Hallo Caro,
die Frage möchte ich in der Vergangenheitsform formulieren:
Warum habe ich mich aufgegeben?
Denn ich bin dabei, mich wieder zu finden.
Weil ich meinte, ich könnte meiner Mutter ihr Leben erleichtern.
Ihr den Schmerz nehmen, der sie so unberechenbar werden ließ.
Wenn ich die brave Tochter bin, muss sie ja irgendwann glücklich sein. Wenn ich alles tue, was sie will, muss sie mich ja irgendwann beachten und lieben.
Aber es genügte nicht und so strengte ich mich noch mehr an und da habe ich mich langsam drüber vergessen. Ich lebte das Leben meiner Mutter. Denn ich hatte ja kein eigenes verdient. Ich musste doch dasein für sie. Und das machte ich nicht gut genug, sonst wäre sie doch anders, oder?
Und natürlich war wesentlich die Angst. Die Angst davor, ich könnte irgendwas verkehrtes tun oder sagen. Ich lag oft im Bett, hörte sie meinen Vater stundenlang anschreien und hatte Todesangst davor, dass sie zu mir kommt und bei mir weitermacht. Und mich dann anschreit. Weil ich irgend was nicht richtig gemacht habe. Was ich dann nicht verstand, ich war doch immer für sie da, wenn sie was brauchte. Ich tat doch alles, was sie wollte.
Oder sie drohte wieder, sich umzubringen. Sperrte sich stundenlang im Bad ein. Kein Mucks. Was war da drin los? Lauschen an der Tür. Regt sich noch was? Stundenlanges Flehen, komm doch raus. Wir sind auch brav. Gefühle der Hilflosigkeit. Was kann ich noch tun? Nachdenken, sich drüber den Kopf zerbrechen. Aber es fiel mir nichts mehr ein. Ich war doch ein Kind!
Ich habe ja verdrängt, dass sie trank. Und über die Tablettensucht wurde ich mir auch erst später klar.
Ich gab meinem Vater die Schuld. Und fühlte mich deswegen schuldig.
Ich habe gar nicht gemerkt, was da abläuft. Für mich war das normal.
Ich kannte ja gar nichts anderes.
Aber ich wurde immer stiller, zog mich immer mehr zurück.
Erst nach der Scheidung meiner Eltern habe ich ganz langsam realisiert, dass da irgendwas nicht richtig läuft. Als der neue Freund da war (übrigens auch Alkoholiker) und sich am Verhalten meiner Mutter nichts änderte. Es wurde mir immer mehr klar, dass sie nicht so unschuldig ist. Aber immer noch verdrängte ich ihren eigenen Alkohol- und Tablettenkonsum. Sie ging ja schließlich täglich in ihre Arbeit. Stand früh auf, um für uns zu kochen. Sie tat doch auch viel für uns! Da mussten wir doch dankbar sein. Oder nicht?
Ich wusste nur, ich muss da weg! Eigentlich das erste Mal, dass ich auf meine innere Stimme gehört habe. Wird mir gerade bewusst, als ich das schreibe.
Aber ich brauchte noch lange, lange Zeit, bis ich endgültig aufgewacht bin und mir dann die Hilfe gesucht habe, die ich auch annehmen konnte.
Liebe Grüße
Renate