Danke für dieses Forum

  • ...liebe Forumsteilnehmer/innen.
    Erst einmal möchte ich sagen, dass ich dankbar bin, dass es dieses Forum gibt. Ich bin 42 Jahre alt. Mein Mann ist Alkoholiker. Seit einer Woche geht er wieder (nach 15 Jahren, in denen er auf andere Art "herumexperimentiert" hat, wobei ich ihn zeitweise unterstützte) zu den AA. Mein Vater war/ist ebenfalls Alkoholiker, jedenfalls in meinen Augen. Für ihn selbst ist das allerdings kein Thema. Er hat ja damit nichts äußerliches kaputtgemacht. D.h. meine Mutter ist bei ihm geblieben, seinen Job als Maurer hat er nicht verloren, nicht einmal seinen Führerschein hat er verloren, obwohl er fast täglich besoffen von der Arbeit heimfuhr. Daheim machte er je nachdem, wie sehr er besoffen war, Krach, fing an herumzuschreien und uns herunterzumachen. Wir zitterten vor ihm. Mit ungefähr 17 Jahren trank ich selber eine Weile lang jedes Wochenende solange, bis alles nicht mehr so schlimm zu sein schien; zu der Zeit war ich mit der Schule fertig und arbeitslos. Das ging ein paar Monate lang so. Meine Eltern wussten das natürlich aber schwiegen, taten so als wäre nichts. Eines Tages kam mir die Erleuchtung, dass das mit meinem Leben nichts mehr werden würde, wenn ich so weitermachte. Also besorgte ich mir einen Job, ein Zimmer und zog aus. Meine Wochenendsbesäufnisse fielen automatisch weg. Ich fühlte mich sicher vor meinem Vater, war in meinen eigenen vier Wänden, da brauchte ich das nicht mehr. Ich dachte, die ganze Sache sei für mich nun erledigt. Aber das war ein Trugschluss. Nichts war erledigt. Ich hatte eine enorme Wut auf meinen Vater wegen dieser Scheißkindheit, die fast nur aus Angst bestand, und ich verdrängte diese Wut, weil ich dachte, ich müsse und könne ja jetzt ein ganz anderes Leben beginnen. Aber man kann die Vergangenheit nicht loswerden, indem man sie einfach ignoriert. Ich war unfähig, normale Kontakte mit Menschen aufzubauen. Ich hatte Angst, mit Menschen an einem Tisch zu sitzen (am Tisch beim Abendessen war es zuhause immer am schlimmsten gewesen). Ich hatte gelernt, schlimme Dinge (speziell Aggressionen) auszuhalten ohne offen zu sagen, wie es mir dabei geht. Und diese Verhaltensweise behielt ich bei und bemerke sie auch heute noch hin und wieder. Doch heute gelingt es mir immer häufiger, liebevoll zu mir selbst zu sein und mir gewisse Situationen einfach nicht mehr anzutun.
    Ja, die Sache war nicht erledigt. Ich lernte meinen Mann in einer Kneipe kennen, es war Fasching, alle waren lustig und mehr oder weniger betrunken. Was mit ihm los war, merkte ich zunächst nicht. Ich habe trotz aller Liebe, die auch heute noch da ist, diesen Tag oftmals verwünscht, denn was ich in 12 Jahren mit ihm mitmachte... so hatte ich mir mein Leben wirklich nicht vorgestellt. Ich habe tatsächlich 12 Jahre gebraucht, um aufzuhören, verzweifelt, empört, wütend zu sein, weil ein anderer Mensch sich anders verhält, als ich es erwarte. Mein Gott. 12 Jahre brauchte ich um zu erkennen, dass er niemals wegen mir und unseren Hunden mit dem Trinken aufhören würde, und dass er es selbst anscheinend gar nicht wollte. Wie oft hatte er genau das versprochen und sein Wort gebrochen. Ich hatte mich die ganze Zeit so gefühlt und mich so verhalten, als könne ich nur leben, wenn er aufhören würde zu trinken. Und so war mein Leben ganz schön armselig...
    Ich habe mit der Zeit immer mehr gebetet und mich mit mir selbst beschäftigt. Mit Dingen wie: Wer bin ich, wer ist Gott, was ist meine Beziehung zu Gott, wie kann ich diese Beziehung zu Gott tatsächlich leben, was sind Gedanken, was sind Gefühle, wie kann ich denn spirituelle Erkenntnisse tatsächlich leben... usw. Und ich habe Antworten bekommen und bin sehr beschenkt worden. Nämlich mit einem inneren Gefühl der Sicherheit, das mir sagt, dass mein Leben für sich allein genommen sehr wertvoll ist und es ganz gewiss nicht davon abhängt, ob ein anderer Mensch sich so oder so verhält.
