Beiträge von Seb25

    Allerdings: er hat so viel schon geschafft und erreicht, er hat so viele Traumas überwinden müssen, er ist allein, Waisenkind seit 16 Jahren. Hat vor 4 Jahren 40kg abgenommen mit eisernen Willen. Ich war sein Freund und habe ihn jetzt hängen lassen um an mich zu denken.

    Liebe Suse,


    das ist aus meiner Sicht das typische Muster bzw. die Falle, auf die man als Angehöriger immer wieder hereinfällt. Man ist versucht, rationale Erklärungen für die Alkoholsucht zu finden oder die kranke Person als Opfer zu stilisieren. Das war bei uns nicht anders. Wir haben den Alkoholkosum meines Vaters auch immer mit schweren Phasen in seinem Leben für uns gerechtfertigt und sind bei ihm geblieben. Eine fragwürdige Entscheidung, wie mir heute klar ist. Die Unterstützung von außen, so gut sie vielleicht gemeint ist, kann keine Verhaltensumkehr bei einem nassen Alkoholiker bewirken. Das kann man zahlreich bei den Berichten der trockenen Alkoholiker hier im Forum nachlesen, die eigentlich unisono sehr anschaulich darlegen, dass der Entschluss, mit dem Trinken aufzuhören, aus einem selbst kommen muss.


    Du lässt also niemanden hängen.


    Viele Grüße

    Und das ist noch lang nicht alles. Die Belastungen, denen dein Kind aktuell ausgesetzt ist, sind größer als Du Dir das vielleicht vorstellen kannst …

    Ich sehe es auch so. Kinder haben sehr feine Antennen und bekommen mehr mit, als man denkt (weiß ich leider aus eigener Erfahrung). Natürlich ist ein Schulwechsel während des laufenden Jahres nicht wirklich prickelnd. Aber lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende. Und letzteres kann das Zusammenleben mit einer alkoholkranken Person für das Kind sein.

    Danke, lieber Hochfelln. Ja, ich sehe in unseren Geschichten tatsächlich auch deutliche Parallelen. Je mehr ich hier in der Gruppe lese, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, dass die Krankheit bei den meisten doch recht ähnlich verläuft. Ich schildere mal meine Beobachtungen und vielleicht hat der eine oder andere ja vergleichbare Erfahrungen gemacht. Ich versuche auch im weiteren Verlauf zu trennen zwischen der Rolle meines Vater und der Rolle des Rests der Familie.


    Ich hatte bereits angedeutet, dass ich im Alter von 15 Jahren erstmals einen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und dissozialen Verhaltensweisen festgestellt habe. Diese Verhaltensweisen - abendliche Streitlust und Aggresivität, Selbstmitleid - konnte ich aber schon in meiner Kindheit beobachten. Bei uns war immer Ostern eine schwierige Zeit, da gab es dauernd Krach. Meine Mutter ging schon immer gerne in die Kirche, dies nahm mein Vater zum Anlass, zu provozieren und den Konflikt zu suchen. Als Kind ist man irgendwann der Auffassung, dass diese Art von Auseinandersetzung in einer Ehe normal ist (wie so vieles andere, wie etwa die Kontrolle des Ehepartners und das Gehetze gegen dessen Sozialkontakte). Sowas nimmst Du als EKA mit und denkst, Beziehungen laufen so. Gott sei Dank hat mir meine Frau immer sehr schnell Contra gegeben, wenn ich entsprechende Allüren an den Tag gelegt habe und so konnte ich sie mir mittlerweile (mühsam) abtrainieren.

    Der schädliche Alkoholkonsum muss also seit meiner frühen Kindheit bestanden haben, meine Mutter erwähnte neulich einen Entzug als ich sechs Jahre alt war. Ich gehe daher davon aus, dass die Krankheit seit spätestens diesem Zeitpunkt bestanden hat.

