Liebe Alba,
ich verfolge deinen Beitrag seit ein paar Tagen und hatte an so vielen Stellen das Gefühl: yes, been there, done that. So vieles was du schreibst zum Verhältnis deiner Mutter, deine Gefühle und Sorgen kann ich so gut nachempfinden. Da mein alkoholkranker Vater erst vor Kurzem gestorben ist, hatte ich bislang noch nicht die Kraft zu schreiben, deshalb kommt jetzt alles etwas gebündelt ;).
Ganz wichtig vor allem für mich die Erkenntnis: sie kommt auch nicht wieder. Meine Mama ist schon tot, irgendwann heimlich gestorben. Ich kann aufhören darauf zu warten, dass sie wieder kommt.
Diese Erkenntnis hat mir auch sehr geholfen und hilft mir gerade immer noch. So konnte ich mich jetzt nach dem Tod meines Vaters getrennt von Dingen verabschieden und trauere vor allem um den Menschen, der er mal vor der Alkoholentstellung war. Die Momente in denen ich mir wünschte ich könnte ihn nochmal sehen und das schlechte Gewissen, dass ich seit dem Kontaktabbruch habe, kommen immer wieder. Den Umgang damit kann ich aber selbst bestimmen. Ich bereue mittlerweile nur noch ganz kurz. Ich freue mich sehr für dich, dass du so klar für dich siehst, dass du dich nach etwas sehnst, dass dir deine Mutter nicht mehr geben kann und du darum trauern kannst. Ich sehe es für mich ähnlich, dass die Hülle damals zwar noch gelebt hat, ich mich aber vom Inhalt, von den Dingen, die meinen Vater für mich liebenswert gemacht haben, bereits gegangen sind und ich mich davon nach und nach verabschieden konnte. Trotzdem werden die Sehnsüchte wie du sie beschreibst nach einer Person die nicht mehr da ist, immer wieder aufploppen. Bei deiner Mutter ist das noch nicht der Fall, aber auch nach dem Tod wird das so sein. Ich denke soweit kann man sich nie im Voraus distanzieren und ich finde es auf lange Zeit betrachtet sehr wichtig und heilsam gebührend Abschied zu nehmen, von beiden Teilen. So wie du schon sagst, richtige Trauerarbeit betreiben. Ich danke dir für diese Worte.
In vielen deiner Zeilen lese ich den Wunsch elterliche Geborgenheit zu spüren und das Kind in dir zu trösten. Ich hab auch gelesen, dass du weißt, dass dir das niemand geben wird, sondern du für dich selbst sorgen musst aber eben auch kannst. Das ist sehr stark und verantwortungsbewusst dir gegenüber. Denn du bist nun erwachsen und den Eltern nicht mehr ausgeliefert. Neben den eigenen Kindern, darf man auch ruhig für das Kind in sich selbst sorgen :). Ich mache das tatsächlich in dem ich mich selbst umarme und bobbele, wenn es mir schlecht geht. Die Erwachsene quasi die kleine verletzliche Helena tröstet und hält. Das kommt öfter vor als man denkt :D. Hör mal in dich rein, vielleicht findest du was dir beziehungsweise deiner kindlichen Seele in diesen Momenten gut tun würde.
Sicher wollte ich aus der Nummer lieber raus… Die Frage, die sich mir selbst am Ende stellt ist: Was für ein Mensch will ich sein?
Ich will ein Mensch sein, der seinen Angehörigen gegenüber loyal, solidarisch, ehrlich, zuverlässig und tatkräftig-hilfsbereit ist. Der es seiner Mutter ermöglicht hat, nochmal neu zu beginnen. Ihr einmal eine 2. Chance zu ermöglichen, dafür reicht meine Kraft, meine Loyalität und meine Solidarität. Für mehr nicht.
Was sie damit anfängt ist ihre Sache.
Ich denke, ich kaufe mir mein Gewissen bei mir selber frei und gebe mir so die Absolution: Ich hab getan, was in meiner Macht stand, ich muss nicht mit mir hadern. Kein „was wäre gewesen wenn“ oder „hätte ich doch“ - Dadurch kann ich loslassen und habe Frieden mit mir selbst.
Faszinierend, 1 zu 1 meine Gedanken aus dem letzten Jahr. Eine Freundin, die ich sehr bewundere weil sie ein unfassbar toller Mensch ist und sich nicht von ihrer extremen Vergangenheit mit zwei alkoholkranken Elternteilen hat unterkriegen lassen, hat mir was total wertvolles dazu mitgegeben. „Schreib für dich auf was du geben kannst, wo deine Grenzen sind und WARUM du dich so entschieden hast. Wenn dann die böse Stimme anklopft, die dir einreden will was für eine schlechte Tochter du bist und, dass man seine Eltern nicht so hängen lassen kann, musst du dich nicht vor dir selbst rechtfertigen und hast es schwarz auf weiß, dass deine Entscheidung die richtige ist“. Ich hatte mir vorgenommen, dass ich den Kontakt abbreche und meinem Vater 3x meine Unterstützung anbiete sich professionelle Hilfe zu holen. Bis zum dritten Mal bin ich nicht mehr gekommen, er hat mir diese Entscheidung vorher abgenommen. Aber so nutze ich es, quasi als Memo an mich selbst, die ich von Zeit zu Zeit nochmal raushole wenn ich mit mir und meiner Entscheidung hadere. In deinem Fall hast du es hier ja quasi mit deinem Eintrag schwarz auf weiß und kannst es immer wieder durchlesen, das finde ich klasse. Das möchte ich jetzt auch mal machen :).
Ich wollte dir vor allem sagen, dass ich dich super stark finde und freue mich weiter deine Geschichte verfolgen zu dürfen.
Ganz liebe Grüße,
Helena