Hallo,
ich bin neu hier und staune, wievieles ich wiedererkenne.
Immer wieder kommen mir die Tränen, wenn ich hier Dinge in Euren Posts lese, die mich an meine eigene Situation erinnern.
Meine Mutter ist Alkoholikerin. Ich kann rückblickend nicht genau sagen seit wann... als ich etwa zwölf war, war es aber sicher schon so.
Mein Vater trinkt auch oft und viel. Wahrscheinlich ist er ebenfalls abhängig, aber er nimmt "normal" am aktiven Leben teil und kümmert sich eigentlich um alles. Wir verstehen uns eigentlich gut und er sucht Hilfe bei mir, wenn zu Hause die Hölle losbricht. (Aber was soll ich ihm sagen? Wenn ich sage, dass es am Alkohol liegt, tut er so, als sei das nicht das eigentliche Problem - vielleicht weil er selber trinkt?) Nur manchmal - wenn beide getrunken haben - dann hat er genauso Anteil an den Hasstiraden, an den nicht endenden Vorwürfen, die dann auf mich hereinprasseln.
Ich rede als einzige in der Familie Tacheles und renne immer wieder gegen eine Wand aus Verleugnung. Dabei gab es schon Einsicht, Klinikaufenthalte, Entgiftungen, trockene Phasen ... alles Schnee von gestern.
Ich weiß, dass man hier nicht über andere, sondern über sich selbst schreiben soll. Ich werde versuchen, nicht ins Detail zu gehen, wenn es um meine Eltern geht und nur Situationen umreißen, damit Ihr Euch vorstellen könnt, wie es für mich war bzw. ist.
Ich möchte so gerne wissen, wo ich stehe. Bin ich vielleicht co-abhängig? Ich weiß nicht, wo genau das anfängt.
Ich bin irgendwie zweigeteilt, meine Stimmung schwankt zwischen Selbstwertgefühl und Minderwertigkeitsgefühl und mein Leben verläuft in Auf und Abs.
Und nun frage ich mich, wie sehr das mit dem Alkoholismus meiner Mutter (oder Eltern) zusammenhängt.
Es gab soviele Dinge, die ich im Suff zu hören bekommen habe (und heute noch zu hören bekomme), die mir immer noch wehtun. Unglaubliche Vorwürfe, teilweise lächerliche Kleinigkeiten, auf denen herumgeritten wurde, kreischend, stundenlang.
Und dann gab und gibt es immer wieder die Tage/Phasen danach, in denen so getan wird, als wäre nichts geschehen - im Gegenteil, dann ist man die tolle Tochter und wird über den grünen Klee gelobt.
Und das zerreißt mich, bzw. hat mich v.a. als Kind zerissen. Was bin ich denn nun? Die Vorzeigetochter, auf die man "sooo stolz ist" oder das undankbare, dicke Kind, das "in der Gosse verbluten soll"?
Kommt mein heutiges Misstrauen in Freundschaftsbeziehungen evtl. daher? Nach einem schönen gelungenen Abend mit Freunden liege ich manchmal wach und grüble: Habe ich heute evtl. was falsches gesagt? Was denken die jetzt über mich? Haben die irgendwelche Fehler an mir entdeckt?
Auch mein Studium verläuft in widersprüchlichen Extremen: Entweder lerne ich exessiv, bis zu 12 Std. am Tag und habe dementsprechend nur Bestnoten. Oder ich tue über lange Phasen nichts, bin wie gehemmt, voller Antriebslosigkeit, Schlappheit. Außerdem bin ich mir trotz des extremen Lernens, trotz der ausgefeilten Hausarbeiten, die ich bis zur möglichen Perfektion treibe immer wieder sicher: Das wird nix, Du hast es einfach nicht drauf. Abgelöst von Höhenflügen und Stolz.
Aber ich bin sehr unsicher, ob es damit zu tun haben kann. Suche ich nicht doch nur eine Ausrede für meine Faulheit und mangelnden Ehrgeiz?
Auch bei anderen Dingen weiß ich nicht, ob es mit dem Alkoholismus in meinem Elternhaus zusammenhängen könnte. Ich habe Ängste (z.B. vor dem Benutzen versch. Verkehrsmittel ohne Begleitung, obwohl sich das dank Übung bessert; vor Krankheiten, davor mich mit eigentlich normalen Handlungen und Äußerungen lächerlich zu machen).
Und ich habe eine unmögliche Art, mit meinem Mann zu diskutieren. Glücklicherweise sprechen wir darüber und er weiß, wie leid es mir tut, dass ich mich mich manchmal im Ton vergreife und Dinge immer und immer wieder durchkauen muss und mir dabei ganz ganz sicher sein muss, dass er mich bis ins kleinste Detail verstanden hat.
Dabei sind solche Streitgespräche erschreckenderweise einfach gewohntes Terrain für mich - für ihn ist es einfach zermürbend und er kriegt kein Bein auf den Boden.
Ich versuche, an mir zu arbeiten und sehe manches anders als ich es in meiner Kindheit gesehen habe. Oft weiß ich aber einfach nicht, was ich überhaupt denken, fühlen und tun soll.
Meine Reaktionen auf die Ausraster in meinem Elternhaus haben sich mit der Zeit gewandelt. Nun werde ich manchmal kalt, wie ein Stein, und sage mir: Das ist nicht Deine Mutter, die Dich da in der Luft zerreißt, das ist der Alkohol. Die Vorwürfe haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sie betreffen Dich nicht.
Aber das klappt nicht immer, vor allem nicht, wenn mein Vater auch loslegt. Dann verteidige ich mich, bis ich heiser bin, auch gegen den abwegigsten, lächerlichsten Vorwurf.
Ich wohne ja nun schon lange in meinen eigenen vier Wänden und könnte dann einfach fahren. Das schaffe ich auch manchmal, aber oft bleibe ich und lasse es stundenlang über mich ergehehen. Warum? Weshalb tue ich mir das überhaupt an? Kennt Ihr das?
Diese Gefühlskälte, die sich manchmal einstellt ist zwar einerseits erträglicher. Doch die Kälte erstreckt sich mittlerweile auch auf manche Momente, in denen meine Mutter halbwegs nüchtern und nett ist.
Ich schäme mich so, dass ich für meine Mutter keine wahren "Tochtergefühle" mehr empfinde. Das macht mich fertig, denn irgendwie liebe ich sie ja auch - trotz der Wut.
Ach, ich könnte noch vieles schreiben, fragen, hier abladen. Aber es soll erst mal reichen - hoffe, es ist nicht zu lang geworden
Danke für's lesen und LG
Zwiebelmädchen