Lieben Dank euch allen für das Willkommen und die Gratulation! Tja, Meilenstein stimmt schon irgendwie. Ich würde es vielleicht nicht ganz so hoch hängen. Aber es war schon etwas besonderes - den Tag selbst habe ich jetzt nicht großartig für mich gefeiert, aber schon für mich im Stillen genossen. Und ein superleckeres Eis sowie köstliche Salz- und Salmiaklakritze habe ich mir im Graefekiez auch gegönnt.
Lena : Reizüberflutung - oh ja. Das trifft es ganz gut. Setzte bei mir so nach den ersten 6 bis 8 Wochen Nüchternheit ein. Dazu aber später mehr...
Vergangenheit
Meine ersten Kontakte mit Alkohol waren so im Alter von 8 oder 9 Jahren. Verwandtengeburtstage, im Kreise von Eltern, Onkeln, Tanten, Oma, Großtanten und -onkeln. Kaffee und Kuchen. Erwachsenengespräche, oft vom Krieg und der alten Heimat im Osten. Viel Ehrfurcht und Respekt vor diesen uralten Leuten. Nach Kaffee und vor dem Abendessen tranken sie alle Alkohol. Bier, Schnäpse und Martini für die Herren - Martini und diverse Liköre für die Frauen. Und der kleine Leo bekam dann auch schonmal einen klitzkleinen Eierlikör. Hmm, ziemlich scharf. Aber auch süß. Wohlige Wärme, lustig im Kopf. Und die Erwachsenen fanden es auch lustig. Das Limbische System hat sich gefreut.
Mit 10 Jahren dann ein traumatisches Erlebnis mit Alkohol. Lange Zeit vergessen, kam mir diese Erinnerung erst wieder nach meinen ersten paar Wochen Nüchternheit.
Silvester, früher Abend, Abendbrot, Dinner For One gucken. Älterer Bruder ging auf eine Party - der kleine Leo blieb bei den Eltern. Zum Abendbrot gab es ein Glas Sekt für mich. Hui - prickelnd, wohlige Wärme, im Kopf wird es wieder lustig. Eltern machten es sich im Wohnzimmer auf Sessel und Couch gemütlich, ich auch. Wir glotzten TV-Silvesterprogramm. Ich trank ein Glas Sekt nach dem anderen. Irgendwann war mir müde, ich wollte ins Badezimmer. Der kurze Flur schien plötzlich unendlich lang und mir drehte sich alles. Von der einen zur anderen Seite der Flurwand torkelnd, schaffte ich es nicht mehr bis zum Klo und kotzte bereits kurz davor auf den Teppich. Mir war speiübel und hundeelend für die nächsten zwei Tage. Der kleine Leo hatte eine Alkoholvergiftung. Das Limbische System hat es sich gemerkt.
Danach erst einmal Sendepause bis zum Alter von 16 oder 17 Jahren. Man war nun alt genug für die Altstadt und das Altbier. Ich war nie in der coolsten Clique der Schule, hatte aber einen festen Freundeskreis. Wir gingen bis zum Abitur mindestens an drei Wochenenden im Monat (meist samstags, manchmal auch freitags) in unsere Kneipen. Wir spielten Darts mit den Briten, quatschten über Fußball, Mädchen, Musik und Konzerte - und tranken unsere Biere, um ausgelassen zu sein, entspannt zu sein. Keine Exzesse - aber oft so viel, um beim Rückweg und beim Schlafengehen gut einen im Tee zu haben. Angesäuselt, benebelt.
Aber: bei mir gab es auch Exzesse. Zwischen 16 und 22 Jahren so ca. 7mal. Meist mit anderen Leuten aus der Stufe, den Coolen, den Harten. Whisky oder andere Spirituosen. Bei diesen Gelegenheiten habe ich mich schlichtweg zugelötet. Bis es nicht mehr ging und mich meine Freunde nachhause bringen mußten oder ich bei denen gepennt habe. Mit Filmrissen und peinlichen Situationen inklusive.
Nach dem Zivildienst der Umzug nach Aachen und das Studium. Mein Alkoholkonsum reduzierte sich. Keine Exzesse mehr, die regelmäßigen Altstadtbesuche in der Heimatstadt wurden seltener. Ich lernte das WG-Leben kennen, ich lernte Frauen kennen, lernte neue Leute kennen, wurde selbständiger. Klar, ich ging immer noch manchmal weg. WG-Parties, Geburtstagsparties. Konzerte. Und auch Aachen hat Kneipen, zu denen ich zusammen mit FreundInnen ging. Aber es war eben seltener, als in der Zeit davor. Und so ging das viele Jahre.
Süchtiges Trinkverhalten legte ich also schon mit 10 Jahren an den Tag. Die Altstadtbesuche in Gladbach war Gewohnheitstrinken auf (hoch-)riskantem Konsumniveau und die Exzesse mit Spirituosen in den späten Teenagerjahren Wiederholungen des kindlichen Kontrollverlusts. War ich damals bereits Alkoholiker? Mag durchaus sein. Vielleicht auch nicht. Letztlich ist es für mich schon wichtig, die Vergangenheit zu betrachten, jedoch trauere ich auch keinem Moment hinterher und mache mir Vorwürfe. Die Dinge sind so geschehen, wie sie eben geschehen sind.