    Vollends eskaliert die Sache aber mit dem Zusammenbruch der Firma meines Vaters (die aufgrund seiner Krankheit niemals hätte gegründet werden dürfen). Die ungewissen Zukunftsaussichten führen zu einem sichtbar steigenden Alkoholkonsum (vier Bier am Abend und mindestens ein Glas Wein, meistens führe ich im Kopf Buch). Daneben beginnt eine Phase unfassbaren Selbstmitleids. Er ist das arme Opfer, dem übel mitgespielt wurde. Schuld am Zusammenbruch der Firma sind andere. Berater, unzuverlässige Kunden, seine dominate Mutter, die bevormundende Ehefrau. Er nimmt dann einen Job als Zeitungsausträger an. Manchmal denke ich, er macht das nur um uns zu terrorisieren. Er pflegt seinen Opferkult, er macht ja jetzt aus seiner Sicht niedere Jobs, ist ganz unten angelangt. Am Abend säuft er und verpennt natürlich in der Früh. Geht Türen knallend und schreiend aus dem Haus. Alle sind wach - um 3:30 Uhr.


    Und wir? Wir begünstigen das System. Auch aus unserer Sicht sind die anderen Schuld. Wir fallen auf das Opfer-Narrativ rein, tragen es nach außen. Wir haben Verständnis für ihn und seine Eskapaden, weil ihm ja übel mitgespielt wurde. Einen Hinweis einer Heilpraktikerin, dass ein Alkoholproblem vorliegen würde, ignorieren wir. In seiner Absicht, sich neue Ärzte zu suchen, bestärken wir ihn. Die heile Familienwelt soll auch aus unserer Sicht aufrechterhalten werden. Aus unserer Sicht ist der Bestand der Familie so wichtig, dass all das ertragen werden kann und muss. Die Sucht wird so ermöglicht und sie wird schlimmer.


    To be continued…

    Es ist schwer, den Faden wieder aufzunehmen. Zu viel habe ich in den letzten Tagen lernen dürfen, vor allem über meine eigene Rolle im Zusammenhang mit der Alkoholkrankheit meines Vaters.


    Vorab: Ich denke, ich hatte Glück. Ich habe aus meiner Kindheit und Jugend wenige bleibende Schäden erlitten. Ich habe eine wundervolle Frau, die außer einem manchmal übermächtigem Konsum von Süßkram, keinerlei Probleme mit Süchten aller Art hat. Und sie ist unglaublich stark. Ich habe zwei wundervolle Kinder und einen Beruf, den ich gerne ausübe. Insgesamt würde ich mich als ausgeglichen und glücklich bezeichnen. Aber es sind große Wunden da aus meiner Kindheit und Jugend, die immer nur oberflächlich verheilt sind. Mehrere Wunden, denen ich mich jetzt stellen will, damit sie heilen können. Auch ist nach Lektüre der vielen, so bereichernden Beiträge für mich vollends klar, dass ich als Jugendlicher mit Sicherheit für eine Zeit lang co-abhängig war. Auch ich haben meinen Teil dazu beigetragen, die heile Weilt aufrechterhalten, habe versteckte Flaschen geleert, meine Vater, dem am Vormittag der Führerschein kassiert wurde, bei der Polizei abgeholt und heimgefahren. Auch ich habe versucht, mit irrationalen Erklärungen das Offensichtliche schönzureden (er verträgt halt einfach nicht so viel wie andere, es ist die persönliche Situation, warum er trinkt etc.). Das Ende der Co-Abhängigkeit fällt mit meinem Auszug und dem Kennenlernen meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau zusammen. Erst bei Ihr bin ich bereit, mich zu distanzieren, die Abende bei meiner Familie zu meiden und klar zu benennen, was mir seit damals schon 10 Jahren tiefe Sorgen bereitet: Den übermäßigen Alkoholkonsum meines Vaters.


    Ich bin 15 Jahre alt, als ich zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen den abendlichen Launen meines Vaters und seinem Alkoholkonsum herstelle. Meine Eltern streiten oft in dieser Zeit, meistens bis spät in die Nacht. Die Auseinandersetzung ist selten sachlich, sonder immer emotional. Sie endet mehrfach mit lautem Schreien, Türenschlagen und damit, dass mein Vater die Nacht im Auto oder sonstiges verbringt.


