Rückfall nach sehr langer Zeit

  • Moin Jörg,

    also ich bin da immer sehr skeptisch, wenn ich die Menschen nicht persönlich kenne und den Wahrheitsgehalt nicht prüfen kann.

    Ich habe es schon öfters erlebt, dass Leute behauptet haben, x Jahre trocken gewesen zu sein, und durch Zufall (um 1000 Ecken) ist heraus gekommen, dass diese schon wieder einige Jahre gelegentlich getrunken haben. Ich will damit diese Leute nicht generell der Lüge bezichtigen, sie haben sich aber in einer Hoffnung des kontrollierten Trinkens wieder einmal vorgemacht, nicht süchtig zu sein und das wiederkehrende Trinkverhalten herunter gespielt, wie wir es alle kennen.
    Und Trockensein heißt nun einmal gänzlich abstinent zu leben.

    Wenn natürlich Menschen nach langer Zeit wirklich von einem auf den anderen Tag rückfällig werden, gibt mir das auch viel zu denken und stimmt mich für denjenigen traurig.
    Du musst deinem Weg wirklich immer treu bleiben und darfst nie glauben, immun gegen Alkohol zu sein.

    Gruß, Freund.

  • Hallo,

    ein Leben lang Alkoholiker sein, bedeutet eben in meiner Vorstellung auch, dass der Stoff, der weiterhin seinen festen Platz und einen hohen Stellenwert in unserer Kultur hat, mich jederzeit wieder fest in seiner Gewalt hat, wenn ich es zulasse. Das bedeutet für mich jeden Tag bewußt zu Leben. Bewußt heißt damit, in dem Bewußtsein Alkoholikerin zu sein.

    Das macht mir im Gegensatz zu früher keine angst mehr. Ich glaube, auch hier ist eine gewisse Gelassenheit (keine Überheblichkeit!) angebracht, um sich von diesem Wissen nicht erdrücken zu lassen.

    Bei aller Auseinandersetzung mit seiner Sucht, nicht vergessen zu leben. Nicht ständig geduckt und vorsichtig schleichend durch das Leben, sondern fröhlich und zuversichtlich. Nicht davon ausgehen, dass man rückfällig werden kann, sondern auf sich vertrauend in der täglichen Auseinandersetzung mit sich selbst, diese Anzeichen zu erkennen, die einem Rückfall vorausgehen.

    Vielleicht denke ich damit ein wenig zu naiv. Doch das ist mein Umgang mit meiner Erkrankung, der mir bisher immer geholfen hat.

    Ich kenne eben auch einen Betroffenen, der nach einem 25 (!!!!!!) jährigen trockenen Leben rückfällig wurde und aus der Konsequenz daraus noch mit 76 Jahren eine stationäre Langzeittherapie machte.

    Oder die 54jährige Frau, die nach 9 Jahren trockenem Leben abends eine Flasche Wodka austrank und nachdem sie am nächsten Morgen wieder zu sich kam, sofort und ohne zögern in ein Krankenhaus in die Entgiftigung ging, um ihr trockenes Leben weiter fortzusetzen.

    Das sind Beispiele, an denen ich mich festhalte. Das Wissen darum, macht mich zuversichtlich, doch trotzdem verschließe ich nicht die Augen, wenn ich von den von Euch oben beschriebenen höre oder lese. Es bestätigt leider auf erschreckende Weise, dass es sich bei Alkoholismus um eine heimtückische lebensgefährliche Krankheit handelt. Es geht um Leben oder Tod und nicht um trinken oder nicht trinken.

    Alkoholikerin zu sein, ist kein Spiel, ob man trocken bleiben kann oder nicht. Keine Wette, die man mit sich selbst abschließt. Es ist irgendwie mein Leben, zu dem es keine Alternative mehr geben kann.

    lg
    Teufelchen

  • Moin,

    in meinem Verwandtenkreis befindet sich auch ein Betroffener, der nach 10 Jahren Trockenheit wieder begonnen hat zu trinken. Leider habe ich zu ihm keinen Kontakt mehr und kann daher auch seine Beweggründe nicht erfragen (er würde sich auch nicht öffnen).
    Er trank früher gut 1 Flasche Whiskey am Tag, kam dann aufgrund einer alltäglichen OP ins Krankenhaus und fiel dort ins Delir. Er hat nach dem Krankenhausaufenthalt von einem Tag auf den anderen mit dem Alkohol Schluß gemacht. Entgegen Raten der Ärzte und Psychologen hat er keinerlei Therapie- oder andere Hilfsmaßnahmen in Anspruch genommen. Diese gaben ihm damals daher nicht viele Chancen auf ein trockenes Leben. Aber es gibt eben auch Sonderfälle. Durch seine beruflichen Aufgaben, später Frau und Familie und eigener „Arbeit“ hat er wie gesagt sich vom Alkohol gänzlich gelöst. 10 Jahre war er trocken. Später folgte noch ein erfolgreiches Medizinstudium. Und dann schlich sich der Alkohol wieder in sein Leben. Mal ein Bier hier, und mal ein Bier da. Heute ist die Flasche Whiskey wieder sein Freund. Die Konsummengen kenne ich zwar nicht, aber als er mir einmal gegenüber stand, roch ich diesen Alkohol nicht aus seinem Mund, sondern aus seinen Poren. Und das sagt für mich als Betroffener alles, wenn ihr wisst, was ich meine. Ich kann mir diese Entwicklung zurück zum Alkohol nur vorstellen, dass man eben nach einer gewissen Zeitspanne eine Überheblichkeit entwickelt, meint man hat alles im Griff. Man sei gesund. Und man hat die Vergangenheit vergessen. Und es muss sich schleichend wieder ein Gefühl der Entbehrung entwickeln. Und der Alkohol lockt in unserer Gesellschaft überall. Und weil man sich so stark fühlt, denkt man, man könne ja „kontrolliert“ mal ein Glas trinken. Und das klappt ja auch vielleicht. Aber die Abstände des Trinkens werden kürzer und die Anzahl der Gläser größer. Und das ist ein schleichender Prozess.

    Gruß, Freund.

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