Hallo Sireena,
herzlich willkommen hier in diesem Forum.
Wir haben ein Kind mit ähnlicher Doppeldiagnose, das getrunken und gekifft hat, abhängig war.
Heute lebt es in einer Einrichtung, trinkt nicht mehr, kifft nicht mehr, raucht nicht mehr und hat auch einen Betreuer. Damit ist das Kind jetzt nicht wieder geheilt, sondern das was gekifft wurde hat einiges zerstört und dafür gesorgt, dass anstelle der illegalen Drogen jetzt ärztlich verschriebene Hämmer ihren Dienst tun. Die verursachen neue Reaktionen, die wieder was Neues verursachen.
Das hört nie auf. Immer kommt etwas Neues, immer passiert etwas Neues.
Ich schreibe Dir dass als Angehöriger, als Ehemann der Mutter. Ich darf das heute nackt und klar von außen betrachten, dass was bei meiner Frau aufbricht, wenn etwas Neues passiert. Die Mutter und die Bindung zu einem Kind ist nochmals ganz anders als zu Geschwistern oder einem Partner, mehr als ich verstehen kann und heute nicht mehr verstehen will. Wenn etwas Neues passiert und die Gefühle, die Hormone passen nicht im Organismus, dann geht es ab in den Keller und da kannst du nichts dran tun, bis es wieder passt. Klar gibt es dafür Medizin, Heilmittel, Therapien, Hammerschläge auf den Hinterkopf, die machen das was im Menschen passiert nicht weg.
Zitat
„Dass ich einfach nicht sagen kann, rutsch mir den Buckel runter, hat wohl drei Gründe.
1) ich fühl mich schuldig, weil ich ihn nicht mit rausgeholt habe, als ich gegangen bin, sondern ihn mit diesem Mist einfach zurückgelassen habe
2) ich hab meiner Mum auf dem Totenbett versprochen, dass ich mich um ihn kümmere
3) Er ist nicht wie die typischen Junkies oder Alkoholiker, zumindest macht er nicht diesen Eindruck.
Es gibt dieses Gleichnis, wo sich das Mädchen um den kranken Vater kümmerte. Da kam, wie das so ist, ein Kerl und sie verliebte sich. Kerl ging nicht, weil Vater, Vater ging nicht mehr, weil Kerl. Zwischen den Stühlen wurde sie so von beiden Seiten zerdrückt, dass sie es nicht aushielt und sich das Leben nahm. In einer ähnlichen Situation befindet sich der Coabhängige. Er kann nicht loslassen und verbraucht sich, bis nichts mehr geht.
1) Hätte es nichts geändert, zumindest weiß das niemand. In unserem kranken Hirn bilden wir uns oft Dinge ein, die vollkommen überflüssig sind, uns aber ausreichend das geben, was uns gerade fehlt, z. B. Bestätigung für fehlenden Mut uns anders zu verhalten.
2) Das zieht und sitzt so tief, wie kein Stachel kommen kann. Treue, Ehre, Glaube, damit wurden Kriege geführt und unzählige Menschen haben sich aus so einem Grund gegenseitig aufgeschlitzt. Gut, bei Dir ist das etwas anderes, es ist Deine Mutter gewesen. Wo ist jetzt der Unterschied in dem v. g. Gleichnis, zwischen Dir und dem Mädchen? Was soll mit Dir passieren, wenn Du Dich dazu entscheidest, dass die Kümmerzeit rum ist?
3) Es gibt nicht den typischen Abhängigen, der existiert nur in unserem Kopf. Unser Kind möchte nichts mehr, als die Folgeschäden des Missbrauchs aus dem Hirn und Körper zu bekommen, gesund zu werden und das geht nicht, im Gegenteil, es kommt immer was Neues.
Grundvoraussetzung ist, dass Dein Bruder nicht mehr konsumiert. Sonst nimmt ihn keine Einrichtung. Gesund streicheln oder gesund kümmern geht immer auf Deine Kosten, bis da nichts mehr ist. Drei Gründe, die nichts ändern. Worauf also warten?
Zitat
„Ich war bei Selbsthilfegruppen für Alkoholiker und psychisch Kranke, bei ner psychologischen Beratung... aber i.d.R. kommen die Menschen schnell an ihre Grenzen, weil ihnen entweder zum einen oder zum anderen Aspekt die Erfahrung fehlt.“
Mit Betreuern und Ärzten ist es so: sie tun das, was sie glauben was richtig ist. Das hat eine große und oft auch eingeschränkte Bandbreite und da neigt der Angehörige gerne dazu, sich viel tiefergehendes Wissen anzueignen und die Welt verändern zu wollen. Was glaubst Du, was wir Angehörige alles wissen. Wir wissen alles über Alkohol, die Krankheit, was der Abhängige wie tun muss um gesund zu werden, wie es im Abhängigen aussieht und wie alles gut wird.
Das funktioniert nicht und ist fehlgeleitete Lebensenergie, die an anderer Stelle fehlen wird.
Bei einer Doppeldiagnose kommt nochmals eine Etage obendrauf die so hoch ist, das Du ganz oben in dicken undurchsichtigen Wolken bist. Es gibt da überhaupt nichts mehr zu verstehen.
Wenn ein Betreuer da ist und der ist ja dafür da, dass Du den Kopf frei bekommst, dann ist es ja nicht besonders förderlich, wenn Du alles hinterfragst oder infrage stellst, was ein Betreuer entscheidet oder Arzt anordnet. Das ist das, was der Coabhängig besonders gut kann: den Kopf in den Abhängigen und jetzt noch in den Betreuer, den Arzt, in Medikamentationen, in immer was Neues stecken.
Es geht darum, den Kopf für sich freizubekommen, das eigene Hirn zu heilen, das Vergangene aufzuarbeiten, neue Weichen zu stellen und sich nicht laufend selbst mit neuen Querschlägern zu blockieren.
Eine Selbsthilfegruppe kommt von sich selbst helfen. Heilung erfolgt nicht nach Abrechnungstarifen und Sprechminuten, dahinter stehen oft unbezahlbare Sprechjahre, Gedanken die irgendwann eine Veränderung hervorgerufen haben, für andere unbedeutende Kleinigkeiten, die plötzlich etwas bewirken, die uns lernen anders mit den Situationen umzugehen.
Saufen, Drogen, paranoide Schizophrenie, da hast Du Dir große Brocken aufgetragen, zumal Du einen Bruder nicht einfach austauschen kannst, wie einen saufenden Partner.
Eine Selbsthilfegruppe kann Dir im Kern wenig helfen, solange es nicht um Dich geht, nur um Dich, nicht um Deinen Bruder, nicht um dessen Krankheiten. Alles was wichtig ist um Deinen Weg zu finden steht hier in den Forenzeilen. Vielleicht nicht so, wie Du es gerne wünschst. Wenn Du eine praktische Anleitung zum Trockenlegen und Glücklichsein suchst, die gibt es nicht.
Wenn Du aufhörst etwas zu suchen, was es so nicht gibt, dann wird sich einiges für Dich ändern.
Deine Frage war: Kontakt halten oder nicht? Die Frage ist, wie starkt Du Dich da rein hängst, einnehmen läßt, Grenzen ziehen kannst und selbst damit klar kommst.
LG Kaltblut