Bin ich so anders? Ja! Nein! Und doch...

  • Lange habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich diesen Thread nennen soll. Der Titel ist mir irgendwie wichtig, möchte ich doch am besten gleich ganz am Anfang klar stellen, wie oft ich mich hier schon wiedergefunden habe und wie oft ich gleichzeitig gedacht habe: „Nein ! –Das kann ich mir nicht einmal vorstellen….“.

    Ich habe mich entschlossen, diese – meine – Geschichte hier im offenen Bereich zu schreiben, damit möglichst viele Menschen daran teilhaben können, wenn sie denn wollen. Ich glaube nicht, dass meine Geschichte etwas sehr Besonderes ist – im Sinne von besonders bedeutsam, besonders schön, besonders schrecklich oder besonders unterhaltsam. Aber ich halte sie für erzählenswert – nicht mehr und nicht weniger.

    Die „Hürde“ hier schreiben zu dürfen, habe ich am 2. Juni 2011 genommen – ein Jahr ohne bewusst und bemerkt Alkohol in irgendeiner Form konsumiert zu haben. Ich schreibe das ganz gewollt so und komme an anderer Stelle auf diesen Themenkomplex noch zu sprechen.

    Sehr oft habe ich hier gelesen und auch an anderer Stelle erfahren, dass viele von uns Alkoholikern sehr viel Zeit und Energie dafür aufwenden um herauszufinden, warum sie „trinken“ oder „getrunken“ haben. Natürlich denke auch ich oft darüber nach, warum alles so gekommen ist und doch ist diese Frage nach dem „Warum“ nicht bestimmend für mich. Viel wichtiger finde ich, dass es so war und dass ich mich jetzt und jederzeit wieder mit der Situation auseinander setzen werde, dass ich alkoholkrank bin und mich dies mein ganzes Leben lang begleiten wird. Ohne Wehmut, ohne einen Verlust zu spüren und ohne auch nur einen Anflug davon, irgendetwas zu vermissen oder zu verpassen. Ihr könnt mir glauben, dass MICH das am allermeisten wundert und ich es genauswenig glauben könnte wie ihr – würde ich es von jemandem anders hören!

    Ich bin mir bewusst, dass ich hier ungeschützt schreibe und daher werde ich mich sehr bemühen, niemanden aus meinem Umfeld erkennbar werden zu lassen. Wenn ich hier erkannt werden sollte, nehme ich das in Kauf – auch das gehört zu mir und meiner Krankheit. Die Äußerung von Kommentaren, Diskussionen, gleichen und gegensätzlichen Meinungen sind in diesem Thread von mir ausdrücklich erwünscht. Tut euch keinen Zwang an und nur keine falsche Scheu! Ich freue mich auf einen regen Gedankenaustausch.

    Im Vorstellungsbereich hatte ich schon geschrieben, dass ich mich tatsächlich an meinen ersten Vollrausch erinnern kann. Ich war vier Jahre alt und hatte auf der Hochzeit meiner ältesten Schwester alle Erdbeeren aus der Erdbeerbowle gegessen, die ich finden konnte. Das war ziemlich leicht, denn die Gäste sorgten für Nachschub, weil sie diesen besoffenen 4-jährigen Bengel irgendwie lustig fanden. Das Ende davon war allerdings überhaupt nicht lustig – ich erinnere mich deutlich, wie ich nackt in der Badewanne in meiner eigenen Kotze gelegen habe.

    Nun, die Tatsache, dass ich hier schreibe zeigt, dass ich damals daraus nicht wirklich etwas fürs Leben gelernt habe. Immerhin hat es dann weitere acht bis neun Jahre gedauert, bis ich das nächste Mal betrunken war. Das ist eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, in welchem familiären Umfeld ich bis dahin aufwuchs.

    Ich bin im Juli 1962 geboren, als das vierte Kind und „Nachkömmling“ – mein Bruder ist als nächstes Geschwister 8 Jahre älter als ich und ich war wohl so etwas wie ein Versöhnungsunfall meiner Eltern. Zum Zeitpunkt meiner Geburt war die Versöhnung allerdings schon wieder Geschichte, denn als ich als einziges Kind meiner Eltern im Krankenhaus zur Welt kam, lebte meine Mutter gerade getrennt von meinem Vater.

    Meine Geschwister haben mich erst kennengelernt, als ich zweieinhalb Jahre alt war. Soweit ich weiß, hielt sich die Freude über mein Auftauchen in Grenzen. Nur meine zweitälteste Schwester (zehn Jahre älter) hat mich laut eigener Aussage sofort ins Herz geschlossen und sie war es auch, die von Anfang an eigentlich das in meiner meiner Familie war, das man am ehesten als „Mutter“ bezeichnen konnte. Mit ihr und bei ihr habe ich die ersten Jahre meiner Kindheit verbracht. Bis heute pflegen wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander auch wenn wir räumlich doch sehr getrennt leben.

