Hallo Ihr Lieben,
nach langem Herumschleichen und mich ab und zu mit einem Kommentar zu Wort melden, habe ich nun den Mut, meinen eigenen Thread zu eröffnen . Da der Vorstellungsbereich ja nicht für alle zugänglich ist, stelle mich zunächst ausführlicher vor.
Aufgewachsen bin ich in normalen Verhältnissen. Meine Eltern waren wohl hier und da ein wenig überfordert wie das bei einem jungen Ehepaar wohl so ist, wenn plötzlich ein Kind da ist das nicht geplant war. Es wurde schnell geheiratet. Gewohnt wurde im Haus meiner Oma mütterlicherseits, was oft zu starken Spannungen und Streitereien zwischen meinem Vater und seiner Schwiegermutter, meiner Oma, führte. Dieser Zustand prägte meine bzw. unsere Kindheit sehr (ich habe einen jüngeren Bruder). Trotzdem waren meine Eltern liebevoll und sehr bemüht und ich war stets ein ruhiges, manchmal verschlossenes – aber braves Kind. Alkohol spielte in unserer Familie keine Rolle. Weder mein Vater noch meine Mutter tranken übermäßig Alkohol. Gutes Essen spielte da schon eher eine große Rolle. Und ich aß gern und viel, manchmal zu viel und manchmal frass ich im übertragenen Sinn zu viel in mich hinein (wie schon erwähnt, ich war ein braves Kind, dass es allen rechtmachen wollte) was dazuführte, dass ich mit 13 Jahren 76 Kilo wog bei einer Größe von 1,72 m. Ich war nicht fett, aber ein „stattliches Mädchen“. Und das störte viele Leute (Familie, Hausarzt…) und ich wurde ständig gegängelt weniger zu essen, mich halt mal zusammenzureissen (Lieblingswort meines Vaters – ein grausames Wort..) und abzunehmen. Lange stellte ich mich taub und dachte man gönnt mir das Essen nicht. Aber steter Tropfen höhlt den Stein – und zwei, drei Jahre später war ich davon überzeugt, dass ich abnehmen muss. Ich nahm in knapp 6 Wochen 13 Kilo ab. Ich will nicht zu sehr darauf eingehen, aber das war der Beginn einer jahrelangen massiven Essstörung. Bis Mitte Dreißig kämpfte ich mit der Bulimie. Ich kämpfte also irgendwann an zwei Fronten – Alkohol und Essstörung. Mit der Essstörung war ich nicht mehr das brave Mädchen. Ich hielt mein gesamtes Umfeld in Schach, stritt mit den Eltern, hatte Probleme in der Ausbildung – und musste mich damit auseinandersetzen, dass ich wohl nicht auf Jungs sondern auf Mädels stehe. Es brannte damals an allen Ecken – ich kotzte mir die Seele aus dem Leib und wurde immer mehr ein Nervenbündel. Aber „Rettung“ war in Sicht – hätte ich damals gewusst, dass sich der Teufel dahinter versteckt – hinter den ersten Bieren, dem ersten Schnaps… Bis Anfang Zwanzig trank ich hauptsächlich an den Wochenenden beim Weggehen in der Regel bis zu fünf Bier vielleicht noch Schnaps oder einen Cocktail dazu, der mir ausgegeben wurde. Wenn ich trank fühlte ich mich frei, frei von Ängsten, frei von Hemmungen, frei von Problemen, ich war charmant (dachte ich damals zumindest), redete wie ein Wasserfall, war witzig – und vergessen waren Eltern, Job , Schule und Bulimie. Mit 22 Jahren war ich auf 50 Kilo abgemagert – kein Wunder, ich ernährte mich nur von Wein und Bier und das wenige was ich aß kotzte ich wieder oder beförderte es mir Abführmitteln aus meinem Körper. Ich war mit meinen Kräften am Ende, brach die Schule ab (bin nach der Ausbildung weiter zur BOS, um Abitur nachzuholen) und begab mich in eine stationäre psychosomatische Therapie. War für die Katz was die Bulimie betraf – und, dass ich Gefahr lauf alkoholabhängig zu werden wollte ich nicht hören. Im Januar 1992 wurde ich nach vier Monaten entlassen. Ich suchte mir einen Job und ließ die Schule sausen. Wenn mich jemand fragen würde, wann bist Du Alkoholikerin geworden, dann würde ich sagen – es war im Frühjahr 1992. Ich sehe es noch heute vor mir, wie ich beim Brotzeitholen für die Kollegen, eine kleine Flasche Schnaps (0,35 l) für mich einkaufte. Das fand ich super – ich brauchte nur einen kleinen (oder größeren) Schluck zu nehmen und musste mir keine 3, 4 Bier reinzwingen , um die gewünschte Wirkung –dieses leichte Gefühl, irgendwie über allem schweben – zu haben. Eine Milchmädchenrechnung –denn, dass ich davon auch mal mehr als nur einen kleinen Schluck brauchen würde realisierte ich damals nicht. So führte ich beinahe jeden Tag meine Schnapsflasche (versteckt in der Arbeitstasche – ich hatte auch einen abschließbaren Aktenkoffer) spazieren.
