Liebe Sunshine,
heute geht es mir ziemlich gut. Ich freue mich, dass du dir die Mühe gemacht hast, mir so ausführlich zu schreiben
In letzter Zeit bemühe ich mich, achtsamer durch den Tag zu gehen. Dabei fällt mir auf, dass ich meistens mit meinen Gefühlen so sehr bei meinem jeweiligen Gegenüber bin, dass es mir schwer fällt, mich selbst zu spüren! Ich bin richtiggehend darauf getrimmt, zu erspüren, was mein Gesprächspartner gerade benötigt. Das ist sogar im Büro der Fall im Miteinander mit den Kolleginnen.
Ich glaube, ich fühle mich deshalb so komisch, wenn ich niemandem helfen kann, weil ich das Helfen irgendwie als Daseinsberechtigung verstehe.. au weia, ich kann den Termin kaum noch erwarten. Zum Glück dauert es nur noch eine Woche. Da liegt wohl vieles vergraben bei mir. Schon das reinspüren in mich selbst verursacht mir ein schlechtes Gewissen. Ein Ex-Freund von mir sagte mal, dass er es schade findet, dass ich mich immer nur um andere kümmere und dabei alles, was ausschließlich für mich selbst gut wäre, ignoriere. Anfangs war ich über diese Bemerkung verärgert, weil ich es so verstanden habe, dass er mein Ehrenamt kritisiert. So langsam verstehe ich aber, was er damals gemeint hat!
Bei uns in der Stadt gibt es zum Glück recht viele Angebote für Co-Abhängige und auch Selbsthilfegruppen. Am Liebsten wäre mir eine Misch-Gruppe aus trockenen Alkoholikern und Co´s. Ich denke, da profitiert man am meisten. Ich lass mir nächste Woche am besten bei meinem Einzelgesprächs-Termin Tipps geben.
Oh ja, der Entzug nach meinem XY ist nach wie vor stark da. Ich halte konsequent die Kontaktsperre. Das letzte Mal habe ich ihn vor 8 Tagen gesehen, weil er in mein Stammlokal kam. Ich habe aber nicht mit ihm gesprochen. Nun meide ich mein Stammlokal, weil es mich dermaßen runtergezogen hat, ihn zu sehen... das geb ich mir vorerst lieber nicht. Jeder Tag, der vergeht, ohne dass ich ihn sehe oder was von ihm höre, hilft mir weiter. Eine liebe Freundin kümmert sich derzeit rührend um mich. Ruft täglich an, um zu fragen, wie es mir geht und wir treffen uns mindestens 2x pro Woche, um gemeinsam zu kochen und spazieren zu gehen. Sie zwingt mich auch immer mal wieder, dass ich mich von ihr bedienen lasse - was mir richtig schwer fällt. Aber es ist schön
Übrigens hab ich einen Vorsatz für Weihnachten. Ich möchte mir dieses Jahr selber einen selbst gebastelten Kalender für 2020 schenken mit Gutscheinen für jeden Monat. Somit verpflichte ich mich mir selbst gegenüber, mir jeden Monat was Gutes zu tun. Solche Kalender hab ich schon öfter an Freunde verschenkt
Hast du deine Geschichte auch hier irgendwo stehen, liebe Sunshine? Die würde ich auch sehr gerne mal lesen.
Liebe Grüße
Anonymia