nicht länger schlucken!

  • Hallo Miteinander!

    Als aller erstes muss ich mich gleich einfach entschuldigen. Ich dachte immer, dass Hilfe suchen ein Zeichen von Schwäche ist. Ich dachte alles alleine zu schaffen, wie ich das schon von klein auf gemacht habe...doch ich habe erkannt, dass ich gar nichts geschafft habe, ausser mich selber zu belügen.
    Es tut mir leid über etwas gerichtet zu haben von dem ich keine Ahnung hatte!

    Nachdem ich über "meinen Schatten gesprungen" bin habe ich dieses Forum entdeckt und mich etwas in Eure Themen hineingelesen. Zuerst bin ich erschrocken, da ich in vielen Dingen meine Kindheit wieder erkannt habe. Danach war ich erstaunt, da ich eigentlich bis vor Kurzem dachte, dass ich mit diesem Problem alleine wäre.
    Und nun bin ich einfach nur froh.

    Mein Leben ist eigentlich seit ich ca 6 bin (Kann auch noch früher gewesen sein) geprägt vom Alkoholproblem einer Mutter.
    Meine zwei Schwestern und ich haben dadurch zwar sehr stark zueinander gefunden (etwas was unsere Mom nicht gerne sieht, da sie selber ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihren Geschwister hat), doch nun da wir erwachsen sind muss sich jeder selber mit den Gespenster von früher abmühen.
    Über Gefühle hat man in unserer Familie nie gesprochen, deshalb komme ich mir auch immer etwas blöd und unsicher vor es zu tun.
    Ich habe im Laufe der Zeit sehr viele Krankheiten "entwickelt" die eigentlich nicht meinem Alter entsprechend sind...Magengeschwür (mit 19), Migräne (schon im Alter von 10 Jahren verschrieben mir die Ärtze nichts weiter als Ponstan (!!!) welches ich aber nicht genommen habe), Herzrhythmusstörungen (schon mit 8), Verspannungen im Nacken und Schulterbereich, Depressionen (ich selber hatte sehr lange bis ich gemerkt habe dass ich welche hab!)...usw.

    Ich merke immer wieder diesen riesigen Kloss im Hals den ich, es geht nicht anders, einfach nur hinunter schlucken kann, ansonsten müsste ich mich glaub ich übergeben... und dieser Kloss, oder dieses Schlucken ist (da bin ich mir mittlerweile sicher) auch der Auslöser für meine Magenprobleme.

    Ansonsten bin ich offenbar wirklich das klassische Beispiel: Selbstzweifel, sehr hart zu mir selber, Workaholic, erlaube mir weder Fehler noch ein nein, noch Aussetzer und ich selber komme, wenn überhaupt immer als letztes dran.

    Darüber wird die Maske des Vergessens und der Heiterkeit und Unbesiegbarkeit geschoben..

    Details zu meiner Kindheit habe ich so weit weg geschoben, dass ich mich nur noch dunkel daran erinnere. Über die Details an die ich mich erinnern kann, kann ich mit niemandem reden, da sie einfach zu grausam sind, ausserdem habe ich Angst sie noch einmal zu durchleben.

    Hinzu kommt, dass mir mein Vater (in meinen Augen mein Fels in der Brandung und absoluter Hero, obwohl er ebenfalls das klassische Beispiel für einen "Co" ist) so wahnsinnig leid tut. Es schmerzt daran zu denken was er alles durchgemacht hat. Im Gegensatz zu meinen Schwestern mache ich ihm nicht den Vorwurf ein Feigling gewesen zu sein (bis zur Scheidung meiner Eltern). Er hätte auch einfach abhauen können und uns alleine lassen, aber das hat er nicht.

    (Meine Mutter macht uns jetzt da wir alle ausgezogen sind das Leben halt "nur noch" per Telefon schwer)

    So. Das ist jetzt alles ein wenig viel, halt auch das erste mal, dass ich darüber in der Art und ohne Sarkasmus rede....
    Könntet ihr mir vielleicht einige Tips geben wie ich das alles bewältigen könnte?
    Ich selber habe keine Ahnung wo ich anfangen soll. Ich habe mir schon überlegt einfach alles mal aufzuschreiben (in Buchform), das würde wahnsinnig schwer, ich weiss, aber ich denke dafür gibt es keinen schonenden Weg...?

    Liebe Grüsse an alle und etwas Sonne in Eure Herzen!

  • Hey thea,

    herzlichen Dank für Deine Antwort! Ich habe gestern Abend nach diesem Eintrag noch lange gegrübelt, sehr schlecht geschlafen (mein Magen hat sich unweigerlich und sofort gemeldet...interessant wie das zusammenhängt) und habe mir heute Nummern herausgesucht. Shg's habe ich direkt bei uns nicht gefunden, ich denke da muss ich mal weitere Kreise ziehen. Psychologen gibt es bei uns auch soweit ich weiss keine, nur Psychiater.

    Hat jemand mit dem Unterschied Erfahrung Psychologe/Psychiater? Ich habe vernommen dass ein Psychiater eher für die Stabilität, sprich Medikamente verschreiben steht und ein Psychologe eher um seine Gefühle auf zu räumen. Medikamente will ich auf keinen Fall nehmen...das hat mein Allgemeinmediziner mal versucht, ich glaube bei Euch heisst das Medikament Trevillor. Ich überlasse meine Körperbeherrschung sehr ungern Chemikalien.
    :wink:

    Ja, das mit den Briefen hab ich auch schon in andere Situationen gehört. Vielleicht wäre das wirklich fast noch der bessere Weg! Wirklich abschicken könnte ich die Briefe auch nicht, da mich der Fakt besonders meine Mutter zu verletzten, enorm schmerzen würde.
    Unter all dem liegen halt irgendwo noch die Trümmer des Menschen der sie einmal war und den habe ich ganz fürchterlich geliebt...wie das Kinder halt einfach tun.

    Vielen Dank thea! :D
    Liebe Grüsse!

  • Hallo Dinchen,

    Zitat

    Hat jemand mit dem Unterschied Erfahrung Psychologe/Psychiater? Ich habe vernommen dass ein Psychiater eher für die Stabilität, sprich Medikamente verschreiben steht und ein Psychologe eher um seine Gefühle auf zu räumen.

    Ein Psychotherapeut hat nach seinem Studium für Psychologie eine Therapeutenausbildung gemacht.
    Ein Psychiater ist ein Facharzt für Psychatrie und Psychotherapie und darf auch Mediakmente verschreiben, was ersterer nicht darf!

    Auf jeden Fall solltest Du erstmal ein paar Probesitzungen nehmen, ob Du auch mit dem Therapeuten zurecht kommst.

    Dein Hausarzt kann Dir (sofern keine körperlichen Ursachen vorliegen) eine Überweisung dafür geben, dann wird das auch von den Krankenkassen übernommen!

    Ich hoffe, ich konnte Dir etwas helfen!

    Lieben Gruß
    Speedy

  • Hi Speedy

    ja das hast Du! Vielen Dank! Werde mich in diesem Fall in der Region noch etwas schlauer machen bezüglich Psychotherapie. Ich denke dass das ein guter Weg sein könnte.

    Liebe Grüsse!

  • Hallo Dinchen.

    Viel von dem was du da beschreibst kenne ich gut.
    Du scheinst da aber, wie du schon selber gesagt hast, eine ganze Menge verdrängt zu haben. Ich denke, diese Dinge wirst du unweigerlich aufarbeiten müssen. Es sind ja genau die Dinge, die man am weitesten runtergeschluckt hat, die einem dann auf dem Magen liegen, nicht wahr?
    Ich lasse mich ebenfalls Psychologisch betreuen, bisher ohne Medikamente. Denn die Medikamente dienen ja nur der "Symptombekämpfung". Das kann kurzfristig helfen.

    Mach dir keine zu grossen Sorgen, es ist ja nicht so, dass der Therapeut die Dinge gewaltsam aus dir rausreisst, die du noch für dich behalten willst. Angenehm ist es sicher nicht, aber das sind Profis, die dir mehr helfen können, als du es dir im Moment vielleicht vorstellen kannst.

    Wie ist denn das Verhältnis zu deinen Geschwistern?
    Kannst du mit ihnen denn über das geschehene reden?

    Alles Gute von mir für Dich!

  • Dinchen,

    jetzt habe ich wirklich Gänsehaut, Du beschreibst ES nur zu gut. Kurz und treffend. Ich drücke Dir feste die Daumen, dass Du eine Gruppe oder einen Therapeuten findest. Das ist wahrlich schwer, aber es wird Dir gut tun, was auch immer Du tun wirst.

    Wie fühlst Du Dich momentan?

    lg
    Marya

  • Hallo Totes Herz und Marya und alle anderen,

    danke für Eure Antworten!
    Ich habe heute, so denke ich die passende Psychotherapeutin gefunden! Sie beschäftigt sich ebenfalls mit alternativen Heilmethoden, sprich Kinesiologie, Familienstellungen und Transpersonale Psychotherapie und Atemarbeit, sowie Meditationen. Ich denke, dass ich genau DAS brauche.

    Ebenfalls hatte ich heute ein längeres Gespräch mit einer meiner Schwestern (@ Totes Herz ich habe nach wie vor ein SEHR gutes Verhältnis zu meinen Geschwister) über unsere Kindheit und wieder sind Dinge hervor gekommen die ich schon lange vergessen habe.

    Es tut mir gut mich mal zu "pflegen" und auch einmal zu sagen: "Leute es geht mir im Moment nicht allzu gut" nicht immer nur Standardantwort: gut, danke und Dir.

    Ich habe meine Trickfilmsammlung ausgegraben und schaue mich am Abend vor dem Einschlafen durch alle durch die mir grad Spass machen. Einfach weil ich das schon immer gerne gemacht habe und es eigentlich nur weggeschoben habe weil ich ja "erwachsen " bin...sein sollte.

    Jetzt bestimme ICH was ich sein sollte und was nicht (oder versuche es zumindest einmal!) und ich glaube das war schon mal ein guter Schritt nach vorne.

    Gestern hatte ich auch wieder ein ziemlich schlimmer Abend, aber halt einfach weil genau drei Dinge aufeinander trafen die mich enorm fertig machen. Ich habe gekocht vor Wut und überlegt was ich jetzt machen soll.
    Ich hab mich angezogen und bin einfach Laufen gegangen. Mein Mann hat absolut klasse reagiert...er wollte mich zuerst fahren aber als ich meinte ich wolle laufen fragte er nur:" brauchst Du's für die Seele?" und ich meinte ja. Er liess mich dann alleine losziehen was einfach schweine gut tat. Nach einer Weile in hohem Tempo ging es mir schon viel besser und als ich wieder nach Hause kam war die Wut so gut wie verpufft.

    Bilanz der ersten Tage:

    Ich habe mich getraut Hilfe an zu fordern
    Ich habe mich angemeldet zur passenden Therapie
    Ich "pflege" mich und mein inneres Kind etwas mehr
    Ich habe den Mut zu sagen wenn es mir nicht gut geht
    Ich habe eine Lösung gefunden wie ich Wut umwandeln und sogar fast ganz loswerden kann

    Noch eine Ergänzung zum Inneren Kind: Ich habe nicht das Gefühl dass ich eine verlorene Kindheit nachholen will, es geht mir nur darum etwas zu machen worauf ich einfach LUST habe. Und wer sagt dass Trickfilme nur für Kinder sind :D

  • ...und ja. Was ich einfach mal sagen will: ich bin wütend auf meine Mutter, ich bin enttäuscht und die seelischen und körperlichen Prügel schmerzen heute noch! Ausserdem frage ich mich seit längerer Zeit wie man ein Kind im Kindergartenalter für etwas zur Verantwortung ziehen kann was es damals in irgend einer Situation nicht konnte, falsch geantwortet hat, oder manchmal sogar nur falsch aus der Wäsche geschaut hat??!!

    Mutter, ich kann nichts dafür! Und ich denke nicht, dass ich mich dafür entschuldigen muss, dass ich auf auf der Welt bin. Ich bin Dir NICHTS schuldig!

    So. Jetzt gehts mir schon wieder etwas besser! :)

  • Du musst sich sicher für gar nichts entschuldigen.
    Lass die Wut nur schön raus. Mir hilft das auch gerade sehr.
    Siehe "Grenzenlose Wut"
    Ist echt hart, wenn man schon so früh betroffen ist. Ich kenn das auch.
    Wegen den Geschwistern hab ich deshalb gefragt, weil ich sehr viel mit meinem Bruder darüber reden kann und es mir echt guttut.

    Schön, dass du nun etwas für Dich allein tun kannst und willst. Ich wünsche Dir viel Freude dabei und alles gute von Herzen.

  • ich bin stolz auf Dich Dinchen! Du machst Fortschritte und was für welche, Du arbeitest an DIR und pflegst Dich!

    Stimmt Trickfilme sind nicht nur was Kinder! Aber wieder eine gute Idee :wink: Welche guckst Du denn?

    lg & ein schönes Wochenende
    Marya

  • @ Totes Herz, ja, die Wut zu zu lassen tut sehr gut! Ich habe Dir in Deinem Thread auch noch geantwortet, da ich das Thema wirklich wichtig finde! Kurzum, ich verstehe Dich sehr gut und finde es super dass Du nicht um den heissen Brei redest.

    @ Marya: Vielen Dank! :D Das tut ebenfalls sehr gut!
    Ha! Eigentlich schaue ich mir sehr gerne die ganz alten Classic Cartoons an, oder Filme wie "Ein Königreich für ein Lama", "Nemo", "Monster AG", Ratatouille...usw. Einfach Dinge bei denen an sich nicht gross Gedanken machen muss.
    _________

    Ich hatte gestern meine erste Sitzung bei meiner Psychotherapeutin. Volltreffer! Schon die erste Sitzung hat Dinge zu Tage befördert, die ich nie gedacht hätte. Vor allem ist mir aufgefallen dass ich sehr viele Marotten angenommen habe (logisch, man lernt als Kind ja an dem was einem vorgelebt wird). Es ist noch recht schwierig für mich die Trauer und das Gefühl der Enttäuschung zuzulassen, da ich es ja als Kind mühsam weg gesteckt habe. Aber auch das ist zu lernen. Ich will den ganzen Sack los werden und ich habe mir fest vorgenommen alles zu machen was nötig dafür ist.

    Ich werde ebenfalls ein Seminar besuchen indem über Atemtechniken eine Brücke zum Unterbewusstsein geschlagen wird und dann die freigesetzten Gefühle ausgedrückt oder einfach rausgelassen werden.

    Was mir noch ganz wichtig erscheint ist, dass ich zum ersten mal gefühlt habe, dass ich auch von meinem Vater enttäuscht bin. Er war eigentlich mein absoluter Hero, aber (ohne ihm jetzt irgendwelche Schuld auf zu laden) ich bin enttäuscht darüber, dass er uns wissentlich all dem jahrelang ausgesetzt hat. Er wäre der erste Schlüssel zur Veränderung gewesen.
    Ebenso bin ich von beiden enttäuscht, dass sie (als zwei gestandene Erwachsene Personen) es nicht geschafft haben miteinander zu reden. Meine Mutter hat nie erwähnt dass sie sich scheisse fühlt und hat einfach zu Flasche gegriffen. Mein Vater hat nie erwähnt, dass er merkt, dass sie ein Problem hat. Er hat sie nie darauf angesprochen. Man hat alles einfach seinen Lauf nehmen lassen. Ich bin enttäuscht. Von Beiden.
    Und ich bin super stolz auf uns Kinder, die sich dagegen gestellt haben. Meine Kleine Schwester war es im Endeffekt die, die uns da raus geholt hat. Sie hat grosses geleistet. Und ich bin stolz, dass ich ihr zum Fenster hinaus geholfen habe um ihre grosse Tat zu vollbringen und habe zu Hause die Stellung gehalten und den Rücken freigehalten! Zusammen haben wir es geschafft und einander den Rücken gestärkt! So muss das sein! :D

  • Hallo Dinchen,

    Du klingst gut und schreitest voran. Finde schön, dass Du weiter machst. Das was da auf einmal auftaucht ist schon ein schwerer Haufen. Und es ist gut, dass Du Deine Schwester hast.

    lg
    Marya

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