Kampf an vielen Fronten

  • Hallo Ihr Lieben,

    nach langem Herumschleichen und mich ab und zu mit einem Kommentar zu Wort melden, habe ich nun den Mut, meinen eigenen Thread zu eröffnen :D . Da der Vorstellungsbereich ja nicht für alle zugänglich ist, stelle mich zunächst ausführlicher vor.

    Aufgewachsen bin ich in normalen Verhältnissen. Meine Eltern waren wohl hier und da ein wenig überfordert wie das bei einem jungen Ehepaar wohl so ist, wenn plötzlich ein Kind da ist das nicht geplant war. Es wurde schnell geheiratet. Gewohnt wurde im Haus meiner Oma mütterlicherseits, was oft zu starken Spannungen und Streitereien zwischen meinem Vater und seiner Schwiegermutter, meiner Oma, führte. Dieser Zustand prägte meine bzw. unsere Kindheit sehr (ich habe einen jüngeren Bruder). Trotzdem waren meine Eltern liebevoll und sehr bemüht und ich war stets ein ruhiges, manchmal verschlossenes – aber braves Kind. Alkohol spielte in unserer Familie keine Rolle. Weder mein Vater noch meine Mutter tranken übermäßig Alkohol. Gutes Essen spielte da schon eher eine große Rolle. Und ich aß gern und viel, manchmal zu viel und manchmal frass ich im übertragenen Sinn zu viel in mich hinein (wie schon erwähnt, ich war ein braves Kind, dass es allen rechtmachen wollte) was dazuführte, dass ich mit 13 Jahren 76 Kilo wog bei einer Größe von 1,72 m. Ich war nicht fett, aber ein „stattliches Mädchen“. Und das störte viele Leute (Familie, Hausarzt…) und ich wurde ständig gegängelt weniger zu essen, mich halt mal zusammenzureissen (Lieblingswort meines Vaters – ein grausames Wort..) und abzunehmen. Lange stellte ich mich taub und dachte man gönnt mir das Essen nicht. Aber steter Tropfen höhlt den Stein – und zwei, drei Jahre später war ich davon überzeugt, dass ich abnehmen muss. Ich nahm in knapp 6 Wochen 13 Kilo ab. Ich will nicht zu sehr darauf eingehen, aber das war der Beginn einer jahrelangen massiven Essstörung. Bis Mitte Dreißig kämpfte ich mit der Bulimie. Ich kämpfte also irgendwann an zwei Fronten – Alkohol und Essstörung. Mit der Essstörung war ich nicht mehr das brave Mädchen. Ich hielt mein gesamtes Umfeld in Schach, stritt mit den Eltern, hatte Probleme in der Ausbildung – und musste mich damit auseinandersetzen, dass ich wohl nicht auf Jungs sondern auf Mädels stehe. Es brannte damals an allen Ecken – ich kotzte mir die Seele aus dem Leib und wurde immer mehr ein Nervenbündel. Aber „Rettung“ war in Sicht – hätte ich damals gewusst, dass sich der Teufel dahinter versteckt – hinter den ersten Bieren, dem ersten Schnaps… Bis Anfang Zwanzig trank ich hauptsächlich an den Wochenenden beim Weggehen in der Regel bis zu fünf Bier vielleicht noch Schnaps oder einen Cocktail dazu, der mir ausgegeben wurde. Wenn ich trank fühlte ich mich frei, frei von Ängsten, frei von Hemmungen, frei von Problemen, ich war charmant (dachte ich damals zumindest), redete wie ein Wasserfall, war witzig – und vergessen waren Eltern, Job , Schule und Bulimie. Mit 22 Jahren war ich auf 50 Kilo abgemagert – kein Wunder, ich ernährte mich nur von Wein und Bier und das wenige was ich aß kotzte ich wieder oder beförderte es mir Abführmitteln aus meinem Körper. Ich war mit meinen Kräften am Ende, brach die Schule ab (bin nach der Ausbildung weiter zur BOS, um Abitur nachzuholen) und begab mich in eine stationäre psychosomatische Therapie. War für die Katz was die Bulimie betraf – und, dass ich Gefahr lauf alkoholabhängig zu werden wollte ich nicht hören. Im Januar 1992 wurde ich nach vier Monaten entlassen. Ich suchte mir einen Job und ließ die Schule sausen. Wenn mich jemand fragen würde, wann bist Du Alkoholikerin geworden, dann würde ich sagen – es war im Frühjahr 1992. Ich sehe es noch heute vor mir, wie ich beim Brotzeitholen für die Kollegen, eine kleine Flasche Schnaps (0,35 l) für mich einkaufte. Das fand ich super – ich brauchte nur einen kleinen (oder größeren) Schluck zu nehmen und musste mir keine 3, 4 Bier reinzwingen , um die gewünschte Wirkung –dieses leichte Gefühl, irgendwie über allem schweben – zu haben. Eine Milchmädchenrechnung –denn, dass ich davon auch mal mehr als nur einen kleinen Schluck brauchen würde realisierte ich damals nicht. So führte ich beinahe jeden Tag meine Schnapsflasche (versteckt in der Arbeitstasche – ich hatte auch einen abschließbaren Aktenkoffer) spazieren.

