit, muss immer der Affe sein
    - ich habe zu meinem (Alki-) Vater schon seit 20 Jahren keinen Kontakt, will aber eigentlich von ihm mal hören, dass er mich lieb hat
    - ich werfe meiner (Nichtalki-) Mutter allerlei Dinge vor, obwohl die ja gar nicht gesoffen hat (aber: ihr kann ich nichts recht machen, ich bin fehlerhaft, das zieht sich durch alle Lebensbereiche - nur sie weiß, wie es richtig geht...)
    - ich lehne Zärtlichkeiten ab: wenn jemand "nur mal" mit mir kuscheln will, flippe ich aus, mache mich steif wie ein Brett, weise das auch zurück (sogar meinem Kind gegenüber, das arme Ding...)
    - ich kann mich schnell für Dinge begeistern, betreibe die dann kurze Zeit äußerst intensiv und verliere genauso schnell wieder das Interesse daran
    - mir wird oft gesagt, dass ich eine sehr hohe Allgemeinbildung habe, trotzdem fühle ich mich oft dumm (habe ein 1er-Abi, Jura studiert, trotzdem...)
    - ich schwindele oft, auch an Stellen, wo das ABSOLUT unnötig ist
    - ich kann nicht um Hilfe bitten
    - meine Wohnung ist mein Bunker, da darf niemand unangemeldet rein, nicht mal der Postbote

    Naja, ich könnte noch viel mehr schreiben, ich weiß nichtmal genau, ob das tatsächlich alles wegen meiner Alki-Kindheit so ist, aber es ist auf jeden Fall schön zu lesen, dass so viele Menschen ähnlich ticken wie ich und dass ich deswegen nicht schlecht bin.

    Viele Grüße!
    Iffiegenie

    Vielen Dank für Eure unfassbar lieben Antworten!!!

    Skye : genau das beschäftigt mich eben so:

    Zitat

    Es sei denn Du möchtest im Grunde Deines Herzens, dass sie von alleine darauf kommt und einsieht was sie falsch gemacht hat. Da kann es sein, dass Du vergeblich wartest.
    ...
    Wenn Du es tun willst, weil Du hoffst eine Einsicht von ihr zu bekommen o. ä. dann könnte der Schuss nach hinten losgehen und die erhoffte Erleichterung ausbleiben. Es ist jetzt schon so lange so wie es ist, vielleicht ergründest Du Deine Motive noch ein wenig.

    Ich befürchte tatsächlich, dass ich von meiner Mutter Einsichten will. Und die werde ich wahrscheinlich nie bekommen, weil sie gar nicht sieht, dass da irgendwas mit mir krumm gelaufen sein könnte. Ich weiß noch nicht mal, ob sie für sich selbst erkennt, dass was ganz falsch gelaufen ist.

    Ich wollte jedenfalls, dass sie weiß, dass ich nicht mehr mit ihr am Telefon reden will, dass es eine bewusste Entscheidung von mir war. Sie soll nicht denken, dass ich nicht zu Hause bin, wenn sie anruft und dann vergesse, zurückzurufen, wenn sie wieder einen so weinerlichen Spruch auf meinem Anrufbeantworter hinterläßt.
    Genutzt hat es nichts: vier Tage, nachdem ich ihr das Anrufverbot erteilt hatte, war sie wieder am Telefon...

    Also werde ich wohl erstmal alles so lassen und erstmal versuchen, meine eigene kleine Welt ins Lot zu bringen und dann kann ich mich darum kümmern, mich bei ihr über sie auszukotzen!

    Danke jedenfalls, dass Ihr meinen Wortschwall bis zum Ende gelesen habt und dass Ihr Euch auch noch Gedanken darüber macht. Das kenne ich nicht bisher!!!
    Iffiegenie

    Hallo,
    ich bin ganz neu hier und habe über die Suche nach einer Selbstdiagnose hier her gefunden.

    Mein Vater ist Alkoholiker.
    Ich bin mittlerweile 40, habe ein erwachsenes Kind.

    Ich habe selten bis nie über das geredet, was in meiner Kindheit passiert ist. Ich hielt das immer irgendwie für halbwegs normal: der Vater säuft halt immer mal, manchmal auch einen über den Durst.

