Zwischen Liebe und Co-Abhängigkeit

  • Hallo, Hilde...
    Nein, Du hast Dich gar nicht wiederholt, sondern ganz klar und verständlich zum Ausdruck gebracht, was in Dir vorgeht...
    So klar, dass ich mich beim Lesen in meine Zeit als Co-Abhängige zurückversetzt fühle. Ich habe hier im Forum lange nichts mehr geschrieben, einerseits weil es viel zu sehr weh tat, mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, andererseits, weil ich hier keine Ängste schüren will.
    Nun möchte ich aber doch etwas schreiben, was mir eben beim Lesen aufgefallen ist: es fehlt mir. Richtig gelesen: nicht ER fehlt mir, sonder ES... also diese Achterbahnfahrt, dieses ewige um-den-anderen-Kreisen, sich nicht um sich selbst kümmern müssen, weil der Andere bedürftig ist und man sich mit ganzer Kraft um ihn kümmern kann.
    Es ist eine fast schmerzhafte Sehnsucht, die mich da befällt nach dieser Zeit, die voll war mit so grauenvollen Augenblicken, wie z.B. als ich dazukam, wo er sich gerade die Waffe an den Kopf hielt. Oder er auf den kalten Entzug hin einen Krampfanfall erlitt. Oder er sich mit einem Medikament gegen den Saufdruck so dermaßen überdosiert hatte, dass er fast dabei draufging. Oder an die Tage, an denen man hoffnungsvoll in die Entgiftungsstation marschiert ist, froh, ein bisschen Verantwortung abgeben zu können... oder wieder und wieder mit den Psychologen gesprochen hat.
    Normalerweise sollte ich froh sein, dass das vorbei ist. Bin ich aber nicht. Es fehlt mir. Ich denke oft mit Schaudern an die Zeit zurück und habe furchtbare Alpträume. Und dennoch fehlt es mir. Daran kann man ziemlich deutlich sehen, wie krank dieses System aus Sucht und Co-abhängigkeit ist. Das ist keine normale, gesunde Liebe. Das ist etwas ganz anderes. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass diese Hoffnung und Erleichterung, die auf die ganzen Schrecken der Alkoholabhängigkeit folgen, den Co-Abhängigen süchtig machen, sich irgendetwas an der Chemie in dessen Kopf dabei verändert... Und dem kann ich nur zustimmen. Liebe ist das nicht. Es ist nur eine andere Form von Sucht, die man kaum mit Vernunft besiegen kann...

  • Hallo Hilde,

    willkommen und Glückwunsch zu Deiner mutigen Entscheidung hier zu schreiben. Das ist alles klar und deutlich zu verstehen und wenn Du Dir Dein Geschriebenes noch mehrmals durchliest, werden noch einige Lampen bei Dir angehen.

    Zitat

    Mittlerweile weiß ich auch nicht mehr, ob es die Co-Abhängigkeit ist oder ob es tatsächlich noch Liebe ist.


    „Was ist denn für Dich Liebe und was ist denn anders wenn es Liebe ist?“

    Zitat

    Grundsätzlich weiß ich ja, dass ich frei sein will.


    „frei von was denn, vom ihm, von der Liebe, von der Abhängigkeit, vom Suff, von, von von?
    Merkst Du was? Da ist was, was so nicht passt. Es passt was nicht, sonst besteht kein Grund frei sein zu wollen.

    Zitat

    Für mich stellt sich nur die Frage, ob ich, wenn ich frei bin und er die Langzeittherapie hinter sich gebracht hat und auch trocken bleibt, mit ihm eine Beziehung führen könnte.


    Wenn er nicht mehr trinkt, ist er dann so anders, bleibt er dann so anders und ist es dann anders, andere Liebe oder was ist das?

    LG Kaltblut

    Sie standen dar und fragten sich warum und nur einer meinte: warum nicht.

  • Hallo Hilde,

    da gibt es noch sehr viel zu entdecken und wenn die 87 für Dein Geburtsjahr steht, dann erfährst Du viel früher das, was ich erst mit 48 erfahren durfte, vielleicht bleibt Dir ja einiges erspart.