    Damals kam es dann oft vor, dass ich morgens mit diesem Würdegefühl aufwachte, im Bus zur Arbeit kaum aufrecht sitzen konnte, vermehrt Fehlzeiten in der Arbeit hatte, meine damalige Freundin sich beklagte, ich trinke zu viel…. Da war ich 23 Jahre alt. Wie auch zu Beginn der Essstörung wollte ich mir nicht eingestehen, dass ich abhängig bin. Fazit: Zwei Fluchtversuche in meinem Leben (oder aus meinem Leben???) – einmal die Bulimie und dann der Alkohol. Beides Sackgassen, in denen ich zu dieser Zeit feststeckte – und was ich damals noch nicht wusste – und noch lange kein Ende in Sicht bei dem Kampf an zwei Fronten.
    Meine erste Entgiftung machte ich September 1992. Nicht mal eine Woche hielt ich aus. Ich entließ mich selbst und begoss das mit zwei Weissbier. Zweite Entgiftung 1993. Dann vier Monate Langzeittherapie Ende 1994. Brachte alles nichts, machte ich nur, um Eltern, Arbeitgeber und Freunde zufriedenzustellen. Ich trank sogar während der LZT. Lange konnte ich das nicht zugeben. Ich fühlte mich wie ein mieses Schwein, dass allen etwas vormacht und jemanden, der wirklich will den Therapieplatz klaut… 1995 zog ich endgültig von zuhause aus. Es folgten Jahre der Alkoholexzesse, Fressorgien, der Verzweiflung, gepaart mit guten Vorsätzen, Trinkpausen, Hoffnung, leeren Versprechungen – dann wieder Absturz. Ein wahrer Sumpf. So ging das bis zum Sommer 2000. Damals kam ich mit einer lieben und vernünftigen Frau zusammen. Mit vernünftig meine ich einen Menschen ohne Problemen oder sonstigen Leichen im Keller – eine normale junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand und was erreichen wollte (und wohl auch erreicht hat soweit ich das heute noch mitbekomme). Ich merkte, dass es im Leben noch was anderes gab als von einem Tag (bzw. Nacht – ich machte damals die Nacht zum Tag in den Kneipen) zum nächsten - also von einem Rausch zum nächsten zu leben. Das wollte ich nicht mehr. Ich hatte zu der Zeit einen ganz guten Job, eine liebe Freundin – Mensch, ich musste jetzt aufhören mit Saufen!!! Das erste Mal in meinem Leben war ich wirklich entschlossen. Ich wollte da raus, ich wollte nicht mehr saufen, ich wollte leben! Aber wie sollte ich das anfangen? Zudem wusste meine Freundin nicht, dass ich abhängig war, was die Angelegenheit noch komplizierter machte. Es dauerte ein gutes halbes Jahr als ich mich (gezwungermaßen) geoutet bei ihr habe. Und die Sache wurde zunächst nicht leichter, im Gegenteil! Je mehr ich versuchte trocken zu werden, desto schlimmer wurde es. Ich fühlte mich wie jemand, der im Sumpf feststeckt, anfängt zu strampeln, weil er da raus will, stattdessen aber immer tiefer sinkt. Je mehr ich vom Alkohol loskommen wollte desto mehr schien er mich zu umklammern. Ich war verzweifelt. Es folgte ein halbherziger Suizidversuch im Februar 2001 von dem meine Freundin nichts mitbekam – sie steckte damals bis über beide Ohren im Studium-Stress.

    An dieser Stelle mache ich mal einen Stopp. Ist jetzt schon so viel geworden :oops: – muss erst mal verdaut werden. Ich hoffe, ich überrolle niemanden damit – und bedanke mich schon jetzt für‘ s Lesen und evt. Feedbacks.

    Euch allen einen schönen Abend! :)
    Liebe Grüße Mary

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Liebe Mary!

    Willkommen im Forum!

    Du hast Dich ja schon etwas umgeschaut,so kennst Du Dich ja schon etwas aus.

    Ja,Du hast echt viel erlebt.Ich bin gespannt wie Deine Geschichte weiter geht.

    Du hast sehr gelitten unter dem Alkohol,dem Alkoholismus.

    Jetzt kannszt Du Dir Deine Trockenheit erarbeiten,Schritt für Schritt.

    Alles was Dir hilft,wenn Du unsere Treads liest,nimm es arbeite damit!

    Ich wünsche Dir eine gute Nacht.Bis zum nächsten Mal!

    Liebe Grüsse
    Yvonne

    ichbinda123

  • Hallo Mary,

    auch von mir ein liebes Willkommen hier.

    Komm erst mal in Ruhe an und schreib was immer da aus dir raus will.


    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Mary,

    Herzlich Willkommen hier im Forum! Schön, dass Du nun für Dich einen Ort gefunden hast, an dem Du Dir von der Seele schreiben kannst, was Dich belastet.

    Indem Du es loslässt und hier lässt, kannst Du unbelastet Deinen Weg fortsetzen.

    Ich freu mich auf den Austausch mit Dir!

    Liebe Grüße,
    Schattenspringerin

    Das Beste geschieht JETZT!

  • Hallo Mary,

    sei ganz herzlich Willkommen im Forum.

    Es ist keineswegs zu viel was Du schreibst, im Gegenteil, es kann nie genug sein, um dadurch die Seele zu entlasten.

    Komm in Ruhe an und fühle Dich hier gut aufgehoben.

    Liebe Grüße,

    Tina

  • Liebe Yvonne, liebe Linde,
    Liebe Schattenspringering, liebe Tina,

    herzlichen Dank für's Lesen und Euer nettes Willkommen :)
    Auch ich freue mich auf einen interessanten und regen Austausch mit Euch und allen anderen, die es möchten....

