Beiträge von Juli

    Liebe Liesel,

    ich als EKA kann dir sagen, dass ich mit meinen beiden Elternteilen groß geworden bin, und ich kann klar sagen, dass das nicht gut für mich war. Mein Vater war zwar körperlich anwesend, aber als Vater war er für mich nicht verfügbar. Er hat keine Verantwortung für mich übernommen.
    Meine Mutter als Co. vermochte auch nicht so für mich da zu sein, wie es wichtig für mich gewesen wäre. Einen Vorteil aus dieser Konstellation kann ich tatsächlich nicht sehen.

    Ich habe tiefe Traumata davongetragen, die sich auf mein gesamtes Leben auswirken.
    Erst mit dem Tod meines Vaters im letzten Jahr ist mir das so richtig klar geworden, und ich arbeite aktiv an mir. Vorher habe ich verdrängt und funktioniert. Ich bin jetzt 49 Jahre.

    So lange habe ich geschwiegen über meinen Vater. Erst mit seinem Tod habe ich mich öffnen können, es tut gut, und meine Scham war wirklich fehl am Platze.

    Ja, du hast ein Eheversprechen gegeben. Aus meiner Sicht hat dieses aber Grenzen.
    Die Verantwortung dir und deiner Tochter gegenüber sollte darüber stehen.
    Als EKA und Mutter einer zwölfjährigen Tochter kann ich leider auch nicht verstehen, dass du deiner Tochter zu Liebe nicht bereit bist, beruflich etwas zu verändern und ihr Sicherheit zu geben. Aus meiner Sicht gibt es immer Möglichkeiten.

    Liebe Grüße

    Juli

    Liebe Linde,

    danke für deine Nachfrage.

    Ich lese hier tatsächlich mehr als ich schreibe. Ich bin immer wieder traurig und erstaunt, wie sich die Geschichten hier ähneln.

    Meine Gefühlslage ist ein Auf und Ab.

    Ich hätte nie gedacht, dass mich der Tod meines Vaters doch noch so mitnimmt.

    Ich hatte nie eine besonders gute Beziehung zu meinem Vater und würde sagen, dass ich ihn nicht geliebt habe. Aber am Ende war er mein Vater. Vielleicht ist es auch einfach Trauer um das, was man nie hatte. Ich habe immer etwas neidisch auf meine Freundinnen mit ihren Vätern geschaut, die für Sie da waren und eine stabile Größe darstellten. Ich empfand die Anwesenheit meines Vaters immer eher als unangenehm. Er konnte gut reden, kannte sich in vielen Dingen, wie Politik und Geschichte aus. Ich wollte ihn trotzdem nicht um mich haben. Am Ende gab er mir das Gefühl, dass es nur um die Darstellung seines Selbst ging.

    Ich ziehe den Hut vor jedem Alkoholiker/-in, der sein Problem selbst erkennt und es angehen will, sich aktiv Hilfe sucht und einfach dazu steht, dass er/sie ein Suchtproblem hat.

    Ich empfand es immer als sehr schlimm, unterstellt zu bekommen, dass meine Mutter, meine Schwester und ich Gespenster sähen und unterstellen würden, dass mein Vater ein Alkoholproblem hat. Wie absurd das einfach ist. Wer möchte einen Vater mit einem Alkoholproblem haben und geht damit freiwillig hausieren? Mir war das immer so unheimlich peinlich, ich hab mich geschämt. Ich habe es nie vor irgendjemandem ausgesprochen. Erst in den letzten Jahren konnte ich oberflächlich darüber reden und mit dem Tod meines Vaters doch auch etwas eingehender. Diese Lügen und Unterstellungen haben mich immer so wütend gemacht.

    Immer wieder diese Fragen nach dem ‚Warum?‘

    Warum richtet man sich derart zugrunde?

    Warum sind es Frau, Kinder und Enkelkinder, Haus und Hof nicht wert gewesen, sich seinem Problem zu stellen, um Hilfe zu bitten?

    Warum war mein Vater nicht in der Lage, uns mitzuteilen, dass er mit dem Trinken aufgehört hat / aufhören musste?