    Dass ich tiefere Erkenntnisse erhielt und mich selber begann innerlich aufzurichten, ist nicht lange her. Ich war gerade mitten drin, als mein Mann vor ca. eineinhalb Wochen wieder einmal abends den Weg nicht nach Hause fand. Und eine Variation von all den Abenden bzw. Nächten ergab sich. Morgens um halb sechs rief mich die Polizei an und fragte, ob ich meinen Mann abholen wolle. Er war sturzbetrunken herumgetorkelt und fast ins Wasser gefallen. Sie schützten ihn vor sich selbst, was er natürlich gar nicht schätzte, sondern sich beschwerte und sich aufführte wie sonst was. Ich fuhr hin um ihn abzuholen und war nahe dran, ihn dort zu lassen, als ich sah wie er sich den Polizisten gegenüber benahm, nahm ihn dann aber doch mit. Ich blieb jedoch gelassen. Ich wusste, ich war ab heute frei. Egal was geschehen würde, egal was er nach seinem Rausch erzählen würde, ich war frei davon. 12 Jahre hatten mich doch einiges gelehrt. Oder 42 Jahre.
    Er erzählte am nächsten Tag nicht viel. Am Abend ging er zu den AA. Und als er mir später davon erzählte merkte ich, dass auch mit ihm irgend etwas geschehen war. Ich forderte nichts mehr, sagte aber auch klar, dass er nicht erwarten könne, dass ich bei ihm bliebe, auch wenn ich ihn immer noch liebe. Er versprach mir nichts mehr, sondern sagte, dass er mit dem Trinken aufhören will, und zwar um selber wieder ein lebenswertes Leben zu haben, nicht um mich und die Hunde nicht zu verlieren. Ich glaube, er hat in dieser Nacht vor eineinhalb Wochen bzw. am Tag danach kapiert, dass es tatsächlich um Leben und Tod geht. Aber zuviel will ich nicht von dem erzählen, was ihn betrifft, denn da kann ich viel glauben und viel spekulieren. Nur was mein Leben betrifft, kann ich wirkliche Aussagen machen.
    Jetzt gibt es viel zu tun, sowohl für ihn als auch für mich. Jeder muss sich um sich selbst kümmern. Ich bin auch wiederum auf meine Kindheit zurückgestoßen worden und darauf, dass ich meine Wut auf meinen Vater und auch die auf meine Mutter zwar gespürt aber nie zugelassen habe. Ich meine nicht, dass ich den beiden jetzt, heute, irgendwelche Szenen machen muss. Aber ich muss mir diese Wut anschauen, damit ich sie loswerden kann. Und ich will sie loswerden. Ich will auch wieder ein lebenswertes Leben führen und nicht ein trauriges, das in der Vergangenheit festhängt..
    Das war, obwohl so lang, eine der möglichen Kurzversionen. Die lange würde sicher ein Buch füllen. Da gab es ja noch fünf Jahre innerhalb der 12 Jahre, in denen mein Mann zwar nichts trank, aber "nass" dachte. Und ich genauso. Und dieses "nasse" Denken führte dazu, dass er irgendwann meinte, keine Hilfe von den Freunden aus der Selbsthilfegruppe mehr zu brauchen. Und schließlich, dass er jetzt ganz sicher wie jeder andere auch trinken könne... Und ich machte ihm sogar Mut dabei, ich dachte wirklich, dass das so sei, nachdem er so viele Jahre nicht getrunken hatte. Aber es endete irgendwann wieder in Sauftouren, immer schlimmeren...
    Danke, dass ich hier einen Raum gefunden habe, das einmal in dieser Form loszuwerden. Ich denke noch darüber nach, ob ich die Al-Anon-Gruppe besuchen soll... ich weiß noch nicht, ob ich das mache. Jetzt bin ich erst einmal hier und werde vorerst noch vieles hier lesen, besonders von den Angehörigen.
    Ich wünsche Euch allen hier viel (Selbst)Liebe, viel (Selbst)Vertrauen, und Gottes Segen.
    Ute