Damals kam es dann oft vor, dass ich morgens mit diesem Würdegefühl aufwachte, im Bus zur Arbeit kaum aufrecht sitzen konnte, vermehrt Fehlzeiten in der Arbeit hatte, meine damalige Freundin sich beklagte, ich trinke zu viel…. Da war ich 23 Jahre alt. Wie auch zu Beginn der Essstörung wollte ich mir nicht eingestehen, dass ich abhängig bin. Fazit: Zwei Fluchtversuche in meinem Leben (oder aus meinem Leben???) – einmal die Bulimie und dann der Alkohol. Beides Sackgassen, in denen ich zu dieser Zeit feststeckte – und was ich damals noch nicht wusste – und noch lange kein Ende in Sicht bei dem Kampf an zwei Fronten.
Meine erste Entgiftung machte ich September 1992. Nicht mal eine Woche hielt ich aus. Ich entließ mich selbst und begoss das mit zwei Weissbier. Zweite Entgiftung 1993. Dann vier Monate Langzeittherapie Ende 1994. Brachte alles nichts, machte ich nur, um Eltern, Arbeitgeber und Freunde zufriedenzustellen. Ich trank sogar während der LZT. Lange konnte ich das nicht zugeben. Ich fühlte mich wie ein mieses Schwein, dass allen etwas vormacht und jemanden, der wirklich will den Therapieplatz klaut… 1995 zog ich endgültig von zuhause aus. Es folgten Jahre der Alkoholexzesse, Fressorgien, der Verzweiflung, gepaart mit guten Vorsätzen, Trinkpausen, Hoffnung, leeren Versprechungen – dann wieder Absturz. Ein wahrer Sumpf. So ging das bis zum Sommer 2000. Damals kam ich mit einer lieben und vernünftigen Frau zusammen. Mit vernünftig meine ich einen Menschen ohne Problemen oder sonstigen Leichen im Keller – eine normale junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand und was erreichen wollte (und wohl auch erreicht hat soweit ich das heute noch mitbekomme). Ich merkte, dass es im Leben noch was anderes gab als von einem Tag (bzw. Nacht – ich machte damals die Nacht zum Tag in den Kneipen) zum nächsten - also von einem Rausch zum nächsten zu leben. Das wollte ich nicht mehr. Ich hatte zu der Zeit einen ganz guten Job, eine liebe Freundin – Mensch, ich musste jetzt aufhören mit Saufen!!! Das erste Mal in meinem Leben war ich wirklich entschlossen. Ich wollte da raus, ich wollte nicht mehr saufen, ich wollte leben! Aber wie sollte ich das anfangen? Zudem wusste meine Freundin nicht, dass ich abhängig war, was die Angelegenheit noch komplizierter machte. Es dauerte ein gutes halbes Jahr als ich mich (gezwungermaßen) geoutet bei ihr habe. Und die Sache wurde zunächst nicht leichter, im Gegenteil! Je mehr ich versuchte trocken zu werden, desto schlimmer wurde es. Ich fühlte mich wie jemand, der im Sumpf feststeckt, anfängt zu strampeln, weil er da raus will, stattdessen aber immer tiefer sinkt. Je mehr ich vom Alkohol loskommen wollte desto mehr schien er mich zu umklammern. Ich war verzweifelt. Es folgte ein halbherziger Suizidversuch im Februar 2001 von dem meine Freundin nichts mitbekam – sie steckte damals bis über beide Ohren im Studium-Stress.
An dieser Stelle mache ich mal einen Stopp. Ist jetzt schon so viel geworden – muss erst mal verdaut werden. Ich hoffe, ich überrolle niemanden damit – und bedanke mich schon jetzt für‘ s Lesen und evt. Feedbacks.
Euch allen einen schönen Abend!
Liebe Grüße Mary