    Mein Elternhaus war gar nicht einmal so untypisch für die damaligen Verhältnisse. Mein Vater arbeite als Huf- und Beschlagsschmied ganz zu Anfang meiner Erinnerung noch in einem Handwerksbetrieb bevor er später nach etwas längerer Arbeitslosigkeit als Schlosser und Schweißer auf Montage tätig war. Meine Mutter arbeitete auch außerhalb und ich kann mich eigentlich nur daran erinnern, dass mein Vater und meine Mutter am Wochenende nach Hause kamen und wir „Kinder“ die Woche über in „unserer“ Wohnung alleine waren. Wirklich gut verstanden haben sich meine Eltern laut meiner Erinnerung wohl nie. Streitereien wegen dem Saufen von meinem Vater waren immer an der Tagesordnung und wenn „dem Alten“ (so hieß mein Vater bei uns) die Argumente ausgingen – was ziemlich schnell der Fall war – setzte es Prügel für alle die im Weg waren. Nach heutigen Maßstäben hätten sich meine Eltern sicherlich schon nach dem ersten oder zweiten Kind getrennt, damals ging das aber gar nicht- glaubte meine Mutter wohl zumindest. Immerhin, man musste ja noch schuldig geschieden werden, der Partner und die Kinder waren nicht automatisch durch Unterhalt versorgt und meine Mutter verband wohl auch eine mit der Zeit sehr gefestigte Hassliebe zu meinem Vater. Ich vermute mal, der Begriff der Co-Alkoholikerin existierte im deutschen Sprachgebrauch zwar noch nicht, aber sie stellte ein Musterexemplar dar. Sie fing dann später auch an zu trinken und darüber hinaus Tabletten zu schlucken – eine Kombination aus Appetitzüglern und Kopfschmerztabletten. Wie ich später herausfand, eine damals durchaus häufige Suchtmittelkombination.

    Ca. bis zu meinem 9. Lebensjahr lebte ich mit meinen Geschwistern (mehr oder weniger) in unserer Mietwohnung in einer niedersächsischen Kleinstadt. Wir „mussten“ dann dort wegziehen – ich glaube das war 1971.

    Ich recherchiere das mal etwas genauer und werde dann weiter schreiben.

    Grüße vom
    Kroepel

  • glück auf kroepel - und moin

    Zitat von DerKroepel

    Bin ich so anders? Ja! Nein! Und doch...

    interessanter titel! klar bist du anders - du bist genauso anders wie alle anderen. und nein bist du nich - du bist alkoholiker.
    ich bin gespannt wie n regenschirm, wie du mit dem "und doch..." umgehst.

    Zitat von DerKroepel

    Ich habe mich entschlossen, diese – meine – Geschichte hier im offenen Bereich zu schreiben, damit möglichst viele Menschen daran teilhaben können

    das gefällt mir.

    Zitat von DerKroepel

    ... Natürlich denke auch ich oft darüber nach, warum alles so gekommen ist und doch ist diese Frage nach dem „Warum“ nicht bestimmend für mich. Viel wichtiger finde ich, dass es so war und dass ich mich jetzt und jederzeit wieder mit der Situation auseinander setzen werde, dass ich alkoholkrank bin und mich dies mein ganzes Leben lang begleiten wird.

    genau! ich denk überhaupt nich über das frühere warum nach - is einfach zu lange her. ich hab weit über 10 jahre intensiv abhängig gesoffen, die gründe weswegen ich in die sucht geraten bin gabs, als ich trocken wurde meist sowieso nichmehr.
    nochmal genau! aufs heute und auf die zukunft konzentrieren!

    Zitat von DerKroepel

    ... Wenn ich hier erkannt werden sollte, nehme ich das in Kauf – auch das gehört zu mir und meiner Krankheit.

    das halt ich genau so.

