aufgewachsen als normales (?) kind in einer normalen (?) familie, kam ich erst so mit rund 20 jahren mit dem alkohol in beruehrung.
davor "gab" mir der alkohol nichts, er schmeckte auch nicht, und die cliquen, die damals schon soffen, mochte ich nicht und war mit anderen jungen menschen zusammen.
in der firma, in der ich damals arbeitete, gab es jedoch jeden tag zur brotzeit für jeden mitarbeiter gratis einen halben liter bier zusammen mit einem wurstbroetchen.
viele mitarbeiter nahmen dieses angebot nicht an, ich schon. danach liess sich die arbeit vermeintlich leichter ertragen. im laufe der jahre kam dann auch noch das feierabendbier mit den kollegen in der kneipe dazu, da fühlte ich mich dann lockerer und freier.
das ende ist wahrscheinlich fuer jeden alkoholiker klar: meine trinkmenge steigerte sich ueber die jahre hinweg, die gelegenheiten, zu denen ich alkohol konsumierte, ebenso. irgendwann, da muss ich so anfang dreissig gewesen sein, daemmerte mir, dass mein alkoholkonsum nicht mehr normal war, und ich begann, trinkmuster einzurichten (nie vor 17:00 Uhr, samstags nicht vor 12:00 Uhr, …) die ich natuerlich nicht wirklich eingehalten habe. irgend eine entschuldigung fand ich schon, um dennoch trinken zu können.
das ging ein paar jahre so, mit weiter sich steigerndem konsum, bis mich ein befreundeter arzt klar darauf ansprach, dass er mich fuer einen alkoholiker hielt. ich erspare jetzt die details der folgenden wochen und monate, aber diese klare ansage hatte etwas bei mir ausgeloest: ich wusste jetzt, dass mein trinkverhalten nicht normal war, ich wusste, dass ich das auch nicht mehr verheimlichen konnte, und ich wusste, dass ich so nicht mehr weiter leben wollte.
dieses allmorgendliche trockenkotzen, das permanente zittern, wenn der pegel fiel, das nachtanken im dienst aus dem flachmann und der anschließende konsum von pfefferminzbonbons, die dauernden stimmungsschwankungen, all das luegen und verheimlichen, die streitereien in der familie, ich wollte und konnte das nicht mehr.
ueber den arzt, der mich auf meinen alkoholismus angesprochen hatte, habe ich dann auch den entzug eingeleitet: er hat mich in ein bezirkskrankenhaus eingewiesen und auch hingebracht. In der zeit danach hat er mir auch kontakte zu selbsthilfegruppen vermittelt, und mich bei dem sozialbericht fuer die therapiebeantragung unterstuetzt. ich hatte vertrauen zu ihm, da er mir gestand, selbst trockener alkoholiker zu sein.
um es kurz zu machen: ohne die klinische entgiftung haette ich nicht ueberlebt. ich musste mehrfach reanimiert werden, da mein herz einfach aufhoerte zu schlagen. der entzug war die hoelle auf erden, und gleichzeitig die eintrittskarte in eine bessere welt fuer mich. meine leberwerte waren eine einzige katastrophe und nicht mehr serioes ermittelbar im hohen vierstelligen bereich.
die fast vierwoechige wartezeit zwischen der entgiftung und dem beginn der langzeittherapie waren für mich sehr schwer, da ich ja in den letzten jahren auch keine sinnvolle freizeitbeschaeftigung mehr gepflegt hatte. aber ich hatte wieder ein ziel vor augen, und den willen, mir ein leben ohne alkohol aufzubauen. ich suchte mir eine selbsthilfegruppe aus, deren mitglieder mir durch schonungslose offenheit und ehrlichkeit im umgang mit der eigenen vergangenheit positiv von den anderen selbsthilfegruppen auffielen. sie halfen mir, die wartezeit bis zur therapie zu ueberbruecken.
die therapie selbst moechte ich hier ausklammern, bis auf den kernpunkt: mir hat die therapie sehr dabei geholfen, meine defizite zu erkennen und auch annehmen zu koennen. fuer mich war das meine grundausruestung fuer mein kuenftiges leben. die sechzehn wochen waren eher zu kurz als zu lang.
nach der langzeittherapie habe ich mich im betrieb geoutet, was zur kuendigung fuehrte. da ich genau damit gerechnet hatte, traf mich die kuendigung nicht unvorbereitet. hart war es dennoch, zeigte es mir doch, wie wenig schutz der arbeitnehmer geniesst und wie leicht der bestehende schutz zu umgehen ist. dass es auch anders geht, bewies mein naechtster arbeitgeber, dem ich waehrend des vorstellungsgespraeches gestand, trockener alkoholiker zu sein. er stellte mich dennoch ein, und dort bin ich heute noch.
die selbsthilfegruppe besuchte ich weiterhin, bis sich vor einem halben jahr innerhalb des unternehmens eine veraenderung ergab, die es mir unmoeglich macht, diese gruppe weiterhin regelmaessig zu besuchen.
inzwischen sind jedoch auch schon etliche jahre vergangen, und ich halte mich für sehr gefestigt, stabil und "angekommen" in meinem trockenen leben, so dass ich mich auf das wagnis einer „online-SHG“ mal einlasse. ich moechte jedenfalls nicht ohne gruppe sein, denn fuer mich bedeutet trockenheit lebenslanges daran arbeiten.
das, was hier als "grundbausteine" bezeichnet wird, hat auch in meinem leben einen festen platz gefunden: ich suche den alkohol nicht auf, auch nicht aus zweiter oder dritter hand, und zu mir kommt er nicht. und da bin ich auch nicht bereit, grosse kompromisse einzugehen.
wem in all diesen beschreibungen jetzt mein privatleben fehlt, der hat recht: es fehlt hier, denn es hat hier nichts verloren. nur so viel: ich bin verheiratet seit fast zwanzig jahren, und unser kind studiert. die familienkrankheit alkoholismus hat beiden auch viel geschadet, aber sie hatten auch hilfe fuer sich angenommen. es war ein schwerer weg, der allen beteiligten viel kraft abverlangt hat, aber er war es wert.
auf fragen zu mir und meiner erkrankung gehe ich sehr gerne ein, fragen zu meiner familie werden hingegen nicht beantwortet.
nathan