    Ich bekomme das alles mit, kann nicht schlafen und habe das Gefühl, Verantwortung in der Familie übernehmen zu müssen. Ich gehe in die Auseinandersetzung, versuche zu schlichten. Nicht selten sind die Bemühungen von Erfolg gekrönt und zwar insoweit, als dann zumindest Ruhe einkehrt. Meine Nächte sind lang, die Tage kurz. Meine schulischen Leistungen brechen nicht ein, auch Sozialkontakte habe ich viele dafür ein enges Freundesnetz. Beim Flirten mit den Mädels stelle ich mich unglaublich ungelenk an. Ich bin überschüchtern und übervorsichtig. Meine erste richtige Beziehung werde ich mit 22 Jahren haben.


    So, das war der erste Teil aus meiner Sicht. Ich versuche, bald weiterzuschreiben. Mir geht’s damit unglaublich gut.

    Danke, Momo und danke auch allen anderen für die Anteilnahme.


    Ich brauche noch etwas Zeit, um meinen Faden weiterschreiben zu können. Ich bekomme in dieser Gruppe sehr viele Antworten auf Fragen, die mich teilweise seit zwei Jahrzehnten beschäftigen. Ich brauche noch etwas Zeit, um das alles ordnen und sortieren zu können.


    Für mich ist es gerade so, als würde sich das große Rätsel um meinen Vater und vor allem sein für mich oft unerklärliches Verhalten jeden Tag ein Stück mehr lösen (Warum diese Wutausbrüche spät nachts? Warum die immer mehr steigende Vereinnahmung und Kontrolle meiner Mutter? Warum dieser krasse soziale Rückzug am Ende? Usw.). Das ist gleichzeitig für mich eine Befreiung, wie ich sie selten im Leben empfunden habe.


    Rückwärts schauen, aber nach vorne Leben ist ein tolles Motto gerade für mich.


    Nochmal danke Euch allen!

    Alkoholismus ist Selbstmord auf Raten.

    Besser kann man es nicht beschreiben, das war auch einer meiner ersten Gedanken nach dem Tod meines Vaters, ohne natürlich, dass ich den Alkoholismus als Ursache bereits identifiziert gehabt hätte.


    Es war ein Verfall in Zeitlupe, an dem man von außen nichts ändern kann. Stattdessen wird man mehr oder weniger Teil des Systems und wird die Spirale mit runtergezogen.

    Wir haben zu Lebzeiten nicht den Mut gehabt, uns zu lösen. Ich bewundere deshalb alle, die sich diesbezüglich auf den Weg machen. Es ist für einen selbst mit Sicherheit die richtige Entscheidung.

    Wenn wir bleiben, wird es aber auch nicht besser werden da bin ich sicher.

    Das kann ich nur bestätigen. Mein Vater hat sich ab einem gewissen Zeitpunkt auch für nichts und niemanden mehr interessiert und ist nur noch deprimiert rumgehangen - obwohl meine Mutter bis zum Ende bei ihm geblieben ist. Eine „Besserung“ haben wir als Familie, trotz des Umstandes, das wir ihn nie haben fallen lassen, nicht erreichen können. Rückblickend war das ein Fehler, weil wir ihn nie dazu gezwungen haben, Verantwortung für sich und seine Sucht zu übernehmen.

    Wir haben ein Kind zusammen, ich liebe ihn und würde ihn ungerne im Stich lassen, wenn ich ihm die Trennung androhe sitzt er weinend vor mir. Fleht mich an, er würde nie wieder trinken.

    Wie wäre es mit einem Perspektivenwechsel? Dein Kind liebst Du doch auch. Und nach meiner Erfahrung brauchen Alkoholiker so viel „Zuwendung“, dass kaum mehr Zeit für was anderes bleibt.


    Meine Mutter hat in unserer Kindheit/Jugend auch immer davon geredet, sie würde so ihr Ehegelübde erfüllen, indem sie auch in schlechten Zeiten zu meinem Vater steht. Sie hat alles getan, um die heile Welt aufrechtzuerhalten. Gebracht hat es wenig bis nichts. Vom heutigen Standpunkt gesehen, wäre es besser gewesen, sie hätte uns gepackt und wäre gegangen.


    Auf den Zusammenbruch meines Vaters und die damit verbundene „Einsicht“ haben wir übrigens 25 Jahre ohne Ergebnis gewartet. Wenn Du wissen willst, wie es ausgegangen ist, kannst Du gerne meine Story bei den EKAs lesen.