    Zitat von DerKroepel

    Die Äußerung von Kommentaren, Diskussionen, gleichen und gegensätzlichen Meinungen sind in diesem Thread von mir ausdrücklich erwünscht. Tut euch keinen Zwang an und nur keine falsche Scheu! Ich freue mich auf einen regen Gedankenaustausch.

    ich wünsch dir n regen gedankenaustausch.


    schöne zeit

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • hallo knorpel,

    nun hast du ja einiges aufgeschrieben aus deiner kindheit. mir sind da volgende dinge bei aufgefallen, dazu möchte ich dich was fragen:

    Zitat

    Ich bin im Juli 1962 geboren, als das vierte Kind und „Nachkömmling“ – mein Bruder ist als nächstes Geschwister 8 Jahre älter als ich und ich war wohl so etwas wie ein Versöhnungsunfall meiner Eltern. Zum Zeitpunkt meiner Geburt war die Versöhnung allerdings schon wieder Geschichte, denn als ich als einziges Kind meiner Eltern im Krankenhaus zur Welt kam, lebte meine Mutter gerade getrennt von meinem Vater.

    wie empfindest du das denn als "versöhnungskind"? ist das für dich etwas anderes als ein "wunschkind"? mein sohn, der jüngste ist auch ein "versöhnungskind". auch er hat das in gesprächen mitbekommen. er ist jetzt 11 jahre alt und empfindet es als etwas negatives. er wäre lieber ein "wunschkind". ich rede viel mit ihm darüber, das ich ihn mir dann ja dennoch wünschte und auf die welt gebracht habe, doch einen faden beigeschmack scheint bei dem jungen da hängen geblieben zu sein.bei dir? fühlst du dich denn erwünscht, gerade bei deiner geschichte die du hinter dir hast?

    Zitat

    Mit ihr und bei ihr habe ich die ersten Jahre meiner Kindheit verbracht. Bis heute pflegen wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander auch wenn wir räumlich doch sehr getrennt leben.

    bedeutet wenn ich rechne war sie 12 jahre alt und hatte die verantwortung für ihren zweijährigen bruder?

    Zitat

    ich kann mich eigentlich nur daran erinnern, dass mein Vater und meine Mutter am Wochenende nach Hause kamen und wir „Kinder“ die Woche über in „unserer“ Wohnung alleine waren.

    alleine?

    Zitat

    Wirklich gut verstanden haben sich meine Eltern laut meiner Erinnerung wohl nie. Streitereien wegen dem Saufen von meinem Vater waren immer an der Tagesordnung und wenn „dem Alten“ (so hieß mein Vater bei uns) die Argumente ausgingen – was ziemlich schnell der Fall war – setzte es Prügel für alle die im Weg waren. Nach heutigen Maßstäben hätten sich meine Eltern sicherlich schon nach dem ersten oder zweiten Kind getrennt, damals ging das aber gar nicht- glaubte meine Mutter wohl zumindest. Immerhin, man musste ja noch schuldig geschieden werden, der Partner und die Kinder waren nicht automatisch durch Unterhalt versorgt und meine Mutter verband wohl auch eine mit der Zeit sehr gefestigte Hassliebe zu meinem Vater

    unter den umständen ist wohl das "allein gelassen werden" von den eltern angenehmer gewesen als das die eltern zusammen waren oder? ich stell mir das so vor. ihr wart zu hause allein, dann kamen die eltern von der arbeit und anstadt sich zu freuen, das sie kommen gabs nur zoff. kann das sein?

    Zitat

    Im Vorstellungsbereich hatte ich schon geschrieben, dass ich mich tatsächlich an meinen ersten Vollrausch erinnern kann. Ich war vier Jahre alt und hatte auf der Hochzeit meiner ältesten Schwester alle Erdbeeren aus der Erdbeerbowle gegessen, die ich finden konnte. Das war ziemlich leicht, denn die Gäste sorgten für Nachschub, weil sie diesen besoffenen 4-jährigen Bengel irgendwie lustig fanden. Das Ende davon war allerdings überhaupt nicht lustig – ich erinnere mich deutlich, wie ich nackt in der Badewanne in meiner eigenen Kotze gelegen habe.

    oh meine güte, ich bin entsetzt. wo bist du gross geworden und vor allem unter welchen umständen! das du da nicht gesund rausgekommen bist, kein wunder.


    Zitat

    Die „Hürde“ hier schreiben zu dürfen, habe ich am 2. Juni 2011 genommen – ein Jahr ohne bewusst und bemerkt Alkohol in irgendeiner Form konsumiert zu haben.

    du trinkst seit einem jahr kein alkohol mehr? wie lange hast du denn getrunken gehabt? warst du alkoholiker?

    lieben gruß melanie

  • Hallo Melanie, hallo silberkralle,

    da werde ich doch mal erst euch antworten, bevor ich an meiner geschichte weiterschreibe - das hilft mir auch, das eine und andere nochmal wieder deutlicher zu sehen und eventuell zu sortieren, bzw. in die richtige Reihenfolge zu bringen.

    Danke silberkralle, für die guten Wünsche - dein Thread ist es, der mich überzeugt hat, meine Geschichte hier im offenen Bereich zu schreiben. Das „Und doch…“ bezieht sich auf die Tatsache, dass das „Ja!“ und das „Nein!“ natürlich stimmen, aber doch in beiden Fällen immer irgendwie auch ein Zweifel bleibt….

    Liebe Melanie, deinen neuen Thread habe ich gelesen und ich möchte auf deine Fragen gerne detailliert eingehen.

    Zitat von Melinak

    hallo knorpel,


    Erscheine ich dir so verknorpelt? Sei gewiss, das scheint dann wirklich nur so – mir wird eigentlich doch oft bescheinigt, dass ich locker, aufgeschlossen und `ne witzige Type bin – schauen wir mal, was hinter den Klinkern liegt….

    Zitat von Melinak


    wie empfindest du das denn als "versöhnungskind"? ist das für dich etwas anderes als ein "wunschkind"? mein sohn, der jüngste ist auch ein "versöhnungskind". auch er hat das in gesprächen mitbekommen. er ist jetzt 11 jahre alt und empfindet es als etwas negatives. er wäre lieber ein "wunschkind". ich rede viel mit ihm darüber, das ich ihn mir dann ja dennoch wünschte und auf die welt gebracht habe, doch einen faden beigeschmack scheint bei dem jungen da hängen geblieben zu sein.bei dir? fühlst du dich denn erwünscht, gerade bei deiner geschichte die du hinter dir hast?


    Nun, dass ich ein Versöhnungskind bin, habe ich eigentlich erst richtig realisiert als meine Mutter schon tot war und ich zu meinem Vater keinen richtigen Kontakt mehr hatte (haben konnte / wollte) da war ich so um die 18 -20 jahre alt. Ich habe mich nie unerwünscht gefühlt aber auch nicht wirklich erwünscht, für solche Gefühle fehlte wohl auch generell überhaupt innige Nähe zu meinen Eltern und gesprochen in der Form wie du es mit deinen Kindern offensichtlich tust, haben meine Eltern nicht mit mir. Ich war der Jüngste und die intensivste Erinnerung an meinen Vater z.B. ist, dass er mir sehr theatralisch zu meinem 11. Geburtstag gratuliert hat – leider einen Monat zu früh….
    Schon erstaunlich, was sich so festsetzt.

    Zitat von Melinak

    bedeutet wenn ich rechne war sie 12 jahre alt und hatte die verantwortung für ihren zweijährigen bruder?


    Das ist korrekt – dass hat bis heute bei ihr Spuren hinterlassen. Allerdings hatte sie nicht nur dafür Verantwortung, sie hatte auch immer fürchterliche Angst um unsere Mutter und hat versucht, sie vor dem Alten zu schützen, wenn er mal wieder austickte. Sie ist heute selbst in Behandlung wegen - edit, Linde - und da ist ihre verkorkste Kindheit sicherlich nicht unschuldig… - aber das wäre nochmal eine ganz eigene Geschichte und die wird zu anderer Zeit (vielleicht) erzählt.

    Zitat von Melinak

    alleine? .


    Ja, meine beiden Schwestern(18 und 14 mittlerweile), mein Bruder(10) und ich. Meine große Schwester hatte da so etwas wie die Oberaufsicht – allerdings heiratete sie (sie „musste“) mit 18 auch schon und wohnte für ca. ein Jahr ein paar Ecken weiter, bis sie sich wieder schnell trennte und für einige Zeit zurückkam. Ich versuche das später im Zusammenhang nochmal genauer werden zu lassen, wie das alles zu der Zeit war – soweit ich mich erinnere.

    Zitat von Melinak

    unter den umständen ist wohl das "allein gelassen werden" von den eltern angenehmer gewesen als das die eltern zusammen waren oder? ich stell mir das so vor. ihr wart zu hause allein, dann kamen die eltern von der arbeit und anstadt sich zu freuen, das sie kommen gabs nur zoff. kann das sein?


    Ja, das trifft es ziemlich genau. Aber ich habe offensichtlich viel verdrängt, wie ich aus Gesprächen vor allen Dingen mit meiner „kleinen“ Schwester weiss.

    Zitat von Melinak

    oh meine güte, ich bin entsetzt. wo bist du gross geworden und vor allem unter welchen umständen! das du da nicht gesund rausgekommen bist, kein wunder.

    Na ja, ganz so schlimm ist es nun auch nicht mit meinen Kindheitstraumataschäden – Kinder liegen ja auch jahrelang regelmäßig in der eigenen Sche**** ohne einen Knacks zu bekommen :roll: . Aber Spass beiseite – ja das war schon ziemlich krass, aber ich schrieb es ja schon – so ungewöhnlich in Summe nun auch wieder nicht. Und Kinder sind Meister im Verdrängen….

    Zitat von Melinak

    du trinkst seit einem jahr kein alkohol mehr? wie lange hast du denn getrunken gehabt? warst du alkoholiker?


    Auf die Frage des aufnehmenden Pflegers am Anfang meiner Entgiftung im letzten Jahr, wann ich denn die letzte Trinkpause gehabt hätte, konnte ich nur antworten, dass ich mich nicht erinnern könnte, innerhalb der letzten 30 jahre mal einen Tag keinen Alkohol getrunken zu haben – bis auf eine Zeit wegen einer Wette als ich so Mitte 20 war….
    Zum Schluss lag mein täglicher Konsum bei einer Flasche weißem Rum pro Tag – am Wochenende auch mehr.
    Ja, ich bin Alkoholiker.

    So, dass trägt hoffentlich zum Verständnis bei und verwirrt euch nicht – ehrlich gesagt, habe ich manchmal Schwierigkeiten, die Geschichte richtig hinzubekommen – dass hier zu schreiben ist daher ganz wichtig für mich.

    LG
    DerKroepel

  • hallo DerKroepel,

    lach, ich seh ein, das ich in punkto namensgebung hier so manch neuling etwas belustigen konnte....entschuldige bitte das versehen.

    Zitat

    Na ja, ganz so schlimm ist es nun auch nicht mit meinen Kindheitstraumataschäden – Kinder liegen ja auch jahrelang regelmäßig in der eigenen Sche**** ohne einen Knacks zu bekommen . Aber Spass beiseite – ja das war schon ziemlich krass, aber ich schrieb es ja schon – so ungewöhnlich in Summe nun auch wieder nicht. Und Kinder sind Meister im Verdrängen….

    kinder ja, das sind sie. doch leider kann ich aus eigener erfahrung herraus sagen, das sich das dann irgendwann im erwachsenenalter meldet. oft in form von ängsten, depressionen oder anderen geschichten wie alkoholismus oder coabhängigkeit und derjennige weiss nicht woher das kommt. meisst sind es kindeitserfahrungen und präggungen. ich sing da auch ein lied von.....

    ich werde nun aufmerksam deine geschichte weiterlesen.... :wink:

    lieben gruß melanie

  • Dauerte etwas, bis ich zum Weiterschreiben gekommen bin – Entschuldigung!

    So, ich habe das mal etwas genauer nachgesehen. Anfang 1971 sind wir aus der niedersächsischen Kleinstadt in einen niedersächsischen Flecken gezogen. Ich schrieb ja bereits, dass wir das "mussten". Da gab es mehrere Gründe für. Meine „kleine“ Schwester hat die erste Gelegenheit wahrgenommen, weg zu kommen und ganz früh geheiratet. Sie ist dann in diesen Flecken zu ihrem Mann gezogen. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter verloren damals kurz hintereinander ihre Arbeit – ich weiß nicht genau in welcher Reihenfolge und warum – bei meinem Vater war es der Alkohol, das weiß ich sicher. Meine „große“ Schwester war auch wieder ausgezogen und mein Bruder kurz davor. Jedenfalls war kein Geld mehr für die Miete da und meine kleine Schwester hat es dann irgendwie möglich gemacht, dass meine Eltern, mein Bruder und ich zu ihr ziehen konnten. Wir hausten da mehr oder weniger in einer Gartenlaube, bis wir eine eigene Wohnung dort fanden. Mein Vater bekam dort sogar Arbeit und meine Mutter später auch. – oder war es umgekehrt? Egal…

    Ich kann mich eigentlich nur an wenig Gutes aus der Zeit bis zum Tod meiner Mutter 1975 erinnern. Das Gute ist, die vielen schlechten Dinge habe ich größtenteils verdrängt und kenne sie oft nur aus der Erzählung meiner „kleinen“ Schwester und das ist irgendwie so, als wäre das alles einem Fremden passiert und somit auch nicht so schlimm für mich – glaube ich.

    Jedenfalls ging alles seinen Gang – wie man es so kennt – mein Vater trank immer mehr, es gab immer öfter und immer schlimmere Streitereien zwischen meinen Eltern und irgendwann haben sie sich nicht mehr Worte sondern Gegenstände an den Kopf geworfen. Dabei hat „der Alte“ unsere Mutter einmal ziemlich heftig mit einer Holzskulptur am Kopf getroffen – große Platzwunde, die mein Bruder mit Verbandszeug aus seinem Auto versorgt hat. Er hat zwar versucht sie zum Arzt zu bekommen, hat es aber nicht geschafft – natürlich war auch er aus meiner heutigen Sicht sicherlich Co – genauso wie meine Schwester und meine Mutter und wohl auch ich. Geht das schon mit 9 – 12 Jahren? Die Antwort dürfte „Ja“ lauten. Das Ganze war Weihnachten 1974, im Juni 1975 verstarb meine Mutter an den Folgen einer Hirnoperation. Sie hatte ein Blutgerinnsel im Gehirn, welches die Ärzte entfernt hatten und eine verheilte Schädelfraktur just an der Stelle, wo sie mit dem Holzpferd getroffen wurde. Gestorben ist sie dann an einer Hirnhautentzündung.

