Ich brauche dringend einen Rat!

  • Hallo Anira.
    schön, von Dir zu hören. Das, was Du und deine Familie durchmachen hat auch meine Familie hinter sich. Ich habe durch meinen Alkoholismus auch mein gesamtes Umfeld in den Strudel mit hineingezogen.

    Auch meine Frau hat sich lange nicht von mir getrennt. Aus Angst, ich könnte Ihr was antun. Auch mein Arbeitgeber hat lange Zeit nichts unternommen, obwohl er wußte, daß etwas nicht stimmt. Mir wars nur recht, konnte ich doch weitersaufen und in Selbstmitleid schwelgen.

    Nun ist es so, daß bei mir, und ich kann nur von mir reden, der "Leidensweg" kürzer gewesen wäre, wenn mein Umfeld konsequent losgelassen hätte. Loslassen heißt nicht fallenlassen. Das Perfide ist, daß nicht der Alkoholiker sich dann schuldig fühlt, sondern diejenigen, die ihn verlassen oder besser: loslassen. Daher war es in meinem Fall ein großes Glück, daß meine damalige Frau sich mit meinen Eltern abgesprochen hatte, daß sie mich verlassen wird. Selbst mein Arbeitgeber hatte sich an meine Frau und meine Eltern gewandt. Als ich mit dem Rücken zur Wand stand, die Wohnung, die Ehefrau, der Arbeitsplatz und meine sozialen Bindungen in kürzester Zeit weg waren, hatte ich den Punkt erreicht, an dem mein Selbsterhaltungstrieb einsetzte und ich professionelle Hilfe in Anspruch nahm. Ich machte eine Therapie, wechselte den Wohnort und meinen Freundeskreis und kam so nach und nach wieder in ein normales Leben zurück. Der einzige Grund, warum ich mir helfen ließ, war das Erreichen meines persönlichen Tiefpunktes durch das Loslassen anderer.
    Am 09.06. habe ich meinen 14. Trockengeburtstag. Meine Eltern kommen, meine ex-Frau hat schon einen lieben Brief geschrieben und ich freue mich auf einen schönen Familientag. Ich bin mittlerweile selbstständig, habe Famillie und ein eigenes Haus. Meine Eltern haben sich seinerzeit einer Gruppe ( AL-ANON ) angeschlossen. Allein die Tatsache, daß es Menschen mit dem gleichen Problem gibt, mit denen man darüber sprechen kann, hilft enorm. Als ich meine Therapie machte und danach trocken blieb, habe ich mich natürlich verändert. Hätte sich mein Umfeld nicht darauf eingestellt und sich mitverändert, wäre das heutige Zusammenleben m.E. so nicht möglich. Die Beziehung wäre weiterhin durch Mißtrauen geprägt, da ich als nasser Alkoholiker natürlich einer der besten Lügner war, die es gibt.
    Nach 5 Jahren Trockenheit war ich plötzlich auf der " anderen " Seite. Ich hatte bei den AA eine Quartalstrinkerin kennen gelernt und mich in sie verliebt. In den 4 Jahren unseres Zusammenlebens hatte sie 4 Rückfälle. Es ging so weit, daß sie ihren Schnaps unter meinem Kopfkissen versteckte. Beim Zusammenziehen habe ich ihr gesagt, daß ich mich beim 1. Rückfall von ihr trennen werde. Als es soweit war, hab ich ihre Koffer gepackt und sie im Januar vor die Tür gesetzt. Kurz darauf holten die Nachbarn die Polizei und brachten sie in meine Wohnung zurück. Sie soff dann 1 Woche weiter, bis ein Krankenhaus bereit war, sie aufzunehmen. Ich bin mir sicher, daß die folgenden 3 Rückfälle hätten vermieden werden können, wenn man mich nicht gezwungen hätte, sie wieder aufzunehmen. Klingt hart, aber die Hilfe durch Nichthilfe hätte auch bei Ihr den Leidensweg verkürzt. Ich hoffe für Dich, Deinen Bruder und Deine Mutter, daß Ihr die Kraft findet, loszulassen. Wenn ihr den Weg in eine Angehörigengruppe ( für Deinen Bruder z.B. AL ATEEN ) findet, werdet Ihr den Weg leichter gehen können. Deinem Vater wünsche ich, daß er bald an dem Punkt angekommen ist, an dem er selber umkehren möchte.

    Wicki

    Wenn einer, der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der. (Wilhelm Busch)

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