    Ich finde es aufregend hier von mir berichten zu dürfen. Hab allerdings auch ein wenig Hemmungen und Angst zu schreiben, denn es geht ja um mich - wieviel darf ich den anderen von mir "zumuten", verhalte ich mich richtig im Forum - einerseits will ich ja ehrlich sein, aber auch niemanden auf den Schlips treten (aber diese Ängste und Befürchtungen sind eine anderes auch wichtiges Thema von mir) Anfangs wußte ich auch nicht genau, wie ich anfangen soll und was ich schreiben soll :?: Aber mit dem Schreiben kommen auch die Worte zu mir und es ist so viel was da aus mir rausmöchte. Ich fühle mich von Euren Worten ermuntert und werde hier meine Geschichte in den nächsten Tagen fortsetzen.

    Nochmal danke für's Lesen!

    Liebe Grüße und bis später
    Mary :wink:

    Ps.: Da ich in der Arbeit bin kann ich unter der Wochenicht immer so regelmäßig schreiben wie ich gerne möchte...

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • glück auf mary

    ich glaub nich, dass du hier jemandem auf den schlips treten wirst (und wer sich getretenfühlt soll nich weiterlesen :wink: )
    :arrow: schreib alles was dich bewegt - wirst schon sehen was zurückkommt.

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Danke Pittchen! Nein, ich bin ein Krebs - den widerspenstigen Teil macht glaube ich der Aszendent Löwe aus :lol:

    Auch Euch vielen Dank für die nette Bergrüßung, liebe Backmaus und lieber Matthias - hab ja auch schon viel inspirierendes von Euch gelesen :)

    Glück auf.... Das gefällt mir :)

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Und weiter geht’s…. Es passt momentan ganz gut, dass es ruhiger in der Arbeit zugeht und ich alleine im Büro bin. :)

    Zu dem halbherzigen Suizidversuch sei noch gesagt – der sah so aus: Ich arbeitete zu der Zeit Spätschicht in einem Call-Center, musste erst um 16.00 Uhr anfangen. Am Morgen dieses Tages kam es zu einer Auseinandersetzung mit meiner Freundin – ich hatte in der Nacht wieder heimlich getrunken. Sie goß meine Wodkaflasche aus und verließ unter Tränen meine Wohnung. Wie ferngesteuert bin ich los und hab mir an diesem Tag neuen Wodka und Sekt (warum das weiss ich bis heute noch nicht…) besorgt. Gegen 15.00 Uhr brach ich zur Arbeit auf – stockbesoffen, total aufgekratzt , voller Schuldgefühle und Ängste. Von der beruhigenden Wirkung des Alkohols war diesmal nix zu spüren. Ich wollte nichts mehr denken, nichts mehr spüren, nur Ruhe, Ruhe, Ruhe. So nahm ich 12 Beruhigungstabletten – die hatte ich damals in der Tasche (die waren eigentlich für den Entzug gedacht, also statt Alkohol). Keine 10 Minuten später wurde mir bewußt, dass ich gerade Sch…. gebaut hatte. Panisch stieg ich aus dem Bus aus und fuhr mit einem anderen Richtung Hausarzt. Der rief umgehend den Notarzt. Ich wurde ins Krankenhaus verfrachtet. Wachte am nächsten Tag nur mit Flügelnachthemdchen bekleidet und an einem Tropf hängend auf. Gegen Nachmittag hatte ich den zuständigen Neurologen des Krankenhauses überzeugt mich nicht ins hiesige Bezirksklinikum (entweder Entgiftungstation oder Geschlossene) einzuweisen. Ich verließ das Krankenhaus noch am selben Tag, in meiner Arbeitstasche noch die mit Schnaps gefüllte Wasserflasche, die ich zuhause dann noch leerte :oops:

    Von Februar 2001 bis September 2001 war es ein ganz übles Auf- und Ab. Manchmal schaffte ich es, ein paar wenige Wochen nicht zu trinken, dann wieder ein Exzess. Es war die Hölle für meine Freundin und mich. Mir wird erst jetzt so richtig bewußt wie sehr sie damals gelitten haben muss - ich war oft wirklich ein A....loch, dass für Alkohol vor keinem Lug oder betrug zurückschreckte :cry: Dann - am 28. September 2001 - wachte ich früh am morgen auf und wollte in die Arbeit. In der Nacht zuvor hatte ich wieder unendlich viel getrunken (vierzehn Tage vorher war ich erst wieder aus der Entgiftung entlassen worden) Ich war fertig, meine Glieder schmerzten, mein Kopf. Ich schaffte es gerade noch mich krank zu melden. Hinzu kamen wieder Schuldgefühle, weil meine Freundin mal wieder glaubte, ich sei trocken. Sie war zu der Zeit ein paar Tage verreist. Ich konnte nicht mehr, ich wollte nicht mehr, ich wusste nicht, was zu tun. So legte ich mich wieder ins Bett und trank weiter. Ich schlief ein und wachte wieder auf. Und immer als ich wach wurde trank ich weiter. Gott sei Dank war die Flasche irgendwann leer und kein Nachschub mehr da, sonst hätte ich mich vielleicht totgesoffen an dem Tag. Gegen 21.00 Uhr stand ich auf, um mich zu duschen. Danach wollte ich fernsehen. Überall war noch besagter „11.September“. Das Fernsehen tat mir förmlich weh. Ich wurde plötzlich von einem übermächtigen Panikgefühl erfasst. Ich hatte Angst durchzudrehen – klar, ich hatte den ganzen Tag gesoffen und keinen Bissen zu mir genommen. Eine Freundin (trockene Alkoholikerin) setzte sich nach meinem Anruf ins Taxi und kam vorbei. Sie hat mir durch diese Nacht geholfen, und mich am nächsten Tag zum Arzt gebracht. Dafür binich ihr noch heute dankbar. Ich weiss nicht, was genau in der Nacht mit mir geschah. Von diesem Tag an war ich trocken – für eineinhalb Jahre. In dieser Zeit (Januar bis März 2002) machte ich auch eine 10wöchige LZT wegen Alkohol und Bulimie (die „blühte“ damals ja auch noch). Was den Alkohol betraf fühlte ich mich sicher, ich war beinahe überheblich („Ich und wieder trinken? Pahh! So blöd bin ich nicht mehr! Passiert mir nie wieder!“). Ich machte den Fehler zu glauben, ich schaffe das ohne SHG oder ambulante Therapie. Und so fiel die „neunmalkluge“ Mary im März 2003 wieder kräftig auf die Schnauze. Von meiner Freundin hatte ich mich zwei Monate vorher getrennt – sie hat mich nass kennengelernt und in der Zeit, als ich trocken war zeigte sich immer mehr, dass wir nicht zueinanderpassen, obwohl wir uns liebten.

