Liebe Hyouka,
Herzlich willkommen hier im Forum. Ich habe auch eine alkoholkranke Mutter mit immer mal wieder trockenen Phasen und kann deine Beschreibung gut nachvollziehen.
Die Betrachtung von sich selbst als Opfer kenne ich von meiner Mutter auch. Ich erkläre es mir als eine Art Selbstschutz. Durch die Erkrankung mit Alkohol und Depression (schwierig zu sagen, was hier zuerst kommt, das ist oft wie bei Henne und Ei) fühlt sich meine Mutter zu kraftlos, um etwas an ihrem Leben zu ändern. Denn dass sie unglücklich ist, weiss sie sehr wohl. Weil sie sich aber nicht imstande fühlt, etwas zu ändern, ist es einfacher, sich als Opfer zu sehen und alle anderen sind Schuld. Der Ehepartner, weil er sie nie richtig verstanden hat, immer nur egoistisch ist und nie Rücksicht nimmt. Die Kinder, weil sie zu sehr nach dem Ehepartner kommen und egoistisch sind. Alle scheinen sich irgendwie verschworen zu haben gegen einen, keiner versteht einen und man muss alles selber bekämpfen. Um Hilfe von anderen anzunehmen, ist die Scham aber viel zu gross.
Wenn nicht die anderen Schuld wären, würde das das Ohnehin negative Selbstbild zu weit gefährden...
Der Frust mit dem Wunsch nach Normalität und Harmonie und Berechenbarkeit kenne ich auch nur zu gut.
Ich ziehe den Hut vor deinem Vater, der den Mut und die Kraft zur Trennung hatte und euch Kinder alleine aufgezogen hat. Für meinen Vater und manchmal auch für uns Kinder hätte ich mir das auch manchmal gewünscht.
Da bei meiner Mutter aktuell das Thema Sterben leider auch im Raum steht, habe ich mir ganz bewusst ein paar positive Erinnerungen zusammengestellt, damit ich auch die tollen Seiten ihrer Person im Gedächtnis behalte. Wenn ich sie jetzt auf der Intensivstation besuche und mit ihr spreche, kann ich mich auf diese beziehen, vielleicht dringt davon ja etwas durch. Sicherlich hast du auch solche positiven Erinnerungen, Situationen, in denen ihr zusammen gelacht habt, vielleicht einen gemeinsamen Lieblingsfilm oder Musik, die ihr beide mögt oder ein Rezept, dass dich an ein leckeres Essen mit ihr erinnert oder einen Ort, wo ihr beide gerne wart... ich versuche, sie als zwei Personen zu betrachten, die, die für ihre Kinder alles gegeben hat und ganz liebevolle Ideen hatte und die, die mit den Anforderungen des Lebens nicht zurecht kommt.