Liebe Aurora,
es freut mich sehr, dass dir das Buch neue Anregungen gegeben hat. Mir hat es nicht so viel gegeben, weil meine Trauer eingefroren ist. Ich habe vieles verdrängt aus der Kinderzeit. Wie kann man trauern, wenn die Erinnerung an so vieles fehlt bzw. wie ausgeschaltet ist und man den Schalter nicht finden kann?
(ich schreibe hier sehr viel, das ist mir im nachhinein klar geworden. Ich wollte nur sagen, dass ich ab hier einfach meinen Gedanken nachhänge und du sie nicht lesen musst, wenn du nicht magst. Deine nette Aufforderung zum Piep soll doch nicht verpflichten, mir zu antworten oder dir dies alles durchzulesen)
Momentan bin ich viel mit mir alleine. Ich habe mich in letzter Zeit von einigen Menschen getrennt, bzw. ich bin mittendrin, es zu tun. Es tut weh! Manchmal befreit es, doch es tut auch weh, weil die meisten Menschen nicht bereit sind, einen anderen Weg mit mir zu gehen. Mit der M......, die kritischer ist, die sagt, was sie denkt, die nicht mehr ihre wahren Gedanken verbirgt, aus Angst, nicht gemocht zu werden, kommen viele nicht zurecht. Die wütende M..... ist den "Freunden" glaube ich nicht ganz geheuer und sie wenden sich von mir ab. Ich verletze sie auch offenbar mit meiner Wut und schiesse auch manchmal über das Ziel hinaus. Also es kommt so vieles hoch bei mir, diese nette gefällige, die macht mich so traurig und wie ich mich oft habe zum Spielball machen lassen, wie oft ich aber auch nicht die Kraft hatte, auszusteigen aus Beziehungen, die mir nicht gut taten, weil der Preis meiner "Isolation" und es mit mir selbst aushalten müssens mir zu hoch erschien. Dazu kommt ja noch, dass ich keine Familie mehr habe und kein intaktes soziales Netz, auch keiner Gruppe angehöre, in keinem Verein tätig bin und keine Gemeinde, die mich "auffangen" könnte. Denn auch hier habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, aber wer weiß, vielleicht bin auch irgendwie eine Einzelgängerin, zwar ganz nett und sympathisch, aber ich kann mich in Gruppen nie so integrieren, auch wenn es den Anschein macht. Ich fühle mich dennoch oft fremd und nicht zugehörig.
Wenn man sich selber fremd ist und selbst, wenn man kämpft, man sich trotzdem nicht spüren kann, erscheinen all die anderen so verlockend. Auch den Kampf aufgeben, geht nicht, loslassen noch nicht gelernt und oft nur halb gewagt und wieder zurückgerudert. Alle erscheinen besser zu wissen, besser zu spüren. In der Leere des eigenen bin ich gefangen und es ist so eine Hölle, dass jeder willkommen ist, jeder, der nur ein bißchen Anteil nimmt, auch wenn er als Preis dafür sehr viel von dir verlangt. Du triffst auf ebenso süchtige Menschen und der Suchtkreislauf beginnt.
Das ist mir in letzter Zeit so klar geworden, dass ich dann versucht habe, ehrlich zu sein, was teilweise gründlich in die Hose ging. Wahrscheinlich war ich dann brutal ehrlich, ohne Rücksicht auf Verluste. Doch vielleicht war es auch gut so, ich weiß es nicht.
Momentan ist also mein Gefühlsleben chaotisch. Es kommen auch immer wieder die Erlebnisse des kleinen Mädchens und der jungen Frau als Bilder in meinen Kopf. Schuldgefühle nehme ich jetzt besser wahr und wie schnell ich in diese hineinfalle. Einige können mir ihres überstülpen und ich kann oft gar nicht schnell genug reagieren. Der andere ist dann schon wieder weg, da erst fällt mir ein Gegenargument ein. Doch in dem passenden Moment bin ich total unsicher, ja manchmal sogar ein wenig barsch, weil ich mich ungerecht behandelt fühle. Ich bin aber auch nicht in der Lage, sachlich meine Argumente, die im nachhinein durchaus plausibel sind und für mich sprechen, darzulegen. Ich bin nicht in mir, nehme mir nicht das Recht heraus, für mich einzutreten. Ein ganz merkwürdiger Zustand ist das, danach geht es mir schlecht und die anderen? tja, die missverstehen mich dann auch total..........gerade im Arbeitsleben ist das momentan oft so. Ich fühle mich so überrumpelt und unfähig, mir Gehör zu verschaffen. Wobei mein Arbeitsumfeld streng hierarchisch ist und ich so ziemlich unten auf der Leiter stehe, denn ich habe mit 49 Jahren etwas "Neues" angefangen. Mir kommen zwar meine Erfahrungen und Fähigkeiten meiner jahrenlangen Berufserfahrung zugute, dennoch bin ich aber auf dem Feld noch nicht so bewandert. Ich bat anfangs um Hilfe um dann festzustellen, dass ich auf einmal damit ganz unten auf der Hackordnung stand. Die Kollegen, die ihren Frust über die sehr jungen Führungskräfte nicht loswerden können, sehen in mir, eine verletzliche fast 50-jährige, ein gutes Opfer, um sich zu ventilieren.