Irgendwann Anfang der Nuller Jahre hat sich mein Trinkverhalten dann geändert. Unter der Woche Bier zu trinken, wurde mehr und mehr zur Gewohnheit. Es war diese Regelmäßigkeit, diese Gewohnheit. Irgendwann wurden die alkoholfreien Tage in der Woche weniger, als die alkoholhaltigen Tage. Ein sehr schleichender Prozess. Es gibt keine besonderen Ereignisse, keine bemerkenswerten Momente, an die ich mich heute zurückerinnern kann. Automatisiertes Verhalten, Unbewußtsein. Das Limbische System normalisiert und routinisiert. Der Präfrontale Cortex kriegt nichts mit.
Anfang 2005 habe ich mir Gedanken über meinen Alkoholkonsum gemacht. Das erste Mal in meinem Leben. Bewußt. Irgendwie dachte ich damals, ich müßte mich mal testen, ob ich so alkoholikermäßig schon in der 2. oder 1. Bundesliga spiele - oder noch in einer der unteren Amateurligen. Klingt albern und dem Thema unangemessen, aber ich habe nun einmal wirklich so gedacht! Ich trank einen Monat lang keinen Alkohol mehr. Die ersten Tage fand ich es komisch und merkwürdig, in einer Kneipe kein Bier zu trinken. Danach legte sich dieses Gefühl. Entzugssymptome hatte ich keine, auch keine Gedanken an Alkohol. Zum Ende des Monats hin freute ich mich allerdings schon auf den 1. des nächsten Monats...
Danach habe ich weitergemacht wie bisher. Anfangs vielleicht noch etwas vorsichtiger und im Laufe der nächsten Jahre ab und an mit einem Trinksystem: auf einen Abend mit 2 oder 3 Feierabendbier folgt ein alkoholfreier Tag, folgt ein Abend mit Stadionbesuch (Amateurverein in Berlin) und 4 oder 5 Bier, folgt ein alkoholfreier Tag, folgt ein Abend mit 2 oder 3 Feierabendbier usw.
Gott - das ist jetzt schon viel zu detailliert und lang. Sorry. Also - Sprung nach Ende 2013/Anfang 2014. Die ersten Monate der Ausbildung. Der Job erfüllt mich, die Struktur, endlich mal Vollzeit etwas machen. Die Ausbilderin (die ich schon lange Jahre in dem Betrieb kenne) ist kompetent und fleissig. Ich bin wissbegierig und perfektionistisch - und lerne, sauge auf. Auch in der Berufsschule. Voll der Streber. Ich mache mir aber auch selber Druck. Und ich mache mir selber Stress. Abgesehen davon, daß Veranstaltungsmanagement in einem Tagungszentrum ohnehin auch objektiv gesehen nicht gerade unstressig ist.
Mein Alkoholkonsum nimmt zu. Zum Feierabend, aber auch beim Stadionbesuch und in der Fankneipe. Wochentags bis zum Betrunkensein, Wochenende oft bis zum totalen Zulöten mit Filmrissen. Arbeit und Berufsschule funktionieren noch bestens. Mit Restalkohol und verkatert immer noch Einsen in den Klassenarbeiten geschrieben. Im April 2014 mal drei Stunden zur spät zur Arbeit gekommen. Ein Kollege spricht mich (nicht zum ersten Mal!) auf meine Alkoholfahne an. Ich verharmlose und verniedliche, weiche aus, schweige aus. Meine Ausbilderin ermahnt mich sehr bestimmt. Meine Chefin nimmt es als Kavaliersdelikt. Ich mache mir: keine Gedanken.
Ganz selten kommen doch Gedanken auf, ganz leise - fast mehr wie ein flüchtiges Gefühl. Wie ein klarer Ton, ein klarer Klang. "Du solltest nicht so viel trinken". Kaum hörbar, flüchtig, schnell vergessen.
Der letzte Tag
Es war ein Mittwoch in den Sommerferien. Ich ging ins Büro. Meine Ausbilderin und ich hatten nicht allzuviel Arbeit, so daß wir auch viel über Gott und die Welt quatschen konnten. Wir waren gelöster Stimmung und lachten viel. Ich freute mich schon auf den abendlichen Stadionbesuch beim Berliner Amateurverein. Nach Feierabend ging es per S- und U-Bahn dahin. Es war ein schöner. lauer Sommerabend. Fast wolkenfrei. Ich trank meine ersten zwei Biere recht zügig. Beim dritten Bier dachte ich noch zu mir selbst "Mensch Leo, Du solltest nicht zuviel trinken. Morgen hast Du um 10 Uhr einen wichtigen Kundentermin für eine große Veranstaltung!" Dieser Gedanke war flüchtig und schnell vergessen. Viele alte Bekannte und Freunde getroffen, viel gequatscht, viel getrunken, ein mittelmäßiges Spiel mit gutem Ende gesehen. Viel zu spät und viel zu betrunken der Heimweg: S-Bahn und ein Wegbier, am Ende der Fahrt schon wieder leer. Na dann noch zwei kleine Bier vom Späti als Absacker und zuhause vor den Computer, nochmal ins Forum schauen und völlig betrunken einen Kommentar zum Spiel schreiben und von den anderen lesen. Irgendwann zu dieser Zeit wieder ein Filmriss, denn ich weiß nicht mehr, wie bzw. wann ich ins Bett gegangen bin...
Viele Grüße Leo[/u]