Hallo,
ich bin ganz neu hier und habe über die Suche nach einer Selbstdiagnose hier her gefunden.
Mein Vater ist Alkoholiker.
Ich bin mittlerweile 40, habe ein erwachsenes Kind.
Ich habe selten bis nie über das geredet, was in meiner Kindheit passiert ist. Ich hielt das immer irgendwie für halbwegs normal: der Vater säuft halt immer mal, manchmal auch einen über den Durst.
Aber diese ganzen kleinen Bausteine haben sich dann irgendwann mal zu einem Mosaik zusammengesetzt: er war von zwei Flaschen Bier besoffen und ich dachte immer, der verträgt halt nichts. Bis ich das erste Versteck entdeckt habe: dort hatte er eine Flasche Schnaps versteckt und hat das Bier mit Schnaps aufgefüllt. Im Laufe der Zeit kamen neue Verstecke zu Tage.
Er wurde auch gewalttätig.
Wir (meine Geschwister und ich) sind mit meiner Mutter mehrfach zu Hause abgehauen und haben Unterschlupf bei Verwandten gesucht. Dort hieß es dann immer, dass die Eltern gestritten hätten und er einen Denkzettel benötige.
Was ich im Nachhinein besonders krass finde und nicht verstehe ist, dass meine Mutter immer wieder zu ihm zurückgegangen ist.
Ich rede mit ihr nicht darüber. Aber ich werfe es ihr innerlich vor und bin unglaublich wütend auf sie.
Unsere Gespräche schweben seit Jahren nur an der Oberfläche. Wir reden über Quatsch: über das Wetter, das Fernsehprogramm, Freizeitaktivitäten, die Arbeit. Wir haben uns seit 2 Jahren nicht gesehen, obwohl wir weniger als 100 km auseinander wohnen. Ich will sie nicht sehen und bin manchmal schon genervt, wenn sie anruft.
Vor einigen Wochen gab es am Telefon einen Streit. Sie meinte, sie mache sich Sorgen um meine Schwester, weil die sich nicht bei ihr meldet. Ihr ginge es ganz schlecht (also der Schwester) und Mutter mache sich Sorgen um ihr Enkelkind. Da fiel mir dann ein, dass sie über mich und meine anderen Geschwister jeweils bei den anderen genau solche Sachen sagte, dass es uns allen schlecht gehe und sie das Gefühl habe, wir vernachlässigten unsere Kinder. Und dass es ihr doch als Mutter zustehe, sich Sorgen zu machen.
Ich habe ihr gesagt, dass sie das ruhig machen soll, dass sie mich aber damit in Ruhe lassen soll. Dass sie von mir nichts über etwaige Probleme erfährt, weil sie in meinem Leben keine Rolle mehr spielt. Sie hat mir dann noch zwei, drei Dinge an den Kopf geknallt und dann aufgelegt.
Eigentlich will ich ihr sagen, dass sie in meinen Augen überhaupt kein Recht hat, sich Sorgen um uns zu machen, weil sie das versäumt hat, als es nötig gewesen wäre. Allerdings traue ich mich nicht, dass tatsächlich auszudrücken. Obwohl ja nicht Schlimmeres passieren kann: ich hab ihr mitgeteilt, dass ich nicht mehr mit ihr reden will, dass sie mir, wenn es was zu sagen gibt, schreiben kann. Gut, sie ignoriert das und ruft trotzdem an und ich ärgere mich und gehe nicht ran. Aber ich meine, wenn ich es ihr sagen würde, ihr meine ganze Wut vor den Latz knallen würde, dann würde ja höchstens das passieren, dass sie nicht mehr mit mir reden will. Und dann wäre die Situation nicht anders als jetzt, also auch keinesfalls schlimmer. Trotzdem traue ich mich nicht und sie weiß also nicht, warum ich den Kontakt nicht will.
Nebenbei: mit meinem Vater habe ich seit 20 Jahren so gut wie keinen Kontakt mehr. Er ruft ganz selten mal bei mir an, das letzte Mal vor etwa 2 Jahren.
Was das Bekloppte ist: auf ihn bin ich nicht wütend. Ganz im Gegenteil: ganz tief drin will ich eigentlich mal von ihm hören, dass er mich lieb hat...
