Beiträge von Luddl61

    Hallo Twizzler

    Bei Himmelhoch jauchzend habe ich von mir gesprochen. So wie es Dir im Moment geht kommst Du natürlich nicht euphorisch rüber. Ich habe mich durch Deinen Post an meine erste Zeit erinnert, und Dir wollte ich mit meiner Erinnerung vermitteln, dass auch und gerade, wenn es mir gut geht, die Gefahr weiterhin da ist.

    Viele Grüße von Lutz

    Hallo Twizzler

    Deine Berichte lassen mich lächeln. Ich werde durch sie an meine ersten Erfahrungen als trockener Alkoholiker erinnert. Wie ein kleiner Schuljunge habe ich die reale Welt nach über 10 Jahren Sucht in meinen Seelenschwamm aufgesogen, und ich spürte mich wieder selbst. Das liess mich dann auch schon mal gefühlsmässig zu einem Höhenflug ansetzen, und ich liess Euphorie zu.


    Für mich war das allerdings nicht gut. Es setzte bei mir bei starken Emotionen Suchtdruck ein, und das oftmals nicht nur in dem starken Wunsch, jetzt Alkohol trinken zu wollen, sondern auch mein Körper holte alle Anzeichen von Entzug hervor. Mein Herz begann zu rasen, Schweissausbrüche, Angstgefühle, Händezittern und so weiter waren dann angesagt. Glück, Trauer, Scham, Aufregung sind starke Gefühle, und die konnte ich ja nicht mehr mit Alkohol betäuben, sondern ich musste sie aushalten. Das hat mich damals sehr viel Kraft gekostet, und ich war auch sehr enttäuscht von mir, ja sogar wütend, warum denn solche Gefühle mich in so eine Bedrägnis brachten. Starke Gefühlsschwankungen wie von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt brachten mich oft an den Rand meiner Kräfte.

    Nun, die Lösung war sehr einfach, denn zu all diesen Gefühlen hatte ich als nasser Alkoholiker das Gegenmittel den Alkohol, der mich abstumpfte und diese Gefühle aushalten liess.

    Mit den Jahren wurde es besser und besser. Das Glück suche ich schon lange nicht mehr, sondern meine innere Zufriedenheit ist der beste Schutz für mich gegen Suchtdruck. Das dauerte allerdings einige Zeit, das zu begreifen.

    Verstehe mich nicht falsch, ich gönne Dir von Herzen diese wunderbare Zeit.

    Sei aber bitte wachsam.

    Viele Grüße von Lutz

    Hallo

    Linde66 und Barthell Ich finde Eure Antworten einfach nur schön und absolut würdig gegenüber den Menschen, die Euch verlassen mussten. Danke!

    Beim Schreiben meines Threads spürte ich auch Trauer und Wehmut, aber je intensiver ich an den beschriebenen Menschen dachte, umso lebendiger wurde er in meinem Kopf. Viele gemeinsam erlebte Sachen waren plötzlich wieder incl. Gefühle da. Teilweise musste ich sogar über uns lächeln, und am Ende, als ich dann den Thread fertiggeschrieben hatte, da war ich innerlich total ruhig, so richtig tief ruhig.

    Ich habe sie nicht vergessen.

    Viele Grüße von Lutz

    Hallo

    Ich möchte einen Thread eröffnen, in dem ich mich an Menschen erinnere, die den Weg mit mir in die Trockenheit gegangen und mittlerweile verstorben sind. In jeder Jahreszeit erinnere ich mich gerne an Sie, und ich fühle mich weiterhin an viele Sachen, die damals gesagt wurden, gebunden.

    U., Du bist vor mir die Treppe zu meinem allerersten Vorgruppenabend hochgegangen. Du sahst nicht aus wie ein Alkoholiker, und als Du Dich im Vorraum hinsetztest, da dachte ich noch, dass Du hier wohl verkehrt wärest. Warst Du nicht, und im Gruppenraum sassen wir uns dann zum allerersten Mal gegenüber. ich war damals 40 Jahre alt, Spiegeltrinker, und Du 69 und Quartalstrinker. Mein lieber Mann, wir beide haben uns im weiteren Verlauf der Therapie nichts geschenkt! Trotzdem hatten wir Respekt voreinander, und auch nach der Therapie sind wir noch einige Jahre gute Freunde geblieben. Was haben wir gelacht, als wir 2 Jahre später über unseren ersten gemeinsamen Weg die Treppe hoch von dem Anderen gedacht hatten! Ich dachte damals, was wohl der alte Sack hier wolle, und Du hast gedacht, was will denn der Jammerlappen hier? Beide dachten wir: Wenn der das schafft, dann schaffe ich das erst Recht! Es ist dann ja auch so gekommen. Du bist mit 73 Jahren auf einer Düne sitzend umgekippt und verstorben. Wie Du es Dir vorgenommen hattest, es war nichts, aber auch überhaupt nichts an Alkohol in Dir, als sich der Deckel schloss. U. Du fehlst mir heute noch sehr!