    Nichts desto trotz habe ich von da ab meinen Vater eigentlich immer als Totschläger meiner Mutter gesehen. Aber das Ganze mit einer mir immer noch nicht erklärbaren Teilnahmslosigkeit. Aber was sollte ich auch groß tun? Alle anderen haben es ja auch hingenommen – mehr oder weniger. Außerdem war ich auch nicht wirklich richtig traurig über den Tod meiner Mutter – das war irgendwie so, als sei jemand halt nicht mehr da, den man ja vorher sowieso kaum gesehen oder „gehabt“ hatte und der zudem für mich als Kind durch ihre Sucht auch immer schwieriger „gemocht“ werden konnte. Im Gegenteil – nachdem wir „ihr Zimmer“ in der Wohnung ausgeräumt hatten, habe ich dieses bekommen und darüber freute ich mich.

    Mein Bruder war da auch schon ausgezogen und ab dem Zeitpunkt war ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt – obwohl meine Mutter, selbst als sie noch lebte, außer ihrem Dasein auch nicht viel mehr zu meiner „Erziehung“ beigetragen hatte. Na ja, für die Nachbarn war das aber bis dahin immer noch eine „intakte“ Familie – obwohl jeder wusste, dass mein Vater soff und es andauernd schwere Streitereien gab. Meine Lehrer hat das auch nicht groß gekümmert – ich habe ja funktioniert – seltsamerweise war ich ziemlich gut in der Schule – bis auf mein Benehmen….Ich habe sogar den Wechsel von der Hauptschule auf die Realschule in der Zeit selbst gemanagt – meine Eltern haben das nicht gebacken bekommen – mein Vater hatte sogar was dagegen – mehr Bücher kosten auch mehr Geld, welches man dann nicht versaufen kann.

    Nun war ich aber allein mit meinem Vater, der – wenn er nicht arbeitete – die meiste Zeit in der Kneipe verbrachte. Unsere Vermieter haben sich das zwei Monate mit angesehen und dann das Jugendamt verständigt. Auf mein Bitten und Betteln kam ich dann glücklicherweise zu Pflegeeltern in ein Nachbardorf und für mich wurde die Zeit dann viel viel besser. Darüber schreibe ich beim nächsten Mal etwas.

    Grüße vom
    Kroepel

  • Die Woche ging aber schnell vorbei doch auch auf die Gefahr hin, euch zu langweilen, schreibe ich jetzt mal weiter.

    Meine Mutter starb im Juni 1975 im Krankenhaus. Seltsamerweise oder auch bezeichnender Weise bekam ich die Nachricht von ihrem Tod von unserer Vermieterin. Wir wohnten zusammen in einem „Zwei-Familien-Haus“, wir hatten die Wohnung im oberen Stockwerk. Ich war gerade von der Schule gekommen und war dabei etwas zu Essen in der Küche zu suchen, da stand sie plötzlich hinter mir und versuchte mich in den Arm zu nehmen! Gruselig war das – ich konnte die Frau nicht leiden und sie mich (uns?)eigentlich auch nicht, aber plötzlich machte sie da auf ganz betroffen / fürsorglich und hat mir dann gesagt, dass meine Mutter gestorben ist. Ich erinnere mich sehr genau an den Moment, obwohl es mich irgendwie nicht traurig gemacht hat und mich auch überhaupt nicht „umgeworfen“ hat. Das war so als würde mir heute jemand mitteilen, dass ein entfernter Bekannter gestorben ist – ja, traurig, nicht zu ändern – berührt mich aber nicht wirklich weiter. Heute ist mir klar, dass ich wohl sehr genau (unterbewusst, oder auch bewusst aber verdrängt) die große Bedeutung erfasst habe – warum sonst könnte ich mich so genau daran erinnern?

    An Aussagen oder Unterhaltungen zum Tod meiner Mutter mit meinem Vater oder meinen Geschwistern kann ich mich für die Zeit überhaupt nicht erinnern. Ich habe diese Mitteilung von der Vermieterin in der Erinnerung, aber sonst nichts zum Tod meiner Mutter, außer, dass ich partout nicht mit zur Beerdigung wollte und dann auch nicht mit musste.