Ich wußte nie, warum ich manchmal sehr komisch reagiere.
Ich will sehr oft allein sein, will in Ruhe gelassen werden. Besuch habe ich sehr selten - ich will niemanden in meiner Wohnung haben. Dabei ist es nicht so, dass ich mich schämen müsste, aber dieses Gefühl habe ich (ein Freund von mir hat vermutet, dass es bei mir wie bei einem Messi aussähe und ich deshalb niemanden rein lasse.)
Ich leide nicht an Kontaktarmut, bin viel unterwegs, habe Freunde und Bekannte. Die kommen nur nicht zu mir.
Es würde auch nie jemand vermuten, dass es mir schlecht geht: ich mache ständig Witze, bin äußerst wortgewandt, erzähle andauernd Geschichten und Anekdoten, die andere zum Lachen bringen.
Aber mir ist aufgefallen, dass ich diese Geschichten erzähle, damit ich nicht über mich reden muss.
Ich bin oft die Kummerkastentante für andere, kann mich wunderbar in die Probleme von anderen rein denken - nur meine eigenen bleiben schön unter der Decke.
Aber ganz knapp unter der Oberfläche brodelt es... Ich sah letztens eine (ganz schlechte) Reality-Doku. Zusammen mit meinem Kind. Da ging es um eine Familie, in der der Vater soff und die Mutter garstig zu den Kindern war. Ich habe angefangen zu heulen und konnte mich nicht mehr beruhigen. Mein Kind ist sehr erschrocken und das wiederum hat mir sehr leid getan.
Ich arbeite sehr sehr viel. Meine Vorgesetzten und auch meine Kollegen wissen ganz genau, dass ich immer einspringe, wenn es nötig ist. Das wird auch manchmal ausgenutzt, weil im Gegenzug natürlich selten mal was kommt, wenn ich einen Ersatz brauche. Ich arbeite im Schnitt sechs Tage die Woche, manchmal auch wochenlang durch. So wie jetzt gerade: 16 Nachtschichten am Stück. Es scheint mir nichts auszumachen, ich habe enorme Kraftreserven...
Ich bin seit 10 Jahren Single. Nicht, dass ich in dieser Zeit keine Männer kennengelernt hätte. Aber die, die nett und offen zu mir waren, die wollte ich nicht, die nervten mich schnell, rückten mir - gefühlt - zu sehr auf den Pelz.
Und die anderen waren Kauze, die mich nicht an sich ranlassen wollten. Und bei denen habe ich gebettelt um Aufmerksamkeit, habe komische Dinge gemacht, um sie bei mir zu halten, habe denen vorgejammert, wie dolle ich in die verliebt sei und so weiter. Die waren dann meistens auch schnell weg, weil das fürchterlich ist. Ich finde das selber alles andere als souverän und angenehm, kann es aber nicht lassen, um Aufmerksamkeit zu betteln bei denen, von denen ich diese Aufmerksamkeit ganz offensichtlich nicht bekomme.
Der Streit mit meiner Mutter vor einigen Wochen hat soviel hochgespült. Ich brauche eigentlich dringend Hilfe. Aber dann denke ich, dass ich doch so völlig ohne Symptome nicht zu einem Psychologen gehen kann. Was soll ich dem denn erzählen? "Ich habe mich mit meiner Mutti gestritten..." Der zeigt mir doch einen Vogel. Ich bin erwachsen und habe mein Leben im Griff, was soll ich also beim Therapeuten...
Ich hatte für das alles lange keinen Namen. Ich wusste nicht, dass es so viele Menschen gibt, die auch Jahre nach dem Auszug zu Hause immer noch Probleme deswegen haben, weil ein Elternteil (oder beide) Alkoholiker sind. Wie gesagt: ich bin doch erwachsen und lange da raus und so schlimm war´s doch gar nicht. So kreisen meine Gedanken.
Und ich kann heute noch nicht (oder nur selten) darüber reden, was zu Hause los war.
Insofern bin ich froh, dass ich dieses Forum gefunden habe und mir mal - wenn auch relativ anonym - meinen Frust von der Leber schreiben kann!
Das war ein ganz schön langes Stück, entschuldigt bitte!!!
Iffiegenie
PS.: Meine Form der Sucht? Ich rauch wie ein Schlot und das seit mehr als 25 Jahren.