Hallo in die Runde!
Ich wollte mal wieder Hallo sagen.
Ich bin nun seit knapp 2 Monaten aus der Therapie zurück. Im Moment besuche ich 1x Wöchentlich eine Nachsorge-Gruppe, zu der ich mich freiwillig gemeldet habe. Hauptgrund ist, daß dort Leute sitzen, die auch gerade eine LZT hinter sich haben und es ist immer sehr interessant, wie jeder für sich seine Trockenheit wahr nimmt und damit umgeht.
Bei mir ist der Alltag wieder eingekehrt. Mit allem, was dazu gehört:
- tägliche Routinen wie Einkaufen, putzen, Wäsche waschen etc.
- Arbeit
- Freizeitgestaltung
- Beziehungen
All dies ist ja nach wie vor vorhanden; ich war in Therapie, mein Alltag nicht.
Trotzdem hat sich vieles verändert. Schon während der Therapie hat sich klar herausgestellt, daß ohne konstruktive Veränderung eine Trockenheit nicht möglich ist. Was ich ja auch live miterleben durfte anhand von Mitpatienten, die meinten, nur Therapie und der Wille, trocken zu sein, reichen aus.
Die meisten davon waren kurz nach Ihrer Heimkehr wieder rückfällig, weil der "Sog des alten Musters" sie wieder im Griff hatte.
Was hat sich nun konkret in meinem Leben, meinem Alltag verändert?
Zum einen habe ich einen gewissen Grundrhythmus aus der Klinikzeit mit nach Hause genommen; das ist das Frühstücksritual.
Zwar nicht exakt nach Uhrzeit, aber einfach aus Prinzip, um einen Fixpunkt am Morgen zu haben. In meiner Saufzeit gab es so etwas überhaupt nicht mehr.
Regelmäßiger Sport hat sich jetzt so verfestigt, daß ich 3x/Woche ins Schwimmbad gehe und dort meine Bahnen ziehe. Mein Level liegt momentan bei 80 Bahnen a' 25m. Hört sich viel an, ist aber nur Ergebnis des Sportprogramms in der Klinik. Meine Kondition dort im August 2014 war katastrophal; bei Entlassung am 8.1.15 waren es u.a. eben diese Schwimmeinheiten.
Es ist für mich einfach ein schönes Geschenk, daß ich diese Möglichkeit wieder erarbeiten konnte. Wichtig für mich ist, daß ich sie mir selbst erarbeitet habe.
Nach der Therapie bin ich ja eine Zeitlang Tischtennis spielen gegangen und wollte dies auch beibehalten. Das scheitert aber an der simplen Tatsache meiner Dienste und das ich meistens an den Trainingsabenden dann Spätdienst habe. Aber das ist eben das normale Leben, welches bleiben wird.
Die Arbeit habe ich ja in sofern verändert, daß ich schon während der Therapie in Gesprächen mit meiner Chefin klarmachte, daß mein altes Arbeitslevel von mir nicht mehr tragbar ist. Und so bin ich in einen etwas ruhigeren Arbeitsbereich gewechselt.
Aber auch hier ist der Alltag geblieben wie vorher: Personalmangel in der Pflege!
Eine Sache war die Veränderung meines Arbeitsplatzes; die andere Veränderung ist nun der Umgang damit im Alltag.
Hier hat sich nun in den letzten Wochen eines herausgestellt: Ich musste die in der Therapie gelernte Abgrenzung nun in der Praxis anwenden!
Nicht einfach, sich abzugrenzen und auch mal nein zu sagen. Was mir dabei hilft, ist meine geänderte Grundhaltung mir gegenüber und mir gegenüber treu zu bleiben. Würde ich jetzt kippeln und wieder, wie vorher, zu allem Ja sagen, wäre ich schnell auf der alten Schiene.
Natürlich sage ich jetzt nicht vehement zu allem "Nein", das wäre auch die falsche Sichtweise. Aber ich habe gelernt, wenn Anforderungen an mich gestellt werden z.B. zu Diensten einzuspringen, daß ich mal kurz in mich gehe, "einen Schritt zurück trete", und dann nochmal drüber nachdenke.
Kleines Beispiel:
Ich war ja vorher Leitung einer großen Station und somit auch damit beauftragt, den Personaleinsatz zu managen.
Mittlerweile gibt es eine Nachfolgerin, die das macht. Diese hatte einen Dienstplan draussen, aus dem einige Unstimmigkeiten hervorgingen.
Ich war gerade 1 Woche im Dienst und die Kollegen machten mich darauf aufmerksam.
(Anm. typisches Verhalten der Kollegen, da sie mich nur in meiner Leitungsfunktion kennen und mich somit geich als Ansprechpartner sehen...)
Prompt bin ich darauf reingefallen und fing an, diese unklaren Dienste umzuorganisieren, damit es wieder passt. Habs auch ehrlich nicht gemerkt, auf welche Schiene ich da gerate und entsprechend hoch war auch meine Anspannung. Zum Glück hat meine Nachfolgerin dies flott bemerkt und mich darauf aufmerksam gemacht.
Mit netten Worten hat sie mich darauf hingewiesen, daß sie das nun regelt (wir hatten im Vorfeld unter 4 Augen schon eingehende Gespräche).
Abgrenzung: das ist gewissermassen mein persönliches Zauberwort geworden. Nicht mehr zuständig zu sein für alles, anderen den Vortritt lassen und auch mal Dinge hinnehmen, wie sie sind (Gruß an AA).