    Bis ins Frühjahr 2004 eierte ich so herum mit der Trinkerei, der Bulimie, ich hatte unglaubliche Fehlzeiten in der Arbeit. Im Mai 2004 kam dann die Kündigung. Ich konnte mich nicht beklagen – mein damaliger Arbeitgeber hat sich das wirklich lange sehr geduldig angeschaut. Und diese Kündigung riss mich aus meinem Delirium. Ich entgiftete wieder und beschloss nochmals eine Langzeittherapie zu machen. So trat ich meine inzwischen 4. LZT (und bis dato letzte) Ende Dezember 2004 in einer psychosomatischen Klinik im Allgäu an. Diese Therapie war Balsam für die Seele. Sie war ziemlich esoterisch angehaucht (was ja nicht jedermanns Sache ist). Mir tat es gut – und ich machte erhebliche Fortschritte was die Bulimie betraf. Auch was den Alkohol betraf fühlte ich mich sicher. Die Therapie dauerte leider nur 6 Wochen. So wurde ich Anfang Februar 2005 wieder entlassen.
    So kam ich heim – gestärkt und vollgepackt mit Energie, bereit mein Leben umzukrempeln. Meine Eltern holten mich am Faschingsdienstag 2005 ab. Als ich meine Wohnung betrat schauderte mich, ich fühlte mich da nicht hingehörend, wäre am liebsten davongelaufen, so viele Erinnerungen... Aber an einen Umzug war aus finanzieller Sicht nicht zu denken. Ich war ja immer noch arbeitslos und Hartz IV klopfte an der Tür. Ich hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte. Und so drohte ich erneut in ein Loch zu fallen.

    Puhh! Nun gönne ich Euch und mir wieder eine Pause bevor ich weiterberichte :lol:

    Ich wünsche Euch einen schönen Nachmittag! Danke fürs Lesen :)
    Liebe Grüße Mary

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Liebe Mary69,

    danke für deine Geschichte, sie ist sehr ähnlich meiner.

    Zitat

    Ich konnte nicht mehr, ich wollte nicht mehr, ich wusste nicht, was zu tun. So legte ich mich wieder ins Bett und trank weiter. Ich schlief ein und wachte wieder auf. Und immer als ich wach wurde trank ich weiter. Gott sei Dank war die Flasche irgendwann leer und kein Nachschub mehr da, sonst hätte ich mich vielleicht totgesoffen an dem Tag.

    Genauso war es bei mir in meinen letzten Stunden meines "Trinkerdaseins", und für diesen Zustand trifft nur eine Beschreibung zu, es ist die Hölle.

    Und ich hab mir eins geschworen:

    Nie, nie, nie werde ich diese letzten Stunden meines "Saufens" vergessen, zusammen mit dem anschließenden Aufenthalt in der Intensivstation und dem wieder runterkommen von knapp 4 Promille auf 0, ergaben diese Vorkommnisse meinen persönlichen Tiefpunkt.
    So geschehen im Herbst 2005.
    Diese Hilflosigkeit gegenüber dem "Trinken müssen", die man da hat, möchte ich in meinem Leben nicht mehr erleben.

    Grund genug, das jetzige Leben mit ständig "klarem kopf" weiter zu führen - und diese Dinge irgendwo im Hinterkopf abzuspeichern und ab und zu mal hervorzukramen.

    Freu mich auf deine nächsten Beiträge.


    lg

    klarerkopf

    Mein abstinentes Leben begann am 25. Okt. 2005

  • Zitat von klarerkopf

    Diese Hilflosigkeit gegenüber dem "Trinken müssen", die man da hat, möchte ich in meinem Leben nicht mehr erleben.

    an sowas und ähnliches denk ich immer wenn mal was schiefläuft < hilft trockrnbleiben

    :D
    matthias

    trocken seit 25.4.1987 - glücklich liiert - 7 Kinder - 17 Enkel

  • Guten Morgen, Ihr Lieben :)

    stimmt! Wenn man daran denkt, wie ausgeliefert man/ich mich oft dem Alkohol gegenüber fühlte.. Ich hatte die geschilderten Erlebnisse (Tabletten, Alkohol, Krankenhaus - Trinken/Schlafen) bis vor ganz wenigen Tagen total verdrängt... Ich bin Alkoholikerin, aber das es so schlimm war - daran sollte ich mich immer wieder erinnern als Abschreckung. Das Vergessen - wenn es mir nach wenigen Tagen und Wochen der Abstinenz wieder (körperlich) besser ging - war mehr als einmal Ursache bzw. Auslöser wieder zu trinken. Ein Kreislauf aus dem ich diesmal hoffentlich ausbrechen kann.

