Die Tage sind so lang......

  • Hallo, ich finde die Tage sind soooo lang ohne den Feind Alkohol, aber umso intensiver. Wie konnte ich mich bloß jahrelang von so einem Nebel umgeben? Den Herbst in diesem Jahr werde ich so richtig bewusst genießen- war heute morgen schon um 8.30 im Garten- der Tau- die Stille- alles schläft noch..........
    Allerdings ist es sehr anstrengend die freien Tage und die Abende zu gestalten ohne das Langeweile aufkommt und Langeweile ist im Moment mein größtes Problem.Mache ja schon einiges-muss mich erst mal wieder ganz neu organisieren- ging früher vor dem Alkohol ja auch. Plötzlich wieder auf der Matte- mitten im Alltagsleben zu stehen- als wäre man jahrelang auf einer einsamen Insel gewesen- allein mit einer Flasche.

    Versuche jetzt ersteinmal nach und nach meinen damals sehr großen Bekanntenkreis wieder zu kontaktieren. Aber behutsam- von Vielen weiss ich garnichts konkretes mehr- ob sie sich wohl noch an mich erinnern ?

    Denke auch viel über Dinge nach, die ich in meiner Trinkerzeit verbockt habe- diese ganzen negativen Episoden und wenn sie noch so klein sind, kommen plötzlich alle wieder in mein Gedächtnis und ich schäme mich so dafür. Sollte man diese Dinge alle kundtun oder nur für sich selbst verarbeiten, bzw. konservieren- so als Mahnmal ?
    Die schönen Jahre zwischen 35 und 48 - habe ich mir selbst genommen- ich bin jetzt wieder da und manchmal erschrocken- wo war ich nur die ganze Zeit? Was habe ich gemacht? Ich kann es streckenweise nachvollziehen- habe immer Tagebuch geschrieben- Eckdaten sind vorhanden- z.B. wusste ich nicht mehr was oder wer Weihnachten 2003 hier war und wo es stattgefunden hatte ? Also nachgeschaut-ich war tatsächlich am Heiligenabend allein- meine Tochter war zu meinen Eltern geflüchtet. Hat mich das damals überhaupt interessiert ?
    Oh Gott, was habe ich für ein armseliges Leben geführt- irgendwann hat keiner mehr die Stirn gerunzelt- mich getröstet oder belehren wollen es doch anzugehn- den Versuch zu machen mit dem Trinken aufzuhören- sie haben mich mit mir und dem Alkohol allein gelassen .
    So, das hat mir gutgetan.
    Vielen Dank fürs Zuhören Claudi

  • Hallo Claudi,

    ich kann deine Worte sehr gut nachvollziehen.
    Die Tage sind zwar nicht länger geworden aber früher waren sie für uns viel kürzer.
    Ich schaffte es gerade noch in den Feierabend und dann war der Tag beim Bier eigentlich schon beendet. Gedanken um sinnvolle Aktivitäten oder Freizeit musste ich mir gar nicht machen. Ich wäre dazu eh nicht in der Lage gewesen.

    Wie oft wachte ich morgens auf und wusste nicht, welcher Tag ist, weil ich mir den Tag davor komplett ausradiert hatte. An meinen freien Tagen trank ich oft schon morgens. Mittags legte ich mich hin um dann noch mal gas geben zu können. Diese Tage habe ich in der Tat verloren. Leider sind aus den Tagen bei mir über 20 Jahre geworden.

    Andererseits hätte ich die langen Tage mit meiner damaligen Lebenseinstellung eh nicht sinnvoll füllen können. Das sah ich in den 4 Jahren Trockenheit. Ich VERtrocknete nämlich.

    Zwar trank ich keinen Alkohol mehr aber an meinem Leben hatte ich nicht wirklich etwas geändert. Oft hatten Nichtalkoholiker mir gesagt „Hör auf zu trinken. Dann wird alles anders und besser“
    Der Spruch stimmt nur zum Teil und soll Mut machen aufzuhören. Danach MUSS man ihn vergessen. Es wird nicht alles automatisch anders.

    Man hat nur wieder die Energie, es anders zu machen. Die Probleme die ich mir vorher in die Bewusstlosigkeit gesoffen hatte, waren natürlich nach wie vor da.
    Und noch schlimmer, ich sah sie plötzlich in ihrer ganzen Bedrohlichkeit. Sah, dass ich nicht am Abgrund stehe wie ich immer dachte sondern schon längst im freien Fall war. Schulden, fehlende soziale Kontakte, keine Krankenversicherung, keine Familie…ich sah ein Leben das in Trümmern lag.
    Mein erster, nüchterner Gedanke war „Warum tun sich das Menschen an? Wissen die nicht, dass man das Betäuben kann?“

    Dann begann ich Teile meiner Probleme aufzuarbeiten. Es war sehr anstrengend und oft schmerzhaft.
    Aber es funktionierte.

