Die Sucht beenden …
Hallo zusammen,
ich schreibe über dieses Thema, weil es hier ja in unterschiedlicher Form nahezu täglich präsent ist,
und ich mich damit quasi auch nochmal ein wenig neu vorstelle.
Ein/e Rezept/Anleitung habe ich selbstverständlich nicht.
Ich schreibe über meine Erfahrungen und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen, die sicher nie ganz abgeschlossen sein werden.
Zu allererst unterscheide ich zwischen Alkoholismus und Sucht.
Alkoholismus ist für mich eine von vielen Formen der Sucht.
Mit dem beenden meiner Alkoholabhängigkeit habe ich nicht meine Sucht bzw. mein süchtiges Verhalten beendet.
Der schwierigste und wichtigste Schritt zum Beenden meiner Alkoholabhängigkeit war, dass ich bedingungslos vor dem Alkohol kapituliert habe.
Es hat 10 Jahre ( von Anfang 20 bis Anfang 30) gedauert von den ersten Gedanken über meinen Alkoholkonsum bis zur Kapitulation, bis ich sagen konnte:
Ich kann Alkohol nicht kontrolliert trinken. Ich bin Alkoholiker.
Bedingungslose Kapitulation bedeutet für mich, dass ich akzeptiert habe, dass ich unter keinen Umständen Alkohol kontrolliert trinken kann.
Weder meine Lebensgeschichte noch meine aktuellen Lebensumstände spielen dabei eine Rolle.
Ich brauche nicht mehr darüber nachzudenken und mich mit der Frage quälen, ob ich nun Alkoholiker bin oder nicht.
Es ist eine unumstößliche und unumkehrbare Tatsache, dass ich Alkohol nicht kontrolliert trinken kann.
Ich weiß nicht genau warum, aber es war genau dieser Satz, der sich damals zu Beginn meiner Abstinenz sehr klar in meinem Kopf formulierte
und sich bis heute darin befindet
Ich hatte mir damals vorgenommen allen Lebensereignissen zukünftig ohne Alkohol zu begegnen. Das galt und gilt auch für die Begegnung mit meiner Lebensgeschichte.
Bis heute habe ich mich daran gehalten.
Manchmal glaube ich gar nicht, dass es schon so lange her ist.
Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich mir in der letzten Phase meines Trinkens (rund um die Uhr) überhaupt nicht vorstellen konnte auch nur einen einzigen Tag ohne Alkohol überleben zu können.
Ich habe deshalb damals auch mein Leben auf den bekannten 24-Stunden-Rhythmus umgestellt. Das ist ein Zeitraum, den ich halbwegs überschauen kann.
Heute weiß ich, dass es an jedem Tag „Gutes“ und „Schlechtes“ gibt. Mal mehr von dem Einen mal mehr von dem Anderen.
Soviel in aller Kürze zu meinem Alkoholismus.
Jetzt zu meiner Sucht bzw. zu meinem süchtigen Verhalten.
Wie ich oben schon geschrieben habe, war mit der Beendigung meiner Alkoholabhängigkeit ja nicht meine Sucht beendet.
Ich habe jetzt nach einem Thema/ einer Sache gesucht, die nun mein Leben ausfüllen sollte. Das sollte nach meiner Vorstellung eine möglichst „gute“ Sache sein, also etwas, das möglichst „edel, hilfreich und gut“ aussieht. Etwas, dass im deutlichen Gegensatz zu meinem bisherigen Leben stand. Etwas, dass möglichst alle meine Bedürfnisse erfüllt.
Also im Prinzip ein Mittel, mit dem ich alles bekomme, was ich mir so sehnlichst wünschte und was ich so dringend brauchte:
gesellschaftliche Anerkennung, Wertschätzung, Zugehörigkeit, usw., usw.
(ich schreibe das aus meiner heutigen Sicht. Damals war mir das Alles nicht bewusst).
Ich stürzte mich also mit all meiner (nun vorhandenen) Energie in die Verwirklichung von „guten, edlen und hilfreichen“ Projekten, zusätzlich noch angetrieben von meinem Idealismus und Perfektionismus.
Tja, Ihr ahnt es schon Das konnte nicht gut gehen …
Ging es auch nicht. Obwohl ich mit einigen Projekten durchaus erfolgreich war, habe ich unter dem Strich nicht das bekommen, was ich mir in meinem Inneren so sehnlichst wünschte:
innere Ruhe,
mich wertzuschätzen unabhängig von äußeren Rückmeldungen,
mich anzunehmen mit all meinen Widersprüchen und Brüchen,
meinen inneren „Scherbenhaufen“ als „Schatz“ zu betrachten,
die Vielfalt in mir annehmen,
meine Unvollkommenheit mit Wohlwollen zu betrachten.
Nach einigen therapeutischen Begleitungen und insbesondere durch die Bereitschaft etwas tiefer in mich hineinzuhorchen befinde ich mich heute in einem Prozess, in dem ich mir die o.g. Punkte immer wieder bewusst mache.
Abgeschlossen wird dieser Prozess wohl nie sein.
Mein bisheriges Fazit (vielleicht komme ich im weiteren Verlauf meines Lebens noch zu ganz anderen „Erkenntnissen“):
Sucht ist für mich eine Art „Schutzmantel“, der sich in einem schleichenden, unbewusstem Prozess in eine Zwangsjacke verwandelt.
Schutzmantel deshalb, weil er die Betroffenen davor schützt, mit den oftmals schmerzhaft erlebten Erfahrungen des Nicht-Gesehenwerdens, des Nicht-Wertgeschätztwerdens, des Nichtgenügens, der Mangelerfahrungen insgesamt, in Berührung zu kommen.
Das heißt nicht, dass alle, die Mangelerfahrungen erlebt haben süchtig werden. Manche entwickeln andere Krankheiten, wie beispielsweise Depressionen. Manche verfügen auch über Ressourcen, die sie nicht krank werden lassen.
Bei mir war es so, dass ich die Zwangsjacke erst dann ablegen konnte, als sie so eng und schmerzhaft wurde, dass sie mir buchstäblich den Verstand raubte.
Zu Beginn erlebte ich es als große Befreiung und Entlastung (viele kennen ja diese Anfangseuphorie). Im weiteren Verlauf kam ich dann mehr und mehr in Berührung mit den tiefsitzenden Gefühlen von den o.g. Mangelerfahrungen. Mir war das, wie schon gesagt, damals nicht bewusst. Deshalb habe ich mir dann ja auch einen neuen „Schutzmantel“ gesucht.
Meine heutige Antwort auf Sucht lautet daher auch:
da, wo es möglich ist: Vielfalt zulassen.
Anders ausgedrückt: Bewusstwerden von vielfältigen Bedürfnissen, die auf vielfältige Art und Weise erfüllt werden können, ohne mir oder anderen Menschen damit zu schaden.
Dazu gehört natürlich auch, dass ich akzeptiere, dass ich nicht alle meine Bedürfnisse jederzeit und in vollem Umfang erfüllen kann.
Manche erfüllen sich möglicherweise gar nicht oder nur zum Teil oder es dauert ein wenig länger …
Am Ende bleiben wir halt unvollkommene Wesen
Ist also im Prinzip alles ganz einfach
LG Manfred
PS: Aktuell beschäftige ich mich gerade mit einem (ehrenamtlichen) Projekt (da isses wieder ;-)), in dem ich all das, was hier geschrieben habe, in eine Veranstaltungsform „giessen“ möchte, die das Thema „Sucht“ heiter-melancholisch-nachdenklich veranschaulicht.