    Seit 21. Oktober habe ich nun nichts mehr getrunken. Körperlich fühle ich mich fit, mache auch wieder Sport - Psychisch fühle ich mich alles andere als fit. Die Ängste, die Wut, die Traurigkeit, die Schuldgefühle - alles kommt jetzt hoch - ich habe das Gefühl, meine Seele liegt da wie ein offene entzündete Wunde - es brennt, es schmerzt, ich könnte manchmal die Wände hochgehen :cry: Ich sehe auch einen Berg von Dingen vor mir, die zu erledigen sind (Job, Umzug, Finanzen) - und ich weiß nicht wie und wo ich anfangen soll. Ich habe so Angst, dass "alles" über mir hereinbricht. Wie oft wurde/wird da das Verlagen nach Alkohol geweckt, nach Ruhe, einfach "abtauchen" und nichts mehr mitkriegen. Nur die Gefahr bei diesem "Abtauchen" zu ersaufen ist groß :(

    Ganz ehrlich - ich bin froh, dass ich hier Mitlesen und Schreiben kann - es hat mich mehr als einmal vor dem Absturz bewahrt. Es ist aber auch der Gedanke an die Scham, mich hier mit Rückfall melden zu müssen... Hoffe, das bleibt mir erspart...

    Wünsche Euch einen schönen Freitag :)

    Grüße Mary

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Und hier die Fortsetzung....

    Und ich fiel... :(

    Es war als wäre nichts von der Therapie hängengeblieben, als hätte ich nichts gelernt. Mit der Essstörung ging es besser (ich kotzte so gut wie gar nicht mehr, allerdings nahm ich immer noch und immer mehr Abführmittel) – mit dem Alkohol ging es gar nicht gut. Ich steckte zeitweise (ab und an mal die bekannten Trinkpausen) wieder voll drin – nicht selten eine Flasche Wodka am Tag (bzw. nachts – unter tags hatte ich mich noch ganz gut im Griff, aber sobald es dunkel wurde…). Ich war zu der Zeit arbeitslos, bezog Hartz IV und es sah so aus, als würde sich nicht viel daran ändern. Ich hatte damals das Gefühl, ich sitze gleich doppelt in der Falle – eine Säuferin und Hartz IV – da kommste nicht so schnell wieder raus. Trotz Alkohol war der Wille zu arbeiten da. Nach einem missglückten Call-Center-Job (Kundenservice Ja – aber Telefonverkauf ging gar nicht bei mir), bewarb ich mich um einen sogenannten 1-EURO-Job. Das war im April 2006. Der machte zwar Spaß – aber davon leben?? Ein halbes Jahr später einen befristeten Job bei einer Zeitarbeitfirma. Im Februar 2007 dann wieder arbeitslos. Ich war fertig und natürlich am Saufen :(

    Zu der Zeit begab ich mich in Behandlung einer hier bekannten Suchtmedizinerin. Sie setzte sich mit mir zusammen, erklärte mir geduldig, was der jahrelange Alkoholmissbrauch in meinem Gehirn bewirkt hat bzw. bewirkt, Suchtgedächtnis, Dopamin etc. Sie nahm sich wirklich sehr viel Zeit, zeigte sich sehr einfühlsam – so sehr, dass ich dachte, ich habe das doch nicht verdient… :oops: Eine Woche lang kam ich täglich in die Praxis zum Entgiften. Dann verschrieb sie mir ein Medikament, dass ich ein paar Monate nehmen sollte, um den Saufdruck zu mindern , um das Gehirn „zur Ruhe“ kommen zu lassen – N…….. (Namen darf ich hier ja nicht nennen – aber vielleicht gibt es welche von Euch, die auch Erfahrungen mit derartigen Medikamenten gemacht haben. Wenn ja, dann würde mich bei Gelegenheit Eure Meinung bzw. Erfahrung interessieren). Mir ging es ganz gut, ich war mal wieder euphorisch, Nebenwirkungen des Medikamentes nahm ich kaum wahr. Ich besorgte mir als Übergang (wieder) einen 1-Euro-Job und bewarb mich nebenher für „richtige“ Jobs.