    Bei der Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen, also was was ist, wo es herkommt und warum mich das so aufwühlte, habe ich oft Eimer geheult oder bin verzweifelt ums Haus gelaufen, als erwachsener, reifer, mehrfach chemisch gereinigter Kerl- weil ich nichts damit anfangen konnte, weil ich nicht hinschauen konnte, weil ich Angst hatte, weil ich es nicht begreifen konnte, auch nicht wollte und das hat nichts mit Intelligenz oder Bankkonto zu tun, sondern da kam etwas Unverständliches in mir hoch.

    Meine beiden Jungs, die sind in Deinem Alter, kamen damals zum Essen und voller Stolz erzählte ich denen was von Eigenliebe, nur mal so als Beispiel und fragte: und- liebt ihr euch selbst? Die haben sich angeschaut, so als wäre ich aus einer anderen Welt und meinten: Papa, klar, ohne sich selbst zu lieben geht doch nichts. Was ich meine ist, das was für mich eine große Erkenntnis war, war für sie das Normalste und Alltäglichste auf der Welt.

    Manche Gefühle fühlst Du das erste Mal, Angst, Durcheinander, da kann einiges zusammenkommen und dabei wünsche ich Dir sicheren festen Halt, auch wenn es drumherum anfängt zu schwanken.

    LG Kaltblut

    Sie standen dar und fragten sich warum und nur einer meinte: warum nicht.

  • Hallo Hilde,

    Zitat

    „Wie hast du es denn geschafft, diese Anfangsphase zu überstehen? Das liest sich bei allen immer so einfach.“


    2006 bekam ich hier im Forum große Augen, denn es stand ja schon damals alles hier im Forum was wichtig war, zu dem haben mir viele Menschen gesagt wo es lang ging. Alleine der Spruch, dass sich der Körper den Schlaf holt, den er braucht, hatte mich soweit gefestigt, dass ich zahlreiche schlaflose Nächte durchstehen konnte. Ein halbes Jahr später war ich in der Lage war mich zu trennen, das war vorher unmöglich, denn ich war ja hier um meine Frau zu retten. Ich habe mich hier im Forum ausgetauscht, die Themen aufgesaugt, die Finger wund geschrieben, reale Gruppen besucht und versucht auf andere Gedanken zu kommen.

    Nun ist es aber so, dass ich nackt auf einer einsamen Bergspitze rumhüpfen könnte, aber die Gedanken sind immer noch im Kopf, die nehme ich ja mit, die sind auch ohne Handy da. Wie Du die aus dem Kopf bekommst kann ich Dir nicht sagen, mach einfach was. Die Ängste verschwinden, je mehr Du machst.

    2007 zog ich aus, da wurde sie trocken, ich glaubte alles sei anders, bei uns sei alles anders, wir lebten nochmals ein Jahr zusammen und dann ging die Bombe doch hoch. Verschüttete Milch bekommst Du nicht mehr ins Glas, ein Teil ist immer weg.

    2010 wurde ich mit Verzögerungen endlich geschieden, also habe ich mich rund vier Jahre geschafft, ich mich. Ich mich, denn meine Exfrau konnte ja nichts für meine Gefühle, für das was in meinem Hirn falsch lief. Hätte ich richtig getickt, aber wer weiß schon was richtig und falsch ist. Hier kam mal jemand ins Forum und rief nach einer Woche: „morgen schmeiß ich sie raus“ und war weg, was immer draus geworden ist. Tatsache bleibt, dass ich mir noch lange Zeit die Exdosis erhöht habe, quasi, bis ich ausgehirnt war. Der Körper schaltet dann auf ein Notprogramm und will nur noch leben oder auch nicht.

    Ich wüsste jetzt kein Patenrezept, aber ich weiß, dass das was mich in tiefste Abgründe stürzen lies vorbei ging und in eine neue, zwanglose und schöne, tiefe Beziehung begleitet hat, die dieses Jahr sechs Jahre alt wird. Wenn Gutes geht, kommt was Besserer hinterher, warum soll das bei Dir anders sein?

    Beziehungen sind nicht zum Auseinandersetzen, Anpassen, Verbiegen, Rütteln, Ziehen, Flicken, Leiden, Rechtfertigen und Kämpfen da, sondern zum einfachen guttun.

    In dem Sinne: lass es Dir gut gehen.

    LG Kaltblut

    Sie standen dar und fragten sich warum und nur einer meinte: warum nicht.

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!