    Ich kann mich den Vorrednern nur anschließen. Letztlich ist die Frage, die Du Dir stellen musst, was Du wirklich davon hast. Im besten Fall kein schlechtes Gewissen, im schlechten Fall eine miese Geburtstagsfeier, weil es mal wieder doch nicht gepasst hat.


    Ich habe mit dem Thema auch leidvolle Erfahrung, wollte es immer allen Recht machen, alle - vor allem meinen Vater - miteinzubeziehen. Und was war die Belohnung: Derjenige, der am Schluss immer konsterniert war, war ich.


    Keine Feier verging ohne Konflikt. Nicht mal Weihnachten oder die Geburtstage meiner Kinder, die nichts von ihrem Papa hatten, weil die ganze Zeit damit beschäftigt war, Stimmungen aufzunehmen und ggf. miese Laune irgendwie auszugleichen.


    Letztendlich passt mit einem Alkoholiker in der Familie kein Zeitpunkt so richtig. Zu Früh: noch zerstört vom Vorabend. Mittag: Evtl. auch zerstört oder schon wieder Suchtdruck. Abends: Suchtdruck oder betrunken mit der Konsequenz, dass die Stimmung aggressiv wird.


    Bei mir gipfelte das daran, dass mein Vater vor zwei Jahren Weihnachten gecrashed und meinen damals zweijährigen Sohn als Terroristen beschimpft hat, weil der es sich erlaubt hat, krank zu sein und deshalb öfter zu weinen. Kein schönes Erlebnis, aber ich, weiß, ich bin selbst schuld.

    Ich habe danach auch klare Grenzen gezogen und sehr klar gemacht, dass ich darauf keine Lust mehr habe. Die Feste habe ich dann geplant, ohne den Eiertanz zu machen.

    Siri hat es auf den Punkt gebracht. Es ist der Alkohol, der es Deiner Mutter unmöglich macht, am Leben teilzunehmen. Für dieses Leben hat sie sich entschieden. Deine Familie kann dafür nicht in Haftung genommen werden.

    Liebe Sunshine,


    es tut mir unendlich leid für Dich! Was für eine brutale Geschichte. Ich glaube, ich kann Deine Geschichte ein bisschen nachvollziehen, weil mein Vater vor zwei Monaten unter ganz ähnlichen Umständen gestorben ist. Allerdings war es lange nicht so bitter wie in Deinem Fall. Erstens hatte er mit 71 Jahren angesichts seiner Krankheit schon ein gutes Alter erreicht und zweitens ist er gegangen, ohne groß leiden zu müssen.


    Aber die letzten Tage und Wochen aus Deiner Schilderung erinnern mich doch sehr an sein Verhalten. Auch er war schwach, konnte kaum 10 Meter weit laufen, hat nur noch geschlafen und sich dauernd geräuspert oder gehustet. Wir haben das immer auf eine Herzschwäche geschoben, die er nicht behandeln wollte. Heute weiß ich es besser.


    Die Tage nach seinem Tod habe ich alle möglichen Ursachen in Betracht gezogen - von plötzlichem Herztod über Krebs - ohne mich dem Offensichtlichen zuzuwenden, nämlich, dass es allein der Alkohol war, der ihn zugrunde gerichtet hat. Die Tage bis zur Beisetzung habe ich auch als besonders belastend empfunden, auch, weil man doch Schuldgefühle hat, ob man nicht durch sein Verhalten etwas hätte bewirken können.


    Gott sei Dank ist mir heute bewusst, dass man als Angehöriger kaum eine Chance hat. Das ist einerseits befreiend, andererseits wahnsinnig frustrierend.


    Bei mir war es so, dass eine Menge unfinished Business da war. Die letzten Wochen des Lebens konnte ich meinen Vater gar nicht mehr verstehen, und er mich wahrscheinlich auch nicht. Deshalb ist man wechselseitig genervt voneinander auseinander gegangen. Das ist unfassbar traurig, weil man irgendwie keinen Frieden schließen konnte.


    Was mir mittlerweile bewusst geworden ist, ist, dass es auch, darauf ankommt, mit sich selbst Frieden schließen zu können. Das ist ein steiniger Weg. Aber je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto besser kann es gelingen.