    Und im Juni 2007 hatte ich dann Glück. Ich fand endlich einen Job, den ich gelernt hatte (Bürokaufmann/frau). Meine Einarbeitungszeit sollte ich allerdings in der Niederlassung in Sachsen machen, also drei Wochen weg von zuhause. Das wurde problematisch für mich. Ich hatte Angst – weg von zuhause. Und dabei hatte ich Monate vorher noch großspurig die Überlegung geäußert ganz aus Deutschland wegzugehen. Und nun geriet ich in Panik, weil ich in eine fremde Stadt musste. Am Abend bevor ich in den Zug stieg trank ich eine Flasche Wein. Um fünf Uhr morgens saß ich wie ein Lamm, dass zur Schlachtbank geführt wird im Zug. Die Einarbeitungswochen gingen schnell vorüber – ich „erleichterte“ sie mir mit Trinken. Mein Glück / Pech war, dass es nicht groß auffiel, denn hier wurde während der Arbeitszeit auch mal ein Bier oder ein Glas Wein zum Mittagessen getrunken. Und in der Niederlassung in meiner Heimatstadt (also mein künftig, fester Arbeitsplatz) war es noch schlimmer. Mein erster Arbeitstag wurde mit einem Sektfrühstück eingeleitet. Fragt nicht wie ich um die Mittagszeit drauf war, hatte ich doch vor dem Sekt- schon ein „Wodkafrühstück“ zu mir genommen – zur Beruhigung. Es war vor allem der Niederlassungsleiter, der den Alkoholgenuss im Büro forcierte. Oft wurde schnell noch ein Sekt geholt – Gründe zum Feiern fand man immer. Wein und Weißbier waren – in erster Linie bei ihm an der Tagesordnung (ob er abhängig war, weiß ich nicht, gesoffen hätte er dafür genug.) Oft wurde man (meine Kollegen und ich) „fast“ genötigt zum Mittrinken. Und in so einem Umfeld trocken zu werden, geschweige trocken zu bleiben war ein schier aussichtsloses Unterfangen. Auch merkte ich, dass nicht alles Gold war, was glänzte. Im Juni – zu Beginn der Arbeitsstelle – wurde die gute, lockere und kollegiale Atmosphäre immer gelobt. Das täuschte –und so einen Chef möchte ich nie wieder haben, der einmal besoffen mit dir im Bierzelt auf der Bank steht, dir kameradschaftlich den Arm um die Schulter legt (er war nur ein Jahr älter als ich) – und ein anderes Mal den Chef raushängen lies, immer wenn ihm etwas nicht gefiel (und ich spreche nicht nur von Dingen, die die Arbeit betreffen). Seitdem bin ich vorsichtig mit dem „Du“ am Arbeitsplatz. Ich kürze die Geschichte dann ab, denn der Kerl ist es nicht wert, dass ich mich an dieser Stelle nochmals über ihn ärgere. Im Februar 2008 bekam ich wegen einer Lappalie (es war wirklich eine!) eine Abmahnung (die erste in meinem Leben) – einen Monat später wurde die Tochter eines Freundes eingestellt und wieder einen Monat später, als diese eingearbeitet war, bekam ich die Kündigung (wieder wegen einer Lappalie – der wahre Grund war, dass ich mich nicht in das Gesamtbild des Teams einfügen konnte, zudem kam raus, dass ich lesbisch war und mein Chef war ein „Randgruppen-Hasser“ – naja…). Das war Ende April 2008. Ich war geschockt, am Boden zerstört – Arbeitslos! Hartz IV!!!!! – Ich sah einen (noch dunkleren) Abgrund vor mir. Heute weiß ich, dass die Kündigung meine Rettung war.

    Zu dieser Zeit kannte ich meine jetzige Freundin gerade mal zwei Monate. Bei Ihr habe ich mich bereits nach vier Wochen unseres Kennenlernens geoutet. Begeisterung stand ihr nicht unbedingt ins Gesicht geschrieben, aber sie wollte es versuchen.

    Mit der Kündigung und meiner Freundin beginnt das bis jetzt letzte Kapitel meines „Werdegangs“. Aber mehr davon beim nächsten Mal mehr.

    Ich wünsche Euch ein ruhiges, besinnliches und natürlich trockenes Adventswochenende - Schön, dass es Euch gibt :D

    Alles Liebe Mary :)

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Hallo Mary,

    puh, ... also, Deine Geschichte liest sich gut, weil Du so schön schreibst!
    Aber sie erschreckt mich auch!
    Wie verträgt man 4 Langzeittherapien ohne Erfolg??
    Muss frustrierend sein ... ??!

    Ich habe mit Bier und Wein meinen Pegel gehalten –
    Wodka hatte ich auch mal probiert um Zeit zu sparen und nicht so viel trinken zu müssen.
    Das habe ich aber schnell wieder gelassen, weil ich die höheren Umdrehungen, selbst für meinen „nassen“ Geschmack, nicht einschätzen konnte.

    Bin gespannt auf den dritten Teil Deines „Werdeganges“ und wünsche Dir einen schönen trockenen 4. Advent!!

    Gruß
    Pittchen

    Das Ziel ist die ZUFRIEDENE Abstinenz !!

  • Danke Pittchen :)

    Die erste LZT war 1992 in einer Psychosomatischen Klinik am Chiemsee wegen der Bulimie. Die zweite 1994 war eine kombinierte LZT (Psychosomatisch und Sucht) im Saarland wie auch die dritte 2002 in Baden Würtemberg. Die vierte und letzte LZT machte ich in einer Psychosomatischen Klinik im Allgäu. Diese war was meine Essstörung betrifft schon erfolgreich.

    Ich könnte nicht sagen, dass ich nichts in den Therapien gelernt hätte. Theoriewissen habe ich viel angesammelt - nur das Umsetzen scheint mir Schwierigkeiten zu bereiten :( . Letztendlich ist es natürlich sehr unbefriedigendend, wenn man nach soviel Therapien immer wieder rückfällig wird - aber, ich bin eine Kämpfernatur, ein Stehaufmännchen - ich gebe nicht auf!