    Warum vermochte er nicht, sich aktiv um Kontakt zu bemühen?

    Er war ein Meister des Verdrängens, musste sich nie sonderlich um die wichtigen Dinge des Lebens kümmern und Verantwortung übernehmen.

    Immer wieder traurig die Vorstellung, wie er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat.

    Aber am Ende war es seine Wahl…

    Liebe Grüße

    Juli

    Ich prüfe das ganze so genau, damit ich ihm,wenn ich eine Wohnung gefunden habe, im Fall eines Falles alles an den Kopf werfen kann.

    Z.B.wenn er mir Steine in den Weg legen will oder seinen Alkoholkonsum abstreitet.

    So hab ich Beweise und das fühlt sich irgendwie besser an.

    Ach es ist verzwickt…

    Was meint ihr soll ich tun?

    Wozu Beweise?? Was für Steine soll er dir in den Weg legen?

    Du darfst ihn verlassen, wenn du dich in der Beziehung nicht mehr wohl fühlst. Du musst dich doch dafür nicht rechtfertigen oder gar Beweise für eine etwaige Schuldfrage vorbringen.

    Zudem habe ich sehr feine Antennen. Ich nehme Verhaltensänderungen wahr, wo die Betroffenen es selbst manchmal gar nicht merken. Oder ist es vielleicht meine als Kind übertrieben geschulte Wahrnehmung, die einfach falsch ist?

    Verlass dich auf deine Wahrnehmung.

    Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass du dir etwas einbildest.

    Ich kenne das nur zu gut, dieses An-sich-zweifeln und das Infragestellen des Offensichtlichen.

    Und ja, in einer guten Beziehung darf man auch unangenehme Fragen stellen. Seine Reaktion wird dir im besten Fall deine Entscheidung erleichtern.

    So wie ich es verstehe, ist der Kontakt zu deinem Vater also einfach eingeschlafen, weil er sich nicht um dich bemühte?

    Nicht so ganz, denn bemüht hat er sich tatsächlich nie.

    Das ist vielleicht auch der Unterschied zu deiner Situation. Ich weiß nicht ob es Scham oder schlichtweg Desinteresse war. Aber er hat sich nie um Kontakt bemüht oder gar um Hilfe gebeten.

    Und so muss man tatsächlich sagen, dass der Kontakt eingeschlafen ist, ohne dass es einen Vorfall oder Streit gegeben hätte.

    In mir gibt es das Gefühl des Schmerzes aber auch ebenso das Gefühl der Erleichterung. Und der Schmerz wird immer etwas weniger.

    Ja, vielleicht wird der Schmerz weniger, vielleicht weiß man im Lauf der Zeit damit umzugehen. Bei mir ist er irgendwie immer da, aber das darf er auch.

    Was für mich noch viel beeindruckender ist, ist das Gefühl der Freiheit durch die Lossagung von meinem Vater - mein Leben, meine Entscheidungen, meine Verantwortung.

    Liebe Jada,

    mein Vater ist vor Kurzem gestorben. Ich habe zuvor zehn Jahre - obligatorische Geburtstags- und Weihnachtsgrüße ausgenommen - keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt und mich distanziert, habe mir immer wieder vorgenommen, ihn zu besuchen und diese Pläne verworfen aus Angst vor dem, was mich erwartet.

    Mit seinem Tod kam erneut das schlechte Gewissen, ihn nicht mehr gesehen zu haben.

    Seine letzten vier Jahre war er wohl trocken. Das wusste ich nicht. Und so stellt sich mir die Frage, warum er umgekehrt nicht den Kontakt zu seiner Tochter gesucht hat, warum die Verantwortung für einen Kontakt seit Kindestagen bei mir gelegen haben soll.

    Mir ist es schleierhaft, was in ihm vorgegangen ist, was sein Wesen ausgemacht hat. Bin ich überhaupt jemals wesentlich in seinen Gedanken vorgekommen?

    Als Mutter einer Tochter frage ich mich, warum er nie das Bedürfnis hatte zu erfahren, wie es seiner Tochter geht, ich ihm womöglich egal war. Dieses Gefühl hatte ich mein Leben lang. Es ist für mich nicht zu begreifen.

