Hallo,
nachdem ich mich endlich von meinem Ex trennen konnte, begann ich darüber nachzudenken, was mich 26 Jahre langt festgehalten hat in dieser Beziehung. Ich wollte nicht wissen, wer ist daran Schuld, das ist eine müßige Angelegenheit, die Schuld zu suchen. Ich wollte es wissen, um mich ändern zu können, um Strukturen erkennen zu können, um in Zukunft gewappnet sein zu können.
Dabei kam ich darauf - also in meinem Fall! - es war so...
Alkohol war immer präsent in meiner Familie. Es war "normal", auf Festen zu saufen bis zum Umfallen. Ich hatte viele Onkels und auch Tanten, die Alkoholiker waren, bzw. co-abhängig.
Da wurde mir schon ein Bild vermittelt, von klein an. Die Mutter/Frau sorgt für die Familie, hält alles zusammen. Hat auch das Sagen in vielen Sachen. Selbst hat sie wenig Anspruch auf eigenes Leben, eigene Bedürfnisse. Also was sie sagt und macht hat immer nur was mit dem Wohlbefinden der Familie zu tun. Und sie ist verantwortlich für die allgemeine Harmonie. Und sie hält zu ihrem Mann, koste es, was es wolle! Familie ist wichtig! Harmonie ist wichtig! Zähne zusammenbeißen ist wichtig! Wenn du so bist, bist du eine gute Frau. Das jetzt mal grob gesagt. Und echt, wenn ich an die Schulbücher denke, die ich hatte, damals...da wurde genau auch dieses Bild vermittelt.
Ein großes Thema für mich ist der Selbstwert. Meine Eltern kommen aus kleinen Verhältnissen. Vor allem meine Mutter fühlte sich immer minderwertig. Das hat sie übertragen, so wurden wir erzogen. Immer schön brav sein. Nicht aufmüpfig sein. Als letzter vom Kuchen nehmen, und nie mehr als ein Stück! Zurückstecken, wenn andere dich ärgern, lass sie sein, der Klügere gibt nach. Nicht einstehen etwa, für die eigenen Rechte, Bedürfnisse, denn dann fällst du negativ auf und keiner mag dich. Und die Mutter steht im schlechten Licht da, weil sie uns nicht anständig erzogen hat. Immer zurückhaltend sein. Den Mund halten. Nicht auffallen, es könnte negativ sein. Immer freundlich sein, "ja" sagen! So mal grob gesagt.
Eine Familie ist wichtig, also schnell einen Mann angeln und heiraten und Kinder kriegen. Und dann Hausfrau sein! Wie war ich glücklich, als ich Exmänne fand und er mich heiraten wollte! Da wollte mich tatsächlich jemand haben! Dafür habe ich alles gemacht. Meinen Ehering, den trug ich wie eine Auszeichnung!
Meine Mutter hat mir oft gesagt, "ich habe nie verstanden, dass du Abi gemacht hast, als Frau brauchst du doch sowas garnicht...und dann noch die Ausbildung als Bankerin, wozu, wo du doch eh zuhause bist..." . Ich habe mich gewehrt, es versucht, anders zu sein. Bis zu einem gewissen Grad ging das, aber dann wieder nicht. Zu tief waren die Dinge verwurzelt in mir. Machte ich was "gegen den Strom", wurde ich belächelt in meiner Familie, ausgelacht, klein gemacht, als Spinnerin betitelt.
Funktionierte ich wie das gewohnte Bild, wurde ich darin bestärkt, unterstützt. Ich fühlte mich dann akzeptiert, geliebt, verstanden.
Dasselbe wurde mir auch von meiner angeheirateten Sippe vermittelt, natürlich von meinem Exmann, teilweise von meinem Umfeld, von Freunden, Bekannten.
Da auszubrechen, das war sehr, sehr schwer! Ich war programmiert auf aushalten, Harmonie, Familie. Ich hatte Ängste, sehr viele Ängste. Die haben mich lahm gelegt. Mein Exmann konnte diese Ängste gut schüren!
Als ich wieder anfing zu arbeiten, da habe ich mich nur getraut, Teilzeit zu machen. Ich hatte doch noch die Familie. Ich war zuständig für alles, der Mann verdiente schließlich das dicke Geld, da konnte ich doch nicht verlangen, dass er im Haushalt noch was tat! Er hat sich erfolgreich dagegen gewehrt, das zu tun. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, arbeiten zu gehen, anfänglich, weil ich dachte, ich nehme meiner Familie Zeit weg damit. Und der Haushalt könnte weniger perfekt sein.
