Hallo,
Ich bin m, 32 und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ein Alkoholproblem habe. Ich leide auch unter mittleren Depressionen, was natürlich mit dem Alkohol Hand in Hand geht. Ich wohne jetzt zwischenzeitlich bei meinen Eltern. Zur Zeit befinde ich mich in einer kleinen Lebens- und Sinneskrise (daher die Depression). Letztes Jahr bin ich immer mehr und öfter in den Alkoholrausch geflüchtet und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich in dem Sumpf feststecke. Es gibt bei mir nichts, was man nicht bewältigen könnte. Doch ich habe das Gefühl, dass mich der Alkohol bremst, mich nicht aufstehen lässt, mich zurückhält, mich nicht weiterziehen lassen möchte. Ich bin nicht trocken. Vor einigen Monaten hat mich mein Arzt das erste mal auf erhöhte Leberwerte angesprochen und das war für mich schon ein kleiner Schock. Ich habe zudem in den letzten 6 Monaten sehr stark zugenommen und fühle mich sehr unwohl in meiner Haut. Irgendwie zerbröselt gerade alles vor meinen Augen und ich schaue meinem Verfall gelassen mit einem Glas Wein zu, anstatt etwas zu ändern und wieder am Leben teilzunehmen. Ich isoliere mich sehr stark. Ich vermisse ein Leben.
Ich habe zwei Freunden gebeichtet, dass ich glaube ein Alkoholiker zu sein. Doch bevor ich dieses Statement in meinem gesamten Freundes- und Familienkreis publik mache, möchte ich mir 100% der Konsequenzen bewusst sein - Abstinenz. Diese Erkenntnis schmerzt sehr. Wie konnte es nur so weit kommen? Ich war eigentlich immer ein relativ hübscher und talentierter und durchaus lebensfroher und beliebter Kerl. Doch mich plagt schon mein ganzes Leben dieser Drang zu Suchen, zu Entdecken, nie zufrieden zu sein. Weiter, schneller, höher. Ich glaube mein exzessiver Lebensstil bot die Grundlage für meine Abhängigkeit. Der Prozess war schleichend. Schon in jungen Jahren trank ich viel, um selbstbewusster auf Parties zu sein. Da habe ich dann auch sehr viele One Night Stands gehabt, die aber oft mit einem bitteren Kater am nächsten Morgen endeten. Eigentlich bin ich nämlich ein sehr schüchterner Mensch. Aber das ist ja in jungen Jahren nichts ungewöhnliches. Die erste Erinnerung an bewusstem Alkoholmissbrauch liegt 7 Jahre zurück, als ich Student war. Damals hatte ich einen Job und gegenüber vom Büro gabs einen Supermarkt. Es war das erste Mal, wo ich bewusst den Drang verspürte nach der Arbeit mit einer Flasche Wein vor dem PC "zu entspannen". Das erste Mal, dass ich mit einem schlechten Gewissen die Flasche Wein kaufte und hoffte, dass mein Boss mich nicht sehen würde, mit 25 Jahren. Der nächste Schritt war mein Berufs- und Liebesleben, wo mich fürchterliche Eifersucht und Liebeskummer plagten. Auch mein Job war eine Belastung und so kam es immer öfters vor, dass ich abends eine Flasche Wein "brauchte". Die besorgte ich mir dann teilweise in der Mittagspause und versteckte sie in meiner Tasche. Erneut das Gefühl von Scham und der Hoffnung, dass keine Arbeitskollegen im Supermarkt wären. Doch es gab auch immer wieder Phasen, wo ich nichts getrunken hatte, teilweise über Monate.
Und jetzt befinde ich mich besagter Lebenskrise und mein Alkoholkonsum hat den bisherigen Höhepunkt erreicht. Und deshalb bin ich hier. Ich befinde mich in einem elendigen Teufelskreis. Besonders morgens beim Aufwachen fühle ich mich derartig schäbig, dass ich gar nicht aufstehen möchte. Der Kater am morgen gehört zu meinem Alltag dazu. Ich fühle mich manchmal so schlecht, dass ich bereits morgens im Bett feuchte Augen vor Kummer bekomme, bevor ich mich in den Tag quäle. Wenn mein Kummer zu gross wird und die Schmerztabetten endlich ihre Wirkung entfalten, dann hilft nur noch Alkohol und Internet, Youtube, Filme, Neflix... egal... hauptsache ablenken. Ich glaube allerdings auch fest daran, dass es die Wirkung meiner Antidepressiva verringert. Am schlimmsten ist es, wenn mir nach dem Aufstehen langsam einfällt, was ich die Nacht zuvor alles im Rausch geschrieben und versendet habe. Wenn ich sehe, dass gewisse Personen auf etwas geantwortet haben und ich nicht mehr weiss, was ich geschrieben hatte, dann ist meine Scham unermesslich.
Doch die bittere Ironie zum Schluss: Leider sind meine Eltern auch Alkoholiker, was sie sich aber nicht wirklich eingestehen. Deshalb schauen sie auch "weg". Aber einmal sprachen sie mich darauf an, dass ich 6 Flaschen Wein in 3 Tagen "verzehrt" hätte, was ja schon etwas viel wäre. Hätte man mir vor 10 Jahren gesagt, dass mir meine Eltern einmal meinen Alkoholkonsum vorhalten würden, dann hätte ich es nicht geglaubt. Deshalb trinke ich auch "heimlich" vor meinen alkoholkranken Eltern. Mit 16 habe ich meinen Eltern vorgeworfen, dass sie zu viel trinken würden. Es gab bei uns viele Kämpfe deswegen. Dass ich nun selber im gleichen Boot sitze ist für mich kaum zu glauben. Meine Familie hat eine Geschichte mit Alkoholsucht und Depression. Ich will nicht die Verantwortung auf die Gene abschieben, doch ich bin mir deshalb meiner Prädisposition und Gefährdung bewusst. Es gab auch Suizide und Suizidversuche in meiner Familie, was die Angst vor den eigenen Dämonen noch verstärkt.
Ich weiss, dass Alkohol mir schadet, immer schaden wird und dass ein Leben ohne das bessere ist. Und doch ist es so schwer sich den Problemen und den eigenen Dämonen zu stellen. Ich kann nicht verstehen, wie ich zu dem geworden bin, was ich früher so sehr verachtet hatte. Wie ich meinem Körper bewusst so schaden kann. Doch ich bekomme langsam den Mut und die Einsicht und weihe immer mehr Freunde ein. Man könnte sagen, dass ich mich an ein neues Leben herantaste. Ich habe einfach die Schnauze gestrichen voll und weiss nicht, wie tiefer ich noch sinken soll, bevor ich endlich was ändere. Ich weiss dass mein Umfeld auch sehr schädlich ist und ich liebe meine Eltern, doch das Überangebot an Alkoholika macht es nicht gerade leichter.
Ich denke, dass dieser Text eine Art Eingeständnis ist. Endlich ist es schwarz auf weiss. Auf eine seltsame Art und Weise schreibe ich diesen Text eher an mich, als an Euch - wenn Ihr versteht was ich meine. Viele von Euch seid in einem deutlich höheren Alter. Doch es gibt auch sehr junge Menschen, wie mich, die bereits in ihren Zwanzigern mit dem Alkohol zu kämpfen haben. Ich wünsche Euch und auch mir selbst viel Kraft das Leben nicht zu verschwenden.
Liebe Grüsse,
Max