Im privaten Alltag ist die Veränderung insofern eingetreten, daß sich mein Tagesrhythmus etwas geändert hat. Ich bin öfters unterwegs, wichtig: Gerne unterwegs!!. Denn zu Saufzeiten war ich alkoholbedingt derart depressiv, daß ich das Haus zum Schluss kaum noch verlassen habe und schon der Gedanke an fremde Menschen in der Stadt etc. waren grauenhaft.
Natürlich ist auch hier das Grundmuster des Alltags geblieben. Aber ich spüre das Positive meiner veränderten Grundhaltung und das wirkt in den Alltag hinein.
Gestern hatte ich Nachtdienst, bin heute später aufgestanden und nachher wird erst mal Putzi gemacht. Das mache ich aber gerne und sehe es nicht, wie früher, als zwanghaftes Übel an.
Wenn ich das alles so überschaue, dann ist die Hauptveränderung diese, daß ich meine Haltung gegenüber mir verändert habe.
Ich habe eine Abstinenzentscheidung getroffen, an der ich lange gearbeitet habe. Einfach zu sagen: "Ich trinke den Rest meines Lebens keinen Alkohol mehr", war zu einfach. Deshalb ist daraus eben das "24 Stunden-System" entstanden, welches ich mir von AA abgeschaut habe.
Damit komme ich sehr gut klar, da dieser Zeitraum auch klarer und überschaubarer ist.
Weiterer wichtiger Punkt ist die Ehrlichkeit. Nicht nur anderen gegenüber, sondern zuerst mal sich selbst.
Ehrlich zu sein, wenn Schwierigkeiten auftreten und dann zuzugeben, daß man damit nicht alleine klar kommt. Oder ehrlich sagen zu können (z.B. auf der Arbeit) "das ist mir gerade zuviel.."
Zu Saufzeiten war ich niemals ehrlich mir gegenüber. Jedes Bier, jeden Jacky habe ich mir schöngeredet und mir selbst immer wieder eingeredet, das alles nicht so schlimm sei. Ständig habe ich mir etwas vorgemacht und mich mit meinen andauernden Ausflüchten (..nur noch heute...nächste Woche trinke ich weniger....andere sind schlimmer dran..) immer selbst verarscht.
Wenn ich darüber nachdenke, dann tut es weh, daß ich mich jahrelang selbst so gequält habe. Ich war immer der Meinung, ich tu mir was gutes mit Alkohol, entspanne mich damit, aber in Wirklichkeit habe ich mir damit dauernd nur mehr Schmerzen zugefügt.
Jetzt und Heute weiss ich, wie es sich anfühlt, wenn man sich was gutes tut. Wie es sich anfühlt, wenn man entspannt ist.
Und der Unterschied ist schon krass!
Ein wichtiger Veränderungspunkt ist die Tatsache, "bei sich selbst zu bleiben". Das durfte ich im Umgang mit AA ständig üben und ist mittlerweile ein gutes Hilfsmittel geworden.
Wir verfallen ja gerne bei Beschreibungen ins "man" oder "wir". Also immer wird "irgendjemand" oder "die anderen" beschrieben; meinen tun wir aber schon uns selbst.
Umso wichtiger ist es für mich, bei Beschreibungen meines Zustandes bei mir zu bleiben.
- Ich fühle mich heute...
- Ich möchte/möchte nicht
usw.
Das war auch ein schwerer Lernprozess und abgeschlossen ist er noch lange nicht. Ich ertappe mich oft genug dabei, ins "man" zu verfallen, finde dann aber schnell die "Stop-Taste" und kann gegensteuern.
Ansonsten geniesse ich meine Tage und meine Trockenheit. Ich merke, daß der Therapieaufenthalt in die Ferne rückt und ich mich langsam, aber sicher davon abnable. Was auch gut so ist. Genauso trage ich auch nicht dauernd und ständig den Gedanken an Trockenheit mit mir herum. Ich lebe meinen Alltag wie alle anderen auch.
Ja, es kehrt auch so etwas wie "Mittelmäßigkeit" in meinen Alltag ein. Ich brauche nicht mehr "das Beste-das Tollste-das Schönste". Aber es ist sehr entspannend, nicht mehr im Mittelpunkt stehen zu müssen. Vorher war ich gerne die "Nr.1" und habe mich regelmäßig mit Alkohol dafür belohnt.
Nee, brauche ich nicht mehr!
Aber:
Ich achte darauf, daß mein Ziel der Trockenheit weiter präsent bleibt. Fatal wäre es, wenn irgendwann der Pinkt erreicht wäre, wo ich das vollkommen vergesse oder verdränge. Der Schritt bis zum "...ging doch gut, also kannste auch was trinken..." wäre nicht mehr weit.
Damit es präsent bleibt, habe ich mir ein paar symbolische Krücken gebastelt:
- ein simpler Abreisskalender, der für die 24h-Trockenheit steht (jeder Tag ein trockener Tag)
- die Verbundenheit zur Therapieeinrichtung; ich werde dort ab und an die Sonntagsspaziergänge übernehmen.
- Jahrestag feiern mit einem Besuch in der Klinik beim jährlichen Fest
Soweit erstmal aus meinem Alltag. Ich könnte noch weiter schreiben, aber damit halte ich mich nur selbst vom Staubsaugen ab