Hallo Whitecat,
die scheinbare Aussichtslosigkeit der Lage hat Deine Mom in ein tiefes Loch stürzen lassen, vermutlich auch das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Mit dem Alkohol raubt sie sich nun auch noch alle verbliebenen Energien und verharrt in der Starre und Depression.
Ich habe in den letzten Stunden überlegt, was ich tun würde, wäre ich an Deiner Stelle.
Du schreibst, dass sie auf alle Ansagen oder Hilfsangebote nur mit den Schultern zuckt und scheinbar nicht mehr zu erreichen ist.
Der nasse Alki fühlt sich ja schnell unter Druck gesetzt, gegängelt, beleidigt, mit Vorwürfen überhäuft oder auch bemitleidet, wenn man ihm entsprechende Hilfsangebote macht oder mal die Fakten nennt. Da macht er die Schotten zu. Bei fast jedem Menschen gibt es aber diese weiche Stelle, wo er zugänglich ist. Die lässt er aber nur selbst zu, meistens dann, wenn er allein vor sich hinsüffelt und das heulende Elend bekommt oder am nächsten Morgen mit Katzenjammer wieder aufwacht.
Ich würde ihr deshalb einen Brief schreiben und ihn wortlos bei ihr abgeben.
Ich würde ihr darin schildern, wie Du es hier bereits getan hast, wie ihr Leben früher ausgesehen hat, selbstständig, fleißig, respektiert und anerkannt. Dass es mit einer Umschulung vielleicht möglich wäre, dort wieder anzuknüpfen. Wer so selbstständig war in seinem Leben, schafft auch den Weg in die Selbsthilfe, auch wenn es Mut braucht.
Ich würde ihr mitteilen, wie schlecht es mir geht und wie sehr ich unter dieser Situation leide, weil ich ihr nicht helfen kann, zumal mich alle Anderen dafür verantwortlich machen. Keine Vorwürfe wegen des Mannes, dem sie noch heimlich auf die Bude gerückt ist, weil sie ihn trotz allem vermisst hat. Schriftlich würde ich ihr versichern, dass ich sie jederzeit unterstützen würde, wenn sie so weit ist, sich auf den Weg zu machen, um sich aus dieser Misere zu befreien. Ich würde ihr auch schreiben, dass ich dankbar bin, für alles, was sie für mich getan hat. Rührselige Nudel die ich nun mal bin, würde ich vermutlich enden mit: „Mum, ich möchte Dich so gern zurück haben“, mit anderen Worten: Ich würde einfach alles rauslassen bei ihr, um mal meinen Druck loszuwerden.
Keine Sekunde lang aber würde ich dabei aus dem Auge verlieren, dass meine Mutter ihren Weg selbst gewählt hat und ich absolut keine Anteile daran habe. Du bist nicht schuld daran, dass sie trinkt! Deine Freunde haben keinen blassen Schimmer von Alkoholismus und Deine Verwandten ebenfalls nicht. Einen Menschen „nicht im Stich zu lassen“ hat eine andere Qualität als bei dem Leid draufzugehen, weil man einem geliebten Menschen nicht helfen kann. Du kannst ihr nicht helfen, diesen Schritt muss sie allein gehen. Du kannst nur da sein und sie nach dem ersten Schritt ermutigen, Dich mit ihr über Fortschritte freuen, damit sie nicht vergisst, dass sie nicht allein ist. Ich denke, sie ist eine sehr stolze Frau und das alles muss erst einmal sacken.
Natürlich ist so ein Brief keine Garantie dafür, dass sie sich mit wehendem Kittel in die Therapie begibt, aber dann hast Du wirklich alles Menschenmögliche getan und es ist an ihr, eine Entscheidung zu treffen. Den Brief mag sie lesen oder auch nicht. Vielleicht schmeißt sie ihn beim ersten Lesen in die Ecke, vielleicht holt sie ihn wieder hervor und liest ihn erneut.
Vielleicht verdrängt sie den Inhalt für die nächsten zwei Jahre, vielleicht auch für den Rest ihres Lebens.
Für Dich selbst ist vermutlich eine SHG für Angehörige hilfreich, damit Du ebenfalls sehen kannst, dass Du nicht allein bist mit Deinem Problem. Niemand kann einen Angehörigen trocken reden oder betteln und vielleicht kann Dir dort vermittelt werden, welche psychischen Probleme Dich noch erwarten können, wenn Du dich nicht aus diesem Gefühl der Schuld und Verantwortung lösen kannst. Dich bedrückt diese Situation ja jetzt bereits seit Jahren. Ich würde mich übrigens auch von Familienfeiern distanzieren, wenn da weiterhin so absurde Vorwürfe kommen, die mir so sehr schaden. Deine Mutter wäre doch auch gar nicht allein, wenn Du dich notgedrungen zurückziehen musst. Sie hat ihre eigene Mutter, die immerhin für sie da ist (anders als Deine Mutter für Dich) und die anderen Verwandten, die sich gegenseitig etwas vorturnen können und Dir den Schwarzen Peter zuschustern wollen. Es ist alles sicher nicht leicht für Dich, aber die Alternative wäre, so weiter zu machen, bis Deine Mutter nicht mehr da ist und damit wäre Dein eigenes Leben auch verloren.
Viel Kraft wünsche ich Dir.
Herzliche Grüße
Katha
PS: Das Kindergeld steht Dir zu und es gibt absolut keinen Grund, deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben.