Tag 4 nach Entscheidung

  • Hallo,
    eine kleine Zwischenbilanz aus meiner Therapie:
    Als ich anfing über unsere Krankheit zu lesen, ging es auch darum, dass wir Alkoholiker oft Probleme mit Gefühlen haben, u.a. weil wir diese im Suff runtergepült oder anders oder gar nicht mehr wahrgenommen haben. Ich habe das gelesen, aber es hatte weiter keine Bedeutung für mich.
    Inzwischen hatte ich sechs Sitzungen bei meiner Therarapeutin. Und tatsächlich kristallisiert sich immer mehr heraus, dass das auch mein Thema ist. Ich spreche oft darüber, was ich in manchen Situationen denke - sie fragt mich dann immer was ich fühle. Und das allein in Worte zu fassen ist eine Herausforderung für mich. Ich habe das Gefühl, dass manche Gefühle mir fremd geworden sind, dass ich mich mit vielem arrangiert habe und keinen Schmerz, keine Enttäuschung mehr empfinde. Ich glaube, dass ich damit einen ganz entscheidenden Knackpunkt gefunden habe und damit weiterkommen kann - zu mir selbst.
    Viele Grüße
    Calida

  • Hallo Karsten, mir geht's ganz gut, danke. Gestern hatte ich mein zweimonatiges:-) Ich kann langsam meine Gefühle wahrnehmen und akzeptieren. Ich ärgere mich gerade über mein Kind, das Eigenschaften wie ein Schwererziehbarer hat. Ich weiß nicht, wie viel ich früher weggesoffen hätte. Das Nichttrinken wird mir immer selbstverständlicher. Also das läuft wirklich gut, das andere..... Naja ich hoffe auf ein Wunder, dass ein schlaues Kind nicht dauerhaft ein Klassenclown bleibt, das macht mich sehr unglücklich. Und wie geht's Dir? Ich hab Dich etwas vermisst im Forum in letzter Zeit.
    LG Calida

  • Hallo Karsten! Das liegt zum einen daran, dass ich viel arbeite und zum anderen Ruhe ich mehr in mir selbst. Ich lese aber auch im Forum, ohne immer zu schreiben. Vieles was ich geschrieben habe, ging nach meinem Empfinden ins Leere, die Leute waren dann ohne Kommentar wieder weg. Aber ich werde sicher wieder mehr in meinem Thread schreiben, sobald ich wieder Muße habe. Viele grüsse Calida

  • Hallo Calida,

    Wie du auch selber sagst, wird hier auch viel einfach nur gelesen. Daher sind deine Beiträge sicher für sehr viel mehr Leute wertvoll als nur für den von dir angesprochenen Empfänger.

    Ich freu mich, mal wieder was von dir zu lesen, ich finde es klasse, dass du dran bleibst und auf deinem trockenen Weg weitergehst, und ich freue mich, bald mehr von dir zu lesen.

    Viele Grüße
    Thalia

  • Hallo!
    Jetzt habe ich endlich wieder ein bisschen Zeit zum Schreiben:-)
    Bald sind es drei Monate in meinem neuen Leben. Das macht mich froh!
    Gestern habe ich mal wieder ein bisschen Literatur gelesen. Da ging es um "das eine Glas". Wenn der trockene Alkoholiker dann denkt, ein Glas - das kann doch nicht schaden. Meine Angst war ja immer, dass ich dann noch ein zweites und drittes trinke. Aber nee, in dem Kapitel stand, dass das mit dem einen Glas durchaus gutgehen mag. Aber - dann wirds noch viel gefährlicher. Denn das Suchtgedächtnis wird aktiviert, auch wenn man nix davon merkt. Und vielleicht vier Wochen - ohne noch ein Glas - später, ist man vielleicht auf einer Feier und denkt: neulich hat das doch mit dem einen Glas auch geklappt..... Und letzte Nacht hatte ich dann eien blöden Traum. Dass ich ein Bier getrunken habe - und dann noch eins und ich habe mich voll schlecht gefühlt......
    Ich glaube, das war wichtig und dass muss man sich immer wieder vor Augen halten. Denn die Umwelt ist echt gefährlich für uns, v.a. wenn wir uns noch auf die Meinung von Ärzten verlassen. Mein Arzt meinte, ich solle mal drei Monate nix trinken und dann könnte ich ja wieder anfangen und versuchen, über ein bestimmtes Limit nicht rauszukommen. Mann! Mann! Mann! Vielleicht sollte das ein Kompliment sein. Er hält mich nämlich nicht für eine schwere Trinkerin.Aber dann war es ein schlechtes Kompliment. Und es zeigt mir: Den Anker darf ich nur in mir selbst haben! Ich darf micht auch niemand anderen verlassen, wenn ich meinem neuen Leben bleiben will.
    Wenn ich mir vorstelle, ich würde heute Abend mal schnell ne Flasche Wein trinken und wie ich mich dann fühle und was ich mache - nämlich nix nix nix wertvolles - dann schüttelt es mich.
    Ich glaube es ist wichtig, dass ich mir das in regelmäßigen Abständen immer wieder vor Augen halte.
    Schlönen Tag allerseits!
    Calida

  • Zitat von Calida78

    Ich darf micht auch niemand anderen verlassen, wenn ich meinem neuen Leben bleiben will.


    ..genau!

    Hallo Calida,

    insbesondere hüte dich vor sogenannten Fachleuten.
    Da vertraue ich eher auf die Erfahrungsberichte von Betroffenen, wie ich sie hier im Forum lesen kann.

    Verlasse dich im wesentlichen auf dein Bauchgefühl, insbesondere bei der Risikovermeidung.
    Kontrolliertes Trinken ist für trockene Alkoholiker keine Option.


    Liebe Grüße
    Hans

  • Das sehe ich auch so. Allerdings schieben Ärzte einen neuen Film. Weil es statistisch gesehen besser ist, man säuft mal ne Zeit nicht oder eben nur einen Liter Wein statt zwei, ist das kontrollierte Trinken jetzt wieder hipp! Abstinenz könnte abschrecken und viele versuchen es dann gar nicht. Und deshalb fordern Ärzte Abstinenz nicht mehr ein. Das finde ich echt krass!!!!!

  • Einem alkoholkranken Menschen wird wohl niemand ernsthaft das kontrollierte trinken empfehlen.

    Aber, und da liegt der Knackpunkt, wenn ich durch pseudo-wissenschaftliche Fragebögen bei dem Betroffenen eine Unsicherheit erzeuge, bin ich nun wirklich alkoholkrank oder trinke ich 'nur' riskant, dann kann ich auch den Mist mit dem kontrollierten trinken verkaufen.
    Wenn dann noch ein Professoren Titel über dem ganzen steht, haben viele ein Alibi weiter zu saufen.

    Liebe Grüße
    Hans

  • Guten Morgen!
    Stimmt, Karsten, es obliegt mir selbst zu entscheiden, was ich will. Das setzt aber vorraus, dass ich mir über meine Krankheit bewusst bin und schon ein Stück weit reflektiert habe.
    Gerade ganz am Anfang finde ich das schwierig. Wenn ich da an die einfachen Leute in meinem Dorf denke, die oft sagen "Der Doktor hat gesagt, dass....." Naja.....
    Ich will das auch gar nicht verallgemeinern, dass alle Ärzte nur noch kontrolliertes Trinken empfehlen. Aber ich habe einen Artikel gelesen, der gut recherchiert war. Und demnach ist vollständige Abstinez nicht mehr das, was Ärzte einem Alkoholiker unbedingt empfehlen.
    Viele Grüße
    Calida

  • Hallo Karsten,
    ja - man findet alles mögliche im Internet - das stimmt schon. Ich habe den zitierten Artikel dehalb so in Erinnerung, weil er für mich eine Warnung war: Achtung! Mediziner wissen nicht unbedingt, was für mich das richtige ist. Wenn ich mich nicht informiert hätte, hätte ich vielleicht einfach auf den Ratschlag meines Arztes gehört und nach drei Monaten gedacht: so - jetzt probier mers nochmal mit einem Bier oder einm Glas Wein. Dass das nicht geht, das muss man eben erst mal kapieren und sich über die Konsequenzen bewusst sein. Und das ist glaub ich nicht so einfach. Anfangs dahcte ich auch, ich trinke jetzt nix und wenn meine Blutwerte okay sind, vielleicht irgendwann mal wieder. Dass ich dieses irgendwann aber gar nicht mehr will, das kam echt erst mit der Zeit - nach dem ich ganz viel eInformationen aufgesaugt habe - und eben auch die, dass kontrolliertes Trinken kein Ausweg ist.
    Ha Karsten! vielleicht wären wir ja gute Ärzte für Alkoholiker! Ich beobachte nämlich, dass Menschen, die mit Trinken kein Problem haben, überhaupt nicht nachvollziehen können, wie das Leben für einen Alkoholiker ist. Wieso sollte das bei Ärzten anders sein? Theoretisch kann ich ganz ganz viel wissen. Aber für den praktischen Ratschlag ist es etwas anderes, ob ich Alkoholismus oder Masern behandle.
    Aber ich denke, dass ist für Dich ja auch der Grund, weshalb Du dieses Forum leitest. Es ist gut, wenn negatives nicht umsonst war und man es hin zum postiven wenden kann!:-)
    Viele Grüße
    Calida

  • Hallo Karsten,
    ja - das stimmt. Man muss die Hilfe wollen. Und vor allem der Zeitpunkt muss gekommen sein!
    Ach würde es nur dieses Teufelszeug nicht geben! Ich weiß, dass ich oft unzurechnungsfähig war.
    Und wenn ich mir denke, wie viele Leute das sind - und in verantwortungsvollen Posten sitzen. Wenn mann bedenkt, dass auch ihnen Alkohol im Zweifelsfall wichtiger ist als alles andere, da könnte einem glatt übel werden.....
    Viele Grüße
    Calida

  • Ich hatte damals meine Suchtberaterin ziemlich schräg angeguckt, als Sie von sich aus etwas von Kontrolliertem Trinken und Programmen dazu und so erzählte. Ich war so geschockt von meinem Klick-Erlebnis, daß ich fest entschlossen war, für eine sehr lange Zeit keinen Alkohol mehr zu trinken. Aber damit hatte Sie mir schon ein paar Tage lang einen Floh ins Ohr gesetzt.

    Einige Wochen später hatte ich durch Selbststudium und Selbstwahrnehmungen meines Körpers und den Austausch mit anderen Betroffenen für mich klar, daß ich Alkoholiker bin und mein Weg die dauerhafte Nüchternheit ist.

    Bei einer der letzten Sitzungen mit meiner Suchtberaterin vor dem Start meiner Ambulanten Suchttherapie, habe ich Sie darauf angesprochen, warum Sie eigentlich am Anfang mit diesem Kontrollierten-Trinken-Ding ankam, obwohl ich doch sagte, daß ich nichts mehr trinken will. Sie meinte (sinngemäß), daß das bei Therapie-/Suchtberatungsneulingen wie mir oft ein Weg sei, damit demjenigen erst einmal für sich selber klar wird, verinnerlicht, daß er alkoholabhängig ist, durch die Mühen (nur ein kleines Glas, aber ständig das Verlangen nach mehr und so) und letztlich das Scheitern (nach einer mehr oder weniger großen Zeitspanne gibt es nur noch Ausnahmen so im Sinne von heute mal fünf, aber morgen...bla, bla) des Versuchs, kontrolliert zu trinken - und dann die Einsicht, daß man dann definitiv kein Genußtrinker ist.

    Keine Ahnung, ob das erfolgversprechend ist. Ich hatte jedenfalls einen anderen Weg beschritten, der für mich der richtige ist. Für mich brauchte es dazu ein Schockerlebnis, daß so nachhaltig war wie nur irgendwas für mich. Wie ein Aufwecken aus dem Alkoholschlaf. Wie sich Neo fühlte, als er die rote Pille geschluckt hat und aus der Matrix geholt wurde.

    Ich hatte in früheren Jahren zwar auch schon Selbstversuche eines reduzierten Trinkens gemacht. Diese waren allerdings unbewußt. Erst nach einigen Monaten der Nüchternheit und des Nachdenkens über mein früheres Trinkverhalten in zurückliegenden Jahren/Jahrzehnten ist mir das bewußt geworden.

    Viele Grüße Leo

  • Ja - war bei meiner Suchtberaterin (erste Anlaufstelle für mich) ähnlich. Wenn ich dort eine Therapie gemacht hätte, hätte ich mich verpflichtet, während der Therapiezeit nichts zu trinken, also ca. ein Jahr. Das ist nämlich Bedingung des Rentenversicherungsträgers, die die Kosten übernommen hätte. Die Frau sagte mir: Was Sie nach diesem Jahr machen, das können Sie dann immer noch sehen.
    Mir ging es wie Dir, Leo. Ich fand das total schräg und für mich ist das der falsche Weg. Ich treffe die Entscheidung lieber gleich und stelle mich auf ein nüchternes Leben ein. Sonst hätte ich doch immer diese Ungewissheit: soll ich es nach der Therapie nochmal mit Alkohol probieren oder nicht?
    Eigentlich ist es wie mit einem schlechten Partner. Wenn Du geschlagen und gedemütigt wurdest, würde Dir doch nach einem Jahr auch keiner raten: Kehre zu ihm zurück und probiers nochmal.
    Viele Grüße
    Calida

  • Ich schreibe für mich und alle, die an meinen Gedanken teilhaben wollen.

    Hatte gestern meine 10. Therapiestunde
    Ich finde es spannend, weil ich irgendwie schon das Gefühl habe, dass ich mich selbst nicht gut genug kenne. Das hat natürlich auch die Sauferei verhindert.
    Und es ist merkwürdig: manchmal habe ich in oder nach der Stunde ein Schlüsselerlebnis und denke: das muss ich vertiefen - da komme ich auch den Gründen näher, warum ich überhaupt gesoffen habe. Und dann ist es wieder ein schleichender Prozess. Eines habe ich begriffen: ich muss selbst aktiv werden und mein Leben gestalten. Und ich muss sehr wahrscheinlich auch mehr reden.
    Im Suff habe ich alles nur mit mir ausgemacht, noch nicht mal viel mit meinem Partner geredet. Zum Teil hab ich das Reden auch verlernt. Ich habe zum Beispiel keine Lust, viel über mich zu reden - über meine Gefühlswelt oder wie es mir wirklich geht. Und ich gebe den Leuten auch keine Rückmeldung, wenn mich etwas stört. Ich denke mir meinen Teil und beende die Sache.
    Das ist der Grund, warum ich zu tieferen Bindungen offenbar nicht fähig bin.
    Ich dachte immer, ich habe etwas an mir, das törend ist und die Leute auf Distanz hält. Durch die Therapie hab ich das Bewusstsein, dass es genau umgekehrt ist. Dass ich diejenige bin, die keine echte Nähe zulassen kann. Ob ich das ändern kann und möchte weiß ich nicht, aber im nüchternen zustand bin ich mir selbst näher gekommen. Und das ist ja erst der Anfang. Und ich muss rauskriegen, in wie weit der Alkohol meine Persönlichkeit verändert hat und ich noch etwas revidieren kann.
    Es ist spannend, mir selbst zuzuschauen. Ich finde das alles sehr philosophisch, mich selbst zu finden.

  • Hallo Calida,

    Danke fürs teilhaben lassen. :)

    Mir ging und geht es ähnlich wie dir, und auch knapp zwei Jahre nach Beginn meiner Abstinenz entdecke ich mich weiterhin immer mehr und neu und teilweise zum ersten Mal.

    Ich finde es toll, dass das so ein Prozess ist, und ich hoffe, er ist noch lange nicht vorbei.

    Bei mir ist es so, dass sich die Art meiner Beziehungen zu Menschen in den letzten zwei Jahren verändert hat. Vielleicht wirst du das bei dir auch feststellen.

    Nun wünsch ich dir erstmal ein schönes Wochenende!

    Viele Grüße
    Thalia

  • Hallo Thalia!
    Ich hoffe das sehr, dass sich noch viel verändert! Und bin gespannt darauf! Wobei vieles ja auch an mit hängt. Ich fühle mich gut in meinem beuen Leben und will es nicht mehr hergeben. Trotzdem habe ich immer noch Momente, in denen ich mich selbst hasse. Wie soll ich auch andere lieben, wenn ich mich selbst nicht liebe?
    Ich kann mir in diesen Momenten eben nicht vorstellen, dass mich andere liebenswert finden können. Und bevor ich mich dann auch noch verletzbar zeige, mache ich dicht. So in etwas läuft das.
    Ich wünsche Dir auch ein schönes Wochenende!
    Viele Grüße
    Calida

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