Mein Kollege und ich haben zum Glück keine Konkurrezsituation. Wir sitzen nebeneinander, arbeiten an den gleichen Projekten, aber an ganz anderen Themen. Er hat ein technisches Studium, ich ein kaufmännisches, keiner von uns könnte die Arbeit des andren machen. So fällt dieses Problem wenigsten weg.
Normalerweise gelingt es mir prima, Beruf und Privatleben zu trennen. In diesem Fall hat es sich über die letzten Jahre eben entwickelt, dass wir immer öfter auch die Pausen zusammen verbracht haben und dann kommt man ins Gespräch. Irgendwie wurde er für mich so eine Art Vorbild. Egal was in anderen Abteilungen für Mist gebaut wurde, wo ich manchmal kurz vorm Explodieren bin kommt von ihm nie ein lautes Wort. Geduldig wird da gewartet bis beim 17. Versuch vielleicht mal alles richtig bei uns ankommt, der Rest wird vielleicht sogar heimlich selbst korrigiert. Lästern kommt ebenfalls kaum in Frage. Außerdem ist er seit 20 Jahren verheiratet und was er da erzählte klang immer so harmonisch und einfach.
Eigentlich so ein Mensch, wie man selbst gern sein möchte. Immer nett und fair, selbstbewusst, bei allen beliebt und mit sich und seiner Situation zufrieden. Ich glaube ich wollte das lernen, gerade in einer Phase in der meine Beziehung praktisch nicht mehr exisitierte, ich einfach nur unglücklich war und dazu neigte, überzogen zu reagieren, wenn irgendetwas schief lief. Ich konnte mir jeden Tag ansehen, dass es eben doch geht diese Zufriedenheit zu erreichen, und das gab mir Hoffnung.
Mir fehlt das einfach. Oder habe ich auch Angst, dass dieses Idealbild, das ich immer angestrebt habe, nicht der richtige Weg ist? Wenn man sich immer vorbildlich verhält, sich immer perfekt im Griff hat, muss man seine wirklichen Gefühle dann zwangsläufug "runterschlucken"? Oder waren seine Ansprüche an sich selbst einfach zu hoch um vor sich selbst noch bestehen zu können? Dann befinde ich mich auf einem sehr ähnlichen Weg.
Mir liegt weniger daran, dass mein Kollege aufhört zu trinken. Das ist sein Problem. Ich suche für mich einen Weg, damit umzugehen. Und egal was ich mache oder nicht mache, es fällt etwas weg, das mir Halt und Hoffnung gegeben hat. Oder habe ich aufgehört jemand anderen zu idealisieren, weil ich jetzt soweit bin, wieder selbst an mir und meiner Zufriedenheit zu arbeiten?
Die "Sozialphobie" hatte ich schon vor der Alkoholkrankheit meines Mannes. Wahrscheinlich schon immer, aber so extrem erst, seit vor etwa 10 Jahren meine beste Freundin gestorben ist. Mein jüngerer Bruder hat ähnliche Probleme, ist aber in Therapie. Unsere Mutter hatte Depressionen und Panikattaken und meiner Meinung nach hat sie mich immer wieder emotional erpresst. "Wenn ich Dir nicht so egal wäre hättest Du..." "Weil Du den Müll nicht runter gebracht hast geht es mir jetzt so...". Wahrscheinlich bin ich da schon abgestumpft.
Mit dem Tod meiner Freundin habe ich dann leider nicht nur sie verloren. Da wir so eng befreundet waren wusste keiner, was er sagen sollte, wie er mit mir umgehen sollte. Nachdem sonst täglich das Telefon klingelte kam dann fast drei Monate lang kein einziger Anruf. Heute habe ich dafür irgendwie Verständnis, habe mich mit manchen auch ausgesprochen, aber damals war ich sowieso schon ziemlich fertig und habe dann alle Kontakte abgebrochen.
Nach ein paar Wochen Elend und Heulen bin ich aus dem Bett gekrabbelt und hatte gelernt, dass ich das alleine geschafft habe. Ich brauche niemanden. Und ich wollte auch niemanden mehr verlieren.