    A., Du warst die strahlende Erscheinung in der Therapie und später in der SHG. Wie sehr hattest Du Dich verändert, als Du aufhörtest mit dem Trinken. Das war unbeschreiblich. Als wir mit der Therapie begannen, da war Deine Selbstachtung und Dein Selbstvertrauen zerstört. Das strahltest Du auch aus, Dein ganzes Inneres und Äußeres war vom Alk zerfressen. Die Therapie war wie ein Frühling für Dich, und Dein Selbstvertrauen und Deine Selbstachtung kamen zurück, wie auch Dein Optimismus. Leider hattest Du Dich mit Deinem ehemaligen Lebensabschnittsgefährten, mit dem Du getrunken hattest, wieder versöhnt. Unsere Warnungen sind leider nicht zu Dir durchgedrungen. 3 Wochen, nachdem er wieder bei Dir eingezogen war, hatte er Dir in Deiner Unterwäscheschublade eine Flasche Prosecco als Überrschung hineingelegt, und als Du sie fandest, da meinte er, dass Du doch solange keinen Alkohol getrunken hättest und jetzt damit umgehen könntest. Da wäre doch ein Sektfrühstück wie früher möglich. An dem Tag hattest Du Dich so betrunken, dass Dein "Freund" uns anrief und wir Dich in die Entzugsklinik brachten. Wir hatten damals den Verdacht, dass er mit der starken trockenen Frau, die Du inzwischen warst, nicht umgehen konnte, dass ihm ganz einfach die Macht über Dich fehlte, und dass er deswegen den Prosecco bereitgelegt hatte. Es war infam von ihm, aber Du hättest auch nein sagen können. oder mich anrufen, oder O. anrufen, wie wir es besprochen hatten, wenn einer von uns in solch eine Situation gerät. 2 Wochen nach diesem Vorfall wurden wir erneut angerufen, und Du wurdest erneut in die Entzugsklinik eingeliefert. Dann, nach weiteren 2 Wochnen wurde ich benachrichtigt, dass Du volltrunken an Deinem eigenen Erbrochenen gestorben wärest. Einen Tag vor Deiner Beerdigung hat sich Dein Freund dann vor einen herannahenden Intercity gestellt, und ich gebe es zu: Bis heute erfüllt es mich Ingrimm, wenn ich an diesen Menschen denke. Du, A., Du hattest alles vor Dir, und Deine Euphorie war mitreissend.....und heute ist sie mir immer noch eine sehr ernst Warnung.

    O., Du warst für mich wie eine Vorgesetztenfigur in der SHG. Knallharte Ansagen, ungeschönte Analysen von Gesagtem, sehr wissender Mensch, das warst Du. Es hat fast 2 Jahre gedauert, bis ich Dir zum ersten Mal vehement widersprochen hatte, und innerlich bereitete ich mich schon auf ein "Donnerwetter" vor, welches dann aber ausblieb. Stattdessen hast Du gelächelt und zu mir gesagt: Na endlich! Haben wir Dich aus Deiner Opferrolle rausgeholt? GUT! Weiter so! O, Du bist an einer Lungenkrankheit gestorben. Du hast soviel für uns, Deine Gruppe, getan, und dabei bist Du oft an Dein Limit gegangen und auch drüber. Das hat bis heute keiner vergessen, und Du O., Du bist unvergessen.

    H., Du verrücktes Stück Mensch, Du in Deiner Verrücktheit total liebenswerter Mensch, dass Du durchgehalten hattest, dass hatte ich niemals erwartet. Nie! Aber Du bliebst eisern, was den Alkohol anging. Unsere Freundschaft war auch etwas besonderes. Eigentlich wollten wir uns nur Treffen in Hamburg, aber dann sassen wir plötzlich im Cafe Montmatre im Norden von Paris. Warum? Weil wir es konnten. Die Telefonate an unsere Ehefrauen verliefen ähnlich kritisch, aber als wir uns am nächsten Morgen auf der Rückfahrt meldeten, da entspannte sich die Lage deutlich. H., Deine schwere Lungenerkrankung hat Dich nicht davon abgehalten, weiterhin Deine Roth Händle zu rauchen, selbst im Krankenhaus, als Du gerade unbemerkt verstorben warst, lag eine, Deine, qualmende Zigarette auf dem Fussboden. Wir sehen uns wieder! Und dann nehmen wir den Highway to Hell!

