HAllo ihr Lieben,
hitzig hitzig ist es hier.
Danke für eure Beiträge.
Das mit der Opferrolle versteh ich schon, also ich versteh wie du das meinst.
Ich gehe viel und gerne auf Konzerte und umgebe mich dort immer wieder mit Menschen, die Alkohol konsumieren. Ist für mich auch kein Problem mehr.
Und auch der Konsum dieses Mannes war für mich an sich kein Problem. Ich hatte auch als ich hinter im Stand einen gesunden Abstand zu ihm, nur ist eben sein - ich benenne es jetzt mal ein wenig treffender - Gestank für die Menschen, die im Umkreis von ca. 1 Meter um ihn herumstanden, irgendwann unerträglich geworden. Deshalb war ich auch nicht die einzige, die irgendwann das Weite gesucht hat.
Anders als aber wahrscheinlich bei den anderen Flüchtlingen, kam bei mir - eben auf Grund meiner Vorgeschichte - eben noch die emotionale Komponente hinzu, die ich so intensiv auch wirklich nicht erwartet hatte. Gerade weil ich mich eigentlich inzwischen sehr sicher mit mir selbst in der Öffentlichkeit - und auch in der trinkenden Öffentlichkeit - fühle und mich da immer auf meine Werkzeuge, die ich mir angeeignet habe verlassen kann.
Dem war nun in dieser Situation irgendwie nicht so, was mich selbst auch eher überrascht hat.
Abgesehen aber von all dem Wissen, dass es sich um eine Krankheit handelt (was in mir ja auch die Gefühle der Traurigkeit, des Verständnisses und des Mitgefühl begründet, welche ich eben neben Gefühlen wie Wut, Hass und Disrespekt eben durchaus auch in diesen ca. 30 Minuten der Gefühlsirrfahrt empfunden habe) - muss ich dennoch sagen:
Krankheit hin oder her - Verständnis hin oder her. Sein Gestank betrifft sein Umfeld in dem Moment, was man durchaus als egoistisch seinerseits einstufen und worüber man sich denke ich auch ärgern darf.
Ich habe mich nicht selten auch schon in der Bahn ganz bewusst von einer Person entfernt, die sich alkoholisiert und riechend neben mich setzte. Das darf ich! Nein - das soll ich sogar tun! Denn es überschreitet eine Grenze bei mir!
Und das Gleiche tue ich auch, wenn sich ein Raucher neben mich stellt oder sitzt an der Haltestelle und seine Zigarette neben mir anzündet - das darf er gern und überall tun - aber ICH darf auch gern und überall für mich entscheiden, dass ich mich dem Einfluss dieser Person und der Auswirkung nicht aussetzen muss.
Und sollte das dann wiederum die Person verletzen, dass ich mich von ihr entferne, ist das wiederum nicht mein Problem.
Wo käme ich hin, wenn ich aus dem Grund heraus, dem anderen keine schlechten Gefühle bereiten zu wollen, in der situation verweile, in der ich mich absolut unwohl fühle?
Stimmt - dann käme ich genau wieder da hin, wo ich jahrelang mit XY war - in das Co-Abhängigkeits-Karussell.
Da will ich nicht hin. Deshalb setze ich Grenzen. Immer und überall. Und versuche genau das - für MICH zu entscheiden und mich selbst zu hinterfragen und zu reflektieren. Deshalb habe ich mich nicht auch weniger schlecht gefühlt, dass ich auf den Mann auch zwischendrin herabgeschaut hab. Alle Gefühle waren vertreten. Ich hab es mir angeschaut. In dem Moment und auch im Nachhinein. Und ich habe versucht, neben all dem Verständnis für meine Umwelt und auch für die reale Gesellschaft, eben auch Verständnis für mich selbst zu haben. Denn das kommt ja doch am Ende meistens zu kurz.
Rhein,
zu deiner Frage bezüglich meines Alkoholkonsums. Ja, auch ich habe mich für komplette Abstinenz entschieden vor nun fast drei Jahren. Ausgelöst wurde das zuerst durch die Erfahrung mit XY und auch dadurch dass ich in der "Hochphase" noch stärker mit ihm mitgetrunken hab. Aber sehr schnell wurde mir dann klar, dass es sehr viel besser für mich ist und im Nachhinein weiß ich, dass ich vielleicht noch sehr sehr rechtzeitig die Notbremse gezogen habe, wenngleich das damals garnicht so bewusst auf mich selbst bezogen passierte. Heute weiß ich, dass es gut und besser ist, wenn ich die Finger vom Alkohol lasse, weil ich missbräuchlich und mit regelmäßigem Kontrollverlust getrunken habe.
Und der trockene AA - Freund weiß von dieser Vorgeschichte, weil wir uns auch darüber ausgetauscht haben. Und ich denke, wenn ich mal versuche seine Perspektive einzunehmen, eines seiner größeren Schwierigkeiten ist es, dass es schwierig ist in seinem Alter Menschen (und vor allem auch Männer im Studentenkreis) zu finden, die eben NICHT trinken.
Mich dann zu treffen als Nichttrinkende ist ja erstmal angenehm. Gleichzeitig aber eben auch ungewohnt und verwunderlich und vielleicht eben auch ein wenig zu schön, als das es wirklich wahr sein könnte, dass man gemeinsam einen ganzen Abend/Nacht draußen verbringen kann, ohne dass vielleicht nicht doch einer sich dem Äußeren Zwang hingibt. Und daher kam dann vielleicht auch seine Angst.
Und ja - diese grundlegende Angst, jeder von uns könnte in seine alten Muster zurückverfallen. Die ist da. Und die hat er auch nochmal gestern am Telefon angesprochen. Dass wir ja eben beide um unsere Krankheit wissen, dass dieses Wissen ja zum Einen eine gute gemeinsame Basis sein kann, aber im gleichen Moment eben auch Angst schüren kann, dass eben bei jedem jederzeit auch diese "kleine" Krankheit mit all ihren Sympromen wieder ausbrechen kann.
Aber da hilft so oder so nur eine einzige Sache: Vertrauen - und zwar allem voran in sich selbst und in seine eigenen Kompetenzen, in jeder Situation, die kommt, die beste Entscheidung für sich selbst treffen zu können.
Ich bin jung. Und nein, verletzt bin ich nicht wegen Beiträgen. Im Gegenteil, ich bin dankbar dafür. Jedes Wort gibt mir die Möglichkeit, etwas noch einmal zu überdenken, besser zu verstehen oder auch klarer zu sehen.
Schwierig ist es für mich am meisten, die Balance zu finden, eben diese Ambivalenz in der Welt auszuhalten, damit umzugehen und nicht einer Haltung (ob positiv oder negativ) voll und ganz zu "verfallen".
Das zu schaffen, in jedem Moment neu abzuwägen und wie du, Rhein, auch sagst, mit seinen eigenen Vorerfahrungen, Prägungen und Verletzungen gesund zu verknüpfen, das ist meiner Meinung nach eine Kunst, die es sich lohnt, zu lernen.
Wahrscheinlich ist es einfach die Kunst des Lebens.
Herzlich
Miriel