Wo beginnt das soziale Gewissen

  • Hallo Murron,

    das ist echt schwierig.

    Bei mir war es ähnlich. Ich hatte mich nach 26 Jahren von meinem Exmann getrennt. Er hörte daraufhin mit dem Trinken auf. Wir hatten dann auch regelmäßig Kontakt, da er auch um die Ecke wohnt, wir 2 gemeinsame Kinder haben und nicht loslassen konnten...

    Ein Jahr nach der Trennung ging ich eine neue Beziehung ein. Da wurden die Kontakte sehr selten, waren nur noch sporadisch. Vier Jahre nach der Trennung lernte mein Exmann eine neue Frau kennen.

    Und da begann er wieder mit dem Trinken.

    Als ich das merkte hat es mir sehr leid getan. Ich kannte ihn schließlich schon sehr, sehr lange. Ich habe ihm damals mehrmals angeboten, dass er sich jederzeit bei uns melden kann. Auch bei meinem 2. Mann, ich hatte inzwischen wieder geheiratet. Mein 2. Mann ist auch Alkoholiker, trocken. Und hat eine Ausbildung zum betrieblichen Suchtkrankenhelfer. Und steht meinem Ex ja auch nicht so nahe.

    Mein Exmann hat dieses Angebot nicht ein einziges Mal in Anspruch genommen.

    Da habe ich gelernt, wieder einmal oder noch mal, was Loslassen bedeutet. Es ist sein Leben und seine Entscheidung. Wenn ich meinen Ex sehe oder telefoniere, was selten vorkommt, dann tut mir das sehr leid. Ich merke, wie sehr er der Sucht verfallen ist inzwischen. Ich kenne diesen Mann seit nunmehr 36, fast 37 Jahren...

    Und doch weiß ich, ich kann nichts machen. Es ist sein Leben, seine Entscheidung. Er weiß, wie es anders sein kann, ohne Alkohol. Und doch kann er nicht anders als er es gerade lebt. Das Hilfeangebot steht noch immer, aber er möchte es nicht in Anspruch nehmen.

    Das muss ich akzeptieren und auch unser Sohn, unsere Tochter lebt leider nicht mehr.

    Vielleicht kann ich dir mit meinem Beitrag ein wenig weiter helfen, beim Sortieren.

    Liebe Grüße
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Liebe Murron,

    ja, dieses Füreinanderdasein, das wird schon gefühlt weniger.

    Andererseits habe ich als Coabhängige damit auch schlechte Erfahrungen gemacht. Ich war immer für alle da. Habe geholfen und gemacht und getan. Meine "Leistung" sogar regelrecht aufgedrängt teilweise.

    Ich fühlte mich für alles und jeden verantwortlich. Leider nur nicht für mich... Und ich wurde maßlos ausgenutzt bzw. hab mich ausnutzen lassen.

    Es fällt mir noch immer schwer, da eine gesunde Grenze zu finden. Hilfe und Dasein sind gute und wichtige Dinge im sozialen Miteinander, ganz klar. Es darf nur nicht so weit gehen, dass ich mich verliere.

    Ich musste lernen dass ich gerne meine Hilfe anbieten darf. Ich muss aber auch akzeptieren, wenn sie nicht angenommen werden möchte. Und ich musste lernen auch "nein" zu sagen. Wenn ich um Hilfe gebeten werde aber keine geben kann. Früher habe ich dann Welten bewegt um trotzdem helfen zu können. Ich habe mich verdreht, meine eigenen Grenzen überschritten und mein eigenes Dasein mit den Füßen getreten. Nur um zu helfen, anderen. Nur um niemanden weh zu tun mit einem, meinem, "nein".

    Das war dann die krankhafte Variante des Helfens.

    Ich lese aus deinem Beitrag heraus, dass du das gut für dich sortieren konntest.

    Lieben Gruß
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Liebe Murron,

    Zitat

    Und hatte immer dabei das Gefühl, ich genüge nicht.

    Ja, das Gefühl kenne ich auch. Ich habe immer alles gemacht und getan und mich verausgabt um geliebt zu werden. Um Anerkennung zu erhalten. Um gut genug zu sein.

    Vor allem war das in der Familie meines Exmannes ganz schlimm. Ich habe sonstwas gemacht, damit er mich liebt... Er ist aber immer mehr in die Sucht gerutscht und war dazu gar nicht in der Lage irgendwann mehr. Und für seine Mutter war ich nie gut genug... egal, was ich machte.

    Auch in meiner eigenen Urfamilie war es so, dass ich immer für alle da war, für alle der Mülleimer usw. Auch für "Freunde"...

    Ich habe auch viel an Beziehungen aussortiert in den letzten fast 11 Jahren. Das ging nicht anders. Zuerst mal die Sippe meines Exmannes und dann den Exmann, der Alkoholiker ist, nass. Mich da abzugrenzen und "nein" zu sagen war sehr schwer. Mit seiner Sippe ging das, da konnte ich den Kontakt einfach abbrechen.

    Zu ihm war das nicht so leicht denn mit meiner Trennung hörte er zu trinken auf. Und ich konnte erst mal nicht "nein" sagen, jedenfalls nicht direkt. Es war immer ein "eigentlich möchte ich ja nicht" oder "eigentlich habe ich was anderes geplant" oder so. Er hat mich immer wieder bedrängt mit seinen Dingen und schlussendlich habe ich immer nachgegeben. Auch mit meinen Kindern ging mir das so. Die waren zu diesem Zeitpunkt erwachsen und wären durchaus in der Lage gewesen, ein "nein" zu vertragen.

    Es hat fast 1 Jahr gedauert (nach der Trennung) bis ich ein klares "nein" sagen konnte. Zum Ex. Und mir war danach speiübel! Und ich habe mich schlecht gefühlt, körperlich. Und wäre am liebsten wieder hin gerannt und hätte das "nein" zurück genommen. Ich habe das aber einfach ausgehalten. Und immer wieder auch zu anderen Gelegenheiten probiert. Jedes Mal war mir dabei elend, das habe ich einfach mal ausgehalten. Es wurde dann auch besser.

    Auf der Arbeit zum Beispiel ging es anders. Da ging das "nein" leichter, aber ich habe dann sofort ein Angebot gemacht. Um das "nein" abzuschwächen. Zum Beispiel "nein, da kann ich nicht arbeiten kommen, ich habe einen Termin. Aber ich kann dann und dann..." So in etwa. Bis ich mal dachte, "hey, biste eigentlich blöde :evil: , du musst weder was anbieten noch dich rechtfertigen. Nein heißt nein!"

    Das ist einfach eine Übungssache. Aber - es fällt mir noch immer bei Menschen, die mir lieb sind und mir nahe stehen, schwer, "nein" zu sagen.

    Ich merke aber, es geht immer einfacher und ich kenne inzwischen auch die Mechanismen in mir. Das hilft mir sehr beim Neinsagen.

    Lieben Gruß
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

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