    Ich habe Wodka auch hauptsächlich getrunken, um mich schneller in den gewünschten "Gefühlszustand" zu katapultieren. Bier hat mir zwar geschmeckt und ich hab es leichter runtergebracht - aber ich musste schon fünf Bier trinken, um die Wirkung, die ich wollte zu erzielen. Und Wein war so gar nicht meine Sache... Alles Mist. Was ich nicht gepackt habe war das Rauchen in Kombination mit Wodka. Da hab ich gedacht, mir fliegt das Hirn weg :shock: . Das Rauchen habe ich inzwischen ganz bleiben lassen. War nie so wirklich mein Ding. Auch mit Tabletten konnte ich nie so viel anfangen, wahrscheinlich, weil ich die Wirkung nie so gut abschätzen konnte... Iss ja auch egal! Haupsache, ich hab davon die Finger gelassen.

    Ich wünsch Dir - und all den anderen hier eine gute Woche!

    Wir lesen uns :wink:

    Gruß Mary

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Danke Matthias :)

    Glück kann ich immer gebrauchen!

    ...und ich werde mich bemühen, auch mal Ratschläge und Hilfe anzunehmen. Ich denke, ein Grund für meine bisherhigen Fehlschläge, Misserfolge (oder wie auch immer) war und ist u. a. mein "Einzelkämpfertum", immer zu glauben, ich muss das alleine schaffen, mir kann da eh keiner helfen :( . Das kristallisiert sich nun so langsam ein bisschen raus in meinen Therapiesitzungen. Und mich trauen, auch mal um Hilfe zu bitten ohne gleich zu denken, ich wäre eine Last für die anderen.... Hhmm, gar nicht so einfach :roll:

    Liebe Grüße
    Mary

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

  • Und nun, meine Lieben komme ich zum Ende:

    Meine Freundin lernte ich im Februar 2008 kennen. Dass wir zusammenbleiben würden war nicht sofort klar, und daher zögerte ich, in den ersten Wochen des Kennenlernens damit herauszurücken, dass ich Alkoholikerin bin. In Ihrer Gegenwart trank ich bis dahin Alkohol in unauffälligen Mengen. Wenn ich allein war schüttete ich mir allerdings wieder den Wodka in rauhen Mengen rein. Anfang April – mein Osterurlaub war gerade vorbei – ich musste wieder in die unliebsame Arbeit, war ich (mal wieder) am Ende – auf jeden Fall fühlte ich mich so. Gleich nach dem ersten Arbeitstag suchte ich vorher erwähnte Suchtmedizinerin auf. Ich entgiftete wieder ambulant neben der Arbeit (denn krankschreiben lassen gleich nach dem Urlaub kommt nicht so gut). In dieser Woche sahen wir uns nicht. Am 07. April outete ich mich dann vor ihr. Nachdem sich der erste Schrecken bei ihr gelegt hatte, schien sie ganz gut damit umgehen zu können.

    In der Arbeit lief es schrecklich :( Man hatte mich nach meinem Urlaub einfach ohne zu fragen umgesetzt. Meinen Schreibtisch sollte die neue Mitarbeiterin bekommen und ich saß nun direkt gegenüber von meinem unliebsamen Niederlassungsleiter. Ich war zu diesem Zeit eh so verängstigt und eingeschüchtert (immer die Angst um den Arbeitsplatz) – sodass ich diese Maßnahme ohne mich zu wehren hinnahm. Ich stand nun noch mehr unter Anspannung, aber machte meine Arbeit ganz gut – dachte ich. Drei Wochen später wurde ich zu einem Gespräch ins Nebenzimmer zitiert. Der Prokurist war auch da. Ich ahnte wirklich nix. Und nicht mal eine Stunde später war ich gekündigt – zwar fristgerecht, doch mit sofortiger Freistellung. Ich musste sofort meinen Arbeitsplatz räumen. Mir blieb nicht mal die Zeit zu prüfen, ob dass, was mir vorgeworfen wurde zu überprüfen oder mir genauer ausführen zu lassen (war vermutlich Sinn der sofortigen Räumungsaktion). Ich war wie betäubt :shock: , eine Gefühlsmischung aus Angst um den Arbeitsplatzverlust, aber auch Erleichterung.

    Rückfällig wurde ich dann im darauffolgenden Mai am Geburtstag meiner Freundin. Ich trank heimlich – und da an diesem Tag viele Leute da waren und tranken und mit dem Geburtstagskind beschäftigt waren und allgemeiner Feierbetrieb herrschte bemerkte es zunächst niemand. Ich fühlte mich sicher und trank weiter, aber nicht lange. Am dritten Rückfalltag merkte es meine Freundin – zum Glück, denn sonst hätte sich dieser Rückfall noch länger hingezogen. Das komische war, dass mich Ihr Gefühlszustand mehr beschäftigte als meiner. Es schmerzte mich sehr sie so zu sehen. Ich hatte das Gefühl, sie litt mehr unter dem Rückfall als ich. Ich machte mir fast ausschliesslich Gedanken darüber wie es ihr geht, ob sie „Konsequenzen“ aus dem Rückfall zieht. Ich wollte sie auf keinen Fall verlieren. Und in der Tat schaffte ich es wieder trocken zu werden.

