Vergangenheit immer noch nicht ganz verarbeitet...

  • Danke für die Aufnahme hier im Forum!

    Bis heute verfolgt mich die Alkoholsucht meiner Mutter, obwohl ich inzwischen 41 Jahre alt bin und vor über zwanzig Jahren “von Zuhause“ ausgezogen bin und vor fast zehn Jahren den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen habe.

    Im Großen und Ganzen komme ich gut mit meinem Leben klar, bin glücklicherweise selbst nicht zur Alkoholikerin geworden, sondern mache mir aus Alkohol nicht viel, und habe eine stabile und liebevolle Beziehung zu einem psychisch gesunden Mann.

    Allerdings hat mich die Alkoholabhängigkeit meiner Mutter stark geprägt und verfolgt mich bis heute. Ich habe in meiner Kindheit viele destruktive und für mich nachteilige Verhaltensmuster gelernt, die ich bis heute nicht abschütteln konnte - ich bin konfliktscheu, gerate in Panik schon beim kleinsten Anlass (z.B. wenn sich Leute auf der Straße laut streiten oder ich Schritte im Treppenhaus höre), neige zu Kontrollsucht („höre die Flöhe husten“ und registriere automatisch, ob auf einem Kassenbon, den ich im Müll sehe, Alkohol oder was anderes Ungesundes steht,...), mag immer noch nicht gerne Leute zu mir nach Hause einladen, neige zu Geheimniskrämerei, mache Probleme mit mir selbst ab und vertraue mich keinem an...

    Kurz zu meiner Mutter: Sie war alleinerziehend, war bei meiner Geburt erst zwanzig, hatte im Laufe ihres Lebens viele Männergeschichten - meist leider mit Alkoholikern, Spielern, Depressiven, Schlägern, Arbeitslosen... Durch den ersten dieser Partner kam sie mit Anfang zwanzig zum Alkohol. Dabei hat sie eigentlich nur selbst nach Liebe und einer stabilen Beziehung gesucht, wollte heiraten und ein geordnetes Leben führen. Zum Glück hat sie immerhin keine weiteren Kinder bekommen.

    Es würde zu lange dauern, die ganze Geschichte hier zu schildern. Jedenfalls habe ich in meiner Kindheit viel Streit, Geschrei, Gewalt zwischen meiner Mutter und ihrem Partner gesehen (zum Glück hat mir körperlich nie jemand etwas angetan), aber ich hatte ständig Angst um meine Mutter. Weitere Familie hatte ich nicht, sodass ich nie jemanden hatte, dem ich mich anvertrauen konnte. Vor Nachbarn und Klassenkameraden waren die häuslichen Probleme natürlich tabu. Als ich erwachsen war, hat meine Mutter dann auch nicht mehr ganz soviel getrunken, und Männer spielten auch immer weniger eine Rolle. Meine Mutter wurde aber trotzdem immer dünnhäutiger und jammeriger, und ich musste (oder hatte das Gefühl zu müssen) sie immer trösten, wenn sie mal wieder wegen einer Nichtigkeit „verzweifelt“ war... Vor etwa zehn Jahren habe ich leider erst gemerkt, wie sehr ich mich immer noch von den Problemen meiner Mutter herunterziehen lasse, obwohl ich längst mit meinem Partner zusammen- und weit weg von meiner Mutter wohnte. Da habe ich dann endlich, wenn auch viel zu spät, den Schlussstrich gezogen und den Kontakt zu ihr abgebrochen. Ich wünsche mir, dass es ihr gutgeht, aber ich muss an mich denken und kann mich nicht mehr um sie kümmern und für sie da sein.

    Manchmal kommen alte Erinnerungen wieder hoch, und dann wünsche ich mir den Austausch mit anderen EKAs. Ich hoffe, hier nette Leute kennenzulernen.

    Liebe Grüße!

  • Hallo Miss Daisy,

    schön dass Du dabei bist. Wenn ich Deine Geschichte lese, erinnert mich da vieles an meine Zeit mit meiner trinkenden Mutter.
    Ich habe im Januar den Kontakt zu meiner Mutter voerst eingestellt.
    Ich möchte keine Anrufe, keine SMS mehr. Lange habe ich mir diesen Schritt überlegt. Aber nach jedem Anruf, bei dem sie wieder getrunken hatte, war ich einfach nur durch den Wind, wütend. Es lässt mich nach den langen Jahren immer noch nicht los. Ich wollte es nicht mehr.
    Ich habe hier im Forum viel bei den Co's und den trockenen bzw. trocken werden wollenden Alkoholikern gelesen. Ich versuche daraus für mich zu lernen, gerade was das Thema Schuld und Verzeihen betrifft. Wichtig ist für mich einzusehen, dass der Alkoholmissbrauch eine Krankheit ist.
    Aber der eine Satz, Was mir nicht gut tut, lasse ich los, der hat mich zum Nachdenken gebracht. Meine Mutter tat und tut mir nicht gut.
    Mir soll es aber besser gehen, ich will diese Schatten endlich loswerden. Auch nicht immer alles nur mit mir selbst ausmachen, so wie Du dass auch beschreibst. Ich fühle mich etwas befreiter, nachdem ich den Kontakt jetzt eingestellt habe.
    Ich würde mich über einen weiteren Austausch sehr freuen.

    Eine gute Zeit und viele Grüße!

  • Hallo Grünes Kistchen (und alle anderen, die dies hier lesen),

    in einem anderen Thread hast Du geschrieben:
    „Mein Selbstwertgefühl ist sehr niedrig, ich habe das Gefühl mich ständig verteidigen, rechtfertigen zu müssen. Ich kann von Wärme jäh in Kaltschnäuzigkeit umschalten und habe damit schon einige Leute vor den Kopf gestoßen.“
    Oh Mann, genauso geht‘s mir auch.

    Ich lese hier im Forum die verschiedenen Threads, und mich überkommt eine solche Wut (Wut konnte ich lange Zeit nicht fühlen, sondern nur Mitleid, Selbstmitleid, Traurigkeit usw. - Wut ist immerhin ein Fortschritt). Wir sind die Opfer, nicht die Täter! Guck Dir mal an, wie winzig kleine Schulkinder sind, wenn sie so neben Dir stehen, und stell Dir vor, so klein warst Du auch, als Du schon so große Sorgen wie die Alkoholsucht Deiner Erziehungsberechtigten hattest. Wenn man dann nicht Mitleid mit sich selbst bekommt, weiß ich auch nicht. Und was tun wir? Wir verteidigen die Täter, entschuldigen sie, haben ein schlechtes Gewissen, dass wir uns von ihnen distanzieren wollen...

    Ich kann nur Werbung dafür machen, Euch von Euren alkoholabhängigen Eltern/Partner, was auch immer, zu lösen. Ja, das ist schwer, ich habe den Schritt vor knapp zehn Jahren endlich gewagt und habe jahrelang getrauert, Albträume, riesiges Mitleid mit meiner Mutter gehabt, aber: das ging irgendwann weg (nach ca. drei Jahren ohne Kontakt). Geholfen hat, dass ich meine E-Mailadresse und Telefonnummer geändert hab und weit weg wohnte. Ich weiß nicht, wie es meiner Mutter heute geht, ob sie lebt oder nicht, ob sie trinkt oder nicht. Keine Ahnung, kann mir auch egal sein. Ich denke oft an sie und wünsche Ihr alles Gute, aber lösen kann/konnte ich ihre Probleme nicht.

    Ich musste an mich denken und beispielsweise neue Kommunikationsmuster lernen und die alten aus meiner Kindheit verlernen, um nicht auf Dauer auch noch meine Ehe und Freundschaften zu gefährden.

    Ja, es gab auch gute Zeiten, und meine Mutter hat viele gute Eigenschaften und viel in meiner Erziehung richtig gemacht. Sie hat es nicht böse gemeint. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mich von ihr distanzieren und den Kontakt abbrechen musste.

    Da stimmt doch etwas nicht, wenn man als erwachsener Mensch mit eigener Familie immer noch Herzklopfen vor jedem Telefonat mit der Mutter hat, hinterher weint und traurig ist und sich von seinem Ehemann trösten lassen muss.

    @ Grünes Kistchen: Halte durch und steh zu Deinem Entschluss, Dich von Deiner Mutter zu distanzieren, es ist meiner Meinung nach eine gesunde Entscheidung!

  • Hallo Miss Daisy!

    Ich schreibe in diesem Thread weiter, habe auch Deinen anderen gelesen und möchte den Stein auch gern weiter "rollen" lassen.
    Den Schritt, den Kontakt zu meiner Mutter einzustellen, sind viele Jahre mit Überlegungen und Zweifeln einhergegangen. Innerlich habe ich mich schon lange von ihr getrennt, aber auf der anderen Seite das Wissen, sie ist doch meine Mutter. Ich habe meinem Bruder gegenüber einmal angedeutet, dass ich einen Kontaktabbruch für mich in Betracht ziehe, er hat mir darauf geantwortet, aber sie ist doch unsere Mutter. Schlechtes Gewissen war nahezu vorprogrammiert. Letztendlich hat mich eine Aussage von ihr dazu gebracht diesen Schritt zu gehen. Sie hat sich von ihrem Lebensgefährten getrennt, der die Alkoholsucht auch nicht mehr ertragen hat und zudem schwer erkrankt war. Meine Mutter ist in eine andere Stadt gezogen. Ich wollte nicht, dass alles an meine Geschwistern hängenbleibt, die in ihrer Nähe wohnen. So wollte ich sie zusammen mit meiner Tochter besuchen, Hilfe anbieten, wenn nötig, sich einfach mal wiedersehen. Über meine Schwester hat sie mir sagen lassen, dass sie mich nicht sehen will. BITTE?????
    Danach kamen zeitverzögert so viele Erinnerungen aus meiner Kindheit hoch, Dinge, an die ich mich so genau erinnert habe, als wäre es noch nicht lang her. Es war wie die Büchse der Pandora. Da wußte ich, du mußt etwas tun. Sonst frißt es mich auf, ich will nicht mehr. Nach gut 1,5 Monaten fühle ich mich beser, ich danke zwar fast täglich an sie, aber es fühlt sich anders an. Ein bisschen meines neuen Selbstvertrauens habe ich bereits auch anderswo einfließen lassen. Ich denke nicht mehr so viel darüber nach, was XY von mir denken. Ich lasse meine Meinungen und Aussagen stehen, ohne mich zu rechtfertigen. Und ich sage nein!
    Trotzdem ist es noch ein weiter Weg für mich zu erkennen, es muß mir gut gehen, es geht nur um mich. Lütte hat mir geschrieben, sie wünscht mir Kraft, mich in den Mittelpunkt zu stellen. Sie hat recht.
    So, ich hoffe, dass der Stein weiterrollt, liebe Grüße!

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