    Nun, danach dann waren mein Vater und ich mehr oder weniger allein. Meine „kleine“ Schwester wohnte mittlerweile in einer anderen Stadt und kam nur am Wochenende aufs Land und mein Bruder wohnte auch knapp 30 km weit weg und schaute auch nur noch unregelmäßig vorbei.
    Jedenfalls war diese „Männer-WG“ das absolute Chaos. Der Alte war sturzbesoffen wenn er denn mal zu Hause war und ich war mit Ende 12 Jahren kein sehr guter „Hausmann“. Die Schule besuchte ich regelmäßig, aber Hausaufgaben waren nicht mein Ding – die Nachmittage verbrachte ich lieber anders und das konnte ich ja auch – gab ja niemanden der es verboten hätte.

    Das ging so zwei Monate – obwohl es mir bis heute immer noch viel länger vorkommt - bis die Vermieterin wohl dem Jugendamt die unmöglichen Zustände gesteckt hat. Eines Tages fing mich eine Dame vor der Haustür ab, als ich gerade von der Schule kam. Ich weiß noch, dass ich eine sehr ernste „geschäftsmäßige“ Unterhaltung mit ihr darüber geführt habe, dass es so nicht weiter gehen kann. Ich weiß auch noch, dass ich es kategorisch abgelehnt habe, ins Heim zu gehen – davor hatte ich eine fürchterliche Angst. Alle Heimkinder (und das waren einige) die ich kannte, waren fürchterliche, schreckliche Kinder, denen es offensichtlich ganz schlecht ging.
    Glücklicherweise schlug die Dame vor, es vielleicht einmal mit Pflegeeltern zu versuchen – ich hatte bis dahin noch nie davon gehört, dass es so etwas gab. Im Nachbardorf vermittelte mir das Jugendamt dann eine Familie, bei der ich mich vorstellen durfte.

    In diesem Dorf hatten einige Familien Pflegekinder aufgenommen. Das waren alles Bauern, deren Kinder meist schon aus dem Haus waren, oder die noch „Platz“ für ein Pflegekind hatten. Überwiegend hatten diese Pflegekinder „nichts zu lachen“, wurden sie doch hauptsächlich deswegen aufgenommen, weil sie eine zusätzliche lukrative Arbeitskraft waren. Auf Erziehung oder gar liebevolles „Miteinander“ hofften die vergebens. Prügel und Arbeit gab’s dafür im Überfluss. Ich wusste das damals alles nicht und bin ziemlich unbekümmert an die Sache herangegangen.
    Ich habe mich mit meiner „Pflegemutter“ verabredet und bin dann an einem Nachmittag nach der Schule mit dem Fahrrad dort hingefahren. Es war zwar nicht Liebe auf den ersten Blick, aber ich mochte sie und sie mich auch und so bin ich dann Mitte September 1975 schon dort hingezogen.

    Ich hatte unverschämtes Glück. Später habe ich das erst richtig realisieren können. Diese Pflegeltern waren anders als die anderen. Meine „Pflegemutter“ hatte ihren Mann mehr oder weniger überredet, ein Pflegekind aufzunehmen. Die eigenen Kinder waren gerade aus dem Haus und ihr war das Haus zu „leer“, wie sie sagte. Es war auch ein Bauernhof – Vollerwerbsbetrieb - und ja, ich musste auch dort arbeiten – genauso wie ihre eigenen Kinder es auch „gemusst“ hatten – nicht mehr und nicht weniger. Das begann für mich langsam und war trotzdem eine gewaltige Umstellung. Irgendwann hatte ich meine festen Aufgaben. Tiere füttern am Abend und an wechselnden Tagen am Wochenende auch morgens, selbstverständlich zu jeder freien Minute mithilfe bei der Ernte, von dem was gerade anstand und wo ich helfen konnte. Unkraut hacken in den Rüben im Frühjahr (boooahh – wie ich das gehasst habe) usw.
    Es wurde aber peinlichst darauf geachtet, dass die Schule immer an erster Stelle steht. Wenn auch so alles gut klingt, so hatten wir doch auch genügend Ärger miteinander. Ich war weiß Gott kein einfacher Bengel und mein Pflegevater war einige Male kurz davor mich `rauszuwerfen. Über den Unsinn den ich da teilweise verzapft habe, könnte ich einige Fortsetzungsgeschichten schreiben. Aber ich bin nie von meinen Pflegeeltern geschlagen worden, bis auf eine einzige gewaltige Tracht Prügel, welche ich mir aber auch ganz gewaltig redlich verdient habe - aber das wäre eine der o.e. Geschichten und die muss ein anderes Mal erzählt werden.