    Ich habe beschlossen, mich für die vergangenen Jahre nicht mehr zu rechtfertigen und kein schlechtes Gewissen zu haben.

    Ich habe ihm zwar nie die Tür zugeschlagen, dennoch bin ich rückblickend froh, keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt zu haben, zu sehr haben mich seine Eskapaden belastet, an dieses Gefühl der Hilflosigkeit kann ich mich leider nur zu gut erinnern.

    Am Ende habe ich nie wahrgenommen, dass ich ihm irgendetwas bedeute. Seine Bedürfnisse standen immer an erster Stelle.

    Auch wenn es mir immer noch schwer fällt, sehe ich nicht ein, meine wertvolle Lebenszeit mit damit verbundenen negativen Gefühlen zu vergeuden. Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich, das versuche ich so gut wie möglich umzusetzen.

    Natürlich hat mich sein Einfluss geprägt für mein Leben. Ich versuche mich in Dankbarkeit, dass ich nicht daran zerbrochen bin und dass er mir dieses Leben - wenn auch unbewusst - ermöglicht hat. Nein, ich habe mein Leben im Griff und fühle mich stark durch meine Geschichte.

    Ich fühle sehr mit dir und wünsche dir viel Kraft. Schau auf dich. „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Das gilt für dich gleichermaßen wie für deinen Vater.

    ist der Schuldvorwurf nicht etwas bequem und alles sehr über einen Kamm geschoren?

    Nicht bequemer als der Verweis auf die Alkoholkrankheit oder die Co-Abhängigkeit, um zu rechtfertigen, dass man doch gar nicht anders kann und sich so der Verantwortung entzieht, die Kinder in einem gesunden Umfeld groß werden zu lassen, damit sie für das Leben gestärkt sind.

    Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen. Es geht darum, die Augen zu öffnen. Selten ist Alkoholikern oder Co-Abhängigen klar, was sie ihren Kindern antun.

    Ich sitze mit meiner Mutter oft und spreche darüber, wie sie es so lange mit meinem alkoholkranken Vater aushalten konnte und auch, was sie uns Kindern damit angetan hat und wie es unser Leben geprägt hat. Es geht nicht darum, ihr Schuld vorzuwerfen. Mir geht es darum, zu ergründen, warum sie sich all die Jahre nicht in der Lage sah, meinen Vater zu verlassen bzw. warum sie 40 Jahre gebraucht hat, um diesen Schritt zu gehen. Letztlich ist sie in ähnlichen Verhältnissen groß geworden. Was könnte ich ihr da vorwerfen?

    Wichtig ist doch am Ende, dass ich daraus Schlüsse für mein eigenes Leben und das meiner Tochter ziehen kann und es besser mache, dass ich ergründe, warum ich so bin wie ich bin, warum ich große Schwierigkeiten habe, mich jemandem zu öffnen und zu vertrauen, warum meine Schwester einen derart geringen Selbstwert hat, mittlerweile depressiv ist und unter einer Angststörung leidet.

    Meiner Mutter war bis zuletzt nicht klar, dass sie co-abhängig ist und was das bedeutet.

    Umso besser, dass es Foren wie dieses gibt, die Aufschluss darüber geben, so dass man nicht 40 Jahre warten muss und Fehleinschätzung und Fehlverhalten und deren Folgen Generation um Generation weitergegeben werden für eine Erwartung, die in den meisten Fällen nicht erfüllt wird - dass am Ende alle gesund und glücklich werden.

    Dabei kann ich durchaus erahnen, wie schwierig das sein muss, sich einzugestehen, dass es zum Wohle der Kinder nur einen Weg geben kann….

    Liebe Lea,

    vielen Dank für deine Nachricht. Irgendwie weiß ich es und wusste das auch alles schon in den letzten Jahren. Trotzdem komme ich immer wieder ins Grübeln und Zweifeln. Deine Worte zu lesen - Worte einer Außenstehenden - hilft mir wirklich sehr.

