Hallo Charlotte,
danke für Deine Antwort, das hatte ich mir fast gedacht.
Was momentan für mich so schwer ist, ist zu akzeptieren, daß der Mensch vor mir nicht mehr mit dem Bild meiner Mutter übereinstimmt.
Die zunehmende Vergesslichkeit habe ich vor 5 Jahren festgestellt.
Da ihre Blutwerte immer okay waren, ging ich von dementiellen Störungen aus. Ihr Hausarzt, ein Internist, wollte sie schon zum damaligen Zeitpunkt zu einem Neurologen und Psychologen schicken, um abzuklären, ob eine Altersdepression oder Demenz vorliegt. Sie hat sich dem immer verweigert. Sie brauche keine Hilfe, sie wisse, daß sie "ein bißchen vergesslich" ist, sie will nicht die alten Kamellen aufwärmen. Ja, ich habe auf sie eingeredet wie auf einen kranken Gaul....
Im letzten November hatte ich sie dann endlich so weit. Ihre Verwirrtheitszustände nahmen immer mehr zu. Dann war sie gestürzt und wurde mit 2 Promille in ein Krankenhaus eingeliefert. Sie ließ sich aber gleich von ihrem Freund abholen. "Sie hat so gegreint, das kann ich nicht sehen". Und sie hat ihr Ziel erreicht. Zwei Stunden später stand sie vor dem Spiegel und wunderte sich, wo die Blutergüsse im Gesicht her kamen..... Keine Erinnerung mehr an Suff, Sturz und Krankenhaus.
In der Folge war sie beim Hausarzt und erstmals bei einer Neurologin. Da konnte ich aber nicht mit, ich mußte arbeiten. Eine genaue Diagnose sagte man mir nicht. Ihr Freund meinte, die Vergesslichkeit sei vom Alkohol und "das wird schon wieder, wenn sie ab jetzt nichts trinkt". Selbstverständlich berief sich der Hausarzt auf die ärztliche Schweigepflicht. Ich schwankte weiter in der Ungewissheit Alkohol/Demenz/Depression? Dazu ihr Untergewicht (167 cm groß, 42 kg damals), was ich auch für eine Mangelversorgung des Gehirns verantwortlich machte.
Und sie zeigte sich weiterhin beratungsresistent. Es ginge ihr gut, sie sei nur ein bißchen vergeßlich.
Ihr Freund lehnt fremde Hilfe ab, er wolle sich um sie kümmern. Wenn er nicht da sein könne, würde eine Nachbarin einspringen. Er verschätzt sich meiner Meinung nach völlig mit der Situation, will es vielleicht auch nicht erkennen. Er sieht nicht ein, daß meine Mutter Betreuung braucht, wenn er nicht da ist. Sie habe ihm doch versprochen, daß sie genügend ißt und keinen Alk mehr trinkt, wenn er nicht da ist. Wie weit das gilt, habe ich letzten Donnerstag gesehen....
Manchmal könnte ich nur schreien und frage mich, ob ich die einzige bin, die hier klar sieht.
Unnötig zu erwähnen, daß die Sorge und Ungewissheit um meine Mutter ein dicker Baustein meines Burn-out und meiner Nervenzusammenbrüche ist (zusammen mit einigen anderen Bausteinen). Ich zähle die Tage bis Mai, wenn ich endlich in eine REHA gehe.
Davon weiß meine Mutter nichts, im Anfangsstadium habe ich noch über meine Nervenzusammenbrüche erzählt, aber sie hatte es sofort vergessen. Und ihr Freund hat kein Gespür dafür.
Wenn es nach mir ginge, würde ich sofort eine Betreuung für sie beantragen. Ich befürchte aber auch, daß sie sobald sie woanders ist oder sie in eine gerichtliche Betreuung "gezwungen" wird, weglaufen wird. Oder sich vom Balkon stürzen wird (Suizid liegt in der Familie,eine Tante meiner Mutter, ihre Schwester und mein Bruder haben sich das Leben genommen). Egal, was passieren wird, ich werde als die Böse dargestellt. Den Schuh zieh ich mir aber nicht an....
Trotzdem bin ich so wütend über die Bockigkeit meiner Mutter, über die Lügen, die mir jahrelang aufgetischt wurden, daß ich das alles geglaubt habe, daß ich mich jetzt weiter in die Verantwortung drücken lasse. Und daß ich jetzt vor einem neuerlichen emotionalen Scherbenhaufen stehe.
Manchmal möchte ich einfach nur alles abbrechen, mich mit meinem Mann, meinem Pferd und meinem Hund beschäftigen und die Welt um mich rum einfach vergessen.
Gruß
Mada