Ja, in der Rangordnung stehe ich nicht hoch. Ich hätte nie gedacht, wie Menschen sein können, wenn sie Macht haben. Oder habe ich es immer schon gewusst, bin aber erstmalig bereit, es in aller Konsequenz zu spüren und nicht mehr zu verleugnen?
Also so sieht es in mir momentan aus. Ich bin verletzlich und verwundbar. Es ist viel alte Scham in mir drin. Das Gute aber ist, dass meine Abwehrmechanismen langsam abblättern. Die vielen vielen Jahre des Aufrechethaltens meiner Abwehrstrategien gegen die Scham, meiner eigenen existentiellen, haben mich enorm ausgelaugt. Ich kann nicht mehr dagegen sein, bin aber auch hypersensibel, weil mir nach wie vor, das gesunde Repertoire fehlt, um mich abzugrenzen. Ich bin mich mehr dagegen, aber auch noch nicht dafür.......gegen was? die Scham, die Schuld, die Vergangenheit.......wofür? für mich, für vitale Gefühle, für die Gegenwart.......
Ich nehme vieles hin, aus Kraftlosigkeit und dann aber entladen sich die aufgestauten Gefühle plötzlich in einer Situation, in der es nicht angemessen erscheint. Ich weiß selbst, dass das nicht unbedingt gut ist, kann aber momentan nichts daran ändern. Vielleicht ist es gut, dass es sich überhaupt entlädt, auch wenn es dann auch unpassend erscheint.
Das ist jetzt viel geworden und es gibt meinen Zustand wieder.
Ich habe es geschrieben, weil es mir gut tut, es hierzulassen. Dennoch weiß ich, dass ich schon aktiver werden sollte in Richtung Eigeninitiative bei der Suche nach Hilfe. Im Moment lasse ich mich hingegen auch oft treiben und mich fallen, auch durchaus in depressive Phasen in denen ich einfach mir mal 2 Stunden Auszeit liegend gönne. Ich habe so vieles ausprobiert und irgendwie kam ich dann doch nicht an die Gefühle dran, vielleicht auch, weil ich das so gerne möchte und mich dabei behindere, aber loslassen geht auch nicht, offensichtlich sperrt sich da noch gewaltig was in mir, ob ich das mal verstehen werde, wenn ich loslassen kann und in der Retrospektive meine Ohnmacht sehe und sie gar verstehen kann?. Manchmal sind sie da, die tiefen Gefühle und die Momente der Annahme und des Verstehens, dann verstehe ich vollkommen, warum und wieso ich die geworden bin, die ich heute bin. Dann wiederum schiebt sich wieder der Schleier über mich und ich bin entfernt von mir. Diese kostbaren Momente aber des echten Verständnisses oder auch des echten Zorns (wenn mich Mißstände ganz tief im Bauch treffen) sind Gold wert. :).
Puh, ich hätte nie gedacht, als ich zu schreiben anfing, dass es so viel werden würde!
Ich merke auch, trotz der Schwere, dass ich bei mir bin. Ich beschreibe meine Gefühle, nicht mehr die Gefühle, die mein Ex mir beschert hat.
Liebe Aurora, du musst jetzt gar nicht antworten. Mich hat deine Aufforderung zum "piep" jetzt einfach inspiriert, so viel zu schreiben. Wenn du mir ein paar Worte dalassen möchtest, habe ich aber auch nichts dagegen hi hi..........ich hoffe, du verstehst, was ich meine!
Ich danke dir jedenfalls, dass du an mich gedacht hast. Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende!
Lieber Gruß vom wilden (heute eher traurig-nachdenklichem) Blümchen