Also je mehr ich mich mit den Erfahrungen anderer beschäftige, die Geschichten hier lese, desto besser glaube ich meine Situation einschätzen zu können.
Nach nun einigen Wochen hier… ein paar Gedanken:
1.Viele Muster der Alkoholkrankheit, die hier beschrieben wurden, kommen mir von früher bekannt vor. Ich lese die Geschichten der Co, vergleiche sie mit der Situation von damals, lese die Ratschläge, und denke, ja, manches war damals bei mir genauso. Ich war nicht am Ende, als ich ging. Ich hätte noch Kraft gehabt. Aber auch jahrelange Versuche von Freunden, mich davon zu überzeugen, dass es keine Hoffnung gäbe, sind an mir abgeprallt. Und dann hab ich aufgegeben, kapituliert. Ich bin gegangen, ohne den Ausdruck „Co-Abhängiger“ je gehört zu haben. Ich hatte eingesehen, ich kann hier nichts mehr machen. Das war richtig. Und wäre ich damals bereits hier gewesen, hätte ich wohl das gleiche „geraten“ bekommen, bzw jeder hätte wohl diesen Schritt für gut geheißen. Bis auf XY und seine Familie haben wohl auch alle aufgeatmet, als ich ging. Mit einem nassen Alkoholiker ist es auf Dauer nicht möglich glücklich zu werden.
2.Co-abhängiges Verhalten ist anscheinend meistens gelernt, Vorbilder, Erziehung, Rollenbild, etc. Da frag ich mich doch, wo zur Hölle hab ich das gelernt??? In meiner Familie gab es kein süchtiges Verhalten. Mein Vater arbeitet für einen Verein der Suchtgefährdetenhilfe, vertraglich (als Vorbild) seit meiner frühsten Kindheit abstinent. Meine Eltern haben nie getrunken(also meine Mutter trinkt jetzt auch schon ma n Glas Wein) oder geraucht oder andere Drogen genommen, es wurde aber auch nichts verteufelt. Wir haben ein gutes herzliches Verhältnis in der Familie, wir gehen offen mit Problemen um, sprechen miteinander. Ich bin zur Selbstständigkeit erzogen worden, wusste aber immer, dass ich Unterstützung erhalte, wenn ich sie nötig hätte. Ich habe früh gelernt um Hilfe zu bitten und kann diese auch annehmen. Ich habe die Träume, die ich hatte, immer gelebt und mir ein Leben aufgebaut. Ich liebe meinen Job und bin sehr glücklich mit ihm. Man würde mich im allgemeinen als eine selbstbewusste Frau bezeichnen, ich kenne meine Stärken und meine Schwächen. Ich habe einen großen Freundeskreis, langjährige Freunde, seit 10, 20, 25 Jahren, lerne aber auch immer wieder gerne neue Leute kennen.
Ich habe tatsächlich in meinen weiteren Freundeskreis, also nicht die engsten Freunde, einige dabei, die zumindest phasenweise Alkoholmissbrauch betreiben bzw betrieben haben, die meisten in ihren frühen 20ern, oft nach einer Trennung oder dergleichen. Aber wie ich finde nicht im außergewöhnlichem Maße, bzw. mehr als in anderen Kreisen auch. Trotzdem ist Alkohol schon irgendwie normal bei uns am Land.
Ich kenne, durch die Arbeit meines Vaters, einige abstinente Alkoholiker, die jedoch alle viel älter sind als ich. Mit ihnen habe ich persönlich nie wirklich über ihre Sucht gesprochen. Trotzdem war mir seit jeher bewusst, dass es Alkoholismus gibt und Alkoholiker auch nicht nur Penner unter der Brücke sind. Vielleicht ein Reizthema?
Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich 15 war, ich bin mit meiner Mutter ausgezogen. Meine Mutter hat lange nicht aufgegeben, jahrelange Ehetherapien. Als meine Mutter aufgab, war ich der Meinung, sie hätte früher gehen sollen, ich wollte sowas nie machen. Heute weiß ich natürlich, dass man nach sovielen Jahren, 3 Kindern und sicher auch einer gewissen finanziellen Abhängigkeit, erst geht, wenn man der Überzeugung ist, alles versucht zu haben. Aber das Scheitern der Ehe meiner Eltern hat auch nichts mit Drogen, Süchten oder psychischen Störungen oder Gewalt zu tun. Trotzdem vielleicht ein Vorbild, lieber auszuhalten, nicht einfach „wegzulaufen“, erst alles probieren zu wollen? Hm.
Meine einzige logische Erklärung hat allerdings überhaupt nichts mit lernen oder Vorbild zu tun, sondern ist die Tatsache, dass ich einen unglaublichen Dickkopf habe. Schon immer! Wenn ich was wollte, dann konnte ich schon immer sehr stur sein. Je mehr mir jemand sagt, ich könnte etwas nicht, desto mehr ist das immer ein Ansporn gewesen, es doch zu schaffen. Allerdings muss ich sagen ist das die letzten 10 Jahre deutlich „besser“ geworden. Verloren ist nur das, was du aufgibst! War mein Lebensmotto. Jedoch habe ich gelernt, da bei Menschen eine Ausnahme zu machen. Es fällt niemanden leicht Menschen (Freunde, Partner) aus seinem Leben auszuschließen, weil sie einem nicht gut tun. Ich musste das allerdings bereits öfter tun und habe da auch kein schlechtes Gewissen mehr, da ich sowas natürlich nicht leichtfertig mache. Aber das musste ich sicherlich auch erst lernen. Vielleicht war ich auch schlicht und ergreifend zu jung, um das damals direkt zu checken.
Also ich erkenne jedenfalls bei mir kein eindeutiges Muster (wie andere hier bei einigen Co) und bin deswegen der Überzeugung: Co-Abhängig kann jeder werden, es gibt keinen Charakter oder Lebenslauf, der solches Verhalten nun mal von Grund auf nicht hergibt. Allerdings bin ich auch der Überzeugung: Ist/war man Co-Abhängiger muss man das nicht bleiben. Ist man nicht co-abhängig, kann man es irgendwann werden, wenn man nicht aufpasst.
Allerdings glaube ich nicht, dass die Co-Abhängigkeit wie die Alkoholabhängigkeit chronisch sein muss, sondern dass man sie überwinden kann. Die Gefahr ist allerdings riesig in alte Muster zu rutschen, deswegen bin ich hier.