...um ständig auf der (alkoholischen) Stelle zu treten.
Hi, ich bin Knoller.
Alkohol ist für mich vor allem Flucht, Beruhigungsmittel und soziales Schmiermittel. Ich habe angefangen mit 16 Jahren gelegentlich zu trinken, nach einer traumatischen Kindheit. Ich flüchtete vom Elternhaus in Subkulturen wie dem Punk, wo auch das Trinken sehr glorifiziert und praktiziert wurde. So lernte ich früh ausgiebiges Bechern und gewöhnte mir gemäß der damaligen Sichtweise meiner jugendlichen Freunde und der Subkultur an ausufernde Trinkgelage als Heldentum anzusehen.
Ich machte meine Ausbildung, absolvierte meinen Wehrdienst, kiffte viel und schoss mich regelmäßig mindestens am Wochenende ab. Währenddessen wurden aber gewisse psychische Probleme, die schon teilweise in der Kindheit bestanden, immer schlimmer.
Nach vielen krassen Problemen schmissen mich meine Mutter und mein Stiefvater während des Wehrdienstes raus und ich zog in meine erste eigene Wohnung. Da fingen die psychischen Schieflagen an erst richtig zur Geltung zu kommen. Ich flüchtete vor der plötzlichen Einsamkeit und den negativen Gefühlen und den starken Ängsten immer mehr in den Alkohol und Cannabis. Auch begann sich meine Umgebung indirekt sehr merkwürdig zu verhalten, die Menschen sprachen auf der Straße sehr abfällig über mich, ich hatte draußen fast nur noch Angst und Panik und konnte meine damalige Arbeit auch nur noch schlecht ausüben, bis ich dann im Einvernehmen mit meinem damaligen Chef gegangen bin.
Mir war damals nicht klar das ich nicht nur traumatisiert mit vielen psychischen Begleiterscheinungen war, sondern auch eine Psychose entwickelt hatte. Ich flüchtete weiter, diesmal in eine WG mit einem alten Bundeswehrkumpel und dessen Freundin. Auch diese Lösung hielt natürlich nicht was sie versprach, denn meine Probleme hatte ich mit meiner Psyche ja mitgenommen. Ich war kaum noch nüchtern, nahm alles an Drogen was ich in die Finger bekam und trank viel Alkohol in der verzweifelten Hoffnung es würde irgendwas davon helfen.
Ich flüchtete weiter, wieder in eine eigene Wohnung. Jetzt drehte meine Psychose allerdings erst richtig auf, ich wusste nur nicht das es eine Krankheit war und medikamentierte mich hauptsächlich mit Alkohol selbst. Ich habe mehrmals in der Zeit unglaubliche Tiefen erlebt, näher will ich darauf nicht eingehen, es ist jedenfalls mehr Zufall und sehr dem Alkohol geschuldet das es mich heute noch gibt. Denn der Alkohol half mir trotz des wortwörtlichen Wahnsinns in meinem Kopf die Bodenhaftung nicht völlig zu verlieren und verschaffte mir immer wieder Pausen vom psychotischen Erleben.
Durch Zufall kam ich das erste Mal in die Psychiatrie, es dauerte aber noch einige Jahre bis ich krankheitseinsichtig wurde, was bei einer Psychose äußerst schwer aber auch äußerst wichtig ist. Noch länger dauerte es bis ich mich der Krankheit entsprechend verhielt, also regelmäßig meine Medikamente nahm und mit dem Kiffen aufhörte. An Stelle des Kiffens trat aber um so mehr nun der Alkohol als einzige noch aushaltbare Droge. Er gab mir die Möglichkeit komplett zu funktionieren, sei es gelassen mit herausfordernden sozialen Situationen umzugehen, negative Gefühle weg zu spülen oder die Stimmen im Zaum zu halten. Er war herrlich schnell funktionierende Medizin, Freizeitgestaltung und Persönlichkeitsausdruck in einem. In einer früheren Betreuung wurde ich zwar auf mein damals schon problematisches Trinken hingewiesen, ich begann eher gedrängt auch eine Entwöhnungsbehandlung, die durch mein Problem nüchtern mit menschlicher Nähe aber abgebrochen werden musste und ich wurde in die Psychiatrie verlegt, da der Stress meine Stimmen wieder sehr laut werden ließ. Ich hatte aber auch überhaupt nicht begriffen was Alkoholismus bedeutet und mit mir zu tun hat. Ich war absolut noch nicht reif.
So gingen die Jahre ins Land, mittlerweile bin ich Erwerbsminderungsrentner und heute bin ich 10 Tage trocken, seit vielen Jahren mal so lange am Stück. Die Probleme durch Alkohol sind dabei Überhand zu nehmen, also muss jetzt endlich was passieren. Ich versuche seit einiger Zeit, zirka drei Jahre, schon mehr oder minder halbherzig trocken zu werden und bin während dessen in alle möglichen Fallen getappt. Aufgrund meines Kontrollverlustes klappt kontrolliertes Trinken überhaupt nicht. Auch stellte sich schon oft heraus das ich nicht nüchtern in der üblichen Trinkumgebung sein kann mit den üblichen Leuten die trinken. Auch sich komplett aus der Welt zurückziehen und vor Langerweile nicht mehr die eigenen Wände sehen zu können macht mich langfristig nicht trockener.
Also suche und entwickele ich neue Strategien. Zur Zeit zwinge ich mich mehr raus zu gehen, ich gehe zur Zeit oft in soziale Cafes der Suchthilfe zum Beispiel. Ich habe zwei sehr alte Kumpels auf meinem Handy blockiert da sie bei Treffen immer Alkohol trinken und mich auch dazu auffordern. Ich habe fest beschlossen zwar meine aktuellen psychischen Schieflagen akzeptieren zu lernen, aber die Hoffnung auf Heilung noch nicht aufzugeben. Schliesslich habe es ich es noch nicht länger nüchtern probiert. Schon jetzt nach 10 Tagen aber geht es mir so gut wie schon lange nicht mehr, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau.
Mir fällt grad auf das mein Text etwas lang geworden ist, ich lass ihn trotzdem mal so stehen. Ich freue mich auf regen Austausch, das lesen hier im Forum hat mir schon viel gegeben. Gerade flog übrigens eine heute gekaufte Schwarzwälder-Kirsch-Torte in den Müll, mir fiel beim Lesen hier auf das da ja Alkohol drin ist. Gibt noch viel zu lernen
LG Knoller