Lügen/Selbstbetrug - Frage vom Kind einer Alkoholikerin

  • Mich beschäftigt eine Frage sehr und hoffe, dass ich auf diesem Weg eine Antwort bekomme, die mir beim Verstehen hilft.......
    Das Alkoholiker zu Lügnern und Schauspielern werden um ihren Alkoholkonsum zu schützen habe ich hier im Forum durchs Lesen gelernt. Meine Mutter scheint auch eine gute Schauspielerin zu sein. Sie steht betrunken vor einem und behauptet so geschickt begründet, dass sie nicht getrunken hat, dass man (ich) echt beginnt zu zweifeln, ob es tatsächlich andere Gründe für ihren Zustand gibt. Wenn ich so darüber nachdenke, gibt es so einige Situationen in denen sie mich belogen haben könnte. Ist das tatsächlich ein bewußtes Lügen oder macht sie sich selbst was vor ????? Es interessiert mich sehr, wie Alkoholiker in der Hinsicht über sich selbst denken ??? :?:

  • Hallo,

    schwer das in Worte zu fassen. Ich weiß natürlich nicht, was im kopf Deiner Mum vorgeht, aber ich selbst hab als ich noch getrunken habe, hin und wieder ähnlich über meinen Konsum gelogen.

    Ich hab jedenfalls nie den Anderen angelogen um ihn zu belügen, sondern weil die Lüge der für mich einzige sichtbare Ausweg war um ernste Konsequenzen zu umgehen. Ich wußte ja, daß mein Konsum nicht mehr unter Kontrolle war. Sprach mich ein anderer darauf an, hab ich es extrem heruntergespielt, zum einen um vor dem Anderen nicht als irgend ein verlierer da zu stehen, zum Anderen um der Konsequenz zu entgehen, daß der Andere sich von mir abwenden könnte und nichts mehr mit mir zu tun haben wöllte. Beides wäre schwer zu verkraften gewesen. In dem Moment habe ich keine Sekunde daran gedacht, wie es dem Andern wohl mit der Lüge geht, die Lüge war für mich selbst einfach lebensnotwendig.
    Wenn ich später wieder einen klareren Kopf hatte, entweder weil ich nüchtern war oder aus dieser Situation raus war, holte mich ganz schnell ein schlechtes Gewissen ein dem Anderen gegnüber. Vor allem weil ich so bemerkte wie weit unten ich schon war, andere zu belügen. Aber diese Schuldgefühle und das schlechte gewissen trieben mich sofort wieder in den Alkohol umdas nicht wahrnehmen zu müssen, denn es tat verflucht weh, daß ich Andere belog. Ein teufelskreis aus dem man selbst in dem Moment keinen Ausweg sieht als sich und Andere zu belügen.

    Bei mir war's allerdings nie so, daß ich gelogen habe um mehr trinken zu dürfen, sondern es war umgekehrt, ich soff, log anschliessend und weil ich mit der Lüge nicht leben konnte, soff ich wieder.

    Ehrlicher Umgang über meine Lügen, meinen Alkoholismus und alles was damit zusammenhing war mir erst möglich, nachdem ich mich selbst so ankotzte, daß ich so nicht mehr weiter machen wollte. Das kam aber einzig und allein aus mir selbst als ich mich erwischt habe, dass ich im Vollsuff Auto gefahren bin nur um mir mehr Stoff zu besorgen.

    Da gestand ich mir ein, daß ich jede Kontrolle verloren hatte und ging dann ehrlich mit mir und Anderen um, vorher war mir das unmöglich. Schwer zu beschreiben. Ich wußte, daß ich ein Problem hatte, ein ernstes Problem, aber ich wollte mein Gesicht vor Anderen nicht verlieren und log deswegen was das Zeug hielt über meinen Alkoholkonsum.

    Weiß nicht ob Dir das weiterhilft.

    Liebe Grüße

    Kaleu

  • Lieber Kaleu,
    vielen Dank für deine offene und ehrliche Antwort. Sie hilft mir in jedem Fall weiter !

  • Liebe Sandra!

    Um auf Deine Frage zu antworten:
    Ich habe vor allem mich selber belogen.Immer und immer wieder.
    Und wenn ich mit meinen Eltern zusammen war konnte ich recht wütend und verletzend sein.In meinen jungen Jahren war ich ja sowieso jähzornig.....Dann noch der Alkohol dazu,na prost!

    Selber war ich auch sehr unglücklich über mein Verhalten,also musste dieses Gefühl rasch ertränkt werden.
    Ein Teufelskreis auf allen Ebenen.

    Da ich trotz allem zeitweise unter meiner Alkoholsucht litt bin ich in dieses Forum gestolpert ohne es eigentlich recht zu kennen.

    Und so darf ich jetzt trocken sein,seit zwei Jahren.

    Herzliche Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Hi,

    also beim Selbstbetrug, der bei mir auch vorhanden war, war es anders als bei der Lüge vor Anderen. Bei Anderen ging es für mich vor allem darum mein Gesicht nicht zu verlieren, das war beim Selbstbetrug zwar eigentlich auch der Fall, ich wollte vor mir selbst ja auch mein Gesicht nicht verlieren, aber der Anlass um dann weiterzusaufen waren bei mir nich Scham oder Schuldgefühle, wie beim belügen Anderer.

    Als Beispiel will ich hier mal das Forum nennen, als ich zum ersten mal das Gefühl hatte, ich hätte da ein Problem, hab ich hier mal reingeschaut und nur gelesen. Ein bisschen hab ich mich wiedererkannt, aber mir sehr schnell gesagt, Nein, so bist Du nicht, Du hast das unter Kontrolle, nicht so wie die in dem Forum. Das war ein ganz typischer Selbstbetrug. Die Intention dahinter war die Gleiche. Alkoholiker = schlecht und Jemand der sich nicht unter Kontrolle hat, ergo, ich doch nicht. In der Folge somit die selbst gegebene Erlaubnis zum Weitersaufen.

    Oder auch eine Trinkpause von einigen Wochen um mir selbst zu beweisen, daß ich kein Problem hab nicht zu trinken. Das Ende der Trinkpause wurde natürlich mit einem zünftigen Suff belohnt.

    Sowohl die Lügen als auch der Selbstbetrug hält einen in der Sucht gefangen, aber ich hab das nicht gemerkt. Sowohl Lüge und Selbstbetrug waren so eine Art notwendige Begleiterscheinung bei mir. Daß sie die Sucht fördern und einen da drin halten wurde mir erst klar, als ich schon ausstieg.

    Weder das Lügen noch den Selbstbetrug hab ich tatsächlich mit klaren Augen sehen können oder das mit Absicht gemacht. Es war wirklich lebensnotwendig um mein Selbstbild aufrecht zu erhalten.

    Der Selbstbetrug führte aber nicht zu Schuldgefühlen oder Scham so wie beim Lügen vor Anderen. Dafür war ich mir tatsächlich selbst zu wenig wert und Andere zu viel. Das hat sich heute verändert, Selbstbetrug führt heute bei mir zu einem ganz massiven inneren Widerstand. Ich denke, daß das mit ein Baustein ist, der für meine Trockenheit wichtig ist. Denn ohne den Selbstbetrug funktioniert keine Sucht.

    Wer Raucher ist weiß das, der macht das bei jedem einzelnen Glimmstengel ja ohne es zu bemerken.

    Liebe Grüße

    Kaleu

  • Ich danke euch allen für eure Antworten ! Es hilft mir wirklich enorm weiter, wenn ich einige Sachen besser verstehen lerne ! Ich muss lernen Abstand zu nehmen, besonders innerlich, sonst gehe ich mit unter und damit ist ja keinem geholfen. Manchmal ´leide´ich nämlich unter dem Helfersyndrom und meine ICH müßte an der Situation etwas ändern. Was ja nicht in meiner Macht steht.....wie ich auch hier gelernt habe :wink:

  • Hallo Micha,
    ich bin dir sehr dankbar für deine Antwort, weil sie mir zeigt, dass ich in die richtige Richtung gehe, auch wenn ich dabei noch nicht so gefestigt bin. Ich hoffe natürlich, dass auch meine Mutter irgendwann noch einmal ´aufwacht´, auch wenn ich weiss, dass sie längst noch nicht soweit ist. Aber wenigstens bin ich schon mal auf dem richtigen Weg :!:

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