    Ich wünsche Dir ganz viel Kraft für die nächste Zeit. Die Tage bis zur Beisetzung sind einfach wahnsinnig hart. Aber danach wird es langsam besser, zumindest war es bei mir so.

    Liebe Grüße


    Seb

    Hallo Kari,

    klar, die Entscheidung für einen Cut ist nie leicht, ich habe das selbst nicht geschafft, obwohl es rückblickend sicher besser gewesen wäre.

    Ich habe im Haus neben meinem alkoholkranken Vater gelebt, was insofern einigermaßen erträglich war, als es zumindest abends möglich war, die Türen zu und die Schotten dicht zu machen. Unter einem Dach zu leben, ist da schon eine ganz andere Liga, da bekommt man eben noch viel mehr mit und kann sich meistens nicht wirklich entziehen. Weiß ich noch gut aus meiner Jugend, dass man bei Streitereien der Eltern doch häufig mittendrin statt nur dabei ist.

    Bei mir war es so, dass selbst das nebeneinander Wohnen sehr belastend wurde, weil man sich eben auch in dieser Situation nicht ganz entziehen kann. Und dann sind da ja auch noch Kinder und Partner, die das alles mitbekommen. Ein Schlüsselerlebnis im negativer Hinsicht gab es vergangenes Silvester. Nachbarn von uns hatten bereits weit vor Mitternacht ein bisschen Feuerwerk für Ihre Kinder gemacht (wahrscheinlich weil nicht sicher war, dass die bis Mitternacht durchhalten). Meine Kinder haben es auch freudig mit angesehen. Mein Vater hat sich allerdings daran gestört - auch weil er auf den neu hinzugezogenen Nachbarn einen Grant hatte, weil dessen Baustelle seiner Ansicht nach zu lärmintensiv gewesen sei. Naja, das Ende vom Lied war, dass er völlig aggressiv und betrunken den Nachbarn zusammengebrüllt und beschimpft hat. Meine Kinder haben das alles mitbekommen und waren total verstört. Für mich war der Abend auch gelaufen und ich bin dann am nächsten Tag rüber, hab ihn zur Tür zitiert und rund gemacht und gesagt, dass ich alles verkaufe, wenn das nochmal passiert. Ist dann bis zu seinem Tod nicht mehr passiert, aber Wunden hat es doch hinterlassen und ich habe mir die ganze Zeit gedacht, was tue ich meinen Kindern hier eigentlich an. Dafür schäme ich mich am meisten, dass ich nicht nur mich, sondern auch sie diesen Situationen ausgesetzt hab.


    Und was Deine Schwester anbelangt. Lass Dir kein schlechtes Gewissen einreden! Du bist zu nichts verpflichtet. So wie ich es sehe, geht es ihr mit Ihren Aussagen nur darum, dass sie sich kein schlechtes Gewissen machen muss. Dafür kann sie Dich aber nicht in Haftung nehmen, das geht nicht.


    Liebe Grüße


    Seb

    Hallo zusammen,

    mein Vater ist vor ca. zwei Monaten (aus damaliger Sicht, wie man sagen würde, überraschend und völlig unerwartet) verstorben. Er lag eines Morgens einfach tot neben meiner Mutter im Ehebett.


    Auf der Suche nach möglichen Ursachen bin ich auf dieses Forum gestoßen, wofür ich schon jetzt unendlich dankbar bin. Ich habe in kurzer Zeit unheimlich viel gelernt, über meinen Vater, mich und auch über meine, wie ich nun weiß, co-abhängige Mutter (deren Abhängigkeit noch über den Tod hinauswirkt).

    Ich schaffe es nun mit 40 Jahren das erste Mal, auszusprechen, was seit 20 Jahren und mehr offensichtlich ist: Mein Vater war Alkoholiker und ich habe ihn vor wahrscheinlich 25 Jahren oder mehr an den Alkohol verloren.