    Bis April 2009 war ich abstinent – fast ein Jahr. Was passierte im April 2009? Ich wechselte den Arbeitgeber. Von September 2008 bis März 2009 war ich in der örtlichen Niederlassung eine holländischen Konzerns im Büro tätig. Im April wechselten wir - die gesamte Crew - zu einem Schweizer Konzern – gleiche Branche. Ich musste im April zur Einarbeitung vierzehn Tage in die Schweiz fahren. Und hier brachen meine Ängste wieder auf. Allein in der Fremde, allein abends im Hotel, geplagt von Selbstzweifel, ob ich das alle schaffe (denn die Anforderungen im neuen Unternehme gestalteten sich recht anspruchsvoll) – die Ängste türmten sich. Ich steigerte mich in die schlimmsten Vorstellungen bis hin zum Jobverlust, sah mich wieder am Rande des Existenzminimums, ich würde eine Belastung für meine Freundin werden – alles völlig irrational! Ich weiss!! (Diese (Existenz)ängste sitzen ganz tief und ich bin gerade dabei, dass mit einer Therapeutin aufzuarbeiten) Leider konnte ich zu dieser Zeit mit niemanden reden, der mich wieder in die Realität holte. In den ersten Tagen holte ich mir Bier, wenig später kaufte ich Wodka mit dem ich mich nach der Arbeit auf mein Hotelzimmer verzog. Ich war wieder mittendrinn. Frustrierend! Und am ersten Arbeitstag in der heimischen Niederlassung musste ich mich auch „hochprozentig“ beruhigen. Bis Anfang Mai trank ich durch – außer an den Tagen, an denen ich mit meiner Freundin zusammen war. Es ist mir nachwievor ein Rätsel wie ich das die ganzen letzten Jahre so einigermaßen gut steuern konnte. Sie merkte nichts – und fiel wieder aus allen Wolken, als ich ihr von meinem Rückfall erzählte. Wieder das gleiche Spiel wie im Jahr zuvor - Tränen, Enttäuschung, Schmerz – und ich hätte mir wieder mal gewünscht, nichts gesagt zu haben.

    Um es kurz zu machen – lange habe ich es im Mai nicht geschafft, trocken zu bleiben. Es war ein monatelanges Auf- und Ab. Am 20. Oktober diesen Jahres hatte ich dann meinen Supergau! Bereits bis zur Mittagspause (ich war mal wieder allein im Büro) hatte ich einen halben Liter Wodka getrunken. Ich konnte nicht mal mehr gerade sitzen. Ich meldete mich in der Hauptgeschäftsstelle für den Rest des Tages krank – per sms. Wie ich dann nachhause gekommen bin? Ich weiß nicht mehr so recht. Irgendwann am frühen Abend wachte ich auf der Couch auf, der Fernseher lief, auf dem Tisch stand eine angebrochene Flasche Wodka, die ich wohl auf dem Nachhauseweg gekauft haben musste – ich erinnerte mich nicht mehr. Ich musst wohl mehr als üblich getrunken haben, denn an diesem Abend und in der Nacht kotzte ich mir die Seele aus dem Leib. Am nächsten Tag ging ich zum Arzt, ließ mich für einen Tag krankschreiben und setzte mich mit der Suchtberatung in Verbindung. Dort habe ich jetzt regelmäßige Termine. Zusätzlich mache ich Verhaltenstherapie bei einer Psychologin. Den Weg in die realen SHGs schaffe ich noch nicht – obwohl mir das meine Therapeutin sehr ans Herz gelegt hat. Ich bin froh, dass ich den Weg hierher in dieses Forum geschaffte habe. Schon lange nicht mehr habe ich so viel von mir berichtet. Seit dem 21.10.2010 bin ich nun trocken – was bei mir nichts heißt, wenn Ihr meine Geschichte gelesen habt - immer wieder Rückfälle :oops: . Derzeit bin ich jedoch sehr zuversichtlich :)

    Meine Freundin weiß allerdings nichts davon. Letzter Stand für sie, ist der Rückfall im April. Ich konnte ihr nichts sagen :( . Grund: Sie war (und ist noch) seit Mai 2009 emotional sehr belastet. Ihre eh nicht ganz gesunde Mutter erkrankte schwer. Seit Mai – 2x Gallen-OP, künstliches Koma, Reha, dann hat sie sich einen Keim eingefangen, Durchfälle, Knie-OP – und zu guter letzt eine künstliche Herzklappe im August. Ende September – an einem Sonntag – verstarb sie – zwei Tage nachdem sie aus der Reha entlassen wurde. Meine Freundin war am Boden zerstört :cry: . Sie war fertig und brauchte alle Kraft für sich alleine. Als in einem Gespräch rauskam, dass es mir nicht so gut ging war ihr verzweifelter Kommentar: „Da musst du jetzt alleine durch! Ich habe keine Kraft, mich auch jetzt noch um dich u kümmern“ . So entschied ich mich bewusst, Ihr nichts von der Trinkerei und dem Trockenwerden Ende Oktober zu erzählen, weil ich der Meinung war, dass ich ihr mit damit einen seelischen „Todesstoß“ verpassen würde. Die ersten Wochen konnte ich damit auch gut leben. Aber im Augenblick quält es mich schon sehr, dass sie die Wahrheit nicht weiß. Ich kann nicht abschätzen, was schlimmer für sie ist oder gewesen wäre – entweder gleich die schmerzliche Wahrheit oder die Tatsache, dass ich ihr unter dem Deckmantel sie schützen zu wollen, etwas vorgemacht habe. Es geht ihr immer noch sehr schlecht nach dem Tod der Mutter. Wie ist Eure Meinung dazu? Ich bin etwas ratlos… :(

    Danke für’s Lesen und auf bald!
    Liebe Grüße Mary :wink:

    Der Weg ist da wo die Angst ist.

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!