    Aber diese ganzen kleinen Bausteine haben sich dann irgendwann mal zu einem Mosaik zusammengesetzt: er war von zwei Flaschen Bier besoffen und ich dachte immer, der verträgt halt nichts. Bis ich das erste Versteck entdeckt habe: dort hatte er eine Flasche Schnaps versteckt und hat das Bier mit Schnaps aufgefüllt. Im Laufe der Zeit kamen neue Verstecke zu Tage.

    Er wurde auch gewalttätig.

    Wir (meine Geschwister und ich) sind mit meiner Mutter mehrfach zu Hause abgehauen und haben Unterschlupf bei Verwandten gesucht. Dort hieß es dann immer, dass die Eltern gestritten hätten und er einen Denkzettel benötige.

    Was ich im Nachhinein besonders krass finde und nicht verstehe ist, dass meine Mutter immer wieder zu ihm zurückgegangen ist.

    Ich rede mit ihr nicht darüber. Aber ich werfe es ihr innerlich vor und bin unglaublich wütend auf sie.
    Unsere Gespräche schweben seit Jahren nur an der Oberfläche. Wir reden über Quatsch: über das Wetter, das Fernsehprogramm, Freizeitaktivitäten, die Arbeit. Wir haben uns seit 2 Jahren nicht gesehen, obwohl wir weniger als 100 km auseinander wohnen. Ich will sie nicht sehen und bin manchmal schon genervt, wenn sie anruft.

    Vor einigen Wochen gab es am Telefon einen Streit. Sie meinte, sie mache sich Sorgen um meine Schwester, weil die sich nicht bei ihr meldet. Ihr ginge es ganz schlecht (also der Schwester) und Mutter mache sich Sorgen um ihr Enkelkind. Da fiel mir dann ein, dass sie über mich und meine anderen Geschwister jeweils bei den anderen genau solche Sachen sagte, dass es uns allen schlecht gehe und sie das Gefühl habe, wir vernachlässigten unsere Kinder. Und dass es ihr doch als Mutter zustehe, sich Sorgen zu machen.

    Ich habe ihr gesagt, dass sie das ruhig machen soll, dass sie mich aber damit in Ruhe lassen soll. Dass sie von mir nichts über etwaige Probleme erfährt, weil sie in meinem Leben keine Rolle mehr spielt. Sie hat mir dann noch zwei, drei Dinge an den Kopf geknallt und dann aufgelegt.

    Eigentlich will ich ihr sagen, dass sie in meinen Augen überhaupt kein Recht hat, sich Sorgen um uns zu machen, weil sie das versäumt hat, als es nötig gewesen wäre. Allerdings traue ich mich nicht, dass tatsächlich auszudrücken. Obwohl ja nicht Schlimmeres passieren kann: ich hab ihr mitgeteilt, dass ich nicht mehr mit ihr reden will, dass sie mir, wenn es was zu sagen gibt, schreiben kann. Gut, sie ignoriert das und ruft trotzdem an und ich ärgere mich und gehe nicht ran. Aber ich meine, wenn ich es ihr sagen würde, ihr meine ganze Wut vor den Latz knallen würde, dann würde ja höchstens das passieren, dass sie nicht mehr mit mir reden will. Und dann wäre die Situation nicht anders als jetzt, also auch keinesfalls schlimmer. Trotzdem traue ich mich nicht und sie weiß also nicht, warum ich den Kontakt nicht will.

    Nebenbei: mit meinem Vater habe ich seit 20 Jahren so gut wie keinen Kontakt mehr. Er ruft ganz selten mal bei mir an, das letzte Mal vor etwa 2 Jahren.

    Was das Bekloppte ist: auf ihn bin ich nicht wütend. Ganz im Gegenteil: ganz tief drin will ich eigentlich mal von ihm hören, dass er mich lieb hat...

