Lange habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich diesen Thread nennen soll. Der Titel ist mir irgendwie wichtig, möchte ich doch am besten gleich ganz am Anfang klar stellen, wie oft ich mich hier schon wiedergefunden habe und wie oft ich gleichzeitig gedacht habe: „Nein ! –Das kann ich mir nicht einmal vorstellen….“.
Ich habe mich entschlossen, diese – meine – Geschichte hier im offenen Bereich zu schreiben, damit möglichst viele Menschen daran teilhaben können, wenn sie denn wollen. Ich glaube nicht, dass meine Geschichte etwas sehr Besonderes ist – im Sinne von besonders bedeutsam, besonders schön, besonders schrecklich oder besonders unterhaltsam. Aber ich halte sie für erzählenswert – nicht mehr und nicht weniger.
Die „Hürde“ hier schreiben zu dürfen, habe ich am 2. Juni 2011 genommen – ein Jahr ohne bewusst und bemerkt Alkohol in irgendeiner Form konsumiert zu haben. Ich schreibe das ganz gewollt so und komme an anderer Stelle auf diesen Themenkomplex noch zu sprechen.
Sehr oft habe ich hier gelesen und auch an anderer Stelle erfahren, dass viele von uns Alkoholikern sehr viel Zeit und Energie dafür aufwenden um herauszufinden, warum sie „trinken“ oder „getrunken“ haben. Natürlich denke auch ich oft darüber nach, warum alles so gekommen ist und doch ist diese Frage nach dem „Warum“ nicht bestimmend für mich. Viel wichtiger finde ich, dass es so war und dass ich mich jetzt und jederzeit wieder mit der Situation auseinander setzen werde, dass ich alkoholkrank bin und mich dies mein ganzes Leben lang begleiten wird. Ohne Wehmut, ohne einen Verlust zu spüren und ohne auch nur einen Anflug davon, irgendetwas zu vermissen oder zu verpassen. Ihr könnt mir glauben, dass MICH das am allermeisten wundert und ich es genauswenig glauben könnte wie ihr – würde ich es von jemandem anders hören!
Ich bin mir bewusst, dass ich hier ungeschützt schreibe und daher werde ich mich sehr bemühen, niemanden aus meinem Umfeld erkennbar werden zu lassen. Wenn ich hier erkannt werden sollte, nehme ich das in Kauf – auch das gehört zu mir und meiner Krankheit. Die Äußerung von Kommentaren, Diskussionen, gleichen und gegensätzlichen Meinungen sind in diesem Thread von mir ausdrücklich erwünscht. Tut euch keinen Zwang an und nur keine falsche Scheu! Ich freue mich auf einen regen Gedankenaustausch.
Im Vorstellungsbereich hatte ich schon geschrieben, dass ich mich tatsächlich an meinen ersten Vollrausch erinnern kann. Ich war vier Jahre alt und hatte auf der Hochzeit meiner ältesten Schwester alle Erdbeeren aus der Erdbeerbowle gegessen, die ich finden konnte. Das war ziemlich leicht, denn die Gäste sorgten für Nachschub, weil sie diesen besoffenen 4-jährigen Bengel irgendwie lustig fanden. Das Ende davon war allerdings überhaupt nicht lustig – ich erinnere mich deutlich, wie ich nackt in der Badewanne in meiner eigenen Kotze gelegen habe.
Nun, die Tatsache, dass ich hier schreibe zeigt, dass ich damals daraus nicht wirklich etwas fürs Leben gelernt habe. Immerhin hat es dann weitere acht bis neun Jahre gedauert, bis ich das nächste Mal betrunken war. Das ist eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, in welchem familiären Umfeld ich bis dahin aufwuchs.
Ich bin im Juli 1962 geboren, als das vierte Kind und „Nachkömmling“ – mein Bruder ist als nächstes Geschwister 8 Jahre älter als ich und ich war wohl so etwas wie ein Versöhnungsunfall meiner Eltern. Zum Zeitpunkt meiner Geburt war die Versöhnung allerdings schon wieder Geschichte, denn als ich als einziges Kind meiner Eltern im Krankenhaus zur Welt kam, lebte meine Mutter gerade getrennt von meinem Vater.
Meine Geschwister haben mich erst kennengelernt, als ich zweieinhalb Jahre alt war. Soweit ich weiß, hielt sich die Freude über mein Auftauchen in Grenzen. Nur meine zweitälteste Schwester (zehn Jahre älter) hat mich laut eigener Aussage sofort ins Herz geschlossen und sie war es auch, die von Anfang an eigentlich das in meiner meiner Familie war, das man am ehesten als „Mutter“ bezeichnen konnte. Mit ihr und bei ihr habe ich die ersten Jahre meiner Kindheit verbracht. Bis heute pflegen wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander auch wenn wir räumlich doch sehr getrennt leben.
Mein Elternhaus war gar nicht einmal so untypisch für die damaligen Verhältnisse. Mein Vater arbeite als Huf- und Beschlagsschmied ganz zu Anfang meiner Erinnerung noch in einem Handwerksbetrieb bevor er später nach etwas längerer Arbeitslosigkeit als Schlosser und Schweißer auf Montage tätig war. Meine Mutter arbeitete auch außerhalb und ich kann mich eigentlich nur daran erinnern, dass mein Vater und meine Mutter am Wochenende nach Hause kamen und wir „Kinder“ die Woche über in „unserer“ Wohnung alleine waren. Wirklich gut verstanden haben sich meine Eltern laut meiner Erinnerung wohl nie. Streitereien wegen dem Saufen von meinem Vater waren immer an der Tagesordnung und wenn „dem Alten“ (so hieß mein Vater bei uns) die Argumente ausgingen – was ziemlich schnell der Fall war – setzte es Prügel für alle die im Weg waren. Nach heutigen Maßstäben hätten sich meine Eltern sicherlich schon nach dem ersten oder zweiten Kind getrennt, damals ging das aber gar nicht- glaubte meine Mutter wohl zumindest. Immerhin, man musste ja noch schuldig geschieden werden, der Partner und die Kinder waren nicht automatisch durch Unterhalt versorgt und meine Mutter verband wohl auch eine mit der Zeit sehr gefestigte Hassliebe zu meinem Vater. Ich vermute mal, der Begriff der Co-Alkoholikerin existierte im deutschen Sprachgebrauch zwar noch nicht, aber sie stellte ein Musterexemplar dar. Sie fing dann später auch an zu trinken und darüber hinaus Tabletten zu schlucken – eine Kombination aus Appetitzüglern und Kopfschmerztabletten. Wie ich später herausfand, eine damals durchaus häufige Suchtmittelkombination.
Ca. bis zu meinem 9. Lebensjahr lebte ich mit meinen Geschwistern (mehr oder weniger) in unserer Mietwohnung in einer niedersächsischen Kleinstadt. Wir „mussten“ dann dort wegziehen – ich glaube das war 1971.
Ich recherchiere das mal etwas genauer und werde dann weiter schreiben.
Grüße vom
Kroepel