    Es begann alles, als ich 15 Jahre alt war. Mein Vater hatte damals eine eigene Firma, die in die Krise gerutscht ist. Es war ein Crash mit allem was dazugehört. Grundschulden auf der Wohnung und die Drohung der Bank, alles zu versteigern. Finanziell sind wir gut aus der Situation gekommen, aber der Alkohol hatte ihn ab dieser Zeit richtig im Griff. Das Problem muss allerdings bereits länger bestanden haben. Meine Mutter hat neulich, als ich das angesprochen habe, erwähnt, dass es mal einen Entzug gegeben habe, als meine Schwester und ich noch klein waren. Wie gesagt, erfahren haben wir hiervon erst nach seinem Tod und scheinbar war er danach gerade einmal ein Jahr lang halbwegs trocken. Weitere Entzugsbehandlungen oder Psychotherapie gab es in der Folge nicht.


    Als ich das erste Mal bemerkt habe, dass etwas nicht stimmt, hat er schon Abends drei bis vier Halbe Bier und Wein getrunken. Wir haben uns damals eingeredet, dass es wegen der Firmengeschichte ist und schon wieder besser werden wird. Irgendwann hab ich dann im Keller ein Depot an leeren Dornkaat-Flaschen entdeckt und das bei meiner Mutter angesprochen, die abgewiegelt und es irgendwie ignoriert hat. Später hat man sich dann eingeredet, dass das Trinkverhalten besser geworden ist und er halt nicht so viel verträgt. Das nennt man wohl kognitive Dissonanz.

    Letztlich haben sich bei meinem Vater im alkoholsiierten Zustand alle Verhaltensweisen gezeigt, die hier schon so oft beschrieben worden sind. Keine körperliche Gewalt, dafür sehr häufig aggressives Verhalten, Streitlustigkeit und unendliches Selbstmitleid („immer bin ich schuld!“ „Ihr hasst mich doch alle“). Auch die Auszüge und Übernachtungen in der Gartenlaube oder unter dem Ampfelbaum sind mir geläufig. So etwas gab es bei uns auch oft nach einer Streiterei zwischen meinen Eltern. Damals habe ich mich noch aktiv eingemischt, das habe ich dann später, als ich eine eigene Familie gegründet hatte, aufgehört.

    Meinen Auszug mit 25 Jahren habe ich damals als Befreiung empfunden, wenngleich ich es nicht geschafft habe, den Kontakt abzubrechen, was wahrscheinlich die richtige Lösung gewesen wäre. Mit meiner Familie bin ich dann sogar mit Mitte 30 in die unmittelbare Nachbarschaft meiner Eltern gezogen, womit ich vieles wieder mitbekommen habe.


    Nach Lektüre der vielen Beiträge weiß ich jetzt aber, dass ich an seinem Zustand keine Schuld habe und ich hätte auch nichts ändern können. Letztlich hat er seine Entscheidung schon vor langer Zeit getroffen. Ich bin auch froh, das ganze Thema nun endlich aktiv angehen zu können.


    Letztlich muss man bei meinem Vater davon ausgehen, dass er sich buchstäblich zu Tode gesoffen hat. Gerade in den Wochen vor seinem Tod hatte ich das Gefühl, dass der Alkoholkonsum auch tagsüber nochmal massiv zugenommen hat. Das fällt ironischerweise mit dem Umstand zusammen, dass meine Mutter in den letzten Monaten vor seinem Tod es zumindest ein bisschen geschafft hat, sich von ihm zu lösen und ihr eigenes Leben zu leben. Zuvor hatte sie sich mehr oder weniger vollständig unterworfen und war nur noch für ihn da.

    Bei mir hat sich gerade ein etwas merkwürdiger Zustand eingestellt. Den Verlust meines Vaters kann ich gar nicht so richtig betrauern. Was mich eher traurig macht sind die vielen verpassten Chancen und Gelegenheiten für einen Weg zur Umkehr und Gesundung. So war man am Schluss wechselseitig nicht mehr in der Lage, Liebe zu geben. Im Moment fällt es mir auch noch schwer, zu verzeihen, aber vielleicht kommt das ja noch. Und was mich ehrlich gesagt fertig macht, ist, dass meine Mutter ihn weiter deckt und das Problem verleugnet. Ich hoffe sehr, dass sie sich post-mortem aus dieser Abhängigkeit befreit und es auch schafft, sich aktiv auseinandersetzen. Aber das ist nicht meine Sache, wie ich hier gelernt habe.


    Ich bin unendlich Dankbar für die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch.


    Liebe Grüße


    Seb