    R., Du hast Dich während Deiner Zeit in der Gruppe wahnsinnig gut entwickelt. Du kamst als Mensch, der seinen Führerschein verloren hatte und jetzt einen Beleg für die MPU haben wollte. Irgend etwas muß dann bei Dir KLICK gemacht haben, und Du bist in der Gruppe geblieben. Es war gut, Dir zuzuhören, und Du bist derjenige, den ich gerne als einen Menschen benenne, der es ohne Therapie geschafft hat, vom Alkohol loszukommen. Du wurdest sogar unser Gruppenleiter nach dem Tod von O., und ich sehe heute noch Deine Augen vor mir, als Du einstimmig gewählt wurdest. 7 Tage bevor Du wegen Bauchspeicheldrüsenkrebs in ein Hospiz gingst, hatte Deine Frau mich angerufen und mich gebeten, doch einmal vorbeizuschauen. Wir beide haben dann geredet, und uns war bewusst, dass es nicht mehr viele Möglichkeiten dazu geben würde. Wir sprachen auch über Deine Wahl zum Gruppenleiter, und Deine Freude darüber schimmerte wieder aus Deinen Augen. Als ich dann ging, da haben wir uns ganz fest umarmt, und das war gut so. Du hast keine Nacht im Hospiz verbracht, sondern bist vorher gestorben. R., Du hattest Größe! Ich vermisse Dich.

    F., wir kannten uns nur wenige Monate. Die körperlichen Auswirkungen Deiner Alkoholsucht entsprachen exakt den Meinigen, und das hat uns schnell verbunden. Leber kurz vor der Zirrhose, Aszites in der Bauchhöhle, Varitzen in der Speiseröhre und sonstwo, das waren nur einige Auswirkungen unserer Trinkerei. Du hattest nachts durch einen Hustenanfall Deine Frau aufgeweckt, und es war eine Unmenge von Blut in Deinem Laken. Es war wohl eine Varitze geplatzt, was oftmals unbemerkt geschieht, und Dein Hustenanfall, als dann Dein Blut aus der Speiseröhre auch in die Luftröhre kam, der hat dann auch noch weitere Varitzen zum Platzen gebracht. Im OP haben sie noch versucht, die Blutungen zu stillen, aber Du hattest schon viel zuviel Blut verloren. Dein Tod kam so schnell, wir alle waren überhaupt nicht vorbereitet darauf. Wir reden heute noch über Dein Schicksal, und ich werde oftmals das Gefühl nicht los, dass Dein Schicksal den einen oder anderen Neuzugang erreicht und ihn zum Nachdenken anregt.

    H., Du warst 12 Jahre trocken, als Du pensioniert wurdest. 12 Jahre, die Du Dich mit Deiner Behörde herumgestritten hattest, die Du wirklich aktiv verbrachtest. Dann als Pensionär bist Du in ein Loch gefallen, aus dem Du Dich nicht befreien konntest. Als Gruppe haben wir Dich unterstützt, wo wir nur konnten, aber wir blieben erfolglos. Als Du dann wieder mit dem Trinken begonnen hattest, da war uns und auch Dir klar, dass das nicht lange gutgehen konnte. Herztabletten und viele andere Tabletten mehr zusammen mit Alkohol führten dann zum Multiorganversagen. H., Du bist mir nicht nur ein guter Kumpel gewesen, sondern durch Dich weiss ich, dass mein gerade begonnender Ruhestand auch Gefahren birgt. Das nehme ich für meine Zukunft mit, versprochen.


    Vielen Dank für's Lesen! In den vergangenen 21 Jahren sind es noch mehr Menschen in meinem Bekanntenkreis gewesen, die heute nicht mehr bei uns sind. Alle hier zu benennen, das würde zu umfangreich werden.

    Ich bin nicht depressiv, sondern ich habe schon vor längerer Zeit damit begonnen, mich mit dem Nachlass verstorbener Weggefährten auseinanderzusetzen. Was an ihm hat mir geholfen, solange er lebte, und was sagt mir sein Tod. Viele Erkenntnisse kamen erst nach der Trauer. Diese Erkenntnisse sind für mich sehr wertvoll, und einigen fühle ich mich geradezu verpflichtet.

    Geht es jemandem von Euch auch so?

    Viele Grüße von Lutz