  • hallo ute,

    willkommen hier im forum. ich hab dich mal hierher geschoben, weil du im vorstellungsbereich vielleicht ein bisschen untergehst und eben in dieser rubrik unter "deinesgleichen" bist :wink: .

    na, da hast du ja schon einiges hinter dir. du schreibst:

    Zitat

    Jetzt gibt es viel zu tun, sowohl für ihn als auch für mich. Jeder muss sich um sich selbst kümmern.

    guter satz! das trifft genau den kern, und du scheinst mir auf einem guten weg zu sein. wenn du allerdings konkrete fragen hast, musst du sie uns auch stellen. aber natürlich bist du auch willkommen, wenn du einfach nur deine gedanken aufschreibst.

    gruß

    lavendel

  • Hallo Lavendel und Kurt,
    danke für das Willkommen. Ich wollte tatsächlich erst einmal all diese Gedanken aufschreiben und finde es schön, das hier tun zu können. Interessant ist, dass ich eigentlich wegen der kürzlichen Ereignisse mit meinem Mann hier bin, dass jetzt aber langsam in mir klar wird, dass meine Kindheit in meiner kranken Familie das ist, worum ich mich jetzt kümmern sollte. Was nicht heißt, dass ich meinen Mann jetzt links liegen lasse. Wir sind gerade sehr harmonisch miteinander. Er geht zur Zeit täglich zu den AA und erzählt mir, wie es ihm geht. Es klingt sehr gut. Ich habe ja schon vieles von ihm gehört, er kann gut und viel reden. Doch jetzt redet er anders, nicht so euphorisch. Er ist, so habe ich den Eindruck, ehrlicher zu sich selbst als er es jemals war. Er fängt an, sich die Dinge, vor denen er in den Suff geflüchtet ist, anzuschauen und zu tun, was zu tun ist. Ich bin innerlich ganz ruhig, was ihn betrifft. Aber nicht wegen dem, was er sagt oder tut (auch wenn ich das wunderbar finde), sondern weil ich mich von seinem Sagen oder Tun nicht mehr abhängig mache.
    Was meine frühere Geschichte betrifft, ist da noch nie so etwas wie Harmonie oder Gelassenheit gewesen. Nur Unter-den-Teppich-Kehren und Verleugnung. Da ist die viele Angst, die mich früher zittern ließ, und der Schmerz darüber, dass ich keine normale, liebevolle Familie hatte.
    Das alles ist auf einmal so präsent, so als müsse ich da jetzt etwas tun, ich weiß aber nicht, was. Mein Verhältnis zu meinen Eltern ist zwar heute irgendwie gut, irgendwie auch liebevoll... aber es ist auch immer noch eine große Distanz darin, ganz viel Unausgesprochenes. Ich kann die beiden nicht umarmen und sie können es auch nicht. Da ist irgendwie Angst voreinander. Wir alle wissen, was früher war, doch jetzt tun wir so, als wäre nichts gewesen, wahren die äußere Form. Ich kann nicht sagen, dass ich ihnen böse bin. Sie hatten ihre Gründe, ihre eigenen Ängste, Enttäuschungen usw. Und es ist so viel Zeit vergangen. Ich will sehr gerne vergeben, aber es sollte dann auch wirklich nichts Schlechtes in mir zurückbleiben. Nichts, was wiederum verdrängt wird.
    Vielleicht kann mir jemand von Euch, der ähnliches erlebt hat, sagen, wie er/sie damit umgegangen ist. Ich weiß nicht, ob es gut ist, meinen Eltern einmal zu sagen, wie ich mich damals gefühlt habe (abgesehen davon, ob ich das überhaupt fertigbrächte). Oder ob ich das alles ohne eine solche Konfrontation für mich erledigen kann und soll...? Und wenn ja, wie?
    Danke und liebe Grüße von
    Ute