    Ich wußte nie, warum ich manchmal sehr komisch reagiere.
    Ich will sehr oft allein sein, will in Ruhe gelassen werden. Besuch habe ich sehr selten - ich will niemanden in meiner Wohnung haben. Dabei ist es nicht so, dass ich mich schämen müsste, aber dieses Gefühl habe ich (ein Freund von mir hat vermutet, dass es bei mir wie bei einem Messi aussähe und ich deshalb niemanden rein lasse.)

    Ich leide nicht an Kontaktarmut, bin viel unterwegs, habe Freunde und Bekannte. Die kommen nur nicht zu mir.
    Es würde auch nie jemand vermuten, dass es mir schlecht geht: ich mache ständig Witze, bin äußerst wortgewandt, erzähle andauernd Geschichten und Anekdoten, die andere zum Lachen bringen.
    Aber mir ist aufgefallen, dass ich diese Geschichten erzähle, damit ich nicht über mich reden muss.
    Ich bin oft die Kummerkastentante für andere, kann mich wunderbar in die Probleme von anderen rein denken - nur meine eigenen bleiben schön unter der Decke.

    Aber ganz knapp unter der Oberfläche brodelt es... Ich sah letztens eine (ganz schlechte) Reality-Doku. Zusammen mit meinem Kind. Da ging es um eine Familie, in der der Vater soff und die Mutter garstig zu den Kindern war. Ich habe angefangen zu heulen und konnte mich nicht mehr beruhigen. Mein Kind ist sehr erschrocken und das wiederum hat mir sehr leid getan.

    Ich arbeite sehr sehr viel. Meine Vorgesetzten und auch meine Kollegen wissen ganz genau, dass ich immer einspringe, wenn es nötig ist. Das wird auch manchmal ausgenutzt, weil im Gegenzug natürlich selten mal was kommt, wenn ich einen Ersatz brauche. Ich arbeite im Schnitt sechs Tage die Woche, manchmal auch wochenlang durch. So wie jetzt gerade: 16 Nachtschichten am Stück. Es scheint mir nichts auszumachen, ich habe enorme Kraftreserven...

    Ich bin seit 10 Jahren Single. Nicht, dass ich in dieser Zeit keine Männer kennengelernt hätte. Aber die, die nett und offen zu mir waren, die wollte ich nicht, die nervten mich schnell, rückten mir - gefühlt - zu sehr auf den Pelz.
    Und die anderen waren Kauze, die mich nicht an sich ranlassen wollten. Und bei denen habe ich gebettelt um Aufmerksamkeit, habe komische Dinge gemacht, um sie bei mir zu halten, habe denen vorgejammert, wie dolle ich in die verliebt sei und so weiter. Die waren dann meistens auch schnell weg, weil das fürchterlich ist. Ich finde das selber alles andere als souverän und angenehm, kann es aber nicht lassen, um Aufmerksamkeit zu betteln bei denen, von denen ich diese Aufmerksamkeit ganz offensichtlich nicht bekomme.

    Der Streit mit meiner Mutter vor einigen Wochen hat soviel hochgespült. Ich brauche eigentlich dringend Hilfe. Aber dann denke ich, dass ich doch so völlig ohne Symptome nicht zu einem Psychologen gehen kann. Was soll ich dem denn erzählen? "Ich habe mich mit meiner Mutti gestritten..." Der zeigt mir doch einen Vogel. Ich bin erwachsen und habe mein Leben im Griff, was soll ich also beim Therapeuten...

    Ich hatte für das alles lange keinen Namen. Ich wusste nicht, dass es so viele Menschen gibt, die auch Jahre nach dem Auszug zu Hause immer noch Probleme deswegen haben, weil ein Elternteil (oder beide) Alkoholiker sind. Wie gesagt: ich bin doch erwachsen und lange da raus und so schlimm war´s doch gar nicht. So kreisen meine Gedanken.

    Und ich kann heute noch nicht (oder nur selten) darüber reden, was zu Hause los war.
    Insofern bin ich froh, dass ich dieses Forum gefunden habe und mir mal - wenn auch relativ anonym - meinen Frust von der Leber schreiben kann!

    Das war ein ganz schön langes Stück, entschuldigt bitte!!!
    Iffiegenie

    PS.: Meine Form der Sucht? Ich rauch wie ein Schlot und das seit mehr als 25 Jahren.