Hallo Karl, ich sehe meinen Vater in dir: Der kämpft jetzt seti 37 Jahren (so alt istmeine Schwester) um meine Mutter, um den Schein nach außen zu wahren, um sein Bilderbuch nach außem zeigen zu können.
Bei uns war alles genau so: Wir waren super in der Schule, haben unseren Eltern keine Probleme gemacht, haben nie über die Stränge geschlagen (wie auch? Man sieht ja daheim, wie das dann ausgeht - nein danke...) und uns niemals jemandem anvertraut. Ach so, wir waren halt immer sehr ernst und vernünftig. Das empfinde ich bis heute als gestohlene Kindheit. Bis heute kann mein Vater nicht mit uns über die Sucht seiner Frau sprechen.
Warum ich dir das schreibe? Ich will dir nur sagen, dass wir beide, sowohl meine Schwester, als auch ich, bis heute die Folgen abarbeiten. Sei es unser Perfektionismus, sei es meine Hysterie, wenn bei meinen eigenen Kindern mal was nicht so läuft, und und und. Natürlich kann man nicht alles auf seine Kindheit schieben, aber ich wäre froh gewesen, wenn mein Vater sich getrennt hätte.
Jede Situation ist anders, auch ich habe mit meinenn Eltern bis heute nicht gebrochen, wie viele andere das tun und was oft auch gut ist. Ich habe mit meiner Situation meinen eigenen persönlichen Frieden gemacht. Es ist nicht immer leicht, aber ich arrangiere mich. Was ich allerdings nicht mehr tue: Weder meinem Vater noch meiner Mutter glaube ich irgendetwas. Den Rat von Älteren zweifle ich grundsätzlich an. Meinen Vater bedauere ich zutiefst um sein weggeworfens Leben, das er in den Dienst einer Alkoholikerin gestellt hat. Eine ganze Weile lang habe ich ihn auch zutiefst verachtet.
Es liegt an dir, Karl, was du tust. Mein Vater hat den wohl vermeintlich bequemeren Deinst gewählt - er hatte Wechselschicht, hätte sich also auch schwer getan, sich um uns zu kümmern, aber für uns Kinder war das der beschwerlichere, steinigere und nervenaufreibendere Weg.
Liebe Grüße, Karl, ich wünsche dir Mut.