    Ich habe in den letzten Jahren so viele schlimme Schicksalsschläge verarbeiten müssen. Ich konnte immer darüber reden. Über meinen Vater und seine Alkoholsucht und über seinen Verbleib nach der Trennung von meiner Mutter konnte ich kaum reden, maximal mit meiner Mutter und meiner Schwester. Das Thema habe ich immer verdrängt. Ich habe mich immer für ihn geschämt.

    Dabei ist es mir in den letzten Jahren gelungen, positiv und dankbar auf mein Leben zu blicken. Ich habe nie gehadert, achte sehr auf mich und meine Gesundheit. Ich hinterfrage mich, meine Gefühle, meine Haltung zu Männern, mein bisheriges Leben auch, inwieweit die Prägung aus meiner Kindheit hierauf Einfluss genommen hat.

    Nein, er hat keinen Kontakt gesucht.

    Ein Zettel mit meinem Namen und meiner Telefonnummer lag auf seinem Tisch…

    Seine Nachbarin sagte, sie hätte ihm jederzeit ihr Telefon zur Verfügung gestellt...

    War es Scham? Wenn er überhaupt jemals über ein Selbstwertgefühl verfügt hat, wird er es zuletzt nicht mehr gehabt haben.

    Er war nicht in der Lage, gut für sich zu sorgen. In seiner Wohnung standen die unausgepackten Umzugskartons von vor zehn Jahren. Einfachste alltägliche Handlungen waren ihm nicht möglich, wobei er laut Nachbarn durchaus einer Alltagsroutine nachging, weshalb sein Tod dann ja auch irgendwann aufgefallen ist.

    Es ist so unfassbar, wie man es zulassen kann, dass diese Krankheit einen so zerstört. Das will einfach nicht in meinen Kopf.

    Auch ich trage diese unbeschreiblich tiefe Sehnsucht nach liebevollen Eltern in mir. Nur weil die Sucht gestoppt scheint und eventuell wirklich nicht mehr gesoffen wurde, muss sich aber leider nicht zwingend etwas an der Beziehung ändern. Und was in der Kindheit gefehlt hat, können ein paar gute Begegnungen niemals aufwiegen.

    Ja, da hast du recht, zumal wir nie ein gutes Verhältnis hatten. Waren wir allein in einem Raum, habe ich mich immer unwohl gefühlt. Ich kann mich kaum an liebevolle Momente in meiner Kindheit und später erinnern. Meine Bilder im Kopf beschränken sich auf schlimme Suffszenarien, Gebrüll oder ein Gesicht, dem man angesehen hat, dass Alkohol konsumiert wurde und das ich so nicht mochte. Wenn wir das feststellten, waren wir die Bösen, die ihm Unwahres unterstellten. Als Erwachsene standen wir uns wütend Aug’ in Aug’ gegenüber, und er hat mir in den Bauch geboxt. Oft hat er sich morgens am Frühstückstisch das schwächste Glied - mich oder meine Großmutter - ausgesucht, um uns grundlos fertig zu machen.

    Ich würde gern etwas Schönes denken, wenn ich an ihn denke, aber da ist nichts…

    Liebe Grüße

    Juli

    Vielen Dank für euer ‚Willkommen‘.

    Mein Vater hat nicht viel und schon gar nicht Persönliches in seinen obligatorischen Grußkarten geschrieben. Aber die letzten Karten endeten mit Worten wie: „Ich freue mich auf ein Wiedersehen.“

    Ich habe es mir schon so lange vorgenommen, aber wie einen riesigen Berg vor mir gesehen. Ich hatte so Angst, ihn wiederzusehen, dass ich es einfach verdrängt habe. Dabei wusste ich, dass es irgendwann in naher Zukunft keine Möglichkeit mehr gibt….

    Ihr habt so recht mit Euren Worten. Es kommt so schwer bei mir an, weil mich diese Vorstellung von diesem alten, kranken Mann, der alles verloren hat, nicht loslässt. Ich denke immer, dass ich ihn nicht geliebt habe und er mich auch nicht so wie ein Vater seine Tochter lieben sollte. Trotzdem hätte ich ihm gern Liebe geschenkt, ihm vergeben, mir vergeben lassen.