    Nur da waren diese langen Tage. Und ich konnte sie nicht mit Leben füllen. In mir entwickelte sich eine Leere, die wohl schon immer da war, nur mein Todfeind Alkohol füllte sie.
    Nach 4 Jahren Trockenheit begann ich wieder zu trinken. Ich hatte meine Sucht zwar immer im Kopf und kannte die Konsequenzen. Nur in diesem Moment dachte ich wirklich „Alles ist besser als das hier..“

    Heute, da ich wieder Tage zähle und ich zähle sie wirklich gerne, bin ich sicher:
    Wer nur trocken wird, vertrocknet!

    Es ist unsere Aufgabe sobald wir es wieder können, unserem Leben einen neuen Sinn zu geben. Der, der uns über viele Jahre unsere Zeit genommen hat ist nicht mehr da. Aber er lauert darauf, dass wir vereinsamen, uns langweilen und überflüssig vorkommen. Dann wird er uns die Hand reichen und es geht weiter.
    Ich habe in den letzten Tagen hier im Forum unheimlich viel gelernt. In einer realen SGH mit Wochenmeeting, wie ich sie früher besucht habe, hätte es Jahre gedauert. Alleine die Erkenntnis, dass es so viele Geschichten um den Teufel Alkohol gibt, die alle auf das gleiche hinaus laufen.
    Ich lese Beiträge aus den co Bereichen und bin froh, kein co zu sein. Ich konnte es steuern. Ich hatte die Chance aufzuhören. Meine wenigen Angehörigen und Freunde konnten nur zusehen oder sich distanzieren, wenn sie den Schmerz nicht mehr ertragen haben.
    Gott sei dank haben sie das getan. Der Gedanke auch andere Leben ruiniert zu haben, würde mich zerbrechen lassen.

    Ich werde mich Heute und in Zukunft bewusst jeden Tag mit meiner Krankheit und den Folgen auseinandersetzen. Hier habe ich eine wunderbare Plattform dafür.
    Ich werde nicht nach einigen Jahren verdrängen und vergessen. Nur so kann und werde ich und viele andere hier es schaffen.

    Schon nach den ersten Tagen meiner Trockenheit schrieben mir Menschen aus dem Forum, dass meine Geschichte Mut macht. Mut den einzig richtigen Weg zu gehen. Dauerhafte Abstinenz. Ich war baff. Mein verkorkstes Leben hilft anderen? Dann würde sich der Kreis des „warum ausgerechnet ich?“ schließen.

    Und so sehe ich es heute. Ich werde aus meiner Not eine Tugend machen. In meinen Schwächen meine Stärken sehen. Karsten geht diesen wunderbaren Weg seit vielen Jahren. Er findet Anerkennung und seinen inneren Frieden darin.
    Und alleine mit dieser Tätigkeit werden die Tage schon wieder nicht ganz so lang.

    Liebe Claudi, ich bin sehr dankbar dass ihr mir diesen Weg gezeigt habt.

    Ich wünsche dir und allen anderen hier einen schönen Sonntag und natürlich trockene, 24 Stunden

    Euer Michael

  • Hallo Katerlukas, ja-ich bin auch froh, das ich dieses Forum gefunden habe.Wem sonst könnte ich rund um die Uhr und ganz besonders dann wenn man sich elend fühlt ,sein Herz ausschütten. Mittlerweile sind mir einige schon richtig ans Herz gewachsen-unter anderem auch Du. Würde gerne wissen wer sich hinter diesen Zeilen verbirgt( Dein Aussehen,Deine Wohnung-Dein Beruf(was Du machst weisst ich ja schon und das Du in Frankfurt wohnst). Die liebe Eveline, die an der See lebt-beneidenswert, Maria, Dorothea, etc.
    Ich jedenfalls komme aus der Rattenfängerstadt. Weißt Du wie sie heißt und wo sie ist?
    Ja, wir müssen ein neues Leben mit Leben erfüllen- bei mir geht das sehr zaghaft-auf jeden Fall mische ich mich wieder unter Menschen.
    LG Claudi
    Kannst Du mir vielleicht sagen, wie man schnell die 1. Vorstellung eines Teilnehmers im Forum findet?

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!