Somit war ich finanziell ganz schön eingeschränkt. Was mich mein Ex auch spüren ließ! Die ganze Arbeit mit den Kindern, dem Haushalt, wer erkannte das schon an? Dafür gibt es nichts bezahlt, deshalb ist es nichts wert, so ist das wohl in den Köpfen vieler Menschen! Hausfrau, kicher, biste nur Hausfrau, ach, wie schön bequem für dich, kannste quatschen den ganzen Tag, stricken, Kaffee trinken, auf der Couch liegen... Werde gerade wütend, wie klein mich das hat werden lassen! Wie viel mich das an Wert gekostet hat! Wie wenig ich in der Lage war, was daran zu ändern, weil ich in den alten Strukturen festhing. Ach, bin schon nicht mehr wütend, gerade. Ist so.
Ich ging dann arbeiten, Teilzeit, da konnte ich auch bald die Stunden erhöhen. Ein wenig. Immerhin.
Dann wurde ich immer unzufriedener, immer kleiner. Exmänne trank immer mehr. Die Kinder wuchsen heran und brauchten mich nicht mehr dauernd. Ich war unzufrieden, weil ich es nicht schaffte, zu viel Angst hatte, da auszubrechen. Und ich fühlte mich verantwortlich, für Exmännes Gefühle, Bedürfnisse, ich konnte ihm doch nicht weh tun. Verantwortung, die hatte ich meines Empfindens nach eben für alles. Das war doch meine Aufgabe... . Aufgabe ist gut, sehr zweideutig, dieser Begriff, in diesem Fall...
Viele Faktoren waren da. Ängste, Zwänge, Bequemlichkeit, ja, auch das. Natürlich. Es ist schon bequem, im warmen Nest zu sitzen. Das gebe ich zu! Aber welchen Preis habe ich dafür bezahlt. Auch das wusste ich. Und in mir drinnen war ich zerrissen deshalb. Ich fühlte mich ausgenutzt, überlastet, andererseits war ich nicht fähig, was zu ändern. Denn so, wie ich lebte, war es ok für mein Umfeld und ich erhielt Bestätigung. Das war Balsam für mein geringes Selbstbewusstsein.
Als ich mich trennte, hörte ich von ringsum (selbst von der Kollegin), nun sei mal nicht so, lass dir Zeit, aber geh zurück. Trennung, weia. Scheidung, weia. Da nimmst du noch deinen Ex aus, finanziell . Der arme, und immer diese bösen Frauen, die meinen, sich verwirklichen zu müssen. So in etwa. Meine Mutter konnte es garnicht verstehen, anfänglich, es hat sehr lange gedauert. Eine Frau ist doch nur was mit einem Mann. Du gehst kaputt, finanziell. Liebe gibt es nur einmal im Leben, da musst du dran festhalten. Was sollen die Leute denken. Was wird mit deiner Rente, hast doch nicht lange voll gearbeitet... Usw...
Diese Trennung, dieser Schritt, das hat mich lange Vorbereitung gekostet. Es zu denken, dann immer intensiver zu denken, dann umzusetzen. Und danach hatte ich noch massig mit Schuldgefühlen zu tun!
So sieht's mal aus, bei mir. Ich kann ja nur aus meiner Sicht schreiben, wie ich es sehe. Warum ich so lange dieses Co-Verhältnis leben konnte. Es ist nicht leicht, da auszubrechen. Und meiner Meinung nach hat es sehr viel mit dem Bild der Frau in unserer Gesellschaft zu tun! Dieses Bild ist ja immernoch nicht sooooooo viel anders, als vor 30 Jahren. Das ist meine persönliche Meinung! Ich habe versucht, meine Kinder, meine Tochter, anders zu erziehen. Sie ist anders geworden, so völlig, als ich es war. Das ist ein sehr schönes Gefühl für mich.
Es hat was mit Prägungen zu tun. Mit Erziehung, mit Weltbild. Und es gibt nun mal sehr viel weniger Männer als Frauen, die in diesen co-abhängigen Beziehungen verharren. So empfinde ich es zumindest, so erlebe ich es.
Ich empfinde mich nicht als schlechter oder auch nicht als krank, weil ich so lange so gelebt habe. Und auch nicht schuldig, niemand hat da Schuld. Es war für mich einfach auch lange Zeit in Ordnung so. Als es das nicht mehr war, war ich zum Glück irgendwann in der Lage, zu erkennen und zu verändern. Ich weiß aber auch, wie schwer es ist und wie viel Änderungen da im Kopf passieren müssen.
Ich weiß auch, dass es nur geht, wenn ich bereit dazu bin, mich zu verändern, hinzusehen, nicht stehen zu bleiben und zu jammern.
Nun habe ich mich massig ausgelassen hier .
Aurora