    Ja, es waren ruhige 10 Jahre, was meinen Vater anbelangt.

    Allerdings waren es auch Jahre, in denen ich drei Fehlgeburten und den Suizid meines Partners vor 11 Jahren zu verarbeiten hatte. Seither bin ich alleinerziehend, ohne Partner. Ich habe das alles geschafft und die Erkenntnis gewonnen, dass mein Verhältnis oder Nichtverhältnis zu Männern wesentlich durch meinen Vater geprägt wurde.

    Ich bin kaum in der Lage, Beziehungen einzugehen…

    Okay, das wäre dann sicher auch ein Thema für das Forum…

    Hallo zusammen,

    mein Vater ist vor ein paar Tagen gestorben.

    Er war Alkoholiker. Meine Mutter hat sich vor zehn Jahren von ihm getrennt. Da waren sie bereits 40 Jahre verheiratet.

    Danach konnte er seiner Sucht unbegrenzt nachgehen. Sein körperlicher Verfall muss drastisch gewesen sein. Ich habe zwei Fotos mit einem Abstand von ein paar Jahren gesehen, die darauf schließen lassen.

    An seinem neuen Wohnort habe ich ihn einmal besucht, und es hat mich fertig gemacht, ihn so leben zu sehen.

    Das letzte Mal habe ich ihn im Jahr 2015 gesehen, als er meine Schwester besucht hat. Seitdem haben wir nur noch zu Geburtstagen telefoniert und seit 2018 nur noch Grußkarten verschickt, weil er keinen Telefonvertrag mehr hatte, nachdem er beim Telefonanbieter Schulden gemacht hat.

    Nun ist er tot, und ich habe seine Wohnung aufgesucht. Das macht mich schier fertig zu sehen, wie einsam er die letzten Jahre gelebt hat. Seine Nachbarn haben sich um ihn gekümmert. Sie berichteten, dass er seit vier Jahren nicht mehr getrunken hat. Sein Körper hat es einfach nicht mehr zugelassen und war schon so zerstört. Die letzte Zeit muss er nur noch vor sich hin vegetiert haben, kaum was gegessen, kaum getrunken, aber ganz viel geraucht. Er sei nur noch Haut und Knochen gewesen und hat sich nur noch wacklig fortbewegt. Er wäre demnächst 73 Jahre alt geworden.

    Ich bin so traurig, dass ich ihn nicht besucht und ermöglicht habe, würdig zu leben. Ich hatte immer Angst, was mich erwartet. Niemals hätte ich gedacht, dass er das Trinken aufgibt.

    Leider kann ich nicht sagen, dass er ein guter Mensch war. An erster Stelle stand immer er. Er hat gelogen, er hat betrogen, ist betrunken Auto gefahren, hat finanziell über seinen Verhältnissen gelebt, er hat Gewalt gegenüber meiner Mutter ausgeübt. Es war so schlimm. Und ich bewundere meine Mutter, dass sie es nach so langer Zeit geschafft hat, sich von ihm zu trennen und sich ein neues Leben aufzubauen.

    Meine gesamte Kindheit, Jugend und Leben als junge Frau war geprägt von den Exzessen meines Vaters. Gefühlsschwankungen, wie Wut, Hass, Enttäuschung und Mitleid aufgrund der Unberechenbarkeit seiner Gefühlslage, seiner Stimmung sind mir ein Leben lang bekannt gewesen. Die letzten zehn Jahre waren so ruhig und erholsam für mich, meine Schwester und meine Mutter.

    Und nun treffen mich die Trauer, das schlechte Gewissen und die Schuldgefühle so hart.

    Mir vorzustellen, wie einsam er in seiner Wohnung tagein, tagaus saß, zum Geburtstag, an Feiertagen, zu Weihnachten und dass er gewartet hat, dass wir ihn besuchen, bricht mir das Herz.

    Ich weiß, dass es dafür jetzt zu spät ist, trotzdem fühle ich mich schlecht.

    Viele Grüße

    J.