    Trotz der vielen Arbeit gab es auch Freizeit. Die sogenannte „Dorfjugend“ kannte ich schon vorher, da ich auch schon vorher Kontakte in das Dorf hatte, aber ein richtiges Mitglied der Dorfclique wurde ich erst, als ich dort auch wohnte. Diese Clique war schon etwas Besonderes, da waren eigentlich so ziemlich alle „Kinder“ des Dorfes vertreten, alle Altersklassen, von 5 – 25 quasi und wenn es irgendwie ging, wurde sehr viel gemeinsam unternommen. Im Sommer selbst organisierte Zeltlager zu den Feiertagen z.B. oder Fussballturniere gegen / mit den Nachbardörfern. Und wenn es etwas im Dorf zu feiern gab, waren immer alle dabei: Hochzeiten, Polterabende, runde Geburtstage, Kindstaufen und selbst Beerdigungen waren eigentlich immer dörfliche Großereignisse, an denen mehr oder weniger alle teilnahmen. Alkohol floss dabei reichlich. Allerdings achtete man auch da darauf, dass die Kinder es nicht übertrieben. Es galten die Grundsätze: kein Bier vor der Konfirmation und „Wer saufen kann, der kann auch aufstehen!“.
    Das mit der Konfirmation hat mich so bis gegen mein 15. Lebensjahr von den großen Besäufnissen ferngehalten, aber ab dem Zeitpunkt begann eigentlich dann mein regelmäßiger Alkoholkonsum. Zunächst immer nur an den Wochenenden an denen es etwas zu feiern gab. Später dann gab es halt jedes Wochenende einen Anlass, und sei es eben nur der normale Disco-Besuch gewesen.

    Dabei wurde sehr oft bis zum Stillstand der Augen gesoffen - wie ich schon an anderer Stelle schrieb: Komasaufen gab es auch damals schon regelmäßig. In dieser Zeit habe ich dieses „kontrollierte Trinken“ gelernt aus dem mein späteres Pegelsaufen wurde. Ich meine damit, dass ich es damals schon verstand, nicht zu viel zu saufen, sodass ich immer noch mehr oder weniger laufen konnte und mir nicht die Seele aus dem Leib kotzen musste. Außerdem galt ja auch nach wie vor: „Wer saufen kann, der kann auch aufstehen“ und ich hasste es, wenn ich nicht ein Mindestmaß an Kontrolle über mich hatte. Ich hatte dadurch irgendwann den zweifelhaften Ruf, jemand zu sein der „einen ordentlichen Stiefel vertragen konnte“ und trotzdem ein netter Kerl war. Der Alkoholkonsum als Jugendlicher bzw. als Heran-Erwachsener wurde damals in meinem Umfeld auch nie als problematisch gesehen – weder bei mir noch bei den anderen – weder von meinen Pflegeltern noch von meiner Familie.

    Apropos Familie: Meinen Vater besuchte ich regelmäßig auf Veranlassung meiner Pflegemutter und meine Schwester sah ich fast jedes Wochenende an dem sie „Zuhause“ auf dem Land war. Zu meinem Bruder hatte ich kaum Kontakt, wir trafen uns mal zufällig an den Wochenenden bei meiner Schwester.

    Kurze Zeit nach meinem 18. Geburtstag habe ich mich dann aus einem kindischen Streit heraus mit meinen Pflegeltern überworfen. Ich war zu dem Zeitpunkt mal gerade 8 Monate auf dem Gymnasium – direkt in einen anderen Ort hinübergewechselt aus der 10. Klasse der Realschule. Ich war völlig „schulmüde“ – ich hatte überhaupt keine Lust mehr darauf und überhaupt war ich ja nun 18 und konnte schließlich tun und lassen was ich will. Das gab dann bald immer wieder ordentlichen Streit - unter anderem auch, weil ich regelmäßig die Schule schwänzte und lieber in irgendwelchen Cafes abgehangen habe. Irgendwann hatte ich so viele Fehlstunden angesammelt, dass ich fürs Abitur schon mal mindestens ein Jahr hinten heranhängen hätte müssen. Das hat mich dann noch weiter demotiviert und ich habe dann die Schule geschmissen. Allerdings hatte ich mir vorher schon eine Lehrstelle mit der großen Hilfe meines Bruders besorgt – in der Kfz-Werkstatt, in der er als einziger Geselle mit dem Besitzer (Meister) arbeitete. Da die Lehrstelle gut 70 km von meinen Pflegeeltern entfernt war, bin ich dort (im Streit) ausgezogen und habe mein erstes eigenes Zimmer bei meinem Lehrherren bezogen.

    Wie es ab da weiterging, schreibe ich beim nächsten Mal

    Grüße vom
    Kroepel

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!