Tag 9 nach A

  • Hallo alle,

    - muss meinen Kopf mal etwas erleichtern, sonst kippt er noch zur Seite – :?

    bei „wer ist wer“ habe ich mich ja gestern schon kurz vorgestellt und auch mal nachgesehen mit wem ich es zu tun habe. Viele liebe Leute.
    Ich habe das Gefühl als säßen wir tatsächlich alle in einem Boot das auf einem Meer von Alkohol mal ruhig schaukelt, mal stürmisch schwankt und wir sind alle Nichtschwimmer die ertrinken wenn sie aussteigen.
    Die Geschichten und Schicksale die hinter den Namen stehen ähneln sich doch oft sehr und sind für mich trotzdem oder gerade deshalb beeindruckend in ihrer Ehrlichkeit.
    Einen Nickname wollte ich nicht nehmen, weil es mir leichter fällt, wenn ich mit meinem Namen angeschrieben werde. Das ist für mich ein Vorschuss meines Vertrauens an euch.
    Auch ich habe mein Gedächtnis jahrelang missbraucht um zu überlegen welche Läden ich zuletzt zum Nachtanken aufgesucht habe und ein paar Pseudo- Lebensmittel mit aufs Band gelegt. Die vielen bescheuerten Dummheiten die ich unter Zwangsverhalten einordne, die fast alle von uns kennen und selbst durchlitten haben, muss ich nicht noch mal aus meiner Karriere wiederholen, es ist bitter genug das mitgemacht zu haben und zu realisieren das andere genauso gestört waren wie ich.
    Seit Januar dieses Jahres bin ich Single. Nach 20 Jahren Ehe und drei wunderbaren Kids (20,16 und acht). Mein großer ist gerade seit dem ersten Tag meines Entzugs bei mir zu Besuch, was mir doch eine gewisse Sicherheit gibt.
    An Zufälle habe ich nie geglaubt, höchstens daran das etwas erst passiert wenn die Zeit reif dazu ist und es einem dann wie ein Zufall vorkommt. Da meine größeren Kids was Alk und Drogen angeht so gar nichts mit mir gemeinsam haben und ich niemals aggressiv wurde als wir noch zusammen lebten und ich getrunken hatte, was leider ständig der Fall war, kann mein Sohn nicht wirklich nachvollziehen wie es mir momentan geht und ich möchte ihm meinen inneren Aufruhr nicht im Detail auflasten, obwohl ich ihm natürlich erzählt habe was mit mir los ist. Das er gerade da ist, finde ich schön genug.
    Auch wenn die Trennung nicht wegen des Alkohols war, sondern weil die Liebe starb, habe ich als Vater und Ehemann besonders in den letzten drei Jahren keine besonders tolle Figur gemacht. Als abschreckendes Beispiel für meine zwei älteren Jungs höchstens.

    Es ist nicht das erste Mal das ich entziehe, aber es soll das letzte Mal sein.
    Die ersten Versuche machte ich ohne Medikamente und sie gingen was das körperliche Befinden anbelangt zum Glück gut. Keine Ahnung ob die Medikamente von meinem Doc, welche ich jetzt nehme wirklich helfen, denn m.E spielt sich alles im Kopf ab.
    Wenn die innere Bereitschaft nicht ganz auf das eine Ziel fokussiert ist, können auch keine Tabletten und Ersatzstoffe helfen. Der letzte Tritt in den Hintern kommt von Innen.
    Selbstreflexion und Analyse sind, so gehe ich mal von aus, den meisten sich hier im Forum als Gast oder Aktiv aufhaltenden schon alleine wegen des Alkoholikerseins quasi angeboren. Jeder von uns stellt sich jeden Morgen die Matrix Frage – nehme ich die rote, oder die blaue Pille? Für mich kommt nur noch die süße trockene in Frage, die andere hängt mir schon seit Jahren so weit zum Hals raus, das ich würgen könnte wenn ich nur daran denke.

    Irgendwie ist es diesmal jedoch so anders. Ich weis nicht ob das jemand nachvollziehen kann, aber den Tag als ich zum ersten Mal in diesem Forum las werde ich wohl nicht so schnell vergessen. Es war der letzte an dem ich Alkohol getrunken hatte.
    Davor kann ich an drei Fingern abzählen wie oft ich seit Ewigkeiten auch nur einen Tag nicht betrunken gewesen wäre. Zuletzt mindestens ein Flasche hochprozentiges Etwas, wählerisch war ich schon lange nicht mehr.
    Ein Schalter machte am letzten Montag einfach Klick, als wäre er schon überspannt und kurz vorm bersten gewesen und auch wenn ich seitdem körperliche Entzugserscheinungen von morgens bis in die Nacht habe, ist das geistige Bedürfnis nach Alkohol nicht vorhanden. Keine Gier. Ehrlich gesagt verstehe ich es nicht ganz. Der Heißhunger auf alles ist wie üblich beim Entziehen ist da, genauso der übermäßige Durst nach normaler Flüssigkeit. Ok, ich schlafe nur schwer ein, aber meine Gedanke wirbeln nicht so umher wie vorher.
    Ich darf seit der ersten Nacht wieder träumen, kann mich daran erinnern und stehe morgens auf, fitt wie ein Karnickel. Im Spiegel ist fast wieder der Mensch den ich mal kannte, aus einem Leben vor dem Alkohol. Unruhe – ja, Druckgefühl im Brustkorb – auch ja, hält sich in Grenzen usw…..
    Aber irgendwie kommt mir alles fast zu leicht und virtuell vor. Es kommt mir einfach nicht in den Sinn auch nur einen Schluck zu trinken damit es mir besser geht. Ein besser als jetzt gibt es nur wenn ich das gröbste hinter mir habe.
    Kann kaum glauben das es erst 10 Tage her ist das sich bei mir fast alles nur um das eine drehte, weil es der Mittelpunkt einer idiotischen Welt war.
    Es wird wohl das viele Lesen im Forum in den letzten Tagen und die Endgültigkeit mit der ich am ersten Tag ins Bett gegangen bin sein. Anders kann ich es mir nicht erklären.

    Hey – sorry, ist länger geworden als ich dachte, aber Schreiben ist Therapie für mich.
    Möchte keinen langweilen, aber viele Gesprächspartner zu diesem Thema, das mein Leben so viele Jahre bestimmte hatte ich nicht. In der Semi Anonymität fällt es mir leichter stelle ich fest, als wäre eine Barriere gebrochen. :wink:

    Bis denn – sende allen die es selbst wünschen trocken zu bleiben oder zu werden viel Kraft.
    Ivo

  • Guten Morgen Peter, Peter und andere die hier lesen.

    ein trockener Tag zehn ist angebrochen, nach einer kurzen, aber erholsamen Nacht.
    Kann gar nicht beschreiben wie froh ich bin das es Klick gemacht hat.

    Gestern Abend hatte ich mir alles in Gedichte und sinnliches durchgelesen. Im letzten halben Jahr schrieb ich so manches Gedicht und einige meiner Gedanken auf als es mir weniger gut ging. Zur Erleichterung. Gezeigt habe ich mein Geschreibsel nur zwei Personen von denen ich weiss das sie meine Gedankengänge nachvollziehen können. Vorhin wollte ich ein Gedicht mit einbringen, was aber ohne erweitrten Zugang nicht geht - Schade eigentlich.

    Ich möchte an dieser Stelle etwas von meinen Sachen weitergeben. Weil ich dort gut sehen kann wo ich herkomme, wo ich nicht mehr hin zurückkehren will. Vielleicht erkennt sich der eine oder die andere darin wieder.

    Traumleere


    Viel zu oft nur unendliche Leere in mir, Leere die ich nicht füllen kann. Nichts zum Füllen habe. Nichts zum Füllen in Aussicht sehe.
    Tropfenweise fülle ich, eimerweise vergieße ich, stammle mir beruhigende Entschuldigungen zu. Zähre von erdachten Erinnerungen an mögliche Erfolgserlebnisse.
    Suche nach Sinn, nach mir, finde mich nicht, da ich mich nicht kenne, mich nicht in mir erkenne. Glaube es.
    Passion. Leidenschaft die Leiden schafft. Will aufräumen und stelle doch nur um. Will angstfrei sein und leben, kann mir jedoch nichts vergeben.
    Selbstmitleid und Trauer als Ersatz für Freiheit und Mut. Loslassen ein Fremdwort. Entbehrung das Hauptwort.
    Sehnsucht als Füllmaterial für die Zeit, die mir durch die Finger rinnt.
    Im Spiegel mal die Wahrheit, mal der Träumer, der sich Illusionen in die Augen projiziert und selbst so gerne daran glaubt.
    Alternativen die ich nicht gehe, Freiraum den ich nicht verstehe, verschenke und verwerfe, als gäbe es ein zweites paralleles Sein, wo die Geschichte steht und nicht vergeht, Möglichkeiten eröffnet, die ich in dieser Realität nicht erfahre.
    Wissen als Ohnmacht, als Barriere die vom Handeln abhält anstatt zu fördern.
    Klare Phantasiegebilde, die mir deutlich zeigen was ich möchte, was für mich zählt.
    Zahlen von Hindernissen, die ich selbst wähle, wissend eine Wahl zu haben und doch als nicht Wahlberechtigter sich fühlend.
    Habe ICH dieses Los gezogen - und nicht rechtzeitig weggeworfen, nicht darauf bestanden zu vergessen, als es noch Gelegenheit gab?
    Neuanfang ist anders, ist leer und frei, ist befreiend offen, ist neu und frisch wie duftender Frühling, ist neugierig und verspielt, vergnügt und fordernd, keimend und nicht verkeimt, anderes als das was ich sehe, was ich mir mit Gewalt gebe und zugestehe.
    Tausende Gabeln um mich rum und alles was ich brauche ist ein einziges Messer.
    Erinnere ich mich an mich, so finde ich ein Kind das nicht erwachsen werden wollte, das gleich am Ziel sein sollte, weil es glaubte den Weg schon mal zu Ende gegangen zu sein.
    Zukunft als Ausweg und Phantom zugleich, das Jetzt, als notwendiges Übel, als bestehende, unleugbare inwendige Wahrheit ohne viel erkennbaren Sinn.
    Regungslos und steif sitze ich vor mich hin starrend mir gegenüber, mich selbst teils sarkastisch, teils wissend ironisch belächelnd.
    Manchmal, in seltenen Momenten fühle ich mich, merke dass ich bin, dass ich da bin, wo ich mich nicht hingehörig denke und doch hindurch muss, wie durch eine zähe Masse.
    Ein Pfand habe, den ich zurückgeben muss, an das Etwas das mich erschaffen hat, mir immer so unendlich geduldig und wohlwollend Gelegenheit gibt mich multidimensional zu erfahren.
    Auffüllen mit Taten, säckeweise sammeln von Unnötigen Ballast und Tragen der angehäuften Bürden. Ertragen der eigenen Schwäche, erflehen von Heilung.
    Verbitterung so oft wie nötig. Nötig wie bitterer Honig von einer sadistischen Biene wie mir.
    Verschwinden geht nicht, nur Flucht in nicht Wahrnehmen wollen.
    Kein Ausweg, nur eine Ehrenrunde, ohne Ehre und ohne Stolz.
    Gelebter Wahnsinn als Mittel die Realität zu verschönern, zu verschleiern und anzupassen wie ein zu weites Kleidungsstück an eine zu enge Situation.
    In Begrenztheit Wohlgefallen finden. Signale aussenden und auf Antwort hoffend Tagträume erschaffen die keines Kommentars bedürfen, die für sich selbst stehend Machtlosigkeit auf Umwege steuern und am Ende ins Leer führen.
    Maßlosigkeiten im Kopf führen mich, ich weis nur nicht wohin, raus oder rein in was auch immer. Bedauerndes Erstaunen über das erwartete Nichtgeschehen bleibt.
    Gedankliche Abstraktionen sind die traurigen Konsequenzen, die am Ende von mir weg zerren, anstatt einen Weg ins Innere aufzuzeigen. Gedankenfetzen aneinander reihen anstatt in Sätzen formulierend zu folgern und Handlungen zu verteidigen.
    Kleine Inseln von Standpunkten auf denen nur ein Einbeiniger torkelnd Platz hat.
    Lustlosigkeit wegen Sinnesmangel, wegen selbst gewähltem Entzug von dem was mir fehlt.
    Immer wieder, und noch mal und noch mal, immer und immer wieder im Kreise drehen.
    Dieselben leisen Kreise, sich wiederholend wie in einer Spirale spielend; im Spiel sich in den Einzelteilen wieder erkennend bei jeder spiralen Begegnung, jeder Windung um sich selbst; sicher sein, die bekannten Fehler bei der nächsten Drehung besser zu machen.
    Die Fehler zu perfektionieren und davon zu profitieren.
    Gedanken Konstrukte von anderen annehmen und wieder verwerfen. Versagen und verzagen, Vernunft vertreiben, Verneinen und Weinen. Gedanken vereinen und verfeinern, kombinieren und am Ende keinen Schluss draus ziehen. Noch höher Steigen um tiefer zu fallen.
    Dazu habe ich viel zu viel gelernt, um mich so weit aus dem Fenster zu lehnen.
    Keine Schlüsse – alles ist immer offen. Das wäre doch gelacht. Aber.
    Lachen ist ein Ausnahmezustand, Spaß ist eine Tombola.
    Selbstauferlegter Kommunikationszwang um nicht am inneren Aufruhr zu Grunde zu gehen.
    Suche um des Suchens Willen. Viel zu finden habe ich aufgegeben, fast.
    Die Hoffnung bleibt, dass die Hoffnungslosigkeit nicht hoffnungslos ist.
    Anstrengende Öffnungsversuche mit kleinen Belohnungen für bemühte Momente der Ehrlichkeit. Aufmerksamkeitsgesuche, wissend um die hohe Nummer die ich gezogen habe.
    Verwirrungen und Verirrungen, keine gleichberechtigten Partner wie Bejahung oder Bewegung in Aussicht. Zu häufig das demütige Hinnehmen von Verneinung und sich fügen.
    Äußere Coolness als starre Maske ohne Makel, ohne Schwächen.
    Innere Unzufriedenheit, Zerrissenheit meistens gut versteckt. Die Falten in meinem Gesicht werden tiefer und zeigen nach unten, nicht wie Lachfalten.
    Zeitweise erdrückend und beschämend mich morgens im Spiegel zu sehen. Zu sehen was aus mir geworden ist, was ich tagtäglich mit mir veranstalte, mich verunstalte.
    Einstecken, Austeilen, Einteilen, Verteilen, Zuteilen, Beteiligen in Abteilungen, an was eigentlich? Teilungsschmerz, geteilter Scherz.
    Warten und die Zeit vertreiben, von sich treiben, nichts mit ihr zu tun haben wollen.
    Nichts Tun mit Absicht, ohne Vorsicht und ohne Voraussicht, eben vorsätzlich.
    Depressiv sein ohne zögern zu können. Defensiv sein, sich zurückziehen bis mein Rücken von der Wand gestoppt wird und weiterer Rückzug nur noch durch sie hindurch gehen kann.
    Kontaktarm sein und versteckt hinter Mauern so hoch, so dick und massiv, so lang und unüberwindbar, das alles so unüberschaubar wird, weil Verletzlichkeit in großen Graffitis mit unsichtbarer Farbe dran gesprüht ist. Tränenfeste Farbe.
    Der Dauerversuch, bröckchenweise abzutragen und an anderer Stelle wieder einzufügen, wie eine Termite mit eigenem Speichel zu bauen, zur Untermauerung der Einsichten über Aussichten hinter der Mauer. Anketten und in selbst aufgestellte Fallen tappen. Fettnäpfchen verstreuen damit ich nicht zu übermütig werde und glaube ich könnte geradeaus laufen.
    Szenen einer Ehe, immer noch als aktuelles und übergroßes Problemgebilde, als Die entscheidende Herausforderung zur Begegnung mit der Urteilslosigkeit.
    Nicht mehr bewerten und einpressen, zupressen und fesseln.
    Da lauern erlernte, einprogrammierte und vordefinierte Befürchtungen hinter jeder Ecke, mich ganz zu geben, mich zu verdrehen, zu verleugnen, mich selbst zu vergessen und nicht mehr zu verstehen, wieder gefangen vor Verlangen, ausgeliefert sein und zu verlieren, zuletzt zu gefrieren und endlich wieder vor mich hin zu vegetieren, teilnahmslos auf der Strecke am Wegesrand bleiben, und Schuld zu suchen wo ich keine finden will.
    Findelkind im kalten Wind. La dolce Vita hinter Nebeln aus Regen versunken, verwunschen und hinweg geräumt.
    Ist's nun versäumt, oder habe ich alles wieder Mal nur geträumt? Der Wind pfeift durch das Loch in meinem Herzen. Bisher nicht zu verschmerzen.

    Es ist das längste aus meiner kleinen Sammlung, war auch ein besch...ner Tag an dem das aus mir raus musste.

    Schönen Tag, Zwischenziel ist die erst mal die "0" hinter der 10. Finde ich nicht zu hoch gesteckt. So, muss noch mal zu meinem Doc
    Ivo :D

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