  • Hallo Ute,
    zu deinen Eltern kann ich dir keine Tips geben, obwohl mein Varer auch getrunken hat, er lebt nicht mehr. Meine Mutter hat auch dazu geschwiegen und mein Verhältnis zu ihr ist auch unterkühlt, weiß auch nicht warum.
    Zu meiner Person, ich bin seit gut 4 Wochen trocken und habe deinen Thread vom 5.3. mehrmals gelesen. Er hat mit wiedermal die Augen geöffnet, das ich es nie mehr soweit kommen lassen werde. Bei mir war auch der absolute Tiefpunkt erreicht, war zwar nicht die Polizeistation, aber für mich war es genauso schlimm. Wünsche dir und deinem Mann alles Gute. Meine Frau hat das auch solange mitgemacht, frage mich seit ich trocken bin wie kann ein Mensch sowas aushalten. Hoffe du wirst belohnt, durch deinen Mann und er steht es durch. Er muß nur noch mehr Hilfe von außen annehmen, SHG, therapeutische Behandlung
    Danke für deinen offenen Bericht
    MfG
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    danke für Deinen Zuspruch. Die Tiefpunkte sind für jeden wohl anders, aber ein Tiefpunkt ist eben ein Tiefpunkt, und eigentlich kann man froh darum sein, wenn man dadurch wachgerüttelt wird. Ich glaube wirklich, dass das bei meinem Mann jetzt der Fall ist. Er geht nun seit 14 Tagen täglich zu den AA-Meetings und er tut zusätzlich ganz konkret gewisse Dinge für sich, was früher nicht der Fall war. Er war vor 15 Jahren schon einmal ein Jahr trocken, ging in der Zeit auch regelmäßig zu den AA, aber außer dass er den Alkohol wegließ änderte er sonst nichts. Er besuchte weiterhin seine Stammkneipen, war mit denselben Kumpels zusammen, nur dass er halt Saftschorle im Glas hatte und nicht Bier. Jetzt macht er das nicht mehr. Und er beschäftigt sich jetzt auch intensiver mit den 12 Schritten und mit der spirituellen Dimension, die mir immer sehr wichtig war und ist. Er hat früher z.B. nie Bücher gelesen, jetzt liest er intensiv in einem Buch, das ich, nachdem ich es gelesen hatte, eigentlich weiterverschenken wollte; ich dachte nicht, dass er daran Interesse hätte. Doch er wollte es haben (es heißt "Erschaffe dich neu" und ist wirklich wunderbar). Und noch ein Punkt: Er wies früher jeden Ratschlag, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weit von sich. Jetzt ist er bereit, auch diese Hilfe zuzulassen.
    Aber etwas sehr Wesentliches hat sich auch bei mir geändert, und das ist, dass ich keine Kraft mehr in so etwas wie "Hoffnung" investiere. Ich werde mein Leben nicht mehr damit verbringen, irgendwelche Dinge zu erhoffen und vor anderen Angst zu haben. Ich habe meine Sicherheit in mir selbst gefunden, und in Gott. Sie ermöglicht es mir, mit meinem Mann, den ich nach wie vor sehr liebe, zusammenzuleben, ohne dass ich jemals eine Garantie für seine Trockenheit haben kann (woran ich früher fast verzweifelte). Und sie ermöglicht es mir ebenfalls, zu gehen, wenn ich das für mich für besser halte.
    Dass man als Angehöriger, als Ehemann oder Ehefrau, so lange "durchhält", so vieles aushalten kann, ist wahrscheinlich auch eine Art Sucht. Wie sollte man das sonst vernünftig begründen können. Ja, man liebt den Menschen trotzdem, aber ob es wirklich die Liebe ist, die einen hält...? Manchmal weiß man nicht, weshalb man noch bleibt und tut es doch. Und wenn man schon ein Dutzendmal damit gedroht hat, den anderen zu verlassen, und es nie tut, dann ist man langsam dabei, den Respekt vor sich selbst zu verlieren. Und man kommt ebenso an einen Tiefpunkt wie der Alkoholiker irgendwann.
    Der Tiefpunkt ist der Punkt, wo die Nacht am dunkelsten und das Licht am nächsten ist. Mein Mann ist dankbar für seinen Tiefpunkt; der Aufenthalt auf der Polizeistation hat ihn sehr getroffen. Und ich bin auch dankbar für meinen, denn jetzt spüre ich meine innere Freiheit.
    Ich bin auch sehr froh, dass mein Mann dieses Mal ganz offensichtlich nicht für mich mit dem Trinken aufgehört hat und zu den AA geht, sondern für sich selbst. Jeder kann alles nur für sich tun. Wenn man das tut, dann nützt es automatisch auch denen, die man liebt. Es ist also nicht Egoismus, sondern einfach gesundes Verhalten. Ich glaube, echte Liebe kann nur da sein, wo man sich frei fühlt und nicht von einander abhängig ist. Auch in dieser Hinsicht sind wir gerade dabei, einen ganz neuen Lebensabschnitt zu beginnen, und - ohne euphorisch zu sein - es macht richtig Spaß! :)
    Jürgen, ich freue mich mit Dir über Deine vier trockenen Wochen und Deinen neuen Weg und wünsch Dir das Allerbeste für jeden weiteren gesunden Tag.
    Liebe Grüße,
    Ute

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