Spedi, Du scheinst hier herunterzuspulen, was Du wahrscheinlich schon x-Mal von Dir gegeben hast. Mit mir hat das herzlich wenig zu tun. Allerdings habe ich dieses Phänomen in den vergangenen Monaten bereits kennen gelernt.
Ich kann ja noch ansatzweise nachvollziehen, dass Du es so empfindest, als machte ich ihm seine Krankheit zum Vorwurf. Das mache ich natürlich nicht, aber er hat mir mit diesen Erpressungen schon ziemlich zugesetzt. Wie ich dem Co-abhängigen Forum entnehme, leiden wohl sämtliche Partner unter dieser offenbar typischen Verhaltensweise. Ich bin nicht co-abhängig und habe mir diesen Schuh deshalb auch nicht angezogen. Allerdings habe ich die Wünsche ernst genommen und viel darüber nachgedacht, warum er solch komische Dinge von mir verlangt. Er wollte über mich verfügen wie über seine Flasche Schnaps, ich kam mir vor wie ein Substitut und habe, wenn ich diese Aufgabe verweigerte, zu hören bekommen, dass man für eine Partnerschaft eben Opfer bringen müsse. Verlangt habe eigentlich ziemlich wenig von ihm, nur dass er an seiner Genesung arbeitet, weil das die Voraussetzung für eine Beziehung war. Da er das noch nicht wollte, habe ich mich auch noch nicht richtig auf die Beziehung eingelassen. Er hätte sich erst noch ein eigenes Leben mit Aktivitäten und Inhalten schaffen müssen. Es war trotzdem eine große emotionale Nähe da, deshalb hätte ich auch nicht Schluss gemacht, sondern unter dieser Distanzprämisse gewartet, bis er zum nächsten Schritt bereit gewesen wäre.
Ich weiß ja nicht, wie lange Du schon trocken bist, aber mir scheint, Du hast ebenfalls noch ziemlich wenig Distanz. Der Kontakt mit einigen hier und so manche aggressiv-demagogischen Beiträge bringen mich ebenso schlecht drauf, muss ich mal sagen, wie es schlussendlich der Kontakt mit meinem nicht mehr trinkenden Freund tat. Allerdings lerne ich dabei schmerzlich das, was ich hier zu Beginn rein rational erfragen wollte.
Jeder halbwegs reflektierte und gesunde Mensch (was gesund auch sein mag) kennt das leidliche Phänomen, bei anderen vehement die eigenen Schwächen anzuprangern, solange man nicht bereit ist, an diesen zu arbeiten. Bis zu einem gewissen Punkt weit nach Beginn der stofflichen Abstinenz scheint mir Alkoholkranken gemein zu sein, dass sie Mitmenschen in ihre von Giftstoffen geschwängerte Realität zu zwingen suchen und ganz schön ungemütlich, verletzend und herabwürdigend reagieren, sofern diese nicht darauf einsteigen.
Unter normalen Umständen, wobei normal durchaus einschließt, dass jeder bewusste Mensch am Menschsein schmerzlich leidet, findet fruchtbarer Austausch statt, indem man dem interessierten Gegenüber die eigene Gedanken- und Gefühlswelt darlegt, wohlwissend und als Bereicherung erachtend, dass des Gegenübers Wahrnehmung gänzlich anders geprägt zu sein verspricht und sich der bewusste Mensch daher häufig in einen kritisch-dialektischen Dialog begibt.
Nur die Welt des Alkoholikers soll die wahre, überlegene sein? Deren Regeln die in die Fänge Geratenen befolgen müssen, um nicht andernfalls für zu blöd erklärt zu werden, irgendetwas zu kapieren? Es mag vermessen klingen, aber ich traue mir einiges zu zu kapieren, Spedi, und von anderen als Beobachterin schon gleich mehr als bei mir selbst. Und so langsam erschließt sich mir allein durch mancher Subtext ebenso wie durch den jenes Menschen, dem ich mich nah fühlte, so einiges.
Es gibt ja die These, dass manche Menschen viel, viel Schnaps trinken können, ohne alkoholkrank zu werden. Das hat mir nie sonderlich viel gesagt, weil es die Frage aufwirft, was unter alkoholkrank überhaupt zu verstehen ist. Nach meinen jüngsten Erfahrungen kann ich mit dieser These jedoch schon weitaus mehr anfangen. Ist vielleicht eine bestimmte Art zu denken schon vor der Substanzsucht vorhanden und begünstigt diese? Oder formt erst die Substanz die Art zu denken? Ersteres würde die These untermauern. Ich habe keine Ahnung, finde die Frage aber durchaus interessant, denn sie könnte bei vielfältigen Phänomenen gleichermaßen gestellt werden. Fakt scheint mir jedenfalls zu sein, dass zahlreiche Alkoholiker die Gesetzmäßigkeiten ihres berauschten Denkens auch abstinent noch lange beibehalten und als erhaben zu betrachten scheinen.
Viele Beiträge hier im Forum sind wirklich bemerkenswert. Das spürt man sofort. Jetzt erahne ich jedoch erst viel deutlicher, was tatsächlich alles dahinter steckt, denn zahlreiche Reflexionen hier sind Zeugnis der Befreiung aus geistigen Fängen und der Fähigkeit, aus der Distanz einen unbefangene Blick auf das eigene Rauschdenken zu werfen. Jetzt weiß ich, dass es mit dem Aufbringen der Kraft, dem Alkohol zu entsagen, nicht getan ist, da es unterschiedliche Qualitäten des Entsagens gibt. Vor den Vertretern der einen werde ich künftig auf der Hut sein. Vor den anderen ziehe ich ehrfürchtig meinen Hut. Das